Verlage:
SPD plant Stabilitätspakt für Sicherung der Zeitungsvielfalt

SPD plant Stabilitätspakt für Sicherung der Zeitungsvielfalt – „Wir müssen die heiligen Kühe schlachten“
Interview mit Marc-Jan Eumann (SPD), NRW-Staatssekretär für Medien und Vorsitzender der SPD-Medienkommission.
Der Vorsitzende der SPD-Medienkommission und Medienstaatssekretär in NRW, Marc Jan Eumann hat angesichts der schwierigen Situation vieler Verlage politische Modelle ins Gespräch gebracht, um journalistische Vielfalt zu sichern. So fordert er hier im Interview ein Absenken der Mehrwertsteuer für Printprodukte. „Für diesen Schritt zeichnet sich aber derzeit in keinem politischen Lager eine Mehrheit ab. Eine Zwischenlösung könnte sein, ein Zeitungsabo von der Steuer absetzen zu können“. Man könne darüber debattieren, Nachbarschaftsfusionen von Verlagen noch stärker als bislang beabsichtigt zu erleichtern, wenn im Gegenzug eine Redaktionsvielfalt und –unabhängigkeit gesichert werden kann. „Das wäre im Zweifel besser, als Zeitungen einzustellen“, so Eumann. Die Politik kann auch helfen, wenn es darum geht, Mitarbeiter am Verlag zu beteiligen, den Leser besser einzubinden, alle Möglichkeiten von Coopetition auszuloten.
Herr Eumann, in den letzten Wochen häufen sich Meldungen über Personaleinsparungen und Reduzierungen von Angeboten bei Zeitungen. Muss man sich um die deutschen Tageszeitungen mehr Sorgen machen, als es bisher den Anschein hatte?
Marc Jan Eumann: Dazu nur drei aktuelle Beispiele: Die Insolvenz von Teilen der dapd, der Marktaustritt der Nürnberger Abendzeitung und das erstmalige Sinken der Auflage von Tageszeitungen unter die 20-Millionen-Marke im dritten Quartal diesen Jahres. Das zeigt, es geht nicht um ein konjunkturelles, sondern um ein strukturelles Thema. Zwar sind die allermeisten Verlage in ihrem Kernbereich heute noch wirtschaftlich gesund, aber es ist nicht zu übersehen, dass der Trend nach unten zeigt. Und diese Entwicklung muss gestoppt werden, wenn wir Presse- und Meinungsvielfalt erhalten wollen. Ich will das. Deshalb möchte ich nicht erst darauf warten, dass ein traditionsreiches überregionales Blatt vom Markt verschwindet, bevor wir uns fragen, warum man den Verlust nicht hat kommen sehen. Jetzt gibt es noch gute Voraussetzungen, um eine Art Stabilitätspakt zu verabreden, jetzt gilt es zu handeln. Dazu müssen alle Beteiligten bereit sein, über ihren Schatten zu springen und auch Kühe zu schlachten, die früher einmal als „heilig“ galten.
Sehen Sie Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten durch die Politik?
Marc Jan Eumann: Beides. Aber zunächst sind die unmittelbar Beteiligten, also Verlage, Redaktionen, Gewerkschaften selbst gefordert. Sie haben viel in die Waagschale zu werfen: Kompetenz für Inhalte, für Organisation und Vertrieb sowie wirtschaftliches Know-How. Bei vielen Aspekten gibt es schon Kooperationen. Einige Beteiligte können und müssten mehr aus ihrer Erfahrung machen. Vor allem Lokal- und Regionalzeitungen besitzen eine hohe Kompetenz und eine hohe Glaubwürdigkeit. Beides sind beste Voraussetzungen dafür, dass Zeitungen als Marken auch in der digitalen Welt erfolgreich bleiben.
Das allein wird aber – nicht zuletzt mit Blick auf die Entwicklung in den USA – nicht reichen, um einen weiteren Niedergang zu vermeiden. Die Gesellschaft insgesamt darf nicht abseits stehen und muss sich fragen, wie viel Vielfalt wollen wir – und was ist uns das wert? Ich bin überzeugt, dass wir da nicht knausern dürfen. Denn: wenn es den Medien schlecht geht, steht es auch mit der Demokratie nicht zum Besten. Also lohnen Aufwand, Mühe und Streit, über gute Lösungen, die von vielen, am besten von so vielen wie möglich getragen werden.
