Urheberrecht:
In Brüssel tanzen die Mäuse auf dem Tisch

Initiative Urheberrecht fordert die Bunderegierung zum Handeln auf
Interview mit Prof. Dr. Gerhard Pfennig, Sprecher der Initiative Urheberrecht
13.12.12. Mehr als 30 Organisationen von Urheberinnen und Urhebern in der Initiative Urheberrecht haben gefordert, das Urheberrecht weiterzuentwickeln, um sowohl neuen Anforderungen der Bürger als auch berechtigten Interessen der Urheber gerecht zu werden. Vom Gesetzgeber verlangt die Initiative, die über 140.000 Kreative vertritt, vor allem eine Reform des Urhebervertragsrechts. Ziel müsse sein, die Verhandlungsmacht der Urheber und ausübenden Künstler effektiv und nachhaltig zu stärken. Außerdem sollen die Verwertungsgesellschaften gestärkt werden. Keinen Reformbedarf sieht die Initiative hingegen beim Urheberpersönlichkeitsrecht.
Kritik übt Prof. Dr. Gerhard Pfennig, Sprecher der Initiative Urheberrecht, in einem Gespräch mit medienpolitik.net an der Haltung der Regierungskoalition in Berlin. Sie entziehe sich der erforderlichen Debatte über das Urheberrecht und verzichte sogar darauf, den erforderlichen gesellschaftlichen Dialog zu moderieren. Pfennig: „Wir brauchen endlich einen gerechten Interessenausgleich zwischen Urhebern und Nutzern von Werken.“
Herr Pfennig, die Debatte um das Urheberrecht in der digitalen Welt hat sich in den letzten Wochen ein wenig beruhigt. Ist sie auch konstruktiver geworden?
Gerhard Pfennig: Ich glaube noch nicht einmal, dass sie ruhiger geworden ist. Sie läuft vor allem in verschiedenen Zirkeln. Es wird jede Woche einmal irgendwo über das Urheberrecht diskutiert. Das Problem ist, dass es keinen gemeinsamen Ansatz gibt, dass die Vernetzung der Diskussionsforen nicht stattfindet und dass sehr kontroverse Positionen auch separat verfolgt werden. Es gibt zum einen die extreme Piratenposition, nach der sich das Urheberrecht selber gegenüber dem Nutzer rechtfertigen muss. Hier wird die Auffassung vertreten, dass die Nutzer diejenigen sind, die jetzt ungehinderten Zugang zu allen Werken haben sollen und die Urheber sollen legitimieren, warum sie überhaupt noch auf ihrem Recht bestehen. Die andere Position, die wir vertreten ist, dass sich das Urheberrecht, wie es existiert, notwendig und in Ordnung ist. Es muss sich aber mit den technischen Entwicklungen verändern. Aber wir dürfen nicht wegen einer technischen Entwicklung Fundamentalpositionen, die seit der Aufklärung das europäische Urheberrecht als Menschenrecht und als Grundlage für die Existenzgründung kreativer Menschen begründen, auf einmal komplett in Frage stellen.
Gibt es nicht einen gemeinsamen Nenner, in dem alle politischen Kräfte heute wenigstens übereinstimmen?
Gerhard Pfennig: Der gemeinsame Nenner ist, dass alle Parteien sagen, die Urheber seien wichtig. Aber die einen sagen, dass die Urheber zwar wichtig sind, allerdings nur zur Produktion, und was sie produzieren, müsse allen zur Verfügung stehen. Sie sollen gar nicht mehr davon leben und sich andere Existenzmöglichkeiten als das Urheberrecht suchen. Die Diskussion geht sogar soweit, dass gesagt wird, der Staat solle die Urheber unterstützen, weil die Kulturindustrie dafür kein Geld mehr bereitstellen könne. Andere wiederum sind der Auffassung, dass die Urheber im Mittelpunkt stehen, man aber die Produzenten nicht mehr in gleichem Umfang wie bisher benötige und den Zugang zu Werken anders organisieren könne. Den Status Quo verteidigen die traditionellen Parteien. Aber sie möchten zumindest den Umgang mit dem Urheberrecht modernisieren, was völlig legitim ist. Niemand bestreitet, auch die Urheber nicht, dass man die Lizenzierungspraktiken so weit wie möglich an die Entwicklung der Technik anpassen muss, ohne die Substanz in Frage zu stellen.
