Tagesschau-App: Ein „nutzloses“ Urteil

ARD sieht keine Veranlassung, an Tagesschau.de-App Änderungen vorzunehmen- „Ein Urteil in dieser Sache ist ‚nutzlos‘“
Interview Dr. Werner Hahn, Justitiar des Norddeutschen Rundfunks (NDR)
Im Rechtsstreit um die Tagesschau.de-App rief das Landgericht Köln rief am 19. Juli 2012 beide Seiten erneut zu einer gütlichen Einigung auf. „Wir werden die ‚Tagesschau‘-App nicht verbieten oder nicht nicht verbieten. Das Einzige was wir tun können, ist, eine Momentaufnahme zu liefern“, sagte der Vorsitzende Richter Dieter Kehl bei der zweiten Verhandlungsrunde im Gericht.
Acht Zeitungsverlage haben gegen das kostenlose Internetangebot der ARD für mobile Endgeräte geklagt, weil es nach ihrer Ansicht zu presseähnlich und nicht ausreichend auf die Sendebeiträge der „Tagesschau“ bezogen ist. Damit verstoße das Angebot nach ihrer Auffassung gegen den Rundfunkstaatsvertrag. Richter Kehl machte deutlich, dass die Schwerpunkte bei den Verlegern auf Text/Foto vor Audio/Video liegen sollten, bei den öffentlich-rechtlichen Sendern verhalte es sich umgekehrt – hier sei der Schwerpunkt Audio/Video. So stehe es zweifelsfrei im Gesetz, sagte er. Eine feste Definition sei seiner Einschätzung nach schwierig. BDZV-Präsident Helmut Heinen schließt eine Einigung nicht aus. Sie müsse jedoch sachlich gerechtfertigt sein. „Wir werden nicht hinter die im Februar gemeinsam mit den Intendanten von ARD und ZDF ausgehandelte Vereinbarung zurückgehen.“ Sollten sich beide Seiten nicht miteinander verständigen, werde das Gericht Ende September zu einer Entscheidung kommen.
Herr Hahn, welche eindeutigen Aussagen hat das Kölner Gericht gestern getroffen, die für die Gestaltung von Apps des öffentlich-rechtlichen Rundfunks relevant sind?
Dr. Werner Hahn: Das Gericht hat erneut erklärt, dass eine Wettbewerbskammer gerade keine grundsätzlichen Leitlinien für die Gestaltung der tagesschau.de-App beschließen kann. Das Gericht vertritt aus diesem Grund die Auffassung, dass ein Urteil in dieser Sache eigentlich „nutzlos“ wäre.
Inwieweit ist das Gericht über das hinaus gegangen oder hat es neu interpretiert, was im 12. RÄStV zu presseähnlichen Angeboten festgelegt worden ist?
Dr. Werner Hahn: Die Frage, was „presseähnlich“ im Einzelfall bedeutet, ist auch für das Landgericht Köln schwer zu entscheiden. Das Gericht hat daher keine Definition der Presseähnlichkeit vorgenommen, aber deutlich gemacht, dass das Verbot nichtsendungsbezogener presseähnlicher Telemedien das gesamte Angebot zu berücksichtigen hat und nicht nur einzelne Beiträge, die eine Kombination aus Text und Bild darstellen. Diese Auffassung haben wir im Gegensatz zu den klagenden Verlagen – in Übereinstimmung mit entsprechenden Rechtsgutachten – schon immer vertreten.
Würden Sie die Aussagen des Gerichts auch so interpretieren, dass „presseähnliche Angebote durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wenn sie sendungsbezogen sind, möglich sind“?
Dr. Werner Hahn: Dies entspricht der geltenden Rechtslage: Gemäß § 11 d Abs. 2 Ziffer 3 RStV sind lediglich nichtsendungsbezogene presseähnliche Inhalte unzulässig.
Einer der Hauptstreitpunkte ist anscheinend der Umfang der Texte bei der Tagesschau-App. Wie umfangreich dürfen Ihrer Meinung nach diese Texte sein und kann man „umfangreich“ näher bestimmen?
Dr. Werner Hahn: Bereits in der Begründung des Rundfunkstaatsvertrags hat der Gesetzgeber klargestellt, dass „nichtsendungsbezogene Telemedienangebote der Rundfunkanstalten Texte aufweisen dürfen, denn das Verfassen und Lesen von Texten ist eine Kulturtechnik. Texte werden beispielsweise bereits benötigt, um dem Nutzer überhaupt den zielgerichteten Zugriff auf ein Telemedium zu ermöglichen. Bei nichtsendungsbezogenen Telemedien ist beispielsweise auch zu erwarten, dass Texte erforderlich sind, um durch Ton und Bild dargestellte Gestaltungselemente für den Nutzer kognitiv erfassbar zu machen. Auch vor dem Hintergrund des inhaltlichen Anspruchs, den Absatz 3 über § 11 hinaus formuliert, ist es angemessen, dass nichtsendungsbezogene Telemedien eine dem jeweiligen Thema entsprechende Kombination von Text, Ton und Bild aufweisen.“
Für den Umfang der Texte kann es daher keine starre Grenze geben. Es kann nicht der Einschätzung von Juristen obliegen, was zum Beispiel im Einzelfall für den „zielgerichteten Zugriff“ erforderlich ist. Dies ist Aufgabe der Redaktionen, die insoweit eine journalistisch-redaktionelle Gestaltungsmöglichkeit haben müssen.
Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass nicht die Vorlieben der Nutzer für die Gestaltung der Telemedienangebote von ARD und ZDF vorrangig seien, sondern die wettbewerbsrechtlichen Bedingungen. Wie beurteilen sie diese wettbewerbsrechtlichen Bedingungen?
Dr. Werner Hahn: Die tagesschau.de-App ist beim Nutzer äußerst beliebt und hat daher jüngst beim Grimme Online Award den Publikumspreis erhalten. Aus rechtlicher und insbesondere wettbewerbsrechtlicher Sicht sind die Interessen der Nutzer zwar nicht ausschlaggebend. Aber ebenso wenig kann nach Aussage des Gerichts ein zivilrechtliches Urteil eine sachgerechte Lösung der streitigen Grundsatzfragen herbeiführen. Wir sind überzeugt, mit tagesschau.de und der darauf basierenden App für die Nutzer ein attraktives Angebote bereitzustellen, das sich auch innerhalb rechtlicher Vorgaben bewegt.
Bedeutet dieser Hinweis eine Einschränkung für die Apps des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?
Dr. Werner Hahn: Das Gericht kann derzeit eigentlich noch nicht einmal über die tagesschau.de-App in der Version entscheiden, wie sie am 15.06.2011 abrufbar war, da diese nicht zuletzt mit Blick auf die gesetzlichen Depublikationspflichten nicht mehr vorhanden ist und die Klägerinnen einräumen mussten, dass sie dem Gericht gerade keinen vollständigen Überblick über das App-Gesamtangebot gegeben haben. Die Aussagekraft einer gerichtlichen Entscheidung ist daher für andere Telemedienangebote recht marginal.
Sehen Sie nach dieser Verhandlungsrunde die Notwendigkeit, an der App etwas zu ändern?
Dr. Werner Hahn: Derzeit besteht kein Handlungsbedarf. Unabhängig vom laufenden Verfahren arbeitet ARD aktuell seit geraumer Zeit daran, die Angebotsmischung aufzufächern. Konkret bedeutet dies, dass immer mehr multimediale Inhalte, also insbesondere Audios und Videos, auf tagesschau.de abrufbar sein werden. Da die App lediglich ein technischer Ausspielweg von tagesschau.de mit den gleichen Inhalten ist, wird sich dies also auch in der App niederschlagen.
Die ARD-Vorsitzende und auch Sie haben gleich nach dem Verhandlungstermin für eine Fortsetzung der Gespräche mit den Verlegern plädiert. Nun hat dazu BDZV-Präsident Heinen erklärt: „Wir werden nicht hinter die im Februar gemeinsam mit den Intendanten von ARD und ZDF ausgehandelte Vereinbarung zurückgehen.“ Sind diese Ergebnisse auch für Sie Basis weiterer Gespräche?
Dr. Werner Hahn: Sicherlich können die bisher geführten Gespräche nicht ausgeblendet werden. Fakt ist, dass sich mit den bislang erstellten Entwürfen aber keine Einigung erzielen ließ. Ein Ausweg könnte zum Beispiel die Einrichtung einer in den bisherigen Überlegungen bereits angelegten Clearing-Stelle sein.
Nachdem das Gericht anscheinend kein eindeutiges Urteil zur Rechtmäßigkeit der Tagesschau-App fällen wird, sehen Sie die Notwendigkeit, dass die Politik den Presseähnlichkeits-Passus des 12. RÄStV überarbeitet?
Dr. Werner Hahn: Es ist kaum vorstellbar, dass nach all den dazu erstellten Gutachten, Aufsätzen und in anderer Weise geäußerten Interpretationsansätzen eine Norm geschaffen wird, die so konkret ist, dass Streitigkeiten gänzlich oder weitgehend ausgeschlossen sind. Die Eigenständigkeit des Mediums Internet und damit seine „Sprache“ ist meines Erachtens im aktuellen Staatsvertrag nicht hinreichend beachtet worden. Ein im Internet dargebotener Text ist in den seltensten Fällen mit einem klassischen Presseerzeugnis vergleichbar. Es ist daher sachgerecht, wenn sich die Parteien an einen Tisch setzen und selbst zu praktikablen Lösungen kommen. Dies dürfte auch den Nutzern am meisten entgegenkommen.
Das Interview wurde in der promedia-Ausgabe Nr. 08/2012 erstveröffentlicht.