ARD-Vorsitzende kündigt „junge Mediathek“ auch für mobile Nutzung an – „Zur Erreichbarkeit Jüngerer gibt es keinen Königsweg“
von Helmut Hartung am 19.06.2012 in Archiv, Dualer Rundfunk, Gastbeiträge, Interviews, Rundfunk, Verlage

Interview mit Monika Piel, Intendantin des WDR und ARD-Vorsitzende
Die ARD-Vorsitzende hat in einem promedia-Gespräch deutlich gemacht, dass sie die Gespräche mit den Verlegern über digitale Angebot von ARD und ZDF nicht für gescheitert hält: „Wichtig ist mir, dass wir miteinander sprechen – am besten regelmäßig, direkt und sachlich. So können Missverständnisse schnell aus dem Weg geräumt und Probleme vermieden werden, bevor sie entstehen.“ Zugleich kündigte Monika Piel in dem Gespräch an, dass die ARD mehr Angebote für Jüngere auf allen ihren Verbreitungswegen bereitstellen will.
Frau Piel, Politiker verlangen von der ARD mehr Sparsamkeit und mehrere Ministerpräsidenten haben erklärt, dass die Haushaltsabgabe bis 2016 nicht steigen wird. Andererseits fordern sie mehr Innovationen, auch vom WDR. Wie lösen Sie diesen scheinbaren Widerspruch?
Monika Piel: Unsere Programme sind unser oberstes Gut. Die Einsparungen von 50 Millionen Euro jährlich, die wir im WDR vornehmen, gehen daher so wenig wie möglich zu Lasten unserer Angebote in Fernsehen, Radio und Internet. Richtig ist aber auch, dass die Programmetats seit Jahren nicht mehr oder nur sehr geringfügig erhöht werden; zugleich ist die Preissteigerung unvermindert fortgeschritten. Um sicherzustellen, dass weiterhin neue und innovative Programme entwickelt werden können, habe ich einen so genannten Innovationstopf mit einem Volumen von drei Millionen Euro für das laufende Jahr aufgelegt, aus dem kreative Programmvorhaben umgesetzt werden sollen. Hier gab es bereits viele wichtige Impulse und Anreize für die Erneuerung des Programms – in Form von konkret realisierten Sendungen, aber auch von Erkenntnissen für eine langfristig angelegte Programmentwicklung.
Bei welchen Programmangeboten sehen Sie die Notwendigkeit von Innovationen?
Monika Piel: Wir sind uns in der ARD einig, dass wir mit dem Ersten mehr jüngere Menschen erreichen wollen. Wir entwickeln und setzen dazu mehr Themen, Formate und Macharten ein, die auch Jüngere interessieren. Mit dem im WDR entwickelten Format der „Markenchecks“ etwa, die mit bislang zwei Staffeln montags um 20.15 Uhr im Ersten liefen, hatten wir besonders bei den jungen Zuschauern großen Erfolg. Verjüngung ist ein langfristiger, permanenter Prozess. Diese Daueraufgabe stellt uns gleichzeitig vor die Herausforderung, auch weiterhin unser Stammpublikum zu erreichen. In diesem Prozess haben das ARDGemeinschaftsprogramm Das Erste, die Dritten Programme und die ARD-Digitalkanäle unterschiedliche Aufgaben. Das Erste ist unser Hauptprogramm für alle Bevölkerungs- und Altersgruppen und setzt die Verjüngung vor allem als Querschnittsaufgabe um. Die ARD-Digitalkanäle fungieren als Testfläche und Probebühne für innovative Formate und jüngere Moderatoren. In EinsPlus und in Einsfestival können Sie sich gerade zur Zeit eine Reihe neu entwickelter Angebote ansehen wie z.B. den 1LIVE Talk mit Sabine Heinrich oder die „Allerbeste Sebastian Winkler Show“. Im WDR unterstütze ich die Entwicklung neuer Formate mit dem oben angesprochenen Innovationstopf.
Sehen Sie die Notwendigkeit einer stärkeren Priorisierung innerhalb der ARD? Liegt in einer noch stärkeren Beschränkung bei Angeboten und Verbreitungswegen die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?
