Musikwirtschaft:
„Es ist noch nicht wieder alles gut“

Musikindustrie fordert Providerhaftung, um Online-Piraterie zu bekämpfen
09.12.13 Interview mit Dr. Florian Drücke, Geschäftsführer des Verbandes der Musikindustrie
Die deutsche Musikindustrie erwartet nach Jahren des Umsatzrückganges für 2013 eine schwarze Null. Wie Dr. Florian Drücke, Geschäftsführer des Verbandes der Musikindustrie, in einem medienpolitik.net-Interview informierte, wurde im 1. Halbjahr ein kleiner Zuwachs verzeichnet. Das Digitalgeschäft wachse weiter, vor allem beim Streaming während im Bereich der Downloads das Wachstum nicht mehr so groß sei. Nach wie vor belaste die Online-Piraterie das Geschäft der Musikwirtschaft. Deshalb fordert Drücke als „Schwerpunkt der künftigen politischen Schadensbegrenzung die Providerhaftung“.
medienpolitik.net: Herr Drücke, wird das Jahr 2013 für die deutsche Musikindustrie ein gutes Jahr?
Dr. Florian Drücke: 2013 ist für die deutsche Musikindustrie ein sehr spannendes Jahr, und ich bin optimistisch, dass es auch wirtschaftlich ein erfolgreiches Jahr wird. Nach wie vor ist es möglich, dass wir die schwarze Null erreichen. Wir haben zum ersten Mal seit langem zum Halbjahr einen kleinen Zuwachs verzeichnen können und jetzt wird sich zeigen, inwiefern das Weihnachtsgeschäft zu einem positiven Jahresabschluss beitragen kann.
medienpolitik.net: Was kennzeichnet die Spannung in diesem Jahr?
Dr. Florian Drücke: Die Angebotsvielfalt unserer Branche konnte über verschiedene Distributionswege unseren Kunden noch besser präsentiert werden und das wurde im digitalen Bereich auch stärker genutzt. So sind zum Beispiel mit Vevo und AMPYA jüngst neue digitale Dienste in den deutschen Markt eingetreten.
medienpolitik.net: Wie sehen Sie das Digitalgeschäft für 2013 insgesamt?
Dr. Florian Drücke: Das Digitalgeschäft wächst. Wir haben insbesondere im Bereich der Streaminganbieter eine erhebliche Wachstumsdynamik. Das liegt natürlich auch an dem relativ niedrigen Einstiegsniveau. Im Bereich der Downloads, die immer noch einen Großteil des Digitalmarktes ausmachen, ist das Wachstum leider nicht mehr so groß, insgesamt hat sich das Digitalgeschäft aber bis zum Halbjahr gut entwickelt.
medienpolitik.net: Sie sagten: „Vielleicht schaffen wir 2013 die schwarze Null“. Das heißt, Sie rechnen für die nächste Zeit mit einem langsamen, aber stabilen Wachstum?
Dr. Florian Drücke: Wir haben uns in den vergangenen Jahren oft gefragt, wann der Turnaround kommt. Wir wissen, dass hier viele Faktoren ineinandergreifen müssen. Deshalb bin ich mit einer rundum positiven Prognose vorsichtig. Die Musikindustrie befindet sich immer noch in einer Stabilisierungsphase – erst wenn die neuen digitalen Angebote in der Breite greifen und mit Blick auf die nach wie vor starke Nutzung illegaler Angebote auch die Rahmenbedingungen im Netz stimmen, dann darf man wieder mit Wachstum rechnen. Immer vorausgesetzt, dass wir im physischen Markt keine Einbrüche verzeichnen.
medienpolitik.net: Der physische Markt machte 2012 noch 80 Prozent der Umsätze aus. Dieser Markt wird also auch in den nächsten Jahren die Haupteinnahmequelle der Musikindustrie bleiben?
Dr. Florian Drücke: Die Haupteinnahmequelle werden die physischen Produkte bleiben, aber sie sind eine abschmelzende Einnahmequelle. Wir gehen nicht davon aus, dass dieser hohe Anteil in den nächsten Jahren gehalten werden kann, sondern wir wissen, dass das physische Produkt CD weiter an Bedeutung verlieren wird. Aber es ist eher ein langsames Zurückgehen als ein drastischer Rückgang, wie wir es in anderen internationalen Musikmärkten erlebt haben.
medienpolitik.net: Man geht im Allgemeinen davon aus, dass Jugendliche, die viel Musik hören, dies insbesondere digital tun. Wie kommt es, dass es keinen drastischen Einbruch, sondern nur ein langsames Abschmelzen gibt?