Wo sehen Sie gegenwärtig die größten Probleme für die Urheber angesichts auch neuer digitaler Distributionswege?
Gerhard Pfennig: Das grundsätzliche Problem ist ein altes Problem. Es ist – Stichwort Urhebervertragsrecht – die Gefahr, dass mit neuen Auswertungsmöglichkeiten die Beteiligungsansprüche der Urheber immer mehr zurückgedrängt werden. Zum Beispiel wird die Auffassung vertreten, dass es für den Produzenten technisch einfacher ist, wenn er sofort alle Rechte erhält, damit er sie besser verwerten kann. Leider haben die Verwerter, seitdem das Urhebervertragsrecht 2002 in Kraft getreten ist, auch wenig unternommen, um auf die Urheber zuzugehen und mit ihnen eine vernünftige kooperative Basis zu finden. Weil das nicht der Fall ist, erleben wir jetzt zum Beispiel in Brüssel Bemühungen der EG-Kommission, audiovisuellen Content leichter zugänglich zu machen und hierbei die diversen Ansprüche verschiedener Rechteinhaber als störend zu betrachten und über sie hinweg zu gehen. Das schadet allen. Die Kommission ignoriert die Tatsache, dass bei vielen neuen Werken die Rechte zur digitalen Verwertung oft vorher nicht geklärt wurden und die Urheber deshalb in jedem Fall einen Anspruch auf Beteiligung haben. Alle Urheberorganisationen bzw. die Verwertungsgesellschaften verhandeln derzeit mit den öffentlich-rechtlichen Sendern darüber, wie sie derartige ältere Sendungen nutzbar machen können und wie man erreichen kann, dass die Datenbanken unter Beachtung der Rechte aller Beteiligten erschlossen werden. Das funktioniert nicht ohne finanziellen Ausgleich und darüber wird zu wenig gesprochen. Ganz generell ist es falsch zu behaupten, die Urheber benötigten im digitalen Umfeld die Verwerter nicht mehr und könnten alles selbst organisieren. Die Urheber, die selbst am besten wissen, dass das nicht zutrifft, stehen hinter ihren Verwertern. Aber sie möchten ausgewogene vertragliche Beziehungen zu ihren Produzenten haben und keine Buy-out-Regelungen. Der Widerstand vieler Verwerter gegen das Urhebervertragsrecht als Grundlage für faire Beziehungen ist schwer zu verstehen.
Die Justizministerin hat erklärt, dass sie die Notwendigkeit eines dritten Korbs nicht mehr sieht. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann hängen die aktuellen Probleme eigentlich mehr mit dem Urhebervertragsrecht zusammen als mit den offenen Fragen des dritten Korbs. Also könnte man auf ihn verzichten?
Gerhard Pfennig: Eindeutig nein. Die Notwendigkeit, das Urhebervertragsrecht durchsetzungsstark zu machen, ist schon lange Teil der Debatte, aber leider bis heute vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen worden. Man könnte den dritten Korb benutzen, um dies nochmal zu thematisieren. Es geht hier wie in anderen Punkten auch nicht um radikale Veränderungen des Rechts, sondern darum, bestehende Gesetze vernünftig zur Funktion zu bringen. Wir haben eine Reihe von Ausnahmeregelungen, die eigentlich den Umgang mit Rechten erleichtern sollen, die aber nicht gut funktionieren. Es existiert für den Bildungs- und Wissenschaftsbereich die Möglichkeit, auf Werke zuzugreifen. Dennoch besteht dort ein schwerer Konflikt, weil der zweite Korb, der seit 2008 in Kraft ist, unpräzise formuliert worden ist. Wir haben hier das weitere Problem, dass die öffentliche Hand zwar die Ausnahmeregelungen nutzen will, aber nicht bereit ist, angemessen dafür zu bezahlen. Im Zusammenhang mit der Literaturnutzung in Universitäten gibt es deshalb einen Prozess, der inzwischen beim Bundesgerichtshof angekommen ist.
