Medienpolitik:
Zwei Paar Stiefel

Internet ist nicht Rundfunk und ist deshalb nicht analog zu regulieren
20.09.18 Von Malte Krückels, Staatssekretär für Medien und Bevollmächtigter beim Bund, Thüringer Staatskanzlei
Im Juli 2018 haben die Länder einen ersten Diskussionsentwurf für einen Medienstaatsvertrag veröffentlicht und zur Kommentierung aufgerufen. Mehrere Länder – darunter Thüringen – hatten und haben Bedenken gegen verschiedene Regelungsansätze und die dahinter liegenden Vorstellungen von der Regulierungsbedürftigkeit der Online-Welt.
So hat die Rundfunkkommission der Länder erst in ihrer letzten Sitzung vor Beginn der Online-Konsultation entschieden, das Thema Medienkonzentrationsrecht aufgrund unüberbrückbarer Differenzen aus dem Projekt Medienstaatsvertrag herauszulösen und zurückzustellen. Zwar wurde der Entwurf zu den übrigen drei Themenfeldern von der Rundfunkkommission veröffentlicht, doch enthält dieser insgesamt zehn in eckige Klammern gesetzte Passagen – weil diese Überlegungen im Länderkreis noch nicht abgestimmt sind. Da es auch zu anderen Regelungen noch Diskussionsbedarf gibt, ist die Veröffentlichung des Vorschlags aber gut, um eine breite (medien-)politische Debatte zu erreichen. Als Beitrag dazu im Folgenden einige grundsätzliche und spezifische Überlegungen.
Internet als Lebensraum
Der erste Satz in Edward Bernays‘ Buch „Propaganda“, dem Standardwerk der Public Relations aus dem Jahr 1928 lautet: „Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften“. Im zweiten Kapitel heißt es über den alphabetisierten „gemeinen Bürger“: „Zum eigenständigen Denken kommt es […] eher selten.“ Aus diesem negativen Gesellschafts- und Menschenbild leitet Bernays die vermeintliche Notwendigkeit eines Meinungs-Managements durch kleine gesellschaftliche Eliten ab. Dem steht heute das Bild einer Gesellschaft mündiger Bürger gegenüber, wie es beispielweise in folgenden Sätzen des Thüringer Koalitionsvertrages zum Ausdruck kommt: „Der Zugang zu digitalen Netzen und deren Inhalten gehört zur Daseinsvorsorge. Er ist eine Voraussetzung für die Inanspruchnahme demokratischer Rechte und gesellschaftlicher Teilhabe. Die Koalition spricht sich gegen jegliche Zensurversuche im und Überwachung des Internets aus.“
Ich bin zutiefst überzeugt von der Kraft guter Argumente und der wahrhaftigen Darstellung dessen, was ist. Zutreffende Berichterstattung muss sich durch ihre reflektierte Übereinstimmung mit der Wirklichkeit durchsetzen, nicht durch staatliche oder staatlich veranlasste Lenkung der Bürgerinnen und Bürger in Richtung „Qualitätsmedien“ oder „Public-Value-Inhalte“. Anders ausgedrückt: Der demokratische Rechtsstaat soll keine manipulative Haltung gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern einnehmen.
Das Internet ist nicht – jedenfalls noch nicht – ‚kaputt‘, sondern bietet weiterhin das Potenzial eines ‚Grundrechte-Verwirklichungsmotors‘. Es darf daran erinnert werden, dass Bürgerinnen und Bürger bis vor einigen Jahren weitgehend auf die Rolle der Medien-Rezipienten beschränkt waren. Elektronische Medien gab es nur in Gestalt öffentlich-rechtlicher Programme und solcher aus dem Ausland. Ab den 1980er Jahren kamen private Programme aus Deutschland hinzu. Abgesehen von Offenen Kanälen und Leserbriefen gab es kaum Möglichkeiten, sich medial vermittelt an die Öffentlichkeit zu wenden, wenn man nicht Journalist oder Subjekt des öffentlichen Interesses war. Geändert hat sich das – von Vorläufer-Technologien abgesehen – erst vor rund 25 Jahren mit dem Internet. Wie der Einzelne und die Gesellschaft mit diesen Möglichkeiten umgehen sollen und dürfen, ist in einem spannenden, oft auch schmerzhaften und offenbar länger andauernden Lernprozess zu ermitteln.