Dr. Florian Drücke: Zur Beantwortung müssten wir uns den demographischen Wandel und das Thema „Alt und Jung in Deutschland“ ansehen. Auch die Jüngeren kaufen CDs. Allerdings steht bei diesen die digitale Nutzung naturgemäß stärker im Vordergrund im Vergleich zu den Älteren.
medienpolitik.net: Auch Jüngere nutzen also CDs weiterhin?
Dr. Florian Drücke: Wir bieten heute ein so breites Spektrum an Verbreitungsarten, dass sich jeder individuell nach seiner Nutzungsart orientieren kann. So verzeichnet zum Beispiel der Nischenmarkt Vinyl erhebliche Zuwächse. Auch hier kaufen sowohl die Jungen als auch die Alten. Der Musikmarkt ist ein Markt, indem man sich als Nutzer sehr frei entscheiden kann.
medienpolitik.net: Welche Altersgruppe ist der größte Musikkäufer?
Dr. Florian Drücke: Das sind die Menschen mit einem Alter über 50 Jahren. Die größte Käuferreichweite haben wir im Alter von 30 bis 39 Jahren, hier wird aber nicht so viel Umsatz generiert wie in der Altersgruppe 50 Plus.
medienpolitik.net: Die Umsätze der Musikindustrie haben sich trotz der positiven Tendenz in diesem und im letzten Jahr im Vergleich zu den vergangenen zehn Jahren halbiert. Welche Konsequenzen hat das für die Musikwirtschaft? Darüber wird kaum noch gesprochen…
Dr. Florian Drücke: Das stimmt leider, darüber wird zurzeit kaum noch geredet. Manche Politiker und Medien versuchen den Eindruck zu erwecken, dass wir den Turnaround bereits geschafft hätten. Allerdings haben wir durch den starken Einbruch in der Musikbranche eine existenzielle Krise erlebt. Diese Krise wirkt noch fort und es ist nicht so, dass diese Zeit abgeschüttelt ist und man sich nun in einer Welt befindet, in der auf Grund neuer Angebote alles wieder gut ist. Zu dieser Krise gehörte, dass die Politik den Markt einer gewissen Orientierungslosigkeit überlassen hat, indem sie nicht frühzeitig genug regulierend tätig geworden ist. Was fehlte und nach wie vor fehlt sind Rahmenbedingungen, mit denen die illegale Nutzung effektiv eindämmt werden können und zugleich eine Aufklärung, die den Nutzer zu den legalen Angeboten im Markt führt und klar beantwortet, was erlaubt ist und was nicht.
medienpolitik.net: Die Musikindustrie wird in jüngster Zeit von der Politik als Vorbild für die gesamte Medienindustrie gepriesen, wie man erfolgreiche Geschäftsmodelle entwickeln und dem Abwärtstrend entgegen wirken kann. Wie haben Sie den Wandel trotz der Problem geschafft?
Dr. Florian Drücke: Ich bin davon überzeugt, dass wir uns als Sparringspartner sehr gut anbieten. Wir haben eine hohe Expertise, weil wir erst-und schwerstbetroffen waren und dadurch als Branche sehr schnell, sehr viel lernen mussten. Das, was gerade am Markt greift, ist unsere Diversifizierungsstrategie und das sind die neuen Angebote, die gemeinsam mit Partnern entwickelt wurden. Der Nutzer soll dort abgeholt werden, wo er sich befindet. Wir versuchen den Nutzern möglichst immer und überall das „Ökosystem“ zu bieten, das er gerade sucht. Das bedeutet aber auch, dass man sich davon verabschieden muss, „ein“ oder „das“ bestimmte Geschäftsmodell zu definieren, welches dann den meisten Umsatz bringen muss. Es geht vielmehr darum, dass wir für die jeweilige Nutzungsart für die entsprechenden Inhalte maßgeschneidert, nutzerfreundliche Geschäftsmodelle anbieten, die natürlich mit den technologischen Entwicklungen Schritt halten müssen. Unsere Erfahrungen, die wir in diesem schwierigen Prozess gesammelt haben, teilen wir gern mit anderen Branchen. Dazu gehört im Übrigen auch, dass man seine Rechte entschieden verteidigen muss.
medienpolitik.net: Die Rechteverteidigung ist Ihnen in den letzen vier Jahren nicht so gut gelungen. Nun gibt es die These, dass mit einer großen Vielfalt legaler digitaler Angebote, die Onlinepiraterie automatisch zurückgeht. Hat sich das Thema Piraterie mit über 70 Downloadplattformen trotz der Handlungsblockade der Regierung erledigt?
