Kulturpolitik:

„Es besteht akuter Handlungsbedarf“

von am 15.04.2013 in Allgemein, Archiv, Gastbeiträge, Kreativwirtschaft, Medienpolitik, Musikwirtschaft, Urheberrecht

<h4>Kulturpolitik:</h4>„Es besteht akuter Handlungsbedarf“
Agnes Krumwiede MdB, Kulturpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ein Blick in die Glaskugel – was sich an der Situation der Künstlerinnen und Künstler unter Rot-Grün verbessern würde

15.04.13 Von Agnes Krumwiede, MdB, Kulturpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 

Das Grüne Maßnahmenpaket für eine bessere soziale und wirtschaftliche Lage von Künstlerinnen und Künstlern im Vergleich zu Forderungen der SPD

Zukunftsängste, Altersarmut und „Patchwork-Karrieren“ sind für viele Künstlerinnen und Künstler ebenso wie für viele Journalistinnen und Journalisten in Deutschland bittere Realität. Mitglieder der Künstlersozialkasse haben eine durchschnittliche Rentenerwartung von rund 420 Euro im Monat. 2012 lag das Durchschnittseinkommen von Künstlerinnen und Künstlern der Künstlersozialversicherung bei jährlich rund 14.000 Euro. Mindestens 30 Prozent der selbstständigen Kulturschaffenden erhalten gar keinen Zugang zur Künstlersozialkasse, weil sie das erforderliche Mindesteinkommen von 3.900 Euro im Jahr nicht erreichen. Künstlerinnen und Künstler zählen zu den kinderärmsten Berufsgruppen in Deutschland. Die prekäre Situation vieler Berufstätiger im Kultur- und Medienbetrieb hat diverse Ursachen: Honorare, die mit sittenwidrigen Löhnen vergleichbar sind; wechselnde kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse ohne Aussicht auf Festanstellung; kein Anspruch auf Krankengeld trotz Einzahlung in die Versicherung; unfaire Vertragsverhältnisse usw. Die Kultur- und Kreativwirtschaft hat einen Jahresumsatz von rund 134 Milliarden Euro zu verzeichnen – das sind 2,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Diskrepanz zwischen den Umsatzerfolgen der Kultur- und Kreativwirtschaft undeinem durchschnittlichen Einkommen knapp über der Armutsgrenze für die künstlerischen Wertschöpfer dieser Erfolge ist frappierend. Es besteht akuter Handlungsbedarf.

Die Grüne Bundestagsfraktion hat ein grünes Maßnahmenpaket zur Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage von Künstlerinnen und Künstlern erarbeitet. Unter anderem fordern wir: Für die Dienstleistung aller ausgebildeten Interpreten, Bühnendarsteller und Lehrenden ohne Festanstellung in Kunst und Kultur muss es Mindestabsicherungen und Honoraruntergrenzen geben. Auch die Ausbeutung der Lehrbeauftragten an Hochschulen für Musik und Theater wollen wir beenden. Bis zu 60 Prozent des Unterrichts an den Hochschulen für Musik und Theater wird durch Lehrbeauftragte auf Honorarbasis sichergestellt. Sie haben meist eine hohe berufliche Qualifikation und bewältigen das gleiche Maß an Arbeit und Verantwortung wie Festangestellte. Trotzdem erhalten sie nur ein Drittel des Stundensatzes. 15 Euro pro Unterrichtseinheit sind als Vergütung keine Seltenheit. Ein Hochschulsystem, dessen Lehrangebot überwiegend durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse abgedeckt wird, ist sozial unverträglich. Langfristig wird dadurch auch die Qualität der Lehre gefährdet. Wir setzen uns ein für bundesweit einheitliche Honoraruntergrenzen an allen Hochschulen für Musik und Theater sowie für die Festlegung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Honorartätigen und Festangestellten.

