Rundfunk:
„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat eine Orientierungsfunktion“

Länder stellen Sieben-Tage-Regelung für Medientheken auf den Prüfstand
21.05.13 Interview mit Marion Walsmann, Chefin der Staatskanzlei Thüringen
Noch ist nicht klar, ob es einen ARD-ZDF-Jugendkanal als klassischen Fernsehkanal, vielleicht anstelle bisheriger Digitalkanäle geben wird. Dass die Länder aber die öffentlich-rechtlichen Sender mit einem speziellen Angebot für Jugendliche beauftragen wollen, scheint unstrittig. So stellte die Chefin der Thüringer Staatskanzlei in einem medienpolitik.net-Gespräch fest, dass sie die Notwendigkeit sehe, durch ein entsprechendes Programmangebot für Jugendliche nachzusteuern. Als Standort für einen Jugendkanal böte sich aus „synergetischen Gründen“ der Standort Erfurt mit seinem Kinderkanal an.
medienpolitik.net: Frau Marion Walsmann, die Länder beraten gegenwärtig über die Weiterentwicklung des Auftrages für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wo sehen Sie vor allem die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der digitalen Welt?
Marion Walsmann: Neben der immer wichtiger werdenden Orientierungsfunktion, die ein funktionierender öffentlich-rechtlicher Rundfunk in der modernen Mediengesellschaft zu verfolgen hat, gelten für mich immer noch die bereits im Jahr 1986 durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Leitgedanken, dass „im Zeichen der Erweiterung des Rundfunkangebotes… es darauf ankommt zu gewährleisten, dass der klassische Auftrag des Rundfunks erfüllt wird, der neben seiner Rolle für die Meinungs- und politische Willensbildung, neben Unterhaltung und über laufende Berichterstattung hinausgehender Informationen seine kulturelle Verantwortung umfasst. Das gilt namentlich unter Gesichtspunkten des sich entwickelnden und an Bedeutung gewinnenden europäischen Rundfunkmarktes. Unter den Bedingungen eines solchen Marktes bleiben dem gebietsbezogenen nationalen, insbesondere dem terrestrischen Rundfunk gerade diese essentiellen Funktionen“.
Diese Grundgedanken können ohne wenn und aber auf die digitale Welt übertragen werden.
medienpolitik.net: Benötigen ARD und ZDF, um diese Aufgaben zu erfüllen einen Jugendkanal?
Marion Walsmann: Der soeben dargestellte Grundversorgungsauftrag umfasst das Erreichen der gesamten Bevölkerung. Wenn man im Rahmen der strategischen Ausrichtung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks dies zu gewährleisten hat, so ist erkennbar, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk aktuell einen großen Teilbereich der deutschen Bevölkerung nur schwer erreicht. Gerade in dem Bereich der Jugendlichen ab 14 Jahren bis in die Altersklasse der ca. 30jährigen ist ein gewisser Generationsabriss bezüglich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks deutlich sichtbar. Da für mich der öffentlich-rechtliche Rundfunk, wie eingangs erwähnt, insbesondere auch eine Orientierungsfunktion hat, sehe ich durchaus die Notwendigkeit, hier durch ein entsprechendes Programmangebot nachzusteuern. Dabei sollte man einen modernen trimedialen Ansatz im Auge haben, um die Zielgruppe, die man ansprechen will besser erreichen zu können. Die genaue programmliche Ausgestaltung obliegt jedoch den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Nur der Vollständigkeit halber darf ich darauf hinweisen, dass es auch aus synergetischen Gründen überlegenswert ist, die planerische Ausgestaltung des Jugendkanals auch an dem Standort Erfurt mit seinem Kinderkanal auszurichten.
medienpolitik.net: Das ZDF hat gefordert, dass für einen Jugendkanal zusätzliche Gebührenmittel bereitgestellt werden sollen. Würden Sie das unterstützen?
Marion Walsmann: Ich glaube, dass es die falsche Strategie ist, jegliche Neuentwicklung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer mit der Forderung nach neuem Geld zu verbinden. Wie in allen anderen Bereichen sollte man hier den Ruf nach mehr Gestaltungsmöglichkeiten nicht immer mit dem Ruf nach mehr Geld verbinden. Ich glaube, dass sowohl bei ARD und ZDF noch Ressourcen gegeben sind, mit denen bei einer gemeinsamen Anstrengung Mittel für einen gut gemachten Jugendkanal freisetzbar sind. Hier gilt es, alle fachlichen und sachlichen Kompetenzen zu nutzen und sämtliche inhaltlichen und finanziellen Ressourcen „auf den Tisch zulegen, um diese Anstrengung stemmen zu können“. Insoweit ist auch das Standortangebot Erfurt im Kontext des Jugendkanals im Sinne einer Budgetlösung mit Einsparmöglichkeiten zu sehen.
medienpolitik.net: Jugendliche nutzen heute vor allem die Online-Verbreitungswege um Medieninhalte zu nutzen. Müssten deshalb Beschränkungen aus dem 12. RÄStV, z.B. über die Mediatheken oder auch die Entwicklung neuer Angebote, unabhängig von einer Verbreitung über die TV-Kanäle, aufgehoben werden?
Marion Walsmann: Es ist unbestritten, dass bei Jugendlichen insbesondere die Nutzung von Online-Verbreitungswegen die vorrangige Art des Zugangs zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk darstellt. Insoweit sehe auch ich durchaus Novellierungsbedarf, was die konkreten Nutzungsmöglichkeiten von Rundfunkangeboten im Internet betrifft.
In diesem Zusammenhang zieht die Ländergemeinschaft im Rahmen der Überlegungen zur Fortentwicklung des Rundfunkrechtes Modifikationen in Erwägung. Am deutlichsten wird dieser Diskussionsstand sicherlich an der sog. 7-Tage-Regelung festgemacht, die derzeit auf dem Prüfstand steht.
medienpolitik.net: Thüringen ist Kindermedienland. Mit welchen Argumenten könnten Sie für Thüringen als Standort für einen ARD-ZDF-Jugendkanal werben?
Marion Walsmann: Wie bereits dargestellt, haben wir mit dem Kinderkanal und seiner guten Peripherie einen 1a Standort für öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Vor diesem Hintergrund kann ich mich deshalb nur dem Angebot anschließen, dass Frau Ministerpräsidentin Lieberknecht im Rahmen des Medientreffpunkt Mitteldeutschlands in Leipzig erneut eingebracht hat, wonach Erfurt einen optimalen Standort für einen neuen Jugendkanal darstellen könnte.
Das Interview wurde in der promedia-Ausgabe Nr. 06/2013 erstveröffentlicht.