Dr. Florian Drücke: Nein, sicher nicht. Ich würde auch widersprechen, dass die Rechteverteidigung nicht gut gelungen ist. Tatsächlich sind unsere Mitglieder und auch viele andere Branchen im Bereich der individuellen Rechtsdurchsetzung aktiv gewesen. Dazu gehören die Abmahnungen, mit denen man individuell vorgehen musste, weil es keine Alternative gibt. Das wurde konsequent weiter betrieben. Leider bedeutet mehr Angebot nicht automatisch weniger Piraterie. Genauso gut könnte man behaupten, dass die Marktstabilisierung einzig in der Rechtsdurchsetzung begründet liegt. Es gibt keine monokausale Herleitung: Wir waren immer davon überzeugt, dass wir das Angebot permanent weiter entwickeln müssen und parallel dazu im Bereich der Aufklärung und Abschreckung nicht nachlassen dürfen.
medienpolitik.net: Wie hat sich der Onlinediebstahl in den vergangenen Jahren verändert? Ist es schwieriger geworden ihn mit Sanktionen zu begrenzen?
Dr. Florian Drücke: In den vergangenen fünf Jahren haben die Filesharing-Aktivitäten in Deutschland abgenommen, Sharehoster sind stärker in den Vordergrund getreten. Wichtig ist, dass man frühzeitig reagieren muss, wenn der illegale Markt technische oder rechtliche Möglichkeiten nutzt. Als aktuelles Beispiel wurde der Dienst Mega von Kim Schmitz nicht etwa heimlich still und leise am Ende der Welt gegründet, sondern diese Plattform wurde zum Teil sogar als positive Kampfansage gegen die etablierte Kultur-und Kreativwirtschaft hochstilisiert.
medienpolitik.net: Das Warnhinweismodell, wurde von der Kreativwirtschaft zur Vorbeugung gegen Piraterie favorisiert. Dieses Modell ist aber anscheinend politisch nicht durchsetzbar. Was ist die Alternative?
Dr. Florian Drücke: Es ist bedauernswert, dass das Warnhinweismodell politisch diskreditiert worden ist. Es bestand in gewissen Kreisen nicht die Bereitschaft sich detaillierter damit auseinander zu setzen und zu überlegen, wie man mit solch einem System ein Element des gesamtgesellschaftlichen Konsenses wieder herstellen kann. Nämlich den Konsens, dass es bei bestimmten Verstößen zu einer Sanktion kommen muss. Stattdessen haben wir gesehen, dass eine Abmahndeckelung beschlossen wurde, ohne detaillierte Analyse dessen, was in diesem Bereich tatsächlich vor sich geht. Ich denke, dass ein Schwerpunkt der künftigen politischen Schadensbegrenzung die Providerhaftung sein muss. Das stand auch schon in der letzten Legislaturperiode im Raum. Und parallel dazu kann Aufklärungsarbeit im Bereich der Medienkompetenz zielführend sein.
medienpolitik.net: Sehen Sie beim Koalitionsvertrag Ansätze für einen Bewusstseinswandel, sodass man dem Thema „Schutz des Urheberrechtes“ in den nächsten vier Jahren eine größere Aufmerksamkeit als in der Vergangenheit widmen wird?
Dr. Florian Drücke: Erste Ansätze sind festzustellen. Gerade das Thema Rechtsdurchsetzung und der Bereich Kultur- und Kreativwirtschaft haben so viele Querschnittsbezüge zu Wirtschaft, Recht, Innenpolitik, Kultur, Verbraucherschutz und der „digitalen Agenda“, dass es am Ende in unserem Bereich in besonders hohem Maße darauf ankommt, inwiefern dieses Kaleidoskop ein Bild ergibt, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit einem besseren Urheberrechtschutz erkennen lässt.
medienpolitik.net: Welchen konkreten Wunsch zum Schutz des Urheberrechtes haben Sie an die neue Bundesregierung, der nach vier Jahren Regierungszeit umgesetzt sein müsste?
Dr. Florian Drücke: Ich würde mir wünschen, dass die neue Bundesregierung dieses Thema grundsätzlich besetzt und für einen starken Schutz des geistigen Eigentums auch eine Führungsrolle in Europa einnimmt. Diese Führungsrolle muss mit deutschen Handlungen untermauert werden, wie zum Beispiel einem Inhalte-Gipfel oder der Verschärfung der Providerhaftung.
Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe Nr. 12/2013 erstveröffentlicht.