Monika Piel: Schon allein die finanziellen Rahmenbedingungen machen es nötig, Prioritäten zu setzen. Eine stabile Gebühr über sechs Jahre bedeutet angesichts laufender Preissteigerungen, dass letztlich weniger Geld zur Verfügung steht. Mehr Kooperationen zwischen den Landesrundfunkanstalten und die Aufgabenerledigung durch Federführungen, wofür ich mich während des ARD-Vorsitzes sehr stark gemacht habe, sind dann der konkrete Ausdruck solcher Priorisierungen. Wir bündeln unsere Kräfte – etwa im Produktionsbereich –, oder richten Kompetenzzentren ein und nehmen in dem Zusammenhang Abschied von der Haltung, dass jede Anstalt alles machen muss – mit dem Ziel, dass beim Programm und der Programmqualität keine Abstriche gemacht werden. Wir analysieren das Nutzungsverhalten unseres Publikums sehr genau. Das ermöglicht uns, unsere Inhalte über die Verbreitungswege und auf den Endgeräten anzubieten, über die uns unsere Zuschauer sehen möchten. Und natürlich passen wir unsere Verbreitungsstrategie entsprechend kostenbewusst an. So haben wir zum Beispiel – wie auch die privaten Rundfunkanbieter – mit der Beendigung der teuren analogen Satellitenausstrahlung am 30. April dieses Jahres der steil anwachsenden Anzahl der Haushalte Rechnung getragen, die ihr Fernsehprogramm über einen digitalen Satellitenreceiver empfangen. Eine Beschränkung unserer Verbreitungswege hätte, anders als von Ihnen angedeutet, nichts mit Zukunft zu tun, sondern bedeutete Stillstand und auf lange Sicht, dass die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks das Publikum nicht mehr erreichen. Es ist in der fragmentierten digitalen Welt nicht mehr möglich, alle Alters- und Nutzergruppen nur über ein einziges Vollprogramm anzusprechen. Unsere Angebote, auch im Internet, entsprechen den Erwartungen der Beitragszahler nach einer zeitgemäßen Nutzung. Dem müssen und wollen wir Rechnung tragen. Aus gutem Grund hat der Gesetzgeber uns ausdrücklich den Auftrag gegeben, Angebote auch im Internet zu verbreiten, also alle Verbreitungswege zu nutzen.
Sie haben sich gegen einen Jugendkanal ausgesprochen. Nun hat EinsPlus in der Primetime ein Angebot speziell für jüngere Zuschauer gestartet. Kommt damit doch der ARD-Jugendkanal?
Monika Piel: Im Intendantenkreis sind wir uns einig, dass es zur Erreichbarkeit Jüngerer keinen Königsweg gibt, sondern dass wir – entsprechend dem veränderten Nutzungsverhalten gerade der jungen und jüngeren Zuschauer – alle Verbreitungswege nutzen wollen: Radio, Fernsehen und Internet. Junge Menschen sehen nach wie vor fern – allerdings deutlich weniger als Ältere – und nutzen zudem intensiv Online-Angebote. Diesen Trend zur zeitsouveränen Programmnutzung bedienen wir zum Beispiel durch unsere Mediatheken, Social-Media Angebote oder Angebote auf Videoplattformen wie YouTube. Zu dieser Strategie zählt auch die neue „Tageswebschau“ – ein seit dem 4. Juni werktäglich produziertes Format, das den Online- Angeboten der jungen Radios von ARD und Deutschlandradio zur Verfügung gestellt wird, und sich in Form und Ansprache speziell an Jüngere richtet. Zu dieser Strategie gehört aber auch, dass Einsfestival und EinsPlus als Innovations- und Probebühnen für junge und jüngere Zuschauer genutzt werden. Ein junger Kanal oder Jugendkanal muss im Zusammenhang mit der Gesamtstrategie über die zusätzlichen Digitalkanäle gesehen werden. Dazu wird es Gespräche mit den für Medienpolitik zuständigen Ministerpräsidenten geben.
Wie soll sich Einsfestival, das der WDR verantwortet, entwickeln?
Piel: Das Ziel von Einsfestival ist es, mit seinen Programmangeboten das Interesse und Lebensgefühl des Publikums unter 49 zu treffen. Der Sender spielt also eine wichtige Rolle in unseren Bemühungen, verstärkt jüngere Zuschauerinnen und Zuschauer anzusprechen. Darüber hinaus versteht sich Einsfestival als Entwicklungsplattform. Hier können junge Moderatorinnen und Moderatoren jenseits des Quotendrucks Routine bekommen; innovative Sendekonzepte können pilotiert und weiterentwickelt werden. Dabei setzt Einsfestival vor allem auf ARD-Gemeinschaftsproduktionen, Beispiele hierfür sind „Die allerbeste Sebastian Winkler Show“ (BR), der „New Music Award“ (rbb) oder „Coldmirror“ (HR). Was die Zukunft von Einsfestival angeht, so bin ich optimistisch. Aufgrund der analogen Satellitenabschaltung Ende April 2012 konnte das digital gestartete Programm seine Reichweite erheblich steigern – davon erhoffen wir uns eine noch stärkere Zuschauerakzeptanz. Inhaltlich sind wir auf dem richtigen Weg – diesen wollen wir konsequent weitergehen.
