Rundfunk:
Regulierung meets Konvergenz

Der private Rundfunk inmitten seiner größten Herausforderung
09.01.14 Von Dr. Tobias Schmid, Vorstandsvorsitzender des VPRT und Bereichsleiter Medienpolitik von RTL Deutschland
Deutschlands Privatfernsehen feiert runden Geburtstag. Am Neujahrstag bzw. am 02.01.1984 erblickten Sat.1 und RTL – an dieser Stelle einen Glückwunsch an den Erstgeborenen nach München – das Licht der Welt. Hiermit begann vor 30 Jahren die mediale Demokratisierung, nachdem zuvor über drei Jahrzehnte ausschließlich der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Bürger mit Information und Unterhaltung versorgt hatte. Um Meinungsvielfalt zu sichern, hatte das Bundesverfassungsgericht zuvor im Jahr 1981 mit einer mutigen Entscheidung den Weg für privaten Rundfunk frei gemacht.
Mediale Demokratisierung durch 30 Jahre Privatfernsehen
In einer immer dynamischer werdenden Medienwelt steht dieser nunmehr an seinem 30. Geburtstag inmitten seiner wohl größten Herausforderung: Der Überführung in die längst Realität gewordene konvergente Medienwelt. Das ist den Sendern mit ihren vielfältigen digitalen (Bewegtbild-)Angeboten längst gelungen – sie finden auf allen vier Bildschirmen statt, auf denen sich die Medienzukunft abspielt: dem TV, dem PC, dem Tablet und dem Smartphone – überall und jederzeit.
Obgleich nicht schon von allen verstanden, erweist es sich doch als Vorteil, dass wir Fernsehen machen und nicht Fernseher. Der Gesetzgeber allerdings tut sich nach wie vor schwer damit, einen passenden Rechtsrahmen für die heutige Nutzung audiovisueller Medien folgen zu lassen. Angekommen zu sein scheint aber, dass er nun nicht länger drum herum kommt. Es bedarf der grundsätzlichen Reform des Rundfunksystems durch eine neue Medienordnung, die das Medien- und Telekommunikationsrecht mit einbezieht und der veränderten Wettbewerbssituation und den neuen Angebots-, Zugangs- und Nutzungssituationen Rechnung trägt.
Vorschlag für die konkrete Ausgestaltung der neuen Medienordnung
Aber wie sollte ein zukünftiger Rechtsrahmen aussehen, der die konvergente Realität hinreichend abbildet? Konsens bestand auf den Podien dieser Republik in den vergangenen Jahren allein dahingehend, dass mit der bisherigen Medienordnung, die eine Ungleichbehandlung der vom Zuschauer und Nutzer zunehmend ähnlicher empfundener Angebote vorsieht, die Realität nicht mehr sinnvoll erfasst werden könne. Seit den Medientagen München 2012 ist erfreulicherweise zudem merklich Schwung in die Debatte gekommen – nicht zuletzt deshalb, weil die Betroffenen mehr und mehr willens scheinen, sich nunmehr gemeinsam auf die Suche nach Lösungen zu machen.
1. Abkehr vom Angrenzungskriterium der Linearität
Betrachtet man die aus den zahlreichen runden Tischen (wie z.B. in Bayern, Hamburg und NRW) gewonnenen bzw. sich abzeichnenden Ergebnisse, besteht jedenfalls Einigkeit darüber, dass die Linearität als Abgrenzungskriterium für Rundfunk und Nicht-Rundfunk überholt ist. Diese Sprache spricht auch der Koalitionsvertrag, der nicht länger den Verbreitungsweg, sondern den „Inhalt über das Regulierungsregime entscheiden“ lassen möchte.
2. Festhalten an Aktualität, Suggestivkraft und Breitenwirkung und Weiterentwicklung der bisherigen Regulierung
Angesichts der besonderen Bedeutung, die dem Rundfunk aufgrund der ihm von der Rechtsprechung attestierten und ihn von anderen Medien unterscheidenden Kriterien „Aktualität“, „Breitenwirkung“ und „Suggestivkraft“ zukommt, erscheint indes auch weiterhin eine von anderen (Medien-) Erzeugnissen abzugrenzende Kategorie – „audiovisuelle Medien“ – überdenkenswert. Die genannten Kriterien ermöglichen auch perspektivisch eine dem einzelnen Angebot gerecht werdende Einordnung nach dessen Relevanz bzw. dessen Kontext.
Diese spezifische Regulierung kann sich aber durchaus zunächst auf bestimmte wesentliche und unverzichtbare Regulierungsziele reduzieren, die dem Schutz elementarer gemeinsamer Werte (insb. Achtung der Menschenwürde sowie Jugend(medien)schutz) dienen. Weitere wünschenswerte ordnungspolitische Ziele – gemeinhin auch als public value bezeichnet – entziehen sich allerdings perspektivisch diesem ersten zumeist repressiven Regulierungsansatz. Im Gegenteil, hier wird ein neuer Ansatz notwendig sein. So müssen Unternehmen, die einen Beitrag im Sinne des public value leisten oder besondere Vielfaltsanforderungen erfüllen, Hilfestellungen erfahren, die es ihnen ermöglichen, hieraus resultierende Wettbewerbsnachteile und Refinanzierungsprobleme auszugleichen.
