Medienrecht:
Die Googleisierung der Informationssuche

Suchmaschinen im Spannungsfeld zwischen Nutzung und Regulierung
17.02.14 Von Prof. Dr. Dieter Dörr (Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Medienrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Direktor des Mainzer Medieninstituts, Mitglied der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK)) und Ref. iur. Simon Schuster (Wissenschaftl. Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Medienrecht der Johannes Gutenberg-Universität Mainz bis 31.12.2013)
Die Suchmaschinen machen durch ihre Dienste das Internet in seiner heutigen Form als grenzenloses Informationsportal überhaupt erst nutzbar. Durch Webcrawler und andere Softwareprogramme finden die meisten Internetseiten ihren Weg in den Index von Google und anderen Suchmaschinen. Sie sind erst dadurch auffindbar und existieren auf diesem Wege für die Mehrheit der Internetnutzer. Die Suchmaschine Google, die in diesem Bereich mit einem Marktanteil von über 90 {4ae5f2cfbae1b1bdedfa59fe4a07f58bb35532ad595a47938acbe0c93e3e4f45} eine herausragende Stellung erlangt hat, nimmt im Internet somit die Stellung eines Informationsintermediärs ein und eröffnet dem Nutzer die Vielfalt des Netzes.
Das Verhältnis der Gesellschaft zu Google als prominentestem Vertreter der Suchmaschinenanbieter ist von starker Ambivalenz geprägt. Dies gilt nicht nur für diejenigen, die Google als Suchportal für private Zwecke nutzen, sondern auch für die Wirtschaft, die Google für kommerzielle Zwecke und vor allem als Werbeportal einsetzt. Einerseits ist der Nutzen von Suchmaschinen, den „freien Informationszugang und die Informationsvielfalt“ zu beflügeln, unbestritten. Andererseits ist aber auch das Gefahrenpotenzial für die Meinungs- und Informationsvielfalt, das durch den enormen Einfluss auf die Verwendbarkeit des Internets von den Suchmaschinen ausgeht, offenkundig. Daher geht es im Folgenden um die Frage, ob und ggfls. wie Suchmaschinen reguliert werden sollten. Die Antwort auf diese Frage ist auch von den technischen Fortschritten und der Digitalisierung der Gesellschaft geprägt. Beide Entwicklungen haben den Einfluss des Internets auf die Meinungsvielfalt in der öffentlichen Diskussion gegenüber den konventionellen Massenmedien, wie Presse und Fernsehen, verändert. Es werden vermehrt auch nicht professionelle sowie nicht journalistisch-redaktionell verfasste Inhalte online rezipiert. Im Hinblick auf einen möglichen Regulierungsbedarf werden in komprimierter Form erste Ergebnisse einer juristischen Teilstudie vorgestellt, die in ein umfassendes Forschungsprojekts eingebettet ist und demnächst in einer Langfassung in Band 10 der Schriftenreihe Medien-Konvergenz (Die „Googleisierung“ der Gesellschaft, hrsg. v. Stark, Birgit/Dörr, Dieter/Aufenanger, Stefan) erscheinen wird.
Auf dem Markt der Suchmaschinen hat Google eine herausragende Stellung erlangt. Der Marktanteil dieses Unternehmens in Deutschland liegt gegenwärtig bei über 90 {4ae5f2cfbae1b1bdedfa59fe4a07f58bb35532ad595a47938acbe0c93e3e4f45}. Dies begründet die Sorge, dass Google durch seine Monopolstellung zur Herausbildung von Meinungsmacht fähig ist. Dabei zeigt sich, dass das Potential der Einflussnahme auf die Informationsvielfalt im Internet durch Google kaum abzuschätzen ist. Durch die Geheimhaltung der Such-Algorithmen, die kaum zu unterbindende Personalisierung der Suche, das Treffen eigener Aussagen durch die Suchergänzungsfunktion, die Gerüchte über eventuelle Absprachen mit Geschäftspartnern, die Einflussnahme auf die Suchergebnisse sowie nicht zuletzt die tatsächliche Beschränkung des Suchindexes aufgrund staatlichen Drucks und durch die Monopolstellung Googles besteht jedenfalls die Möglichkeit, den Suchmaschinennutzern Informationen und Meinungen weitgehend unbemerkt vorzuenthalten. Demnach ist der Eindruck der meisten Suchmaschinennutzer, dass die Suchmaschine und ihre Suchergebnisse neutral, unabhängig und authentisch seien, nicht zutreffend. Es besteht durchaus die begründete Gefahr, dass man nicht mehr „findet, was man sucht“, sondern, dass man das findet, was Google für den Nutzer für relevant hält. Das Internet hat für viele die Möglichkeiten