Rundfunk:
„Unser Markenkern ist Hessen“

Hessischer Rundfunk will regionale Kompetenz mit Sondersendungen zu aktuellen Ereignissen ausbauen
29.01.18 Interview mit Manfred Krupp, Intendant des Hessischen Rundfunks (hr)
Der Hessische Rundfunk rechnet für 2018 mit Aufwendungen in Höhe von 598 Millionen Euro, denen Erträge von 507 Millionen Euro gegenüberstehen. Damit ergibt sich ein Fehlbetrag in Höhe von rund 90 Millionen Euro. Wie der hr-Intendant Manfred-Krupp in einem medienpolitik.net-Gespräch betont, sei es der Anstalt aber auf Grund großer Sparanstrengungen in den vergangenen Jahren und in der Zukunft nach derzeitiger Planung gelungen, die Liquidität bis 2022 sicherzustellen. Das Dritte Programm, das hr-fernsehen, so Krupp, sei konsequent auf Hessen ausgerichtet. Diese Ausrichtung soll weiter gestärkt und mit einer neuen Organisationsstruktur ein breiteres und aktuelleres Themenangebot sichergestellt werden. Ein neuer Newsroom werde den hr in die Lage versetzen, die audiovisuellen Inhalte insbesondere im Internet schneller in die relevanten Kanäle zu verbreiten. An der gegenwärtigen Debatte zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ärgert den hr-Intendanten, dass der Veränderungsprozess bei der ARD allein auf „Einsparungen“ reduziert werde. „Nun fordern die gleichen Menschen, die uns und das duale Rundfunksystem für unverzichtbar erklären, eine Beitragsstabilität und verbauen uns damit die Entwicklungsmöglichkeiten im Netz.“, so Krupp.
medienpolitik.net: Herr Krupp, Sie sind seit fast zwei Jahren Intendant des HR. 2017 war politisch und medienpolitisch ein bewegtes Jahr. Was hat Sie als Intendant vor allem bewegt?
Manfred Krupp: Mit Blick auf den hr hat mich am meisten die Evakuierung unseres Frankfurter Funkhauses am 3. September wegen einer Weltkriegsbombe bewegt. Es war die größte Evakuierungsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik. Wir mussten den Sender komplett räumen. Alle unsere Strukturen, auch das ARD-Sendezentrum, standen uns nicht zur Verfügung. Noch nie hat der hr im Fernsehen eine Live-Strecke von über 15 Stunden bewältigt, ohne auf sein Funkhaus zurückgreifen zu können. Noch nie wurde nach so kurzer Vorbereitungszeit aus drei völlig unterschiedlichen Radioprogrammen für einen Tag ein ganz neues gemeinsames Hörfunkangebot. Die freundschaftlich-kollegialer Atmosphäre und die logistische Meisterleistung unter diesen schwierigen Bedingungen zu bewältigt, war wirklich beeindruckend. Die in dieser Bewährungsprobe freigesetzte Energie und Innovationskraft stimmen mich positiv, auch die Transformation in eine digitale Zukunft erfolgreich meistern zu können. Wir wollten und konnten beweisen, wie wichtig wir für die Menschen im Land sind und sind mit den bisher höchsten gemessenen Nutzungszahlen belohnt worden.
medienpolitik.net: Was hat Sie in der öffentlichen Diskussion über die Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den letzten Wochen am meisten aufgeregt?
Manfred Krupp: Wir haben als ARD im letzten Jahr ein Strukturpapier verabschiedet, das den größten Veränderungsprozess der ARD in Gang gesetzt hat. Mich ärgert, dass dieses Papier von unseren Kritikern ausschließlich auf die Einsparungen reduziert wird, die wir damit in dreistelliger Millionenhöhe erzielen wollen. Es ist – gemäß dem Auftrag an uns – auch ein Zukunftspapier geworden, in dem wir die wichtige Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer digitalen Welt aufzeigen. Nun fordern die gleichen Menschen, die uns und das duale Rundfunksystem für unverzichtbar erklären, eine Beitragsstabilität und verbauen uns damit die Entwicklungsmöglichkeiten im Netz.
medienpolitik.net: Gibt es auch etwas was Sie gefreut hat?