Viele Probleme der Urheber und der Produzenten würden sich weiterhin lösen lassen, wenn das System der Abgaben für die zulässige private Vervielfältigung endlich funktionieren würde, z.B. die Abgaben auf PCs, und auf andere auf Geräte. Im Jahr 2008 hat die Politik das System geändert. Vorher war die Vergütungshöhe im Gesetz festgeschrieben, jetzt müssen die Verwertungsgesellschaften verhandeln. Sie stoßen auf eine sehr breite Verweigerung seitens der Gerätehersteller, die ja die Vergütung zahlen müssen, weil diese darauf setzen, dass in Brüssel das gesamte Vergütungssystem abgeschafft wird. Das bedeutet, dass im PC-Bereich in Deutschland ein Vergütungsvolumen zwischen 300 und 400 Millionen Euro jährlich blockiert ist. Die Folge ist, eine öffentlich akzeptierte Vergütung für zulässige private Vervielfältigungen fließt nicht in die Branche, die das Geld dringend für Investitionen in neue Werke braucht, was großen Unfrieden schafft. Genauso wie großer Unfrieden in den Universitäten entsteht, wo man Ausnahmevorschriften dringend braucht, um die Forschung und Lehre weiterzuentwickeln, wo man aber auf Widerstände stößt, die von Verlegerseite kommen, weil die angebotenen Vergütungen nicht angemessen erscheinen. Das sind handwerkliche Punkte, die die Bundesregierung durch Korrekturen von Gesetzen ändern könnte. Ungelöst war zum Beispiel lange auch das Problem der verwaisten Werke, was wichtig für die digitale Bibliothek ist. Inzwischen gibt es eine EG-Richtlinie, die gegenüber einer vor Jahren in Deutschland von allen Beteiligten vereinbarten Lösung rückschrittlich ist. Die Bundesregierung hätte die deutsche Lösung in Kraft setzen können und nicht auf die EU – Regelung warten müssen; sie hat es nicht getan.
Das ist ja ein breites Spektrum ungelöster Probleme…
Gerhard Pfennig: Und das ist noch nicht alles. Es besteht außerdem das sehr wichtige Thema der technologieneutralen Weiterleitung von Werken im Sinne der Kabelweiterleitung über Plattformen und in anderen Übertragungsformen. Für die kabelgebundene Weiterleitung von Sendungen existiert eine gesetzliche Grundlage, nicht aber für die Weiterleitung über Handys und andere digitale Distributionswege. Die Bundesregierung ist untätig geblieben, obwohl auch hier die Branche auf eine Anpassung des geltenden Rechts wartet.
In Brüssel arbeitet man an einer Gesetzgebungsinitiative zur Harmonisierung der Arbeit der Verwertungsgesellschaften. Deutschland hat in Europa eines der am besten entwickelten Systeme der Kontrolle und Überprüfung der Verwertungsgesellschaften. Deutschland bringt sich aber in die Debatte nicht erkennbar ein. In Brüssel tanzen die Mäuse auf dem Tisch, weil die Bundesregierung offensichtlich keinen Ehrgeiz hat, dort an den Debatten teilzunehmen. Am 5. Dezember 2012 hat die Kommission getagt und eine Grundsatzdebatte darüber geführt, wie man mit dem Urheberrecht in der digitalen Gesellschaft umgeht. Der Standpunkt der Internetwirtschaft, die wenig Rücksicht auf das Urheberrecht nimmt, dominiert. Wir wissen alle nicht, welche Position die Bundesregierung zu diesen Fragen einnimmt.
Sie sprachen die Verwertungsgesellschaften an. Diese sind durch die Debatte über den GEMA-Tarif in den letzten Monaten stark in die Schlagzeilen gekommen. Sind Verwertungsgesellschaften für die digitale Welt noch das richtige Modell?
Gerhard Pfennig: Die Verwertungsgesellschaften werden in Brüssel und auch in Deutschland von vielen Nutzern und Verwertern sogar für zusätzliche Aufgaben ins Gespräch gebracht. Denn es hat sich herausgestellt, dass eine ganze Zahl von Nutzungen nicht mehr individuell verwaltet werden kann, vor allem kleinteilige Nutzungen und die Öffnung der Datenbanken der Sender mit Abertausenden von audiovisuellen Werken. Dazu kommen viele Nutzungen im Bildungsbereich. Dies alles kann ohne Verwertungsgesellschaften, in denen die Produzenten und Urheber gewissermaßen beteiligt sind, nicht geregelt werden. In Deutschland gibt es nach wie vor sehr gut funktionierende Verwertungsgesellschaften, daran ändern auch einige in der Öffentlichkeit stark debattierten Probleme der GEMA nichts. Es besteht in der digitalen Welt eine zunehmende Zahl von Nutzungen, die, wenn man sie legal abwickeln will, ohne Verwertungsgesellschaften nicht mehr handhabbar sein werden. Die Rechtswahrnehmung in zentraler Form ist eine wichtige Voraussetzung, um die Probleme mit der Piraterie zu lösen.