geschaffen, sich selber aktiv mit eigenen Inhalten in den Meinungsbildungs- und Meinungsfindungsprozess einzubringen. Beteiligungsschranken wurden im Laufe der Jahre mehr und mehr abgebaut. Die Prozesse hinter der Maske bleiben aber weiterhin höchst komplex. Die Folge ist ein unüberschaubares Angebot an Informationen, deren Einordnung, Selektion und Interpretation die Suchmaschinenanbieter übernahmen. Die Google Suchmaschine kodifizierte 1998 ihren Such-Algorithmus basierend auf der Anzahl der Verlinkungen einer Internetpräsenz. Dadurch glaubten die Betreiber, die Relevanz der jeweiligen Seiten am objektivsten darstellen zu können. Heute werden von der Google-Suchmaschine bei der Ermittlung der Relevanz über 200 Kriterien berücksichtigt, von denen viele individualisiert sind. Die im Hintergrund ablaufenden Prozesse sind noch komplexer und unübersichtlicher geworden. Dagegen haben sich die Suchmaske und die Suche für den Nutzer auf den ersten Blick vereinfacht Damit verschiebt sich der Einfluss von Suchmaschinen auf die Meinungsvielfalt zeitlich nach vorne. Zentral ist die Frage nach dem Auswahlprozess durch den Intermediär. Darin drückt sich die „Suggestivkraft“ Googles aus. Schon dies belegt die Meinungsrelevanz der Suchmaschinen, insbesondere des „Quasi-Monopolisten“ Google. Hinzu kommen Funktionen, wie die Autovervollständigung, die sich wie die qualitative und quantitative Studie belegt, die unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Birgit Stark durchgeführt wurden, ganz erheblich auf das Suchverhalten auswirkt.
Daher trifft den Gesetzgeber eine besondere Gewährleistungspflicht bezüglich der Sicherung der Meinungsvielfalt. Sie verpflichtet ihn dazu, im Rahmen seiner Kompetenz, geeignete und angemessene Regelungen zur Sicherung der Meinungsvielfalt bezüglich der Suchmaschinen zu treffen. Die geltenden Regelungen im Rundfunkstaatsvertrag und im Wettbewerbsrecht enthalten keine speziellen rechtlichen Vorgaben für Suchmaschinen im Allgemeinen und Google im Speziellen, mit denen auf eine eventuell gesteigerte Relevanz dieser Dienste für die öffentliche Meinungsbildung angemessen reagiert werden könnte. Insbesondere das geltende fernsehzentrierte Vielfaltsicherungsrecht des § 26 Abs. 1, 2 RStV ist in keiner Weise geeignet, dem Phänomen Google gerecht zu werden Die Kategorisierung Googles als marktbeherrschendes Unternehmen hat aber durchaus Bedeutung für das Wettbewerbs- und Kartellrecht. Wenn in diesem Zusammenhang von einer Gefahr für die Märkte ausgegangen und eine Regulierung mit den gegebenen rechtlichen Marktregulierungsinstrumenten für notwendig erachtet wird, dann ist dies ein klares Indiz dafür, dass eine solche Stellung auch erhebliche Relevanz für die Konkurrenz auf dem Meinungsmarkt haben kann. Den Marktregulierungsmechanismen ähnliche Instrumente fehlen aber im Medienrecht.
Für die Regulierung des Suchmaschinenmarktes muss das Rad nicht neu erfunden werden. Das deutsche Recht hält auf unterschiedlichen Rechtsgebieten bereits Regelungen vor, die sich konzeptionell mit der Lösung ähnlicher Problemstrukturen beschäftigt haben.
Nicht zuletzt die Optimierungsprozesse der Suchmaschinenanbieter haben zu einer regulatorischen Schieflage zwischen Meinungsrelevanz und Kontrolle geführt. Über ihre Optimierungsprozesse wandeln sich die Suchmaschinenanbieter vom reinen Inhaltsvermittler zum Inhaltsanbieter. Sie treffen eigene Aussagen und beeinflussen die Meinungsbildung und Informationsgewinnung ihrer Nutzer. Die Komplexität der Auswahlprozesse und nicht zuletzt die öffentliche Wahrnehmung der Suchmaschinen als „unpolitisch“, das heißt als objektiv und meinungsneutral, begründen ihre Suggestivkraft. Der bestehende Regulierungskanon des Medien- und Wettbewerbsrechts kann der Gefahr einer Einschränkung der Meinungsvielfalt mangels Anwendbarkeit nicht begegnen. Für den öffentlichen Diskurs wesentliche Bereiche bleiben ohne hinreichende Aufsicht und Kontrolle. In der Wissenschaft werden bereits Lösungen diskutiert, wie man in einem sinnvollen Rahmen der gesetzgeberischen Gewährleistungspflicht nachkommen und das Interessenungleichgewicht zwischen Suchmaschinenanbietern und Suchmaschinennutzern abbauen kann.
