Medienkonvergenz:

„Für mich ist Google das Internet“

von am 24.02.2014 in Allgemein, Archiv, Digitale Medien, Gastbeiträge, Internet, Medienregulierung, Netzpolitik, Social Media

<h4>Medienkonvergenz: </h4>„Für mich ist Google das Internet“
Prof. Dr. Birgit Stark (Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft, geschäftsführende Leiterin des Instituts für Publizistik und Sprecherin des Forschungsschwerpunktes Medienkonvergenz an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz)

Die Rolle von Suchmaschinen bei der Informationssuche im Netz

24.02.14 Von Prof. Dr. Birgit Stark (Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft, geschäftsführende Leiterin des Instituts für Publizistik und Sprecherin des Forschungsschwerpunktes Medien-Konvergenz an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz), Pascal Jürgens (Wissenschaftlicher Mitarbeiter) und Dr. phil. Melanie Magin (Akademische Rätin)

Das Internet ist für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung mittlerweile zum integralen Bestandteil ihres Alltags geworden. Die zunehmende Vertrautheit mit den vielfältigen Möglichkeiten des Internets hat nicht nur zu einem rapiden Anstieg der täglichen Nutzungsdauer geführt, sondern das gesamte Kommunikations- und Mediennutzungsverhalten gravierend verändert. Immer mehr wird deutlich, dass die wachsende Bedeutung des Internets auch Auswirkungen auf den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung hat, denn es steigen nicht nur dessen Reichweite und Nutzungsdauer, sondern auch seine Bedeutung als journalistisches und politisches Medium. Demzufolge wird mittlerweile die Frage nach der Relevanz der verschiedenen Informationsmedien bzw. Mediengattungen für die Meinungsbildung intensiv diskutiert.

Aus Anbietersicht ändern sich Meinungsbildungsprozesse im Internet in mehrfacher Hinsicht: Durch die Vielzahl neuer, auch nicht professioneller Anbieter wird das Gatekeeper-Monopol des traditionellen Journalismus eingeschränkt. Inhaltliche Vermittlungsleistungen, die bislang allein in der Hand ausgebildeter Journalisten lagen, werden nun durch global agierende Wirtschaftsunternehmen übernommen. Diese neuen Intermediäre wie Google und Facebook bieten zwar keine originären Inhalte an, steuern aber durch andere, technische Selektionsregeln den Informationszugang nachhaltig. Denn die von ihnen geschaffenen Infrastrukturen für das Informations- und Kommunikationsmanagement der Nutzer beruhen auf ganz eigenen Filter-, Aggregations- oder Personalisierungsalgorithmen. Dabei werden Selektionsprozesse sowohl durch Suchmaschinen als auch durch soziale Netzwerke und Empfehlungssysteme in Form aggregierter Nutzungsdaten automatisiert.

Suchmaschinen spielen in diesem Prozess eine zentrale Rolle, da sie generell den Zugang zur Informationsvielfalt im Netz und speziell zu meinungsrelevanten Informationsangeboten anderer Online-Anbieter überhaupt erst ermöglichen und damit maßgeblich beeinflussen: Netzinhalte, die nicht durch sie auffindbar sind, existieren für die breite Masse der Nutzer nicht. Zudem findet der Großteil der Nutzer seinen Weg ins Netz durch ein und dieselbe Suchmaschine, nämlich Google. Gleichwohl ist die dahinterstehende Firmenpolitik nicht in den Rechenschafts- und Pflichtstrukturen des Mediensystems verankert, sondern folgt rein marktwirtschaftlichen Kriterien: Denn finanziert wird Google über Werbung. Um diese noch zielgerichteter zu vermarkten und die Nutzer noch fester an sich binden zu können, arbeitet das Unternehmen mit personalisierten Suchergebnissen: Gespeicherte Daten über bisherige Suchvorgänge werden zur Grundlage für den individualisierten Zuschnitt künftiger Trefferlisten. Das heißt, personalisierte Suchmaschinen erstellen für jeden einzelnen Nutzer individuell zusammengesetzte Ergebnislisten. Diese sind nicht darauf optimiert, den „Massengeschmack“ zu treffen, sondern die individuellen Interessen des Nutzers optimal zu berücksichtigen. So können zwar unterschiedliche Sichtweisen in den Ergebnissen repräsentiert werden, es entsteht jedoch gleichzeitig die Gefahr, dass Nutzer langfristig Positionen, die von der eigenen abweichen, gar nicht mehr wahrnehmen. Diese laut Eli Pariser vorgefertigte „Filterblase“ mit immer gleichen Themenbereichen und Treffertypen könnte zentrale gesellschaftsrelevante Themen aus der Wahrnehmung des Nutzers ausschließen und damit seinen potenziellen Informationszugang systematisch einschränken.