Manfred Krupp: Ja, natürlich – insbesondere, dass wir eine unserer größten Baustellen auflösen konnten! Nachdem es auf ARD-Ebene im September zu einem Tarifvertragsabschluss kam, haben auch wir im hr nach vielen Verhandlungsjahren eine Reform der Altersversorgung vereinbaren können. Das ist ein echter Durchbruch. In der Vergangenheit sind die Betriebsrenten im gleichen Umfang angestiegen wie die Gehälter der aktiv Beschäftigten. Das hat sich nun geändert. Zwar sollen die Renten auch künftig weiter steigen, allerdings um einen Prozentpunkt weniger als die Gehälter.
medienpolitik.net: In Ihrem Einzugsgebiet erscheint eine überregionale Tageszeitung, die sich sehr kritisch mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auseinandersetzt. Planen Sie auch „vertrauensfördernde“ Maßnahmen gegenüber den Presseverlagen wie Ihre Kollegen in Köln oder München?
Manfred Krupp: Wir stehen mit den hessischen Zeitungsverlegern in einem regelmäßigen Austausch. Sowohl auf Geschäftsführungs- als auch auf operativer Ebene führen wir gute und konstruktive Gespräche. Es ist uns wichtig, den Dialog aufrecht zu halten und die gegenseitigen Interessen wahrzunehmen und zu respektieren. Denn wir stehen gemeinsam im Wettbewerb mit den großen Konzernen, seien es Facebook oder andere Plattformanbieter, die in der digitalen Nachrichtenwelt teilweise eigene journalistische Inhalten im Netz anbieten.
medienpolitik.net: Auch in den sozialen Netzwerken und von Politikern gibt es Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Schwindet die Akzeptanz in der Bevölkerung spürbar?
Manfred Krupp: Bei aller Kritik: Fakt ist, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen in Deutschland uns vertraut. Die Menschen schalten uns insbesondere dann ein, wenn es besondere Nachrichtenlagen gibt. Die Tagesschau ist da an der ersten Position. Sie hat ein Rekordjahr hinter sich, auch beim jüngeren Publikum. Im Schnitt 10,19 Mio. Zuschauer sahen 2017 täglich die Nachrichtensendung im Ersten. Das ist die höchste Zahl, die je gemessen wurde. Regional machen wir in Hessen die gleiche Erfahrung: das hr fernsehen und die hessenschau verzeichnen insbesondere bei Live-Ereignissen Rekordwerte. 2017 war für die hessenschau das erfolgreichste Jahr seit Beginn der sendungsbezogenen Quotenmessung im Jahr 1991. Wir erreichten mit unserer Hauptsendung um 19.30 Uhr durchschnittlich 400.000 Zuschauer in Hessen, das entspricht einem Marktanteil von 22,5 Prozent. Und im Übrigen: auch unsere Social-Media-Angebote werden immer stärker genutzt und nachgefragt.
medienpolitik.net: Muss man sich langsam um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Sorgen machen?
Manfred Krupp: Der Blick auf ganz Europa muss uns in der Tat Sorgen bereiten. In Ungarn und Polen steht es zunehmend kritisch um Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit. In der Schweiz wird am 4. März über die Finanzierung und damit auch über die Zukunft des dortigen öffentlichen Rundfunks entschieden. Der Ausgang der Volksabstimmung ist völlig ungewiss. In weiteren Ländern, wie zum Beispiel in England, gibt es massive Kritik und politisch motivierte Angriffe, die den öffentlichen Rundfunk pauschal als zu teuer und einseitig brandmarken und am besten gleich ganz schaffen wollen. Wir sollten uns bewusstwerden, auf welch ein wertvolles Gut wir hier in Deutschland eigentlich blicken können.
medienpolitik.net: Wie kann eine regionale ARD-Anstalt wie der HR gegensteuern, wie um „Akzeptanz“ werben?