Es gibt die Auffassung, dass Piraterie gar kein Problem wäre, wenn es die richtigen Geschäftsmodelle gäbe…
Gerhard Pfennig: Die musikalischen Verwertungsgesellschaften verfügten Anfang der 2000er Jahre in größerem Umfang über die Online-Rechte und hatten Lizenzmodelle zur Verfügung gestellt. Doch 2005 hat die EG-Kommission in die grenzüberschreitende Lizenzierung digitaler musikalischer Nutzungen eingegriffen und die bestehenden One Stop Shops unmöglich gemacht, mit dem Argument, man wollte den Urhebern mehr Freiheiten geben. In Wirklichkeit hat man den amerikanischen Großverlegern wie Sony und BMG die Möglichkeit gegeben, ohne Verwertungsgesellschaften oder in einer sehr speziellen Zusammenarbeit mit Verwertungsgesellschaften ihre Werke zu individuellen Konditionen zu verwalten. Das heißt, einerseits haben politische Eingriffe, aber andererseits auch das zögerliche Eingehen der Produzenten auf die Entwicklung des Internets den legalen Zugriff auf Musik im Netz zunächst sehr erschwert. Das hat dazu geführt, dass mittlerweile nach Statistiken 25 Prozent der Nutzer digitaler Werke illegale Angebote regelmäßig nutzen. Das bedeutet immerhin, dass 75 Prozent noch bereit sind, auf legale Angebote zurückzugreifen. Aber legale Angebote gibt es eigentlich erst wirklich und effizient, seit Apple iTunes eingeführt hat. Immer noch sind Teile der Kulturindustrie nicht bereit, sich zusammenzuschließen und großräumige Angebote im Netz zu machen. Es gibt im Grunde keine Verwertungsgesellschaft der Filmproduzenten, die Werke zu gleichen Konditionen anbieten. Jeder versucht sein eigenes Spiel. Auch die Buchverleger haben große Schwierigkeiten, sich auf gemeinsame Standards zu einigen. Deshalb stoßen sie bei der digitalen Verbreitung auf Schwierigkeiten, weil die Netzgemeinde zwar bereit ist zu zahlen, aber nicht bereit ist, für jedes einzelne Produkt komplizierte Lizenzverträge zu schließen.
Wie fängt man diese 25 Prozent wieder ein?
Gerhard Pfennig: Nachdem das Medienrecht die Provider praktisch aus der Haftung nimmt, weil man sie nicht behindern will, müssen sich die Rechtsinhaber an diejenigen wenden, die diese Provider missbrauchen. Das hat dazu geführt, dass eine sogenannte Abmahnindustrie entstanden ist. Seit Rechtsverletzer verfolgt werden, und zum Teil mit unverhältnismäßiger Härte, zumal wenn es sich um Jugendliche und nicht um gewerbliche Verletzer handelt, hört man das Argument, das Recht müsse geändert werden, damit aus der heutigen Verletzung eine zulässige Handlung wird. Dann könnte man genauso gut sagen, dass nur, weil so viele Leute Alkohol trinken, man das Trinken am Steuer erlauben muss, damit nicht so vielen der Führerschein entzogen wird. Das fordert aber aus guten Gründen niemand. Um Nutzer illegaler Quellen auf ihr rechtwidriges Tun aufmerksam zu machen, wurde der Vorschlag eines „Warnhinweises“ entwickelt, um den illegalen Nutzern ein Signal zu übermitteln, dass sie falsch handeln und darüber nachdenken sollen, was sie tun. Auch das wird schon diskriminiert als Verstoß gegen den Datenschutz. Die Verletzung von Urheberrechten wird in der gesellschaftlichen Debatte kleingeredet und es wird so getan, als seien die Bürgerfreiheiten in diesem Falle wichtiger als die Rechte an geistigem Eigentum.
