Filmpolitik:

„Dokumentarfilme sind oft nur Lückenfüller“

von am 16.12.2015 in Allgemein, Archiv, Digitale Medien, Filmwirtschaft, Interviews, Medienförderung, Medienwirtschaft, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Rundfunk

<h4>Filmpolitik:</h4>„Dokumentarfilme sind oft nur Lückenfüller“
Thomas Frickel, Produzent zahlreicher Kino-Dokumentarfilme, Vorsitzender und Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG Dok)

Wegen der Digitalisierung: Immer weniger Dokumentarfilme im Kino

16.12.15 Interview mit Thomas Frickel, Produzent zahlreicher Kino-Dokumentarfilme, Vorsitzender und Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG Dok)

Mit einem neuen Besucherrekord ist die 58. Ausgabe von DOK Leipzig zu Ende gegangen. In der Festivalwoche kamen 48.000 Zuschauer in die Kinos und zu den Veranstaltungen des Internationalen Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm. Das das sind gut 4.000 mehr als im Rekordjahr 2014. Doch Leipzig ist nicht der Kinoalltag. Der Vorsitzende der AG Dok fordert deshalb ein Umdenken von Kinobetreibern, Dokumentarfilmern und der Politik: „Wir brauchen mehr Filme, die von Anfang an für ein Kinopublikum gedacht und gemacht werden und nicht als Umwegfinanzierung für das Fernsehprogramm bei der Förderung landen. Man sollte künftig mehr zusammen denken und übergreifend entwickeln. Dazu gehört auch, in der Auswertungsphase probeweise übergreifende Auswertungsformen zum Beispiel für den Dokumentarfilm zuzulassen“, so Frickel in einem medienpolitik.net-Gespräch.

medienpolitik.net: Herr Frickel, das Dokumentar-und Kunstfestival Leipzig ist gerade mit einem Besucherrekord zu Ende gegangen. Über 100 Vorstellungen waren ausverkauft. Woher kommt das große Interesse am Dokumentarfilm?

Thomas Frickel: Es ist das anhaltende Interesse eines mit fiktionalen Stoffen übersättigten Publikums an der Wirklichkeit, an wahren Geschichten. Schon die Bänkelsänger auf den Jahrmärkten haben es ja verstanden, mit dem Wahrheitstopos das Interesse der Menschen zu wecken, denn nichts ist interessanter, als anderen Menschen bei der Bewältigung ihres Lebens und ihrer Probleme zuzuschauen. So ein Festival macht den Dokumentarfilm aber auch zu einem besonderen Ereignis und fokussiert die Aufmerksamkeit. In Leipzig ist der Dokumentarfilm schon sehr lange eine kulturelle Attraktion, er hat sich dort etabliert. Diese Tradition und diese Haltung fehlen uns leider im Fernsehen.

medienpolitik.net: Warum sieht man, trotz des großen Interesses, so wenig Dokumentarfilme im Kino?

Thomas Frickel: Im Kino gibt es durchaus Dokumentarfilmangebote. Es starten ungefähr 80 neue deutsche Dokumentarfilme im Jahr. Richtig ist allerdings auch, dass die meisten davon kaum wahrgenommen werden. Das Problem ist, dass die Programmierung immer schlechter wird. Vor einigen Jahren wurden Dokumentarfilme noch wochenweise gespielt, heute sind die Dokumentarfilme in den Kinoprogrammen nur sehr schwer zu finden. Sie werden oft als Lückenfüller benutzt. Und mit einer einzigen Sonderveranstaltung kann man die Aufmerksamkeit, die ein Film braucht, um sich zu entfalten, nicht erreichen. Wir sind gerade dabei, die Ursachen hierfür zu untersuchen und zu überlegen, wie sich der Dokumentarfilm in der Struktur der Programmkinos stärker wiederfinden kann.

medienpolitik.net: Dank der Digitalisierung haben sich die technischen Bedingungen der Programmkinos verbessert. Der Umsatz hat sich erhöht und die Flexibilität ist größer geworden. Damit müsste sich doch auch die Möglichkeit verbessern, Dokumentarfilme zu zeigen?