Rundfunkbegriff und Zulassungserfordernis
Am wenigsten problematisch erscheint die im Entwurf des Medienstaatsvertrages enthaltene Überlegung, in bestimmten Fällen eine Zulassungsfiktion anstelle einer förmlichen Rundfunkzulassung durch die zuständige Landesmedienanstalt zu ermöglichen. Ob solche Verfahren praktikabel und mögliche Vollzugsprobleme gegenüber fingiert zugelassenen Rundfunkveranstaltern beherrschbar wären, muss allerdings noch geklärt werden. Wesentlich einfacher wäre es, auf das Instrument der Zulassungsfiktion zu verzichten und stattdessen den geltenden § 20 b RStV auf Fernsehprogramme, die ausschließlich im Internet verbreitet werden, zu erstrecken. Damit wären auch Fernsehprogramme im Internet, die das Spielen von Computerspielen übertragen, nur noch anzeigepflichtig, aber zulassungsfrei.
Inkonsistent erscheint jedoch die Überlegung, Rundfunkprogramme im Internet, die vorwiegend dem Vorführen und Kommentieren des Spielens eines virtuellen Spiels dienen, gesondert von der Zulassungspflicht zu befreien (§ 20 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3). Denn damit würden ausgerechnet Programme, die unter den Gesichtspunkten Breitenwirkung, Suggestivkraft und Jugendschutz besonderer Aufmerksamkeit bedürfen, zulassungsfrei gestellt, während Programme, die beispielsweise Brettspiel- oder Skat-Turniere übertragen, weiterhin einer Zulassung bedürften. Denkbar wäre hingegen eine diesen Wertungswiderspruch vermeidende Sonderregelung, mit der die Übertragung von Spielen aller Art im Internet zulassungsfrei gestellt wird. Damit würden nicht nur die Let’s Player begünstigt, sondern auch Programme, die das Spielen von Gesellschafts- und anderen Spielen übertragen. Zugegebenermaßen müsste dann eine eventuell schwierige Abgrenzung zwischen zulassungsfreiem „Spiel“-Programm und zulassungspflichtigem „Sport“-Programm erfolgen.
Medienintermediäre
Intermediäre sind in erster Linie Sortierwerkzeuge, keine Auswahlwerkzeuge. Anders als Zeitungen, Radio- und Fernsehprogramme sowie ihre Verlängerungen im Internet wählen die meisten Medienintermediäre – anders als Medienplattformen – aus der weltweiten Fülle der Online-Inhalte nicht eine begrenzte Menge von Informationen aus, sondern sortieren alles, was da ist. Dabei führt schon jede Regionalisierung und Personalisierung zu einer „Diskriminierung“ derjenigen Inhalte, die aufgrund des Aufenthaltsortes des Nutzers oder seiner Nutzungsgewohnheiten weiter hinten landen, als sie es auf einem ‘sauberen‘ Endgerät oder mit einem neu angelegten Account tun würden. Vor diesem Hintergrund stellt eine allgemeine Anti-Diskriminierungsregel für Intermediäre, wie sie in § 53 e zur Diskussion gestellt ist, eine Gefahr für die Meinungsvielfalt dar. Denn über das Kriterium des „sachlich gerechtfertigten Grundes“ würde ein Einfallstor für staatliche oder staatlich veranlasste Regulierung einer vermeintlich ‚richtigen‘ oder ‚objektiven‘ Anzeige-Reihenfolge geschaffen.