Die Justizministerin hat mehrfach gesagt, sie wolle die Provider nicht zu Hilfssheriffs machen. Wenn ich Sie aber richtig verstanden habe, kommt man diesem Problem nur bei, wenn man die Provider einbezieht und sie eine stärkere Verantwortung übernehmen.
Gerhard Pfennig: So ist es. Man muss die Provider nicht zu Hilfssheriffs machen, aber man wird vermutlich schon ihre Unterstützung für eine Legalisierung der Nutzungsvorgänge gewinnen können. Man muss sich auch einmal die Unternehmen wie Google und Facebook ansehen, durch deren Dienstleistungen und Angebote in großem Umfang Rechtsverletzungen ermöglicht werden. Wenn User ein privates Video, das mit einer lizenzpflichtigen Musik unterlegt ist, bei YouTube einstellen wollen, müssen sie dafür eine Lizenz haben. Den Erwerb muss man ihnen möglichst erleichtern. Am besten wäre es, wenn YouTube mit einer Verwertungsgesellschaft vertraglich vereinbart, dass die Nutzung von Musik zulässig ist, aber eine Vergütung gezahlt wird, wenn die Nutzer Musik bei YouTube einstellen. Dafür ist zum einen die Kooperationsbereitschaft dieser Dienstleister erforderlich und darüber hinaus müssen zielführende Verhandlungen geführt werden. Ich glaube, die Justizministerin ist nicht aktiv genug, diesen Prozess zumindest zu moderieren.
Im Zusammenhang mit einer besseren Vergütung von Urhebern wird über verschiedene Finanzierungsmodelle geredet. Unter anderem ist auch ein Modell im Gespräch, dass man analog der Geräteabgabe bei den Providern eine bestimmte Abgabe bezahlt, die dann von einer Verwertungsgesellschaft eingetrieben und an die Urheber ausgeschüttet wird. Halten Sie das für einen richtigen Schritt?
Gerhard Pfennig: Ich glaube nicht, dass das realistisch ist. Manche wollen durch Einführung ermöglichen, dass ein freier Zugriff auf Content erreicht wird, der heute individuell vermarktet wird. Das heißt, dass man jeden Film, der im Internet auf irgendeine Weise abrufbar ist, im Rahmen dieser Pauschale kostenlos ansehen kann. Wenn das kommt, wird kaum noch jemand ins Kino gehen. Es wird aber auch keiner mehr einen Film produzieren, wenn er sich mit einer Pauschale zufrieden geben muss, die dann von einer gigantischen Verwertungsgesellschaft – wir rechnen in Größenordnungen von ein bis zwei Milliarden Euro im Jahr – verteilt wird. Das ist eine Sozialisierung des geistigen Eigentums. Das ist eine Utopie, die in der Praxis auf so viele Schwierigkeiten stößt, dass sie keine Lösung darstellt.
Wären denn alle, die über einen Internetanschluss verfügen, überhaupt zu einer solchen Pauschale bereit?
Gerhard Pfennig: Das kann ich mir nicht vorstellen. Es gibt von den Netzfanatikern Berechnungen, die von Kosten von drei Euro im Monat ausgehen. Das sind nicht belegte Kalkulationen. Es gibt andere Kalkulationen, die eine Pauschale von 40 Euro im Monat sehen. Das wird man niemals durchsetzen können. Wenn die Pauschale auf einen Minimalbetrag reduziert wird, reicht das Geld nicht für alle Kreativen. Und es gibt die weitere Frage, wie mit Persönlichkeitsrechten umgegangen wird. Darf jeder, der ein Werk downloadet, auch das Werk verändern, es wieder uploaden und neu in die Öffentlichkeit bringen? Das sind ungelöste Fragen. Eine solche große Lösung ist unrealistisch. Man muss kleinteilig herangehen. Man muss für einzelne Nutzungsvorgänge versuchen, einfachere Lizenzregelungen zu schaffen und so dem Nutzer entgegen kommen. Das ist der einzig gangbare Weg.
Das Interview mit Prof. Dr. Gerhard Pfennig ist eine Vorveröffentlichung aus promedia – Heft 1/2013