Medienpolitik:
„Das Medienkonzentrationsrecht ist nicht mehr zeitgemäß“

Vorsitzender der KEK kritisiert Entwurf des Medienstaatsvertrages
27.08.18 Interview mit Prof. Dr. Georgios Gounalakis, Vorsitzender der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK), Professor für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht, Rechtsvergleichung und Medienrecht an der Universität Marburg
„Bedauerlicherweise müssen wir nun feststellen, dass der von der Rundfunkkommission vorgelegte Entwurf eines Medienstaatsvertrags zwar Regelungen zu den Bereichen Rundfunkbegriff, Plattformregulierung und Intermediäre enthält, nichts aber zu einer Reform des Medienkonzentrationsrechts“, so Prof. Dr. Georgios Gounalakis, Vorsitzender der KEK in einem medienpolitik.net-Interview. Seit Jahren befände sich die KEK mit den Ländern im Gespräch über eine Anpassung an die neuen Herausforderungen für die Vielfaltsicherung. Es seien Vorschläge für ein modernes Vielfaltsicherungsmodell erarbeitet und mit den Ländern auch bereits sehr konkrete Detailfragen für ein neues Regulierungskonzept erörtert worden. Leider sei zu befürchten, dass sich der Gesetzgeber auch weiterhin nicht mit dem Thema befassen werde, solange einzelne Landesregierungen die Weiterentwicklung des Medienkonzentrationsrechts aus alleinigem Standortinteresse großer TV-Sender heraus mit der Forderung nach Statuierung unrealistischer Aufgreifschwellen verbinden würden und mit ihrer Drohung eines Vetos blockieren, so Gounalakis weiter.
medienpolitik.net: Herr Gounalakis, das von der KEK in Auftrag gegebene Gutachten von Prof. Christoph Neuberger und Prof. Frank Lobigs stellt fest: „Die Meinungsmacht habe sich von den traditionellen Medienunternehmen hin zu Intermediären und nichtpublizistischen Anbietern mit politischer Relevanz verschoben.“ Wird der vorliegende Entwurf des Medienstaatsvertrages diesen grundlegenden Veränderungen gerecht, um die Meinungsvielfalt weiter zu sichern?
Prof. Dr. Georgios Gounalakis: Das seit 1997 geltende Medienkonzentrationsrecht ist schon lange nicht mehr zeitgemäß. Seit Jahren befinden wir uns mit den Ländern im Gespräch über eine Anpassung an die neuen Herausforderungen für die Vielfaltsicherung. In Stellungnahmen und Anhörungen haben wir Vorschläge für ein modernes Vielfaltsicherungsmodell erarbeitet und mit den Ländern auch bereits sehr konkrete Detailfragen für ein neues Regulierungskonzept erörtert. Bedauerlicherweise müssen wir nun feststellen, dass der von der Rundfunkkommission vorgelegte Entwurf eines Medienstaatsvertrags zwar Regelungen zu den Bereichen Rundfunkbegriff, Plattformregulierung und Intermediäre enthält, nichts aber zu einer Reform des Medienkonzentrationsrechts. Von den Vorschlägen der KEK findet sich nichts in dem vorliegenden Entwurf. Schlimmer noch. Leider ist zu befürchten, dass sich der Gesetzgeber auch weiterhin nicht mit dem Thema befassen wird; jedenfalls solange einzelne Landesregierungen die Weiterentwicklung des Medienkonzentrationsrechts aus alleinigem Standortinteresse großer TV-Sender heraus mit der Forderung nach Statuierung unrealistischer Aufgreifschwellen verbinden und mit ihrer Drohung eines Vetos blockieren.
Die wiederholte Untätigkeit des Gesetzgebers missachtet freilich die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Länder zur präventiven Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht. Der Appell an die Länder kann deshalb nicht oft genug wiederholt werden: Bitte einigen Sie sich auf einen vernünftigen und operablen Schwellenwert, der den Weg zur dringend notwendigen Reform des bestehenden Rechts hin zu einem effektiveren Modell ebnet, das die Konzentrationsbewegungen in der digitalen und konvergenten Medienwelt kontrollierbar und falls nötig auch sanktionierbar macht.
medienpolitik.net: Im Entwurf des Medienstaatsvertrages sind der „Rundfunkbegriff“ und die damit verbundene Lizenzpflicht im Gegensatz zu Ihren Forderungen kaum verändert worden. Inwieweit ist die Beibehaltung des klassischen Rundfunkbegriffs im Zusammenhang mit der von Ihnen geforderten Reform des Medienkonzentrationsrechts problematisch?