Sowohl in der Problemanalyse als auch bei den Handlungsvorschlägen zur Verbesserung der Situation von Künstlerinnen und Künstlern sowie Journalistinnen und Journalisten gibt es zwischen unserem grünen Maßnahmenpaket einige Überschneidungen mit Forderungen im Kreativpakt der SPD, beispielsweise bei der Reform des Krankengeldbezuges: Anspruch auf Krankengeld besteht aktuell erst ab der siebten Woche. Dies ist vor allem für kurzzeitig Beschäftigte und Selbstständige unbefriedigend, sie haben meist keine ausreichende Absicherung im Krankheitsfall. Ein Engagement an einem Theater beispielsweise dauert für eine Inszenierung zwischen drei und sechs Monaten. Im Filmbereich kann die Beschäftigungsdauer auch nur einige wenige Tage betragen. Wir wollen den Ausschluss der Selbstständigen, der kurzfristig Beschäftigten sowie der Versicherten nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz vom Anspruch auf Krankengeld im SGB V aufheben. Anspruch auf Krankengeld muss wieder ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit gewährleistet sein!

Etwa 90 Prozent der insgesamt 240.000 Unternehmen der Kultur-und Kreativwirtschaft sind Klein- und Kleinstbetriebe in den Bereichen Musikwirtschaft, Buchmarkt, Kunstmarkt, Filmwirtschaft, Rundfunkwirtschaft, Darstellende Künste, Designwirtschaft, Architektur, Pressewirtschaft, Software-/Games-Industrie und der Werbemarkt. 25 Prozent der Erwerbstätigen sind selbständig. Das ist doppelt so viel wie in anderen Branchen. Die Erwerbsbiographien der meisten Künstlerinnen und Künstler sowie Journalistinnen und Journalisten besteht aus einer Aneinanderreihung von Kurzzeitbeschäftigungen. Trotz ihrer gezahlten Beiträge in die Arbeitslosengeldversicherung sind diese nach Beendigung eines kurzzeitigen Arbeitsverhältnisses oft auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen. Wir wollen, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld bereits für alle gilt, die innerhalb von zwei Jahren mindestens vier Monate in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt haben. Unsere Forderungen bezüglich einer Reform des ALG-I-Bezuges sind weitreichender als die der SPD: Die SPD hält an unbewährten Sonderregelungen für Kreative fest und verlängert lediglich die Rahmenfrist – Kreative bekommen dann ALG-I, wenn sie innerhalb von 3 Jahren 6 Monate in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Im Unterschied zur SPD wollen wir zudem eine befristete Vermittlungspause einführen, in welcher Arbeitslosengeld-Beziehende ausschließlich selbst für ihre berufliche Integration verantwortlich sein sollen. Dies würde auch der Arbeitsrealität von Künstlerinnen und Künstlern besser gerecht: Deren erwerbslosen Zeitabschnitte zwischen Engagements dienen in der Regel der Vorbereitung auf die nächsten künstlerischen Projekte oder Engagements.

Ein weiteres Ziel Grüner Kulturpolitik ist die Einführung einer verpflichtenden Ausstellungszahlung für den nicht-kommerziellen Raum im Rahmen der Kompetenzen des Bundes. Im Gegensatz zu Bühnendarstellern und Interpreten werden bildende Künstlerinnen und Künstler sowie professionelle Fotografinnen und Fotografen für die öffentliche Präsentation ihrer Werke in der Regel nicht bezahlt. Diese Gerechtigkeitslücke könnte durch eine Ausstellungszahlung geschlossen werden. Mit immensen Kosten verbunden wäre diese Maßnahme übrigens nicht, wie das Beispiel Schweden zeigt: Dort beansprucht die Ausstellungszahlung gerade einmal zwei bis drei Prozent eines Ausstellungsetats. Genauso wie die SPD wollen wir, dass der Bund eine verpflichtende Ausstellungszahlung bei allen aus Bundesmitteln finanzierten oder bezuschussten Institutionen und Projektträgern in seine Förderkriterien mitaufnimmt.

