Filmwirtschaft:
„Wir werden das FFG weiter reformieren“

FFA-Präsident fordert von TV-Sendern faire Vergütung bei digitaler Verwertung
11.09.14 Interview mit Bernd Neumann, Präsident der Filmförderungsanstalt (FFA) und Vorsitzender des Verwaltungsrates
Seit einem halben Jahr ist Bernd Neumann, ehemaliger Staatsminister für Kultur und Medien, neuer Präsident der wichtigsten Fördereinrichtung der deutschen Filmwirtschaft. In einem medienpolitik.net-Gespräch kritisiert er, dass „ARD und ZDF bei ihren Auftragsproduktionen rigide sparen und sie durch das „buy out“ gerade auch im Hinblick auf den Zweitverwertungsmarkt den Produzenten die Möglichkeit erschweren, ausreichend Kapital für neue Filme zu bilden.“ Neumann fordert von den Sendern die sogenannte Auftragsproduktion durch teilfinanzierte Modelle und durch ein Lizenzsystem wie in Großbritannien zu ersetzen, bei dem Produzenten bestimmte Verwertungsrechte behalten und daraus eine Refinanzierung und eine Wertschöpfung auf den Zweitverwertungsmärkten realisieren können.
medienpolitik.net: Herr Neumann, der DFFF wurde gekürzt, ARD und ZDF scheinen nicht bereit, die Auftragsproduktionen – bei steigenden Kosten – angemessen zu bezahlen und die digitale Verwertung fair zu vergüten. Und nun fordert die Politik auch noch verstärkt eine Abschaffung der 7-Tage-Regelung bei den Mediatheken. Wie soll das die Branche verkraften?
Bernd Neumann: Das kann die Branche auf Dauer nur schwer verkraften. Es ist unverkennbar, dass ARD und ZDF bei ihren Auftragsproduktionen rigide sparen und sie durch das „buy out“ gerade auch im Hinblick auf den Zweitverwertungsmarkt den Produzenten die Möglichkeit erschweren, ausreichend Kapital für neue Filme zu bilden. Und mit der Abschaffung der 7-Tage-Regelung bei den Mediatheken wird dazu noch eins draufgesetzt. Deshalb muss die Produzentenallianz als entscheidende Stimme der Filmwirtschaft dabei unterstützt werden, mit Hilfe der Politik diese Lage zu verändern bzw. letzteres zu verhindern. Im Übrigen geht es primär nicht nur um das Wohl der Produzenten, sondern die Folge würde ein Verlust der Qualität von Filmen sein und damit den Kinobesucher wie auch den Fernsehzuschauer direkt betreffen. Und bei möglichen Kürzungen des DFFF steht insbesondere die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Produktionsstandorts Deutschland auf dem Spiel. Deshalb darf sie nicht erfolgen.
medienpolitik.net: Verbände der Filmwirtschaft haben sich über die von Ihnen erwähnte Veränderung der 7-Tage-Regelung bei den Mediatheken besorgt gezeigt. Aber ist das nicht aus der Sicht der Zuschauer ein verständlicher Wunsch…
Bernd Neumann: Es ist unsere Aufgabe, genau diejenigen zu unterstützen und zu fördern, die Teil dieser Branche sind. Wenn einzelne öffentlich klagen, kann uns das natürlich nicht egal sein. Wir haben ein übergeordnetes Interesse, dass die Filmwirtschaft wächst und dass es ihr gut geht. Also nehmen wir solche Sorgen sehr wohl ernst. Im Augenblick wird ja in der Politik die Ausweitung bzw. Abschaffung der 7-Tage-Frist in den Mediatheken von ARD und ZDF diskutiert, aus Sicht des Fernsehzuschauers sicherlich ein durchaus nachvollziehbarer Wunsch. Mittlerweile melden sich jedoch Autoren, Produzenten und Regisseure zu Wort mit der Aussage, ARD und ZDF würden mit ihrer Mediathek die Kreativen „enteignen“, weil sie – ohne Wiederholungshonorare zu zahlen – dann mit deren Produktionen die Mediatheken fluten. Niemand werde sich die DVD, den VoD-Abruf oder die Lizenz eines Filmes kaufen, wenn dieser dauerhaft kostenlos und weltweit abrufbar sei. Begrenzte Verweildauern sind deshalb nach wie vor die Grundvoraussetzung für eine spätere wirtschaftliche Verwertung von Sendungen im Internet. Sollte die 7-Tage-Frist in den Mediatheken entfallen und Inhalte künftig länger verfügbar sein, dann müsste es auch eine faire Vergütung für Urheber und Produzenten geben. Aber im Augenblick glaube ich nicht an eine derartige Neuregelung.
medienpolitik.net: Trotz der DFFF-Kürzung bleiben immer noch über 300 Millionen Euro an Förderung. Wie kann die Branche dieses Geld vielleicht effektiver einsetzen, um mehr Zuschauer zu erreichen und mehr Filme international zu vermarkten?