Thomas Frickel: Für kurze Zeit laufen sie ja. Aber wenn die Aufmerksamkeit des Publikums auf den Dokumentarfilm gelenkt ist, ist er häufig schon nicht mehr im Programm. Derzeit spielt bei den Kinos Flexibilität die Hauptrolle. Das heißt, dass die Programmankündigungen für Dokumentarfilme nicht immer verlässlich sind und die Vorstellungen zu sehr unterschiedlichen, nicht planbaren Zeiten laufen. Das hat aber auch mit der Vervielfachung des Filmangebots zu tun. Vor ungefähr 10-15 Jahren hatten wir in der Woche acht Kinostarts und heute sind es 16-20. Von diesen neuen Filmen können die Feuilletonisten vielleicht zwei oder drei Filme besprechen, die anderen rutschen mit durch – und dabei sind leider oft auch Dokumentarfilme.

medienpolitik.net: Das hört sich fast so an, als hätten Sie das Kino als wichtigen Ort für den Dokumentarfilm bereits abgeschrieben?

Thomas Frickel: Nein, ich glaube, es ist im Kino genauso wie im Fernsehen möglich, den Dokumentarfilm besser zu präsentieren. Das geht aber nicht, indem man nur einen Filmtitel ins Programm druckt. Der Dokumentarfilm braucht eine besondere „Pflege“. Wir wünschen uns, dass das Kino sich stärker darauf konzentriert, dieses spezielle Publikum aufzubauen und zu halten. Das kann es nur dadurch erreichen, indem es seine Einzigartigkeit herausstellt. Es muss Dinge bieten, die man anderswo nicht bekommt. Dazu gehört zum Beispiel die Präsentation von Dokumentarfilmen in Kooperation mit thematisch passenden Initiativgruppen oder zusammen mit den Filmemachern oder den Protagonisten der Filme, mit anschließenden Diskussionsmöglichkeiten. Das bietet das TV nicht. Dokumentarfilme sind oft auch nur für bestimmte Zielgruppen in der Gesellschaft interessant. Die verschiedenen Publika zu pflegen und ihnen immer wieder etwas Neues zu bieten, ist sehr aufwendig, deshalb ist einer unserer Vorschläge zum neuen FFG, dass man in solche Möglichkeiten investiert und sie ausbaut.

medienpolitik.net: Auf die Kinos kommt die zweite Digitalisierungswelle mit Laserprojektoren zu. Es wird somit wieder stark auf Förderung gehofft. Sollte man diese Förderung mit einer Quote zum Zeigen von Dokumentarfilmen verbinden?

Thomas Frickel: Man könnte eine weitere Förderung durchaus mit Auflagen zum Zeigen von Dokumentarfilmen und anderen kulturell wertvollen Filmen verbinden. Bei den Kinoprogrammpreisen, die die Länder und das BKM vergeben ist es ja auch so, dass das Abspielen von Dokumentarfilmen Pluspunkte bringt.

medienpolitik.net: Dann müssten doch in Arthouse-Kinos die Dokumentarfilme besser laufen…

Thomas Frickel: Einige dieser Kinos tun ja schon viel für die besondere Präsentation von Dokumentarfilmen, aber das ist eine sehr zeit-, personal- und kostenintensive Arbeit, für die vielen Kinos der Spielraum fehlt. Man darf auch nicht die Tatsache aus dem Blickfeld verlieren, dass Dokumentarfilme besonders intensiv in Clubs und Kulturzentren eingesetzt werden – oft laufen dort Filme, die das gewerbliche Kino gar nicht oder nicht mehr zeigen will, und oft bringen solche Veranstaltungen Kino-Kultur in Regionen zurück, in denen es gar kein gewerbliches Kino mehr gibt. Solche Strukturveränderungen muss die Filmförderung viel stärker in den Blick nehmen. Es muss Möglichkeiten geben, neue Wege zum Publikum zu suchen und auszuprobieren. Das betrifft auch integrative Konzepte.

medienpolitik.net: Was meinen Sie mit „integrativ“?