Bislang gibt es keine etablierten Bewertungsmaßstäbe für den Einfluss von Suchmaschinen und ihrer technisch-orientierten Rankingkriterien auf Meinungsbildungsprozesse. Denn noch liegen keine Erkenntnisse vor, welche Wirkungen die technischen Selektionsmechanismen im Zusammenspiel mit dem Navigationsverhalten der Nutzer haben. Insbesondere die Nutzungsweisen von Suchmaschinen sind trotz ihrer enormen gesellschaftlichen Bedeutung aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive bislang nur unzureichend erforscht.

An dieser eklatanten Forschungslücke setzt die Studie „Die Googleisierung der Informationssuche“ an. Ihr Ziel ist, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie Menschen im Internet nach Informationen suchen und sie auswählen, wie sie Suchmaschinen in diesen Prozess einbinden und wie stark ihr Bewusstsein für die damit verbundenen Probleme ist. Die Ergebnisse basieren zum einen auf neun qualitativen Gruppendiskussionen mit jeweils drei Internetnutzern („Triaden“) unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Medienkompetenz (Teilstudie 1, durchgeführt im September 2012), zum anderen auf einer quantitativen, für die deutschen Internetnutzer ab 16 Jahren repräsentativen Online-Befragung von 1.012 Personen (Teilstudie 2, durchgeführt im Mai 2013). Mit den Gesprächen wurden grundlegende Verhaltensmuster bei der Internetsuche sowie nutzungsrelevante Einstellungen und Kompetenzen ermittelt. Die Online-Studie vertieft die qualitative Untersuchung, unter anderem mit folgenden zentralen Forschungsfragen: Welche Such- und Navigationsstrategien werden eingesetzt? Welche situationalen, motivationalen und persönlichen Einflussfaktoren steuern das Selektionsverhalten? Und wie stark ist das Problembewusstsein der Nutzer über die Gatekeeper-Funktion von Suchmaschinen ausgebildet?

Die Ergebnisse belegen zweifelsfrei die zentrale Rolle von Suchmaschinen bei der Informationssuche im Netz, allen voran die Rolle Googles: Aus Nutzerperspektive sind die Suchmaschinen der Türöffner zum Internet. Dabei lässt sich die enorme subjektive Wertschätzung für Google nicht nur durch die Aussagen der Teilnehmer der qualitativen Studie veranschaulichen (z. B. „Für mich ist Google eigentlich das Internet“), sondern auch mit den quantitativen Nutzungszahlen: Google ist nicht nur jedem Befragten bekannt, sondern auch für 92{4ae5f2cfbae1b1bdedfa59fe4a07f58bb35532ad595a47938acbe0c93e3e4f45} die am häufigsten genutzte Suchmaschine. Keine andere Suchmaschine reicht auch nur annähernd an diesen Bekanntheits- und Nutzungsgrad heran. Rund 60{4ae5f2cfbae1b1bdedfa59fe4a07f58bb35532ad595a47938acbe0c93e3e4f45} der Nutzer greifen auf die von Google vorgeschlagenen Suchbegriffe (Autocomplete-Funktion) zurück, nur 34{4ae5f2cfbae1b1bdedfa59fe4a07f58bb35532ad595a47938acbe0c93e3e4f45} nutzen spezifischere Suchmaschinen als Google, und lediglich 26{4ae5f2cfbae1b1bdedfa59fe4a07f58bb35532ad595a47938acbe0c93e3e4f45} wechseln die Suchmaschine, wenn Google nicht das gewünschte Ergebnis liefert. Auch für das Auffinden neuer Informationen im Netz spielt die Suchmaschine eine zentrale Rolle: Gefragt nach den Möglichkeiten, wie man auf unbekannte Seiten im Netz gelangt, geben fast drei von vier Befragten an, Suchmaschinen zu konsultieren. Im Wissen über die Funktionsweise von Google jedoch zeigen sich Lücken und Widersprüche: Implizit setzen viele Befragte in beiden Erhebungen die Objektivität der Trefferlisten voraus, haben aber kaum tiefergehende Kenntnisse über die Funktionsweise von Suchmaschinen – bedingt sicherlich dadurch, dass dies die wenigsten überhaupt interessiert.