Bernd Neumann: Vorweg: Monika Grütters kämpft dafür, dass die im Haushaltsentwurf reduzierte Summe für den DFFF durch die Abgeordneten wieder erhöht wird. Ich gehe davon aus, dass dieses klappt.
Im Übrigen – was heißt „effektiver einsetzen“? Der deutsche Film ist erfolgreich! Deutsche Filme sind bei uns seit vielen Jahren nicht nur ein ganz entscheidender Umsatzträger der Kinos, sie sorgen auch in der weiteren Auswertung auf DVD, im VoD-Bereich und im Fernsehen für steigende Umsätze und hohe Quoten. Sehen Sie sich doch einmal das Urteil des Verfassungsgerichts an, was dort im Februar über die Leistungsfähigkeit und Bedeutung des deutschen Films gesagt wurde – er sei ein unverzichtbarer Bestandteil der deutschen Filmwirtschaft, ja, mehr noch, auch unserer Kultur. Sicherlich, es gibt zwischendurch immer wieder auch schwierigere Jahre. 2014 war bislang ein solches Jahr, aber, bitte sehr, das geht doch auch allen anderen so! Schließlich haben wir gerade eine Fußball-Weltmeisterschaft hinter uns, bei der Deutschland erfreulicherweise auch noch Weltmeister geworden ist. In solchen Phasen halten sich Verleiher gerne – und aus nachvollziehbaren Gründen – mit attraktiven Filmstarts zurück, weil sie natürlich genau wissen, gegen welchen Konkurrenten sie da antreten würden. International betrachtet können wir sicherlich noch an der einen oder anderen Stelle nachlegen. Dennoch: Der deutsche Film wird in vielen Ländern der Erde durchaus erfolgreich vermarktet und verkauft sich nicht schlecht. Ich gebe zu, man kann immer alles noch ein wenig besser machen – manchmal aber sollte man dann doch lieber auch die Kirche im Dorf lassen.
medienpolitik.net: Nach wie vor beklagen die Produzenten, dass vor allem die „Schlussfinanzierung“ Probleme bereitet und Filme nicht gedreht werden können, weil noch 10 oder 20 Prozent fehlen. Kann hier die FFA mehr leisten oder haben Sie eine andere Idee, wie man aus diesem seit Jahren beklagten Dilemma herauskommt?
Bernd Neumann: Wenn Sie so wollen, begleitet uns dieses Thema tatsächlich seit Jahren, genauer genommen, seitdem es die FFA gibt. Und natürlich gibt es für die Produzenten bei der Schlussfinanzierung fast immer ein „gap“: Aber, um auf den Punkt zu kommen, genau deshalb habe ich in meiner Zeit als Kulturstaatsminister doch dafür gesorgt, dass der Deutsche Filmförderfonds geschaffen wurde und seither in der Verbindung mit der Förderung der FFA und den Ländern eine Vielzahl von überaus positiven Effekten und hoch produktiven Wirkungsmechanismen entwickelt. Diese Mittel sind auch dazu da, um die letzten 10 oder 20 Prozent bei der Filmfinanzierung zu schließen, was seit mittlerweile sieben Jahren sehr erfolgreich gelingt. Fragen Sie doch mal die Produzenten der 814 Filme, die in dieser Zeit bis zum heutigen Tage Mittel vom DFFF erhalten haben und ihre Filme zum großen Teil auch schon erfolgreich in die Kinos gebracht haben! Im Übrigen wird ja sogar vor einigen beklagt, dass bereits jetzt zu viele Filme produziert werden und an den Start gingen.
medienpolitik.net: Die öffentlich-rechtlichen Sender sind insgesamt anscheinend nicht bereit, die Produzenten stärker an der Wertschöpfungskette partizipieren zu lassen. Ist hier größerer politischer Druck, z.B. im Rundfunkstaatsvertrag notwendig?