Thomas Frickel: Mit Crowdfunding zum Beispiel kann man schon in der Planungsphase sein Publikum aufbauen, binden und es über die Produktionszeit hinweg pflegen. Die „Spender“ sind die Multiplikatoren für das Projekt. Auch diesbezüglich könnte man in der Förderung nachjustieren. Bisher ist es für solche integrativen Ansätze so gut wie unmöglich, eine Förderung zu erhalten. Derzeit gibt es die Unterscheidung in abgeschlossene Bereiche wie Planungsphase, Drehbuchentwicklung, Produktion, Verleih und Vertrieb, die gefördert werden können. Man sollte künftig mehr zusammen denken und übergreifend entwickeln. Dazu gehört auch, in der Auswertungsphase probeweise übergreifende Auswertungsformen zum Beispiel für den Dokumentarfilm zuzulassen. Weil der Dokumentarfilm relativ schnell wieder aus dem Kino verschwindet, sollte es die Möglichkeit geben, mit dem Push der Werbung, in die man investiert hat, andere Auswertungsebenen zu erreichen. Zum Beispiel, dass ein früherer Online-Abruf möglich ist oder ein DVD-Verkauf vorgezogen werden kann. Durch die Vielzahl von Filmen ist der Durchlauf im Kino viel schneller geworden. Im Grunde genommen entscheidet es sich bis Samstagabend, ob ein Film auch noch in der zweiten Woche gezeigt wird, oder ob er wieder verschwindet. In solchen Fällen müsste die Möglichkeit bestehen, auch auf anderen Ebenen auszuwerten. Damit würde die Exklusivität des Kinos nicht aufgeweicht. Trotzdem kann eine höhere Flexibilität erreicht werden, um Filme, die mit hohem Aufwand entstehen, nicht völlig versauern zu lassen.

medienpolitik.net: Exklusivität und Eventcharakter von Dokumentarfilmen setzt voraus, dass es auch geeignete Filme gibt. Haben wir in Deutschland genug davon?

Thomas Frickel: Wir brauchen sicher mehr Filme, die von Anfang an für ein Kinopublikum gedacht und gemacht werden und nicht als Umwegfinanzierung für das Fernsehprogramm bei der Förderung landen. Leider gibt es auch Filmemacher, die zwar ein besonderes Thema haben, aber nicht so sehr an das Publikum denken. Das liegt auch daran, dass es im Moment gar nicht notwendig ist, ganzheitlich zu denken. Denn für den Vertrieb ist ja jemand anderes zuständig. Aber ich bin der Meinung, man sollte schon sehr früh mit den Fachleuten ein Auswertungskonzept erarbeiten und im Idealfall, wie beim Crowdfunding, das Publikum mit einbeziehen.

medienpolitik.net: Wie stehen Sie zu den VoD-Plattformen? Es gibt einige, die an Dokumentarfilmen interessiert sind. Wären Sie bereit, dafür die Schranke schneller zu öffnen, wenn die Auswertung im Kino beendet ist?

Thomas Frickel: Man sollte den Mut haben, so etwas mit dem neuen FFG einfach mal auszuprobieren, um für die Zukunft modellhaft die optimalen Auswertungsmöglichkeiten für solche Filme auszuloten. Wenn die Kinos erkennbar kein Interesse an einer weiteren Auswertung haben, wäre es doch schade, wenn ein Film aus grundsätzlichen Erwägungen lange Zeit gesperrt bleibt. Warum soll er dann nicht zeitnah für eine VoD-Verwertung freigegeben werden, wobei wir das übrigens nicht den Fernsehsendern überlassen wollen, da gibt es andere Möglichkeiten.

medienpolitik.net: Aber welche? Glauben Sie das Netflix für Dokumentarfilme eine lukrative, interessante Plattform sein könnte?

Thomas Frickel: Lukrativ möglicherweise nicht, aber interessant sicher schon. In den USA sind bei solchen Plattformen Dokumentarfilme durchaus nachgefragt. Das zeigt sich auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern an den Mediathek-Abrufen. Bei Arte sind sehr viele Dokumentarfilme in der Mediathek zu sehen. Aber die Mediatheken allein sind nicht die Lösung. Es darf nicht zur allgemeinen Auffassung werden, dass Dokumentarfilme in der Mediathek am besten aufgehoben sind. Im Fernsehen definiert sich über den Sendeplatz die Wertigkeit eines Programms. Was in der Primetime in der ARD läuft, ist auch von der Finanzausstattung viel mehr Wert, als wenn es nur für die Mediathek gemacht ist. Wenn wir einer ausschließlichen Mediathekenauswertung zustimmen, würde der Dokumentarfilm noch mehr marginalisiert.

medienpolitik.net: Wenn man über die Mediatheken von ARD und ZDF spricht, dann geht es aus Produzentensicht um die Beteiligung an der Vergütung. Diese Forderung höre ich sehr stark vor allem von den Produzenten im fiktionalen Bereich. Wie sehen Sie dieses Problem?