Prof. Dr. Georgios Gounalakis: Nach wie vor beeinflusst der Rundfunk in seinen traditionellen Formen Fernsehen und Radio die Meinungsbildung maßgeblich. Die nichtlinearen Abrufdienste entwickeln sich jedoch sehr dynamisch. Hierbei spielen vor allem US-amerikanische Anbieter wie Amazon und Netflix eine zentrale Rolle. Manche Prognosen gehen davon aus, dass bereits im Jahre 2019 der nichtlineare Bewegtbildkonsum den zeitgleichen linearen Konsum, also den Rundfunk-Empfang, überholen wird. Mittel- bis langfristig wird die Nutzungsdauer des linearen Fernsehens voraussichtlich zurückgehen. Gerade mit Blick auf die Pflicht zur Vielfaltsicherung ist die Reduzierung auf den Rundfunk jedoch nicht mehr gerechtfertigt. Vielmehr sollten alle Medienangebote, die Einfluss haben auf die Meinungsbildung in einem demokratischen Staat, in die Sicherung der Meinungsvielfalt eingeschlossen werden. Betrachtungsgegenstand eines Gesamtmeinungsmarktmodells, wie es die KEK seit langem fordert, sollten deshalb publizistische Angebote und Intermediäre sein. Der zeitgleiche Empfang dieser Angebote ist nicht mehr das wesentliche Kriterium für das Entstehen von Meinungsmacht. Zudem sollte meiner Meinung nach darüber hinaus nachgedacht werden, auch nicht-publizistische Angebote mit politischer Relevanz in den Blick zu nehmen. Auch von Ihnen kann eine Gefahr für den Meinungsbildungsprozess ausgehen, wie der Fall Cambridge Analytica zeigt.
medienpolitik.net: In dem oben genannten Gutachten heißt es weiter: „Die Medienunternehmen haben in diesem Bereich ihre Position als zentrale Gatekeeper verloren und verlagern ihre Aktivitäten in nicht-publizistische und politisch irrelevante Bereiche. Sie verlieren somit relativ an Meinungsmacht.“ Reichen die im Medienstaatsvertrag bei Plattformen und Intermediären vorgesehenen Regelungen u.a. für Transparenz und gegen Diskriminierung aus, um eine Konzentration von Meinungsmacht bei den neuen Medienanbietern zu verhindern?
Prof. Dr. Georgios Gounalakis: Plattformen und Intermediäre spielen eine wichtige und unverzichtbare Rolle beim Informationszugang und damit für den Kommunikationsprozess. Aufgrund ihrer großen Bedeutung für den Zugang zu publizistischen Inhalten bedeuten sie aber auch ein zumindest abstraktes Risiko- und Gefährdungspotential für den Prozess der Meinungsbildung und die kommunikative Chancengleichheit. Von daher ist es richtig und wichtig, dass der Entwurf sowohl Diskriminierungsverbote und Transparenzvorschriften zumindest für die Intermediäre formuliert, die Einfluss auf den Meinungsbildungsprozess haben.
Dabei kann die Verpflichtung zur Diskriminierungsfreiheit durchaus die Möglichkeiten der Intermediäre beschränken, Einfluss auf die Meinungsbildung zu nehmen. Medienkonzentrationsrechtlich ist dies aber solange ohne Belang, als es der Gesetzgeber bislang versäumt hat, Intermediäre in die Überlegungen der Länder zur zukünftigen Ausgestaltung des Medienkonzentrationsrechts überhaupt einzubeziehen, so, wie es im Juni 2016 etwa die Arbeitsgruppe der Bund-Länder-Kommission zur Reform des Medienkonzentrationsrechts vorgeschlagen hat.
