Regulierung:
„Das Netz lässt sich mit herkömmlichen Mitteln schwer regulieren“

Digitaler Kodex für Deutschland?
21.05.14 Interview mit Dr. Till Kreutzer, Rechtsanwalt und Partner bei iRights.Law sowie Gründungsmitglied und Redakteur von iRights.info
„Braucht Deutschland einen Digitalen Kodex?“ – ein Projekt vom Deutschen Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) wurde bei dem unabhängigen Think Tank „iRights.Lab“ in Auftrag gegeben. Dr. Till Kreutzer, Partner von iRights.Lab: „Vermutlich schon. Wir haben herausgefunden, dass das Netz sich mit herkömmlichen Mitteln häufig schwer regulieren lässt. Ein digitaler Kodex ist dabei nur ein Sinnbild für eine alternative Regulierungsform für das Netz. Also: Wie sorge ich dafür, dass im Netz Regeln eingehalten, eingeführt, konzipiert und durchgesetzt werden und damit dieses Chaos beendet wird, das an vielen Ecken und Enden besteht.“
medienpolitik.net: Braucht Deutschland einen digitalen Kodex?
Till Kreutzer: Vermutlich schon. Das ist eine sehr komplexe Frage, die zunächst einfach klingt, aber so einfach ist es nicht, diese Frage zu beantworten. Wir haben uns in dem Projekt „Braucht Deutschland einen Digitalen Kodex?“ lange mit der Frage nach einem digitalen Kodex auseinandergesetzt und dabei herausgefunden, dass das Netz sich mit herkömmlichen Mitteln häufig schwer regulieren lässt. Ein digitaler Kodex ist dabei nur Sinnbild für eine alternative Regulierungsform für das Netz. Also: Wie sorge ich dafür, dass im Netz Regeln eingehalten, eingeführt, konzipiert und durchgesetzt werden und damit dieses Chaos beendet wird, das an vielen Ecken und Enden besteht.
medienpolitik.net: Sehen Sie bestimmte Bereiche wie z.B. das Urheberrecht, die man regeln sollte?
Till Kreutzer: Ja. Wir haben verschiedene Themenfelder adressiert, um uns in Modellen anhand konkreter Beispiele Gedanken machen zu können. Ein sehr wichtiges Thema ist zum Beispiel der Schutz von personenbezogenen Informationen in sozialen Netzwerken, was ja im Moment noch nicht wirklich funktioniert, um es gelinde auszudrücken. Urheberrecht ist ein anderes Beispiel, was denkbar wäre. Die Themen hängen sehr stark von den einzelnen Fragestellungen ab.
medienpolitik.net: Dazu passt ja eine Entscheidung des EuGH vom 13. Mai 2014, der ganz plakativ gesagt hat, es gibt auch im Netz ein Recht auf Vergessen. Einige Leute sind der Meinung, das sei eine Katastrophe für das Netz und seine Inhalte, andere wiederum sagen, das Urteil sei für den Schutz der Menschen unerlässlich gewesen. Was meinen Sie dazu?
Till Kreutzer: Was das Urteil des EuGH betrifft, bin ich äußerst ambivalent. Das ist eine schwierige Entscheidung, weil es im Prinzip um die Abwägung von öffentlichen und individuellen Interessen geht: auf der einen Seite das individuelle Interesse des Betroffenen, der im Netz auftaucht und dort nicht mehr auftauchen will, und auf der anderen Seite das öffentliche Interesse am Funktionieren von Suchmaschinen im Allgemeinen. Das Besondere am Internet ist eigentlich, dass Geschichte nicht hinterher korrigiert wird und ein wesentlicher Vorteil des Internet liegt darin, dass Geschichte für jedermann nachvollziehbar ist. Das war früher nie so. Es gab zwar immer schon Archive, aber diese waren nur selektiv zugänglich. Insofern hat sich in dem Bereich schon einiges zum Positiven geändert und jede Entscheidung dieser Art sorgt nun einmal dafür, dass in dieses System eingegriffen wird. Da stellt sich dann tatsächlich die Frage, ob so ein Beschluss wie der vom EuGH unterm Strich, wenn man dieses Individualinteresse – was meines Erachtens absolut gerechtfertigt ist – und das Gemeinwohlinteresse miteinander abwägt, wirklich so eine gute Idee ist.
medienpolitik.net: Brauchen wir in Sachen Netzneutralität in Deutschland oder gar Europa Regulierungen?
Till Kreutzer: Ich würde sagen, ja. Das ist ein klassischer Fall für herkömmliche Regulierungsmethoden. Es hat sich mittlerweile herausgestellt – anders als noch vor ein paar Jahren, als es eher ein ungutes Gefühl als belegt war –, dass faktisch sehr viele Verstöße gegen die Netzneutralität vorkommen. Da es offensichtlich keine effizienten Regeln gibt, die entsprechende Prinzipien festschreiben, das geltende Recht also nicht ausreichend ist, muss es im Zweifel auf europäischer Ebene Regeln geben, die dieses Grundprinzip festschreiben. Solche hat das Europäische Parlament jüngst auch beschlossen. Ob diese Regeln verabschiedet werden und dann gegenüber ausländischen Anbietern auch effizient durchgesetzt werden können, wird sich zeigen müssen. Immerhin hat der EuGH in der Entscheidung über das Recht zum Vergessen entschieden, dass es nicht darauf ankommt, ob die Daten in Kalifornien gespeichert werden oder ob Google seinen Hauptsitz in den USA und in Europa nur eine Niederlassung hat. So oder so ist europäisches Recht in Europa anwendbar. Ob und wie effizient es gegenüber ausländischen Anbietern durchgesetzt werden kann, wird sich auch an diesem Beispiel noch herausstellen müssen. Hier wird interessant sein zu sehen, wie Google auf die Entscheidung reagiert.
medienpolitik.net: Angenommen, Sie hätten einen Wunsch für die digitale Welt im Netz frei, wie würde dieser lauten?
Till Kreutzer: Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mich etwas weiter aus dem Thema herausbegeben und sagen, es wäre schon sehr wichtig, dass das Vertrauen in die Kommunikation über Netzwerke wieder hergestellt wird. Das kann nur dadurch gelingen, dass Geheimdienste und ähnliche Organisationen an die parlamentarische Kandare genommen werden und wieder demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien unterworfen werden. Mein Eindruck ist, dass sich das System dermaßen verselbständigt hat, dass keiner mehr weiß und entsprechend niemand kontrollieren kann, was solche Dienste alles tun. Es scheint so, als würde gemacht, was möglich ist, unabhängig davon, ob es hierfür auch gesetzliche Grundlagen gibt. Das muss aufhören!