Thomas Frickel: Genau so. Alle Programme, die auf einen speziellen Sendeplatz zugeschnitten sind und nur in diesem Umfeld funktionieren, muss das Fernsehen zu 100 Prozent finanzieren. Da greift die Beteiligung. Bei allen teilfinanzierten Produktionen müssen die Online-Rechte bei den Produktionsfirmen verbleiben. Zwei Drittel aller dokumentarischer Sendungen, die für ARD und ZDF entstehen, werden von den Sendern nicht mehr voll finanziert, so dass die Produzenten einen großen Anteil eigener Mittel in die Projekte fließen lassen. Deshalb muss es auch Möglichkeiten geben, das selbst investierte Geld wieder zu verdienen. Früher nahm man an, wenn ein Film im Fernsehen gelaufen ist, dann lässt er sich nicht mehr anders verwerten. Heute wissen wir, dass das Publikumsinteresse an DVD-Käufen und Online-Abrufen im Umfeld einer Free-TV-Ausstrahlung ansteigt und nicht absinkt. Durch die TV-Ausstrahlung werden Leute aufmerksam, die an dem Tag keine Zeit hatten oder von anderen Menschen informiert wurden. Um die Ausstrahlung eines Filmes herum steigt das Interesse der Zuschauer und gerade dieses Sieben-Tage-Fenster beanspruchen die Sender derzeit kostenlos. Es ist nicht akzeptabel, dass die Öffentlich-Rechtlichen diese Filme als ihr Eigentum betrachten und nichts mehr dafür zahlen.

medienpolitik.net: Sie nannten bereits zwei Forderungen an das FFG. Nun gibt es die große Diskussion um die Stärkung der Referenzförderung. Würden die Dokumentarfilmer von einer stärkeren Automatisierung der Filmförderung profitieren?

Thomas Frickel: Wir würden uns vermutlich nicht verschlechtern, vorausgesetzt die Rahmenbedingungen verändern sich nicht. Momentan wird der Dokumentarfilm in der Referenzförderung ja wegen seiner schwierigen Auswertungsbedingungen privilegiert, da Dokumentarfilme ab 25.000 Kinozuschauern in die Referenzförderung kommen und – ganz wichtig für uns: es werden auch die Zuschauer von Filmveranstaltungen außerhalb gewerblicher Kinos mitgezählt. Zudem haben wir drei Jahre Zeit, die Referenzpunkte zu sammeln. Wenn diese Rahmenbedingungen erhalten blieben, und wenn darüber hinaus die neue Vergabekommission mit möglicherweise verkleinertem Budget ihren Fokus dann stärker auf kulturelle Projekte und schwierige Filme legt, die keine sichere Bank sind, wären wir zufrieden. Bisher ist es ja so, dass auch „Fack ju göhte 2“ Projektförderung beantragt -und dabei Dank der Mindestförderquote tüchtig abräumt. Unser Wunsch wäre es, dass Publikumsfilme, die durch ihren Erfolg erhebliche Referenzmittel angesammelt haben, diese Referenzmittel in erfolgversprechende Folgeprojekte investieren müssen. Das ist leider nicht immer so. Wir brauchen eine Ausdifferenzierung der kulturellen Erfolgskriterien, aber für Filme, die kommerziellen Erfolg versprechen, sollte es dann keine Projektförderung mehr geben.

medienpolitik.net: Warum?

Thomas Frickel: Man hätte dann mit der Projektförderung mehr Spielraum, um etwas auszuprobieren und zu riskieren. Wir würden uns wünschen, dass jenseits von Verwertungsinteressen radikale Filme produziert werden, wie es zum Beispiel die Dänen oder die Österreicher geschafft haben. Das ist in Deutschland sehr schwer möglich, weil sehr viele Leute unter verschiedensten Interessengesichtspunkten mitreden. Kleinere Gremien sind möglicherweise eher bereit, ein Risiko einzugehen. Was für die Entscheider ja ohnehin kein Risiko ist, da sie es nicht selbst bezahlen müssen. Wenn eine stärkere Ausdifferenzierung der Projektförderung mehr Förderung für kulturell wertvolle Filme und Dokumentarfilme bedeutet, während bei der Referenzförderung die wirklich erfolgreichen Filme bleiben, dann wäre ein solches Modell einen Versuch wert.

medienpolitik.net: Die ARD hat in ihrem ersten Produzentenbericht ausgewiesen, dass 2014 von allen ARD-Anstalten 8,8 Mio. Euro für Dokumentationen in Auftrag gegeben worden sind. Ist das viel oder wenig?