Klar ist mittlerweile aber auch: Es gibt keinen Königsweg: Was bei der einen Zeitung im ländlichen Raum gelingt, muss nicht automatisch tauglich sein für eine Zeitung im Ballungsraum. Deshalb wird es einen Mix verschiedenster Maßnahmen geben müssen. So mag es auf den ersten Blick als ein Fall von „Gedöns“ erscheinen, wenn ich auf die Frage der Weiterbildung hinweise. Aber unstrittig ist doch, dass die Anforderungen an den Journalismus durch die Digitalisierung gestiegen sind. Doch viele freie Journalistinnen und Journalisten können sich eine gute Fort- und Weiterbildung gar nicht mehr leisten. Sie können Verdienstausfall und Kosten der Weiterbildung nicht tragen. Das ist ein ernstes Problem, da es mit der Gefahr eines schleichenden Qualitätsverlustes verbunden ist. Hier kann die Politik konkrete Angebote machen.
Es gibt auch andere Handlungsoptionen der Politik: Zu den erwähnten Heiligen Kühen gehört unter anderem auch ein weiteres Absenken der Mehrwertsteuer für Printprodukte. Für diesen Schritt zeichnet sich aber derzeit in keinem politischen Lager eine Mehrheit ab. Eine Zwischenlösung könnte sein, ein Zeitungsabo von der Steuer absetzen zu können – etwa zugunsten der Verlage, die nach Tarif bezahlen, eine bestimmte Ausbildungs- und Weiterbildungsquote haben. Man könnte darüber debattieren, Nachbarschaftsfusionen von Verlagen noch stärker als bislang beabsichtigt zu erleichtern, wenn im Gegenzug eine Redaktionsvielfalt und –unabhängigkeit gesichert werden kann? Das wäre im Zweifel besser, als Zeitungen einzustellen.
Die Politik kann auch helfen, wenn es darum geht, Mitarbeiter am Verlag zu beteiligen, den Leser besser einzubinden, alle Möglichkeiten von Coopetition auszuloten. Diese wenigen Beispiele zeigen, es gibt genug, worüber sich diskutieren lässt.
Die SPD übt Kritik am aktuellen Einwurf für ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Warum? Ist das Wenige nicht besser als gar nichts?
Marc Jan Eumann: Wir halten das Schutzinteresse der Verleger für berechtigt. Wir sehen aber nicht, dass die Regelungen des konkreten Entwurfs der Bundesregierung ausreichend präzise zwischen den verschiedenen Interessen abwägen. Der Entwurf will an manchen Stellen zu viel – und läuft damit Gefahr, im Endeffekt gar nichts zu erreichen.
Zusammen mit anderen Bundesländern will NRW den Entwurf im Bundesrat ablehnen. Da das Gesetz nicht zustimmungspflichtig ist. Welchen Sinn macht das?
Marc Jan Eumann: Unsere Verfassung sieht vor, dass sich der Bundesrat mit Gesetzesinitiativen zu befassen hat. Das tun wir. Außerdem sagen wir ja nicht schnöde nein, sondern formulieren Alternativen und verstehen diese als Gesprächsangebot an die Bundesregierung.
Aber grundsätzlich ist die SPD anscheinend für ein Leistungsschutzrecht? Zumindest hatte ich Olaf Scholz beim BDZV-Kongress so verstanden.
Marc Jan Eumann: Wir sind grundsätzlich dafür, journalistische und verlegerische Leistungen zu schützen. Wir wollen, dass das im Urheberrecht besser zum Ausdruck kommt, als das der vorliegende Vorschlag der Bundesregierung leitet. Das hat Olaf Scholz beim BDZV zum Ausdruck gebracht
Wie sollten nach Ihrer Auffassung die urheberrechtlichen Leistungen der Presseverleger geschützt werden? Reicht eine bessere Rechtsdurchsetzung dafür wirklich aus?
Marc Jan Eumann: Die Verleger sollen ihre Rechte effektiv durchsetzen können. Das betrifft das Verhindern unerlaubter Nutzung ihrer Inhalte genauso wie Vergütungsansprüche. Wenn das bestehende Urheberrecht dazu nicht ausreicht, dann muss man es entsprechend intelligent ändern. Aber bitte nicht so, dass schon die bloße Auffindbarkeit eines Inhaltes Lizenzgebühren kostet.
Die Verleger argumentieren damit, dass sie ohne Leistungsschutzrecht jedes Mal nachweisen müssen, dass die Journalisten die Rechte an umstrittenen Texten an sie abgetreten haben. Wie wollen sie das ausschließen?
Marc Jan Eumann: Das lässt sich im Urheberrecht durch verbesserte Vorschriften zur Rechtsdurchsetzung regeln. Dazu hat die SPD-Bundestagsfraktion Textvorschläge erarbeitet. Persönlich bin ich davon überzeugt, dass wir dazu auch ein Schutzrecht brauchen, um die Anspruchsdimensionen beispielsweise zwischen Verlagen und Journalisten zu sortieren.