Wie ist der Stand bei einem Online – Angebot für junge Leute?
Piel: Die Intendantinnen und Intendanten haben auf ihrer jüngsten Sitzung in Frankfurt dem Konzept einer Internetplattform zugestimmt, auf der alle „jungen“ Inhalte – insbesondere Bewegtbildangebote – aus den Programmen von ARD und der Landesrundfunkanstalten abrufbar zur Verfügung gestellt werden sollen. Diese „junge Mediathek“, für die wir noch nach einem endgültigen Namen suchen, soll möglichst auch auf mobilen Empfangsgeräten (Smartphones) angeboten werden. Die jungen Radiowellen der ARD werden auf ihren Websites für dieses Angebot werben. Einzelheiten werden derzeit erarbeitet.
Sie haben sich immer für eine faire Zusammenarbeit mit den Verlegern eingesetzt. Die jüngste Einigung zur „Tagesschau“-App scheint gescheitert. Ist damit auch Ihre Strategie eines fairen Miteinanders in der digitalen Welt gescheitert?
Piel: Keineswegs. Ich vermute, Sie interpretieren die Fortführung des gerichtlichen Verfahrens des BDZV gegen die „Tagesschau“- App als „Scheitern“.
Das, und die Äußerungen von Zeitungsverlegern…
Piel: Dieses gerichtliche Verfahren steht keineswegs im Widerspruch zu einer angestrebten gemeinsamen medienpolitischen Erklärung. Überdies ist die ARD nach wie vor bereit – gemeinsam mit dem ZDF – weiter zu verhandeln. Darin sind sich alle Intendantinnen und Intendanten der ARD einig. Ziel aller ist es, im Sinne und zur Stärkung des Qualitätsjournalismus eine vernünftige Lösung, einen Interessenausgleich zu finden. Zudem, das ist auch allen klar, funktioniert eine Verständigung in einem so komplexen Bereich nicht in einem einmaligen Schritt, sondern nur in einem fortdauernden Gespräch – für das die angestrebte Erklärung letztlich die Grundlage bilden würde. Wichtig ist mir, dass wir miteinander sprechen – am besten regelmäßig, direkt und sachlich. So können Missverständnisse schnell aus dem Weg geräumt und Probleme vermieden werden, bevor sie entstehen. Ich werde mich dafür weiter einsetzen.
Warum beharrt die ARD weiterhin auf der Tagesschau- App, nachdem die „Tagesschau“ nun einen eigenen Kanal hat, den man auch mobil nutzen kann?
Piel: Den eigenen Kanal hat die „Tagesschau“ schon seit vielen Jahren, nur hieß er bislang „EinsExtra“, was zugegebenermaßen nicht besonders prägnant war. Seit dem 1. Mai 2012 trägt das Programm den Namen tagesschau24. Die Zuschauerinnen und Zuschauer können nun auf Anhieb erkennen, was den Kern dieses Angebots ausmacht: Tagesschau-Nachrichten im Viertelstundentakt. Am Konzept und am Inhalt hat sich durch die Umbenennung nichts geändert. Wie bisher schon „EinsExtra“ bieten wir die Sendungen von tagesschau24 als Livestream auf tagesschau.de an – lineares Fernsehen also, das im Web übertragen wird. Die Tagesschau-App ist nichts anderes als eine für Smartphones optimierte Darstellung von tagesschau.de. Die App macht die Bedienung leichter: statt mehrerer Berührungen des Touchscreens reicht ein kurzes Antippen, um zum Ziel zu kommen. Entgegen einem nach wie vor verbreiteten Vorurteil enthält die App aber keine über tagesschau. de hinausgehenden Bestandteile, es geht nur um die einfache Anwendung. Mehr als 3,7 Millionen Downloads für die Tagesschau-App zeigen: Das Interesse der Menschen an diesem modernen Verbreitungsweg bei den Fernsehnachrichten ist sehr groß. Dem möchten wir gerecht werden.
Das Interview wurde in der promedia-Ausgabe Nr.
Tags: ARD, ARD-Digitalkanäle, Fernsehen, Internet, Radio, Rundfunkgebühren, Social Media, Tagesschau-App, Verleger, Videoplattform, WDR, Zuschauer Print article