Netzpolitik:
Großer Sieg für – was eigentlich?

Netzneutralität und Europa
12.05.14 Von Thomas Jarzombek, MdB, internetpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Es überschlug sich regelrecht auf Twitter: Großer Sieg für die Netzneutralität im europäischen Parlament! Strittige Abstimmungen pro Netzneutralität entschieden! Aha. Alles klar? Nun ja. Denn jetzt ist der Pulverdampf verzogen und die breite Freude nach der Abstimmung im Europäischen Parlament weicht der Diskussion über die Interpretation der Beschlüsse des Europäischen Parlaments.
Wie aber ist zuerst einmal die deutsche Position? Der Koalitionsvertrag der großen Koalition ist eindeutig: „Der Erhalt des offenen und freien Internets, die Sicherung von Teilhabe, Meinungsvielfalt, Innovation und fairer Wettbewerb sind zentrale Ziele der Digitalen Agenda. Der diskriminierungsfreie Transport aller Datenpakete im Internet ist die Grundlage dafür. Dabei ist insbesondere auch sicherzustellen, dass Provider ihre eigenen inhaltlichen Angebote und Partnerangebote nicht durch höhere Datenvolumina oder schnellere Übertragungsgeschwindigkeit im Wettbewerb bevorzugen. Die Gewährleistung von Netzneutralität wird daher als eines der Regulierungsziele im Telekommunikationsgesetz verbindlich verankert und die Koalition wird sich auch auf europäischer Ebene für die gesetzliche Verankerung von Netzneutralität einsetzen. Die Bundesnetzagentur wird ermächtigt und technisch sowie personell in die Lage versetzt, die Einhaltung dieses Ziels zu überwachen.“ Und weiter: „Das so genannte Best-Effort-Internet, das für die Gleichberechtigung der Datenpakete steht, wird in seiner Qualität weiterentwickelt und darf nicht von einer Vielzahl von „Managed Services“ verdrängt werden.“[1] Der Koalitionsvertrag muss im Europäischen Rat die Richtschnur für Verhandlungen sein.
Was bedeutet nun der Beschluss des EP konkret, trägt er all dem Rechnung? In einem Bericht der Bundesregierung vor dem Ausschuss Digitale Agenda hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie am 10. April 2014 nun seine Einschätzung dargelegt. Kurz: Man könne anhand der Beschlüsse der Europaabgeordneten schwer definieren, was Spezialdienste in engen Grenzen seien und wie diese vom Best-Effort-Internetverkehr entkoppelt werden könnten, denn die Formulierung fordert „logisch getrennte Kapazitäten und mit strenge[…] Zugangskontrolle[n]“, sie sollen außerdem nur für Video-on-Demand, Telefonkonferenzen und Ferndiagnose möglich sein. Was aber konkret eine logisch getrennte Kapazität ist, darüber herrschte allgemeine Ratlosigkeit. In dieser Unbestimmtheit besteht eine große Gefahr.
Dabei gibt es Grundlagen, auf denen man aufbauen kann. Bereits im Jahr 2012 wurde in Deutschland das Prinzip der Netzneutralität in §41a des Telekommunikationsgesetzes verankert. Damit kann die diskriminierungsfreie Datenübermittlung und der diskriminierungsfreie Zugang zu Inhalten und Anwendungen in einer Verordnung festgeschrieben werden, um eine willkürliche Verschlechterung von Diensten und eine ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs in den Netzen untersagt werden.
Das Bundesministerium für Wirtschaft hat in der Sitzung des Ausschusses aber angekündigt, dass es diese Ermächtigung zur Verordnung aber vorerst nicht nutzen möchte. Zunächst sollen die Gespräche im Europäischen Rat und die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament abgewartet werden. Ein nationaler Alleingang zum Thema Netzneutralität wäre auch nicht wünschenswert. Der globale Datenverkehr im Internet findet gerade nicht innerhalb eines nationalen Netzes, sondern über Netz- und Staatsgrenzen hinweg, auch in ganz anderen Rechtsräume statt und muss mit anderen internationalen Vorgaben verträglich sein. Es ist zweifelsfrei sinnlos Netzneutralität zu definieren, wenn auf dem ersten Streckenabschnitt außerhalb Deutschlands genau diese Dienste dann einschränkt werden. Deshalb ist eine europäische Lösung so wichtig.