Thomas Frickel: Wir versuchen seit einiger Zeit die Finanzströme innerhalb der Sender an Hand der bekanntgegebenen Zahlen zu analysieren und zu verstehen. Dabei sind wir leider noch nicht weit gekommen und ich glaube, es gibt in Deutschland wenige Leute, die verstehen, was mit dem vielen Geld passiert. Die ARD verfügt über ca. 5,5 Milliarden Euro im Jahr. Für Dokumentarfilme wurde somit 0,16 Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel ausgegeben. Das ist sehr wenig. Wir haben zum Beispiel dem Bericht der KEF entnommen, dass im ersten Programm der ARD 27 Prozent des Budgets in Sportsendungen investiert werden. Diese füllen aber nur acht Prozent der Programmfläche. Da sieht man bereits ein Missverhältnis. Wenn man die Minutenpreise auf einer globalen Statistik ansieht, stellt man fest, dass selbst der Wetterbericht teurer ist als ein Dokumentarfilm. Nach einer eigenen Programmstatistik der ARD sind 36 Prozent des Programms fiktionale Sendungen, die zu 43 Prozent in der Hauptsendezeit ausgestrahlt werden. Dagegen sind nur acht Prozent dokumentarische Sendungen im gesamten Programmvolumen. Die Zuschauer finden leider zur Hauptsendezeit nur in Ausnahmenfällen Dokumentarfilme. Sie wissen damit gar nicht, dass es ein interessantes Genre sein kann und in gleichem Maße schwindet das Interesse. Für die Programmplaner sind Dokumentarfilme damit ein Minderheitenprogramm, das man um Mitternacht ausstrahlen kann. Dinge, die in der Öffentlichkeit nicht sichtbar sind, können auch kein Interesse finden.

medienpolitik.net: Nun sind Auftragsproduktionen die eine Seite. Haben Sie einen Überblick darüber, was die Sender daneben noch ankaufen oder selbst an Dokumentarfilmen produzieren?

Thomas Frickel: Das ist auch meine Kritik an dem Produzentenbericht. Diese Information fehlt. Es fehlt auch eine Rangliste in welchen Umfang die jeweiligen Produzenten von den Sendern beauftragt wurden. In dem Bericht sind viele Produktionsfirmen genannt, die nur ganz bescheidene Mittel von den Sendern erhalten haben. Und ich sagte ja bereits, dass ein Drittel der dokumentarischen Sendungen, die man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen bekommt, nicht voll finanziert sind. Dabei sind auch Programme, die leider außerhalb der Sendeplätze, für die sie produziert wurden, keine realistischen Verwertungschancen haben.

medienpolitik.net: Wie wollen Sie ARD und ZDF dazu bringen, das zu ändern?

Thomas Frickel: Das schaffen wir nicht allein durch Mahnungen. Dazu benötigen wir die Politik als diejenigen, die die Staatsverträge verabschieden und darin den Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks konkreter fassen können, als es im Moment der Fall ist. Auch von den Rundfunkräten können Impulse kommen, dass man vielleicht doch weniger belangloses und mehr gesellschaftlich Relevantes und Hintergründiges haben möchte. Wir erleben gegenwärtig einen Rechtfertigungsdruck der Medien gegenüber dem rechten Lager in unserem Land. Das Wort „Lügenpresse“ macht die Runde. Wir denken, es ist relativ einfach, sich gegen derartige Unterstellungen zu verwahren, in dem man noch hintergründiger und differenzierter informiert. Kaum ein Genre ist dafür prädestinierter als der Dokumentarfilm. Er kann dem Zuschauer vermitteln, dass man ein Thema durchdringt und verschiedene Seite beleuchtet. Das gelingt Talkshows nicht oder nur unvollständig. Eine stärkere Hinwendung zum Dokumentarfilm, der per se in die verborgenen Bereiche der Gesellschaft dringt und auch die Zeit hat, Dinge zu analysieren, ist gerade dazu prädestiniert, verlorenes Vertrauen wieder herzustellen.

Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe Nr. 12/2015 erstveröffentlicht.

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