Wirklich diskriminierungsfrei wäre nur ein reines Zufallsprinzip. Das heißt für eine Suchmaschine, alle von ihr erfassten Webseiten, die das gesuchte Wort oder die gesuchten Wörter enthalten, würden in einer von einem Zufallsgenerator bei jeder Suchanfrage neu erstellten Reihenfolge angezeigt. Es leuchtet ein, dass man mit einer solchen Suchmaschine nichts mehr finden würde oder eben nur durch Zufall. Andererseits ist es legitim, mehr über die wesentlichen Sortierkriterien wissen zu wollen (§ 52 f). Denn inzwischen ist es traurige Gewissheit, dass Intermediäre von außen manipuliert werden können und werden, um Stimmungsmache zu betreiben oder Wahlen zu beeinflussen.
In diesem Zusammenhang müsste noch einmal diskutiert werden, ob der Medienstaatsvertrag den Einsatz so genannter künstlicher Intelligenz (KI) durch Medienintermediäre berücksichtigen sollte. Denn spätestens beim Einsatz nicht selbst programmierter, sondern eingekaufter KI-Prozeduren droht das Phänomen der sog. Blackbox-KI, bei dem der Verwender die Funktionsweise und Ergebnisse der KI-generierten Algorithmen selbst nicht mehr nachvollziehen und folglich auch nicht transparent machen kann.
Bei alledem gilt es, die Schwelle zwischen der im Medienrecht teils gebotenen vorsorglichen Regulierung und einer Über- oder Doppelregulierung im Blick zu behalten. So hält die Monopolkommission in ihrem Hauptgutachten Wettbewerb 2018 eine medienrechtliche Regulierung von Intermediären zur Sicherung der Meinungsvielfalt für derzeit nicht erforderlich. Hier sei an die GWB-Novelle 2017 erinnert, mit der klargestellt wurde, dass ein Markt auch dann angenommen werden darf, wenn „eine Leistung unentgeltlich erbracht wird“ (§ 18 Abs. 2a GWB), wie das bei Suchmaschinen typischerweise der Fall ist.
Schließlich hat die Rundfunkkommission den Wunsch der Justizministerkonferenz aufgegriffen, eine Kennzeichnungspflicht für Social Bots in Erwägung zu ziehen. Ob die meist im Ausland ansässigen Bot-Verwender sich für ihre in § 55 Abs. 3 angedachte Verpflichtung, bot-generierte Inhalte als solche zu kennzeichnen, besonders interessieren werden, bleibt abzuwarten. Signalwirkung dürfte eine solche Regelung wohl haben; schaden würde sie nicht. Soweit vorgesehen ist, dass auch soziale Netzwerke „dafür Sorge zu tragen“ haben, dass Bot-Inhalte als solche gekennzeichnet werden (§ 53 d Abs. 4), muss eine entsprechende Gestaltung der Nutzungsbedingungen der sozialen Netzwerke ausreichen. Keinesfalls sollten die Netzwerke dazu verpflichtet werden, bot-verdächtige Inhalte selbst zu kennzeichnen, denn damit würden die Länder einige der Fehler wiederholen, die der Bund bei seinem Netzwerkdurchsetzungsgesetz begangen hat (Privatisierung der Rechtsdurchsetzung, Overblocking-Gefahr, fraglicher Rechtsschutz bei Fehl-Kennzeichnung).
Plattformregulierung
Bei der vorgesehenen Novellierung der Plattformregulierung geht es im Kern darum, die bisher nur für infrastrukturgebundene Plattformen (v. a. Kabelnetze) geltende Regulierung weitgehend auf „Medienplattformen“ und „Benutzeroberflächen“ zu erstrecken. Schon dieser Ansatz ist problematisch, da er die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale der beiden Plattform-Kategorien nur in Teilbereichen berücksichtigt: Anders als Medienplattformen und Benutzeroberflächen haben Kabelnetzbetreiber immer ein Gebietsmonopol und sind nicht substituierbar, sofern der Zuschauer nicht gleich den Übertragungsweg wechselt oder umzieht.