Die diskutierten Regulierungsmechanismen gehen zwar in die richtige Richtung. Die Ansätze konzentrieren sich dabei aber zu häufig auf einzelne Regulierungspunkte. Sie übersehen insoweit, dass eine Regulierung von Suchmaschinen nur bei einer Sicherung und Stimulierung der Meinungsvielfalt auf den unterschiedlichsten Ebenen zielführend ist. Staatliche Aufsichtsmechanismen und die Nutzerkompetenz bei der Einstellung des Suchmaschinenlayouts müssen ebenso gestärkt werden wie die Verantwortung der Suchmaschinenbetreiber für den Schutz der Neutralität der Suche. Das besondere Umfeld der digitalen Medien nimmt gerade die Anbieter als Innovations- und Entwicklungsmotor in die Pflicht. Die drei Kriterien der Suchmaschinenneutralität, der Suchmaschinentransparenz sowohl gegenüber möglichen Kontrollinstanzen als auch gegenüber den Nutzern und der Medienkompetenz können als Anhaltspunkte dienen, anhand derer eine wirkungs- und maßvolle Regulierung gelingen kann. Sie stimulieren den Informations- und Meinungsbildungsprozess niederschwellig auf unterschiedlichen Wegen und erreichen auf diese Weise das notwendige Schutzniveau. Die Kriterien machen deutlich, dass es nicht sinnvoll ist, die Überwachung vornehmlich den Behörden zu überlassen. Künftige Regelungsstrukturen, die die drei Kriterien ausreichend einbeziehen wollen, müssen konzeptionell auf einer institutionell ausdifferenzierten Kompetenzverteilung beruhen. Die unterschiedlichen Akteure müssen ausreichend integriert werden. Dem Gesetzgeber kommt dabei die Aufgabe zu, die Kompetenzfelder der einzelnen Akteure abzustecken und sinnvoll nach dem jeweiligen Einflussgebiet zu verteilen. Er sollte lediglich den Rahmen für eine Regulierung der Suchmaschinen schaffen und die Suchmaschinenanbieter bei der Etablierung und Umsetzung neuer Regelungen zur Sicherung der Meinungsvielfalt beaufsichtigen und unterstützen. Eine Regulierung sollte demnach auf verschiedenen Ebenen erfolgen.
Die staatliche Regulierung schafft zum einen die Basis für das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen den Akteuren „Intermediär“ und „Nutzer“. Zum anderen trifft sie aufgrund der Gewährleistungspflicht des Staates die Aufgabe, die ausreichende inhaltliche Tiefe der getroffenen Vereinbarungen zu überwachen.
Den staatlich gesetzten Rahmen gilt es durch Selbstregulierung zu ergänzen. Damit setzen die Suchmaschinenbetreiber die staatlichen Vorgaben um. Eigenen Bedürfnissen und Konzepten folgend müssen Maßnahmen entwickelt werden, über die die Suchmaschinenneutralität nachgewiesen und überprüft werden kann. Insoweit müssen Selbstkontrollorgane eingerichtet werden. Zudem gilt es, den Rahmen für ein neues Anbieter-Nutzer-Verhältnis abzustecken. Dieser muss die Transparenz der Suche und seiner Auswahlprozesse erhöhen sowie die Möglichkeiten der Nutzer verbessern, bei der Entscheidung über die maßgeblichen Suchvariablen zu partizipieren, ohne dass sich die Komplexität der Suche besonders erhöht.
Die digitale Welt und ihre dynamischen Prozesse faszinieren durch ihre unbegrenzten Möglichkeiten. Im Bereich der Informationsgewinnung auf diesem Feld bieten Suchmaschinen einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert. Ihr wachsender Einfluss macht sie aber zum Fluch und Segen zugleich. Regulierung muss dabei nicht zwingend die Einschränkung der unbegrenzten Möglichkeiten bedeuten. Geschickt verpackt werden alle Seiten davon profitieren.
Dieser Beitrag bezieht sich auf die Studie Die „Googleisierung“ der Gesellschaft, hrsg. v. Stark, Birgit/Dörr, Dieter/Aufenanger, Stefan, die demnächst in einer Langfassung im Band 10 der Schriftenreihe Medien-Konvergenz erscheinen wird. Neben der hier vorgestellten Untersuchung hat der medienwissenschaftliche Teil der Studie das Ziel, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie Menschen im Internet nach Informationen suchen und sie auswählen, wie sie Suchmaschinen in diesen Prozess einbinden und wie stark ihr Bewusstsein für die damit verbundenen Probleme ist. Einen Beitrag zu dieser Untersuchung können Sie von Prof. Dr. Birgit Stark, Pascal Jürgens und Dr. Melanie Magin hier nachlesen.