Für den letztgenannten Punkt wird auch die Idee der Beförderung bestimmter Inhalte und Maßnahmen im Sinne einer „Anreizkultur“, also die Überlegung, Anbieter zu gesellschaftspolitischem Engagement zu motivieren, statt sie zu einem inhaltlichen Mindestmaß zu zwingen, als tauglicher Lösungsansatz empfunden. Anders als im bisherigen repressiven Regulierungssystem vorgesehen, könnten Anbieter audiovisueller Medien, die sich bewusst für gesellschaftspolitisch gewünschte Inhalte (public value) oder Maßnahmen (barrierefreie Angebote) entscheiden, durch entsprechende Privilegien in dieser Haltung bestärkt werden.
3. Konkrete Ausgestaltung: Prinzip der abgestuften Regulierung
All diesen Überlegungen zu einer neuen, flexiblen Medienordnung ließe sich mit dem Prinzip einer abgestuften Regulierung gerecht werden. Auf diesem Wege kann es möglich sein, die konvergente Medienrealität mit dem ordnungsrechtlichen Grundgedanken der klassischen Regulierung zu versöhnen. Um dem über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinaus bestehenden Bedarf an gesellschaftspolitisch gewünschten Inhalten und der Vielfaltssicherung Rechnung zu tragen, muss Raum für Abstufungen geschaffen werden, die – anknüpfend an die zu realisierenden Regulierungsziele – mit jeweils unterschiedlicher Regulierungsdichte einhergehen. Die Maxime dabei muss sein: „So wenig Regulierung wie möglich, aber so viel wie nötig.“ Maßgabe hierfür kann alleine das jeweilige ordnungspolitische Ziel sein, nicht aber das bisherige System.
Die Verwirklichung gesellschaftspolitischer Ziele und der Wunsch nach einer „fair regulation“ ließen sich folglich miteinander in Einklang bringen, wenn man Anbietern ermöglicht, sich – über eine Art Basisregulierung, der sie ohnehin unterliegen, hinaus – freiwillig für eine höhere Regulierungsstufe zu entscheiden, die bestimmte Distributionsvorteile mit sich bringen. Genau dieser Ansatz findet sich auch im Koalitionsvertrag, dem zufolge „private und öffentlich-rechtliche audiovisuelle Medienangebote und journalistisch-redaktionelle Inhalte, die einen Beitrag im Sinne des public value leisten“, einen „diskriminierungsfreien Zugang zu Distributionswegen und eine herausgehobene Auffindbarkeit erhalten“ sollen.
Angebote die mangels Aktualität, Breitenwirkung und Suggestivkraft schon nicht in die Kategorie „audiovisuelle Medien“ fallen, sind schon nicht Gegenstand der audiovisuellen Spezialaufsicht der Landesmedienanstalten, sondern sind wie ein jedes (Wirtschafts-)Gut allein Adressat der allgemeinen Gesetze. Sämtliche Rundfunkprogramme (de lege lata) sowie etwa die Live-Hangouts der Bundeskanzlerin fielen dann hingegen in die sektorspezifische Regulierung für „audiovisuelle Medien“. Die Intensität ihrer Regulierung bestimmt sich dann nach folgendem dreistufigen Modell:
Eine „Basisregulierung“, die dem Schutz unveräußerlicher Rechte (wie etwa dem Jugend(medien)schutz), dient, wird all jenen Anbietern zu teil, die sich keinen weiteren Pflichten unterwerfen wollen. Sie bedürfen (auch wenn es sich nach heutigem Maßstab um Rundfunkveranstalter handelt) keiner Zulassung; für sie gilt lediglich eine Impressumspflicht.
Zusätzliche Pflichten treffen den Anbieter dann, wenn er sich freiwillig für einen zusätzlichen Status entscheidet. Dieses „Mehr“ könnte vor allem in weiteren formellen Anforderungs- und Transparenzpflichten wie einer Lizenzpflicht (vergleichbar mit der heutigen Rundfunklizenz) bestehen. Im Gegenzug wird der Anbieter etwa in Zugangsfragen besser gestellt als Angebote der „Basisstufe“.
In einer dritten Stufe, die den höchsten Grad an Regulierung aufweist, muss der Anbieter „on top“ besonderen Anforderungen gerecht werden: Im Rahmen der von ihm offerierten Inhalte erbringt er freiwillig besondere Leistungen, wie etwa einen Beitrag zum public value, zur Vielfaltssicherung, zur Barrierefreiheit etc. Dafür werden ihm die mit dieser Einstufung verbundenen Privilegien zu teil: Er erhält über den privilegierten Zugang hinaus bevorzugte Auffindbarkeit in der digitalen Welt (sog. „must-be-found“). Dieses freiwillige „Mehr“ muss für einen bestimmten Zeitraum zugesagt werden und führt auch nur so lange zum Erhalt der entsprechenden Besserstellung.
Die Zukunftsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit des Rundfunks im Medienmarkt hängt also – wer hätte das gedacht – nicht zwingend davon ab, sich an tradierten Begrifflichkeiten festzuklammern. Es bedarf – wie aufgezeigt – vielmehr pragmatischer Lösungen der regulatorischen Probleme, damit „der Rundfunk“ bzw. der in einer Verantwortungskultur begriffene Anbieter audiovisueller Medien auch in Zukunft die ihm zugedachte Funktion in der Demokratie erfüllen kann. Verantwortungsbewusst und „erwachsen“ wie man das von einem 30-Jährigen erwarten darf.
Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe Nr. 1/2014 erstveröffentlicht.