Dies könnte sogar im bestehenden Regulierungsmodell, unter Berücksichtigung von Intermediären als medienrelevante verwandte Märkte, geschehen. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass selbst in diesem Fall die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2014 der KEK die Hände bindet. Dieser Befund ändert sich erst dann, wenn der Gesetzgeber tätig wird und entweder die Betrachtung der medienrelevanten Märkte unabhängig vom Junktim entsprechender Zuschaueranteile im bundesweiten Fernsehen zulässt (kleine Lösung). Oder aber er entscheidet sich für die bessere Lösung, nämlich für das von der KEK vorgeschlagene Gesamtmarktmodell mit vernünftigen und operablen Schwellenwerten (große Lösung). Dann besteht die Möglichkeit, Intermediäre in die Betrachtung des Gesamtmeinungsmarkts einzubeziehen. Der Meinungsbildungseinfluss könnte etwa an der Frage festgemacht werden, wie viele Nutzer verwenden den jeweiligen Intermediär, wenn sie sich über das Zeitgeschehen informieren wollen.
All dies zeigt freilich, wie überholt eine auf den Zuschauermarkt des Fernsehens beschränkte Orientierung ist. Demgegenüber kann eine Betrachtung des Gesamtmedienmarktes alle meinungsbildenden Faktoren erfassen. Erst damit könnte eine adäquate Bewertung von Verflechtungen zwischen z. B. algorithmenbasierten Intermediären und publizistischen Inhalteanbietern ermöglicht werden. Für die Zukunft kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass solche Verflechtungen stattfinden. Entsprechende Szenarien sind durchaus denkbar, weshalb das Recht hierauf vorbereitet sein sollte.
medienpolitik.net: Die Medienanstalten sind für die Verfahren gegen YouTube-Angebote, die über keine Rundfunklizenz verfügen und ihre Angebote live-ausgestrahlt haben, kritisiert worden. Benötigen YouTube-Angebote wie „PietSmiet TV“, aber auch Live-Streaming-Angebote auf Online-Seiten von Tageszeitungen weiterhin eine Lizenz?
Prof. Dr. Georgios Gounalakis: Grundsätzlich ist die Lizenz für die KEK primärer rundfunkspezifischer Anknüpfungspunkt für die Konzentrationskontrolle. Das Zulassungsverfahren dient somit auch der vorbeugenden Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht. Nach dem vorliegenden Entwurf soll die zuständige Landesmedienanstalt nunmehr die Zulassungsfreiheit in Fällen wie den von Ihnen beschriebenen auf Antrag durch Unbedenklichkeitsbescheinigung bestätigen, sofern gewisse Kriterien erfüllt sind. Das soll etwa der Fall sein bei Rundfunkprogrammen, die aufgrund ihrer geringen journalistisch-redaktionellen Gestaltung oder aus anderen vergleichbaren Gründen nur geringe Bedeutung für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung entfalten, oder die lediglich eine zahlenmäßig geringe Reichweite erzielen. Eine derartige Vorschrift für Bagatellrundfunk macht Sinn, wenn der Sachverhalt offensichtlich keine Anhaltspunkte für die Entstehung vorherrschender Meinungsmacht bietet.
medienpolitik.net: Der Entwurf des Medienstaatsvertrages geht beim Rundfunk nach wie vor von linearen, also Live-Angeboten aus. Aber ist es für die meinungsbildende Relevanz von journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten entscheidend, ob sie linear oder non-linear verbreitet werden?
Prof. Dr. Georgios Gounalakis: Linearität war einst ein wichtiges Kriterium für die Wirkmacht des Rundfunks: Eine Vielzahl von Nutzern konnte Sendungen nur dann empfangen, wenn sie im Sendeplan zu einer bestimmten Zeit vorgesehen waren. Heute kann jeder aufgrund fortschreitender Technik zeitlich unabhängig selbst entscheiden, welches Medienangebot er wann, in welchem Umfang und in welcher Reihenfolge wahrnehmen möchte. Die Grenzen zwischen nichtlinearen und linearen Angeboten verschwimmen. Der Wechsel zwischen linearem Programm und der Mediathek des gleichen Medienanbieters ist ebenso problemlos auf einem Empfangsgerät möglich wie die parallele Nutzung beider Angebotsformen. Für den Nutzer ist heute oft nicht mehr unterscheidbar, ob eine Mediennutzung linear oder nichtlinear erfolgt. Aufgrund zunehmender Nutzung der „neuen Medien“ vor allem durch jüngere Altersgruppen, nimmt auch die Bedeutung der Abrufangebote für die öffentliche Meinungsbildung zu. Aus dem Blickwinkel der Vielfaltsicherung erscheint die Unterscheidung zwischen linearer und nichtlinearer Verbreitung daher zunehmend weniger wichtig.
Der Beitrag ist eine Vorveröffentlichung aus der promedia-Ausgabe 09/18.