Was die Gleichstellung von Frauen im Kulturbetrieb betrifft, scheint die SPD keinen Handlungsbedarf zu sehen. Im Kreativpakt der SPD wird die Lohnungerechtigkeit zwischen Frauen und Männern in Bereichen des Kulturbetriebs genauso wenig thematisiert wie die notorische Unterrepräsentanz von Frauen in einigen künstlerischen Berufen. Je höher Gehalt und Ansehen einer Stelle, desto geringer ist der Frauenanteil. Unter den Komponisten und Dirigenten sind Frauen mit der Lupe zu suchen, auch die Bereiche Regie und Bildende Kunst sind überwiegend Männerdomänen. Und das, obwohl Frauen mit 60 Prozent in künstlerischen Studiengängen in der Mehrheit sind! Künstlerinnen verdienen durchschnittlich ein Drittel weniger als ihre männlichen Kollegen. Für uns sind Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen im Kulturbetrieb daher obligatorischer Bestandteil, wenn es um die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage von Künstlerinnen und Künstlern geht: Bei der Vergabe öffentlicher Mittel muss auf die Lohngleichheit ebenso geachtet werden wie auf eine paritätische Geschlechterverteilung – soweit dies mit künstlerischen Vorgaben vereinbar ist. Außerdem müssen strukturelle Schranken für Frauen im Kulturbetrieb aufgehoben werden, dazu gehört auch der Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten an öffentlich finanzierten Kulturinstitutionen.

Reformen des Urhebervertragsrechts sind notwendig für eine solidere finanzielle Lebensgrundlage Kulturschaffender. Nur wenn Urheberinnen und Urheber sowie ausübende Künstlerinnen und Künstler in fairen Vertragsverhältnissen zu ihren Geschäftspartnern stehen, kann das Recht auf angemessene Vergütung in die Realität umgesetzt werden. Deshalb fordern wir unter anderem eine Auskunftspflicht seitens der Verwerter und Vermittler über den Umfang und die Erträge durch Werknutzungen. Werkschaffende müssen wissen, wie oft und wo ihre Werke genutzt wurden, um einen möglichen Anspruch auf weitere finanzielle Beteiligung einfordern zu können. Außerdem wollen wir fördern, dass Vereinigungen von Urheberinnen und Urhebern sich mit Verwertern auf gemeinsame Vergütungsregeln einigen. Wenn keine Einigung erfolgt, muss ein Schlichtungsverfahren durchgeführt werden, dessen Ergebnis zukünftig verbindlich gelten sollte. Die SPD erkennt im Rahmen ihres Kreativpakts zwar das Urhebervertragsrecht als kulturpolitische Baustelle, bietet selbst jedoch keinerlei konkrete Verbesserungsvorschläge, sondern fordert diese lediglich von der Bundesregierung ein.

In unserem Antrag zu einer Reform der Bundeskulturförderung fordern wir unter anderem, dass der Bund seine Vorbildfunktion wahrnimmt und auf alle aus dem Kulturetat geförderten Kultureinrichtungen, Festivals oder Projekte dahingehend einwirkt, dass die dort beschäftigten Künstlerinnen und Künstler nach den aktuellen Tarifen des öffentlichen Dienstes entlohnt werden, bzw. branchenspezifische Mindestgagen erhalten. Hier gibt es wieder Parallelen zur SPD: Auch die SPD fordert Tarifverträge in den Institutionen und soziale Mindeststandards und Mindesthonorare bei staatlich geförderten Projekten.

Sollte es ab 2013 eine rot-grüne Bundesregierung geben, wird sich voraussichtlich kulturpolitisch nicht nur an den Rahmenbedingungen zur Kulturförderung des Bundes einiges ändern. Was die soziale und wirtschaftliche Lage von Künstlerinnen und Künstlern sowie Journalistinnen und Journalisten betrifft, könnten die schwarz-gelben Versäumnisse unter einer rot-grünen Bundesregierung korrigiert und maßgebliche Verbesserungen eingeführt werden – unter der Voraussetzung, dass die SPD ihren Kreativpakt um einige Details aus dem hier vorgestellten grünen Maßnahmenpaket ergänzt.

Das grüne Maßnahmenpaket „Brotlose Kunst“ ist mit zusätzlichen Informationen zu den Initiativen weiterführend hier nachzulesen: gruenlink.de/hti

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