Auch über die Personalisierungsproblematik wissen die wenigsten Nutzer Bescheid und reagieren darauf eher gleichgültig oder positiv als besorgt („das Internet weiß eh schon so viel über mich“; „beschleunigt die Suche, hat also eher Vorteile für mich“) – und das, obwohl gleichzeitig das Thema Datenschutz vielen Befragten ein großes Anliegen ist. Der Marktanteil von Google wird deutlich unterschätzt. Zugleich wird das Quasi-Monopol mehrheitlich als gerechtfertigt betrachtet, weil Google das beste Angebot sei, und sogar als Vorteil gewertet, da sich hierdurch die Qualität der Suchergebnisse verbessere. Der eigene Gebrauch des „Werkzeugs Google“ wird jedenfalls nicht in Frage gestellt: Solange Google zufriedenstellende Resultate liefert, greifen viele Nutzer nahezu gedanken- und kritiklos darauf zurück.

Zusammengenommen zeichnen die Ergebnisse ein ambivalentes Bild der Informationssuche und -auswahl. Nutzer aller Alters- und Bildungsschichten verfügen über ein ausgesprochen schwaches Problembewusstsein für die Belange der Informations- und Meinungsvielfalt sowie die (Über-)Macht von einzelnen Gatekeeper-Unternehmen im Netz. Zudem wird deutlich, dass die unmittelbare Interaktion von Nutzern mit einem Suchmaschinenanbieter einen starken Einfluss auf die Informationsauswahl (und mittelbar auch auf das Image des Dienstes) hat. Mit dem Interaktionsdesign (z. B. den automatisierten Vorschlägen) steht den Betreibern somit ein überaus wirksames Instrument zur Verfügung, um Nutzerverhalten systematisch zu beeinflussen und bisherige Nutzungsmuster der eigenen Oberfläche anzupassen. Das Bild von vorwiegend rational agierenden und gründlich recherchierenden Nutzern ist unrealistisch, weil die meisten Suchanfragen mit niedrigem kognitiven Aufwand stattfinden. Die Ergebnisse belegen, dass die Rezipienten durchweg ein unkritisches, naives Bild von Google als Unternehmen haben, das sich auch in ihrem Umgang mit der Suchmaschine spiegelt: In der alltäglichen Nutzung vertrauen viele Nutzer blind auf die Auswahl- und Rangentscheidungen, ohne diese kritisch zu bewerten und zu hinterfragen. Langfristige Gewöhnungsprozesse verstärken die beschriebenen Effekte, denn Google ist gefühlt von Anfang an da(bei) und hat das Netzleben der Befragten von den ersten Schritten bis heute fortwährend geprägt.

Es bleibt festzuhalten: Die Informationsversorgung im Netz ist nicht mehr alleine an traditionelle Medien gebunden. Denn daneben gewinnen Plattformen wie Google, Facebook oder YouTube zunehmend an Bedeutung für die Meinungsbildung. Die bisherigen Maßnahmen zur Vielfaltssicherung können diesen Entwicklungen nicht wirksam entgegentreten, denn sie setzen meist bei einzelnen Medien an. Zukünftige Regulierungsversuche sollten nicht nur medienübergreifend orientiert sein, sondern neben publizistisch relevanten Medien auch die neuen Plattformbetreiber berücksichtigen und Maßstäbe entwickeln, um die Einflussnahme auf den Zugang zu Informationen zu bewerten und damit die Informationsvielfalt zu sichern.

Dieser Beitrag bezieht sich auf die Studie Die „Googleisierung“ der Gesellschaft, hrsg. v. Stark, Birgit/Dörr, Dieter/Aufenanger, Stefan, die demnächst in einer Langfassung im Band 10 der Schriftenreihe Medien-Konvergenz erscheinen wird. Neben der hier vorgestellten Untersuchung werden im Hinblick auf einen möglichen Regulierungsbedarf darin auch in komprimierter Form erste Ergebnisse einer juristischen Teilstudie vorgestellt. Einen Beitrag zum juristischen Teil der Studie können Sie von Prof. Dr. Dieter Dörr und Ref. iur. Simon Schuster hier nachlesen.

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