Manfred Krupp: Wir müssen zweierlei tun: Einerseits stärker herausstellen, dass wir ein unverzichtbarer Bestandteil eines demokratischen Meinungsbildungsprozesses sind. Dies gelingt, indem wir in unserer Region und nahe bei den Menschen mit unseren Programmangeboten, journalistischer Qualität und Unabhängigkeit überzeugen. Wir sind durch unsere DNA tief in Hessen verwurzelt und damit Spiegelbild der Lebenswirklichkeit all jener Menschen, die hier leben. Gleichzeitig müssen wir auf die veränderten Gewohnheiten bei der Mediennutzung reagieren können. Für viele ist das Internet die erste Informationsquelle. Sie bezahlen ihren Rundfunkbeitrag dafür, dass wir auch im Netz einen relevanten Beitrag zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags leisten. Strategisch verfolgen wir das Ziel, deutlich mehr attraktive Bewegtbildinhalte online anzubieten – ganz im Sinne der Nutzer und Nutzerinnen und vor allem dort, wo sie davon den größten Mehrwert haben.
medienpolitik.net: Anscheinend reicht es nicht mehr aus, „nur“ gutes Programm zu machen? Sehen Sie auch eine Notwendigkeit, transparenter zu werden, dem Zuschauer mehr zu erklären, warum Sie was senden, mit wem Sie Interviews führen?
Manfred Krupp: Aufgrund unserer Finanzierung stehen wir in einer besonderen Verpflichtung gegenüber unseren Beitragszahlern und legen Wert auf Offenheit und Transparenz. ARD-weit sind wir in den letzten Jahren bereits große Schritte gegangen. Sehen Sie sich doch mal die Seiten „Die ARD“ an – hier finden Sie Informationen zur Verwendung des Rundfunkbeitrags, Aufstellungen zu Gehältern etc. Auf unserer hr-Unternehmensseite veröffentlichen wir in der Rubrik „Korrekturen“ technische Pannen und faktische Fehler in unseren Programmen. Darüber hinaus geben wir über Programmaktionen, Studiobesuche oder Führungen unseren Zuschauern und Nutzern Einblicke in unsere tagtägliche Arbeit.
medienpolitik.net: Ist die Forderung einige Politiker berechtigt, dass die Dritten noch regionaler werden müssten und auch das Erste mehr regionale Informationen senden sollte?
Manfred Krupp: Unsere Erfahrung zeigt, dass das bestehende System eines nationalen Ersten Programmes und der regionalen Dritten von den Beitragszahlern eine breite Akzeptanz erfährt. Die ARD ist dank ihrer föderalen Struktur in den Regionen verankert. Unser Drittes Programm, das hr-fernsehen, ist konsequent auf Hessen ausgerichtet. Hier ist es Teil der Programmstrategie, neben der kritischen Berichterstattung auch Identifikationsmöglichkeiten zu bieten. Nur: Das Thema Regionalisierung dürfen wir aber auch nicht überreizen. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, auch im Ersten die föderale Struktur und die Eigenart der Regionen wiederzugeben.
medienpolitik.net: Sie wollen 2018 einen neuen Newsroom in Betrieb nehmen, in dem die aktuelle Berichterstattung für Hessen gebündelt und für Hörfunk, Fernsehen und Online zentral produziert wird. Wo ist der Nutzen für den Zuschauer und die Mitarbeiter?
Manfred Krupp: Unser Markenkern ist die Berichterstattung aus und über Hessen. Diese wollen wir weiter stärken und mit einer neuen Organisationsstruktur ein breiteres und aktuelleres Themenangebot sicherstellen. Der Newsroom wird uns in die Lage versetzen, unsere audiovisuellen Inhalte insbesondere im Internet schneller in die relevanten Kanäle zu verbreiten. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeutet dies erst einmal viele Veränderungen. Es ist eine tolle Erfahrung, zu sehen, wie das Team diesen Prozess aktiv mitgestaltet. Wir schaffen einen medienübergreifenden Programmbereich „Hesseninformation“, in dem Teile der Hörfunk- und Fernsehdirektionen sowie des Bereichs Multimedia übergehen. Damit unterstützen wir flexibles, zukunftsorientiertes Arbeiten.
medienpolitik.net: Gibt es auch einen wirtschaftlichen Nutzen?