Ein äußerst kritischer Bereich des Medienstaatsvertrages ist der Komplex „privilegierte Auffindbarkeit“. Einige Länder schlagen vor, Must-Carry-Programme auf Benutzeroberflächen „besonders hervorzuheben und leicht auffindbar zu machen“ (§ 53 e Abs. 3 Satz 1). Mit dieser Regelung würden die heutigen Must-Carry-Regelungen, die für infrastrukturgebundene Plattformen aufgrund ihrer begrenzten Übertragungskapazitäten und v. a. aufgrund ihres Gebietsmonopols ihre Berechtigung haben, auf alle Benutzeroberflächen übertragen. Aus meiner Sicht sollte es eine solche „privilegierte Auffindbarkeit“ bestimmter Inhalte auf internetgestützten Medienplattformen, also eine gleichsam ‚von oben‘ verordnete Filterblase, nicht geben.
Hinzu kommt ein im Länderkreis gesehener, gleichwohl im Entwurf bisher nicht adäquat adressierter Wertungswiderspruch: Die Anordnung von Kacheln auf virtuellen „Benutzeroberflächen“ soll von den Regelungen erfasst werden, die „Netflix-Taste“ auf Fernbedienungen nicht, obwohl letztere eine erheblich größere Aufmerksamkeits-Steuerung zugunsten eines einzigen Anbieters bewirkt als eine virtuelle Benutzeroberfläche mit einer Vielzahl von Kacheln. Offen ist bislang, ob die Regelungen zu Benutzeroberflächen auch für Smart Speaker gelten sollen, da diese neben vielem anderen auch den Zugang zu Radio- und anderen Audioangeboten im Internet ermöglichen. Beibehalten werden sollte der geltende Must-Carry-Status für landesfremde Dritte Programme (§ 52 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 lit. a); gegen die von einzelnen Ländern angedachte Streichung sprechen unter anderem die Vielfaltssicherung sowie die Akzeptanzsicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und des Rundfunkbeitrags. Dringend zu ergänzen ist eine Must-Carry-Regelung für private Hörfunkprogramme in Kabelnetzen, denn die bestehende Regelungslücke hat wegen der laufenden Abschaltung des UKW-Kabelradios jetzt massive praktische Auswirkungen. Im Moment bleibt es allein dem Verhandlungsgeschick der privaten Hörfunkveranstalter überlassen, ob ihre Programme künftig noch im Kabel übertragen werden oder nicht.
Zu den nützlichen Ansätzen zählt die verpflichtende Vorgabe einer Suchfunktion für alle Benutzeroberflächen (§ 52 e Abs. 2 Satz 4). Damit sollte es aber genug sein – weiterer Vorgaben zu Sortierung und Auffindbarkeit bedarf es nicht. Auch die Regelungsentwürfe zum Komplex „Überblendung und Skalierung“ (§ 52 a Abs. 3-5) dürften geeignet sein, einen vernünftigen Ausgleich der Interessen von Zuschauern, Programmveranstaltern, Plattformanbietern und Geräteherstellern zu bewirken.
Zum Abschluss sei an das viel zitierte Böckenförde-Diktum erinnert. Es lautet: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Und gerade, weil unser Staat diese Garantie nicht geben kann, sollte er nicht versuchen, diese Tatsache durch Manipulation der freien Meinungsbildung außer Kraft zu setzen, auch dann nicht, wenn ihm Teile der Bevölkerung den Rücken kehren. Täte er es doch, würde seine Verwandlung vom freiheitlichen, säkularisierten Staat in etwas anderes beginnen.
Der Beitrag ist eine Vorveröffentlichung aus der promedia-Ausgabe 10/18.