Für mich ist dabei auch der wirtschaftliche Blick auf das Thema von Bedeutung. Kleinere Unternehmen dürfen nicht durch exklusive Vereinbarungen zwischen Internet Service Providern und großen, marktbeherrschenden Inhalteanbietern aus dem Wettbewerb gedrängt werden. Am Ende darf es nicht dazu kommen, dass ein Standardtarif irgendwann nur noch einen Mini-Flatrate-Sockel enthält und ergänzt wird durch a) Dienste, die keine weiteren Kosten verursachen weil mein Provider Verträge mit einem einzelnen Anbieter geschlossen hat und b) Diensten, bei denen Nutzer weitere Aufpreise bezahlen müssen.
Konkret: Eine Diensteklasse „Musik-Streaming“ einzuführen zu nehmen ist in Ordnung, dann müssen aber auch alle Anbieter solcher Dienste genutzt werden können und nicht nur ein einzelner Platzhirsch. So wird Innovation gefördert und nicht gebremst.
Maßnahmen zum Netzwerkmanagement und Qualitätsklassen sind heute Gang und Gäbe, das wird in Zukunft auch weiter so sein und sein müssen. Dabei besteht natürlich die Gefahr, dass ein Anreiz entstehen könnte, möglichst oft das Etikett „Managed Service“ an irgendwelche Produkte zu heften, um sie aus dem „klassischen“ Internet zu nehmen, obwohl es am Ende keinen Unterschied gibt. Das zeigt deutlich, dass die Medaille Netzneutralität natürlich zwei Seiten hat.
Bei den Leitungen der Endkunden sind häufig Kapazitätsrestriktion vorhanden, ein Grund warum weitere Schritte zur Transparenz bei Anschlüssen geplant sind. Das bis zu 16 MBit/s in der Werbung sind oft eben nicht 16 MBit/s am Anschluss. Die andere Seite sind die Kapazitäten im Kernnetz bzw. Backbone der Betreiber, hier kann ein Betreiber natürlich beliebig aufstocken, hier kann er eine geordnete Planung und Ausbau des Netzes vorantreiben. Wer aber ernsthaft glaubt, dass Anbieter ihr Netz bewusst verknappen und damit verschlechtern, um ihren Kunden Aufpreise abzuknüpfen, der muss diese in einem wettbewerblichen Umfeld für todesmutig halten. Hier ist es vor allem wichtig, einen funktionierenden Markt sicherzustellen, indem auch Transparenz über die tatsächlichen Leistungen herrscht.
Oder soll etwa eine Behörde das Verhältnis von Managed Services zu Best-Effort-Internet kontrollieren? Und am Ende blaue Briefe verschicken auf bedrucktem Recyclingpapier? So hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vor dem Ausschuss Digitale Agenda im Bundestag erst kürzlich erklärt, es führe kein Buch über Verstöße gegen die Netzneutralität.[2]
Klar muss am Ende sein: Es darf kein Internet der Deals geben. Soll heißen: Niemand darf diskriminiert werden. Also keine Exklusivverträge, keine Preisdifferenzierungen zwischen „Großen“ und „Kleinen“ und auch keine anderen Ungleichbehandlungen.
Klar muss aber auch sein: Es muss Klarheit herrschen. Das Kauderwelsch des Europäischen Parlaments erscheint zu Stunde ungeeignet, einen rechtssicheren Zustand herbeizuführen. Mir ist es jedenfalls bislang nicht gelungen, eine operationalisierbare Definition zu bekommen was nun gehen soll und was nicht. Sorry, that‘s no better regulation.
Es wäre ein Armutszeugnis, wenn die Politik nicht zu einer klaren Definition im Stande wäre und einmal mehr die Gerichte bräuchte, um aus einem Haufen Durcheinander tatsächliches Recht zu machen. Mein Kollege Peter Tauber zitierte unlängst Meister Yoda: Tue es oder tue es nicht – es gibt kein versuchen. Diese Botschaft sollte bis nach Brüssel dringen.
[1] Deutschlands Zukunft Gestalten: Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (2013), abrufbar unter: https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf, S. 35f.
[2] Vgl. Heute im Bundestag vom 10. April 2014: Europäische Regelung zur Netzneutralität, unter: www.bundestag.de/presse/hib/2014_04/2014_189/01.html
Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe Nr. 5/2014 erstveröffentlicht.