Manfred Krupp: Effizienteres Arbeiten, Synergien im Produktionsablauf und bei der Erstellung unserer Programminhalte werden am Ende des Tages natürlich auch einen wirtschaftlichen Nutzen haben – allerdings gilt das nicht von Tag eins an. In den Newsroom müssen wir erst einmal investieren. Die neuen Formen der Zusammenarbeit zwischen den Mediengattungen schaffen vor allem Synergien bei der Themenplanung und -umsetzung. Und davon werden alle unsere Angebote profitieren.
medienpolitik.net: Für 2018 ergibt sich beim HR ein Fehlbetrag in Höhe von rund 90 Millionen Euro. Woran liegt das?
Manfred Krupp: Während wir im operativen Geschäft schwarze Zahlen schreiben, belasten uns die aufgrund der aktuellen Niedrigzinsphase erheblich gestiegenen Rückstellungen, wie übrigens viele andere Unternehmen auch. Das Dilemma ist: Aus eigener Kraft und ohne positive Zinsentwicklung werden wir dieses Problem kaum lösen können. Mit der schon angesprochenen Reform der betrieblichen Altersvorsorge im hr haben wir jedoch einen wichtigen Schritt getan.
medienpolitik.net: Woher nehmen Sie die 90 Mio. Euro um den Haushalt auszugleichen?
Manfred Krupp: Auf Grund großer Sparanstrengungen in den vergangenen Jahren und in der Zukunft schaffen wir es nach derzeitiger Planung, die Liquidität bis 2022 sicherzustellen.
medienpolitik.net: Sie haben dennoch einen Innovationsetat von 1,5 Millionen Euro geschaffen. Welche Innovationen wird es beim HR in nächster Zeit geben?
Manfred Krupp: Wir wollen mit diesem Etat sowohl neue Programmvorhaben als auch technische Innovationen ermöglichen. Um unsere Nutzerinnen und Nutzer auf den relevanten Plattformen erreichen zu können, ist es für den hr wichtig, Zukunftsfelder zu besetzen. Die Anforderungen an uns im Zeitalter der Digitalisierung verändern sich stetig, daher sind viele Entwicklungen derzeit nicht absehbar. Für uns ist es jedoch wichtiger denn je, flexibel auf Nutzerbedürfnisse technischer wie inhaltlicher Art reagieren zu können. Konkrete Vorhaben werden wir in diesem Jahr Schritt für Schritt angehen und dann kommunizieren.
medienpolitik.net: Was erwartet den Zuschauer 2018 an Höhepunkten und Neuem sowohl im Ersten als auch im Dritten aus der Feder des Hessischen Rundfunks?
Manfred Krupp: 2018 strahlt der Hessische Rundfunk wieder drei Tatort-Produktionen im Ersten aus. Bei der für den 8. April geplanten Folge „Unter Kriegern“ führte Hermine Huntgeburth Regie. Außerdem dürfen sich die Zuschauer auf einen neuen Tatort mit Ulrich Tukur freuen: In „Murot und das Murmeltier“ gerät Kommissar Murot in eine Zeitschleife, die an den US-Spielfilm „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erinnert. Im hr-fersehen werden wir unsere regionale Kompetenz weiter ausbauen und noch häufiger Sondersendungen zu aktuelle Ereignissen platzieren. Dort stärken wir am Dienstagabend unseren Sendeplatz „Erlebnis Hessen“ und werden dort die Zahl der Neuproduktionen deutlich erhöhen. Außerdem haben wir im Februar die dreiteilige Comedyreihe „Was geht, Hesse?!“ im Programm. Darin treffen der afghanische Comedian Faisal Kawusi, die bulgarische „No Angels“-Sängerin Lucy Diakovska und der griechische Comedian Costa Meronianakis aufeinander.
Das Interview ist eine Vorveröffentlichung aus der promedia-Ausgabe 02/18.