Sie haben mehrfach angekündigt angesichts der unklaren Entwicklung der Zukunft des Pressegrossos gesetzlich tätig zu werden. Nun ist ja das novellierte GWB im Bundestag verabschiedet worden…
Marc Jan Eumann: Wir haben zur Absicherung des Presse-Grosso bereits vor längerer Zeit die Initiative ergriffen, als auf Bestreben von NRW eine länderoffene Arbeitsgruppe unter Beteiligung des Bundes einberufen wurde. Der Bund war zu beteiligen, da der Pressevertrieb auch kartellrechtliche Implikationen hat.
Die Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien fassten dann anschließend einen Beschluss, mit welchem sie u.a. den Vorrang privater Regelungen betonten, den Bund um Überprüfung der kartellrechtlichen Regelungsmöglichkeiten baten und die Länder zur Überprüfung ergänzender landesgesetzlicher Möglichkeiten verpflichteten. Die Bitte an den Bund haben die Länder im Rahmen der GWB-Novelle auch über den Bundesrat geäußert. Nunmehr zeichnet sich eine mehrheitsfähige bundesgesetzliche Regelung im GWB zum Jahresende ab. Das ist eine gute Entwicklung. Sobald dieses Vorhaben abgeschlossen ist, werden wir in der AG beraten, um den ergänzenden landesgesetzlichen Handlungsbedarf zu erörtern. Dazu wurden bereits erste Ideen entwickelt, die konkrete Ausgestaltung ist aber abhängig von den bundesgesetzlichen Regelungen.
Hannelore Kraft hatte auf dem NRW-Medienforum die Gründung einer Stiftung „Vielfalt und Partizipation“ zur Unterstützung des Journalismus angekündigt. Wie ist der Stand für die Gründung dieser Stiftung?
Marc Jan Eumann: „Keine Geschichte soll unerzählt bleiben“ – lautet die Botschaft von Ministerpräsidentin Kraft. Bei sinkenden Redaktionsetats wächst das Risiko, dass Geschichten nicht geschrieben werden, weil Zeit und Geld fehlen. Der Aufbau der Stiftung soll Schritt für Schritt erfolgen. Gerade loten wir aus, mit welchen Projekten – ein Stichwort ist Recherchestipendien – wir starten sollen. Ich habe die Akteure aus Verlagen, den DJV und die dju gebeten, selbst Vorschläge zu machen. Unsere bundesweit einmalige Initiative Lokaljournalismus wird ebenfalls wichtige Erkenntnisse liefern. All das wird gesammelt und bewertet. 2014 soll die Stiftung ihre Arbeit aufnehmen.
Welche konkreten Optionen hat eine solche Stiftung, da ja die Unabhängigkeit der Presse vom Staat gewährleistet bleiben muss?
Marc Jan Eumann: Genau deswegen habe ich ja die Akteure gebeten, eigene Ideen zu entwickeln. Denn nur wenn die Akteure mitmachen, wird die Stiftung ihre vielfaltssichernde Wirkung entfalten können.
Die Landesmedienanstalten fördern den Journalismus bei regionalen und lokalen Radio- bzw. TV-Sendern mit Gebührengeldern. Warum kann diese Förderung nicht auf den Lokaljournalismus, unabhängig vom Verbreitungsweg ausgedehnt werden?
Marc Jan Eumann: Die LfM in NRW hat den gesetzlichen Auftrag, die Aus- und Fortbildung in Medienberufen zu unterstützen. Dies ist insofern auch ein Beitrag zur Förderung von Medienkompetenz. Denn sie umfasst nicht nur den Umgang von Nutzern mit den Medien. Medienschaffende ihrerseits müssen lernen mit modernen Medien und Kommunikationsformen umzugehen und diese in ihre Arbeit einzubinden. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass Journalismus interaktiv geworden ist und Journalisten und Nutzer miteinander verbindet.
Rundfunkgebühren dienen der Finanzierung der dem Rundfunk verfassungsrechtlich zugewiesene Funktion und Aufgabe. Die Presse, für die aus gutem Grund bisher keine vergleichbar strenge Regulierung wie für den Rundfunk gefordert ist, partizipiert daher an dem Gebührenaufkommen nicht.
Wenn wir über die Förderung von Journalismus und zukünftige Fördermodelle sprechen, dann halte ich es jedoch für einen richtigem Ansatz, die Grundlagen für unabhängige und kompetente journalistische Arbeit sicherzustellen. Eine Förderung in diesem Sinne, etwa in Form eines Recherchestipendiums, ist unabhängig von der Art der abschließende Veröffentlichung und des gewählten Mediums. Gerade in einem konvergenten Medienumfeld wird die Fokussierung auf ein bestimmtes Medium der Wirklichkeit nicht mehr gerecht. Nicht zu vergessen: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk profitiert in erheblichem Masse von den journalistischen Produkten, die Redakteure von Verlagen erstellt haben.
Dieses Interview wurde in der promedia-Ausgabe Nr. 11/2012 erstveröffentlicht.