Bernd Neumann: Ja, das ist unverzichtbar. Wobei ich sagen muss, dass Thomas Bellut vom ZDF, aber insbesondere die Filmbeauftragte der ARD Carola Wille die Problematik schon erkannt haben, aber leider bisher der Vollzug fehlt. Die Verantwortlichen beim Fernsehen wissen natürlich auch, dass die Wertschöpfungskette längst nicht mehr nur auf das Kino und den Videobereich beschränkt ist. Video-on-Demand ist nun einmal eine wichtige Verwertungsplattform, bei der die Fernsehsender gerne stärker mitverdienen möchten. Dass diese Situation insgesamt auf dem Zweitverwertungsmarkt für viele Produzenten in Deutschland eher suboptimal ist, steht außer Frage – schließlich benötigt der Produzent solche Erlöse, auch um neue Projekte zu entwickeln, die dann wiederum möglichst erfolgreich sein sollen und von denen am Ende auch das Fernsehen profitiert. Wenn aber andere die Hände auch auf diesen Teil der Wertschöpfung halten, fehlt dieses Geld.
medienpolitik.net: Der ORF kauft ein nationales VoD-Portal um seine Sendungen dort zu vermarkten und auch die Produzenten an den Erlösen zu beteiligen. Haben Sie noch die Hoffnung, dass es auch in Deutschland ein leistungsfähiges nationales VoD-Portal geben kann, an dem die öffentlich-rechtlichen Sender maßgeblich beteiligt sind?
Bernd Neumann: Man kann nicht einerseits von einer Bedrohung durch Mediatheken und neue VoD-Anbieter sprechen und andererseits ein eigenständiges VoD-Portal für die öffentlich-rechtlichen Sender fordern. Zunächst einmal müsste geklärt sein, ob der ORF nur seine eigenen Produktionen vermarkten will, oder ob hier auch Kinofilme gestreamt werden sollen. Im erstgenannten Fall bedürfte es letztendlich einer Absprache zwischen dem Produzenten und dem Sender, welche vertraglichen Modalitäten damit verknüpft sein sollten. Beim Kinofilm verhält es sich natürlich anders, nicht nur weil hier mehrere Partner beteiligt sind und, wie im Fall von FFA-geförderten Filmen, gesetzliche Vorgaben eine Rolle spielen. Außerdem kann man ein solches Beispiel nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. Ich halte es für sinnvoller – zumal es die wirklich „vollfinanzierte“ Auftragsproduktion schon heute faktisch nicht mehr gibt – diese durch teilfinanzierte Modelle und durch ein Lizenzsystem wie in Großbritannien zu ersetzen, bei dem Produzenten bestimmte Verwertungsrechte behalten und daraus eine Refinanzierung und eine Wertschöpfung auf den Zweitverwertungsmärkten realisieren können.
medienpolitik.net: Wird Netflix eine Chance oder eine Bedrohung für deutsche Produzenten?
Bernd Neumann: Zunächst einmal ist Netflix eines der weltweit größten Streamingportale, das nach letzten Erkenntnissen im September zeitgleich in mehreren europäischen Ländern an den Start gehen will. In Großbritannien und Irland oder in Skandinavien und den Niederlanden ist Netflix ja schon vertreten. Das Unternehmen ist in den USA hoch profitabel, da liegt es doch auf der Hand, dass es über kurz oder lang auch nach Deutschland expandiert, einem der größten und umsatzstärksten Märkte der Welt. Was Netflix aber auch auszeichnet, ist, dass das Unternehmen Eigenproduktionen erstellt, und zwar sehr erfolgreich, und diese dann über ihr eigenes Portal vermarktet. Eine neue Plattform für die Wertschöpfungskette Film entsteht. So etwas würde ich persönlich zunächst einmal als Chance für die deutschen Produzenten ansehen und nicht als Bedrohung. Welche Auswirkungen der Start von Netflix in Deutschland darüber hinaus haben wird, das können wir sicherlich erst später bewerten und nicht voreilig beurteilen.
medienpolitik.net: Sie haben sich in der Vergangenheit dafür eingesetzt, VoD-Portale stärker an den Abgaben für die FFA zu beteiligen. Wird der Netflix-Start im September dieser Debatte neuen Auftrieb geben?
Bernd Neumann: Das mag sein, es würde aber unsere Position nur bekräftigen. Außerdem tragen die inländischen VoD-Anbieter auch heute schon, und zwar in steigendem Maße, an dem Beitragsaufkommen der Videowirtschaft bei. Ich habe aber auch schon zu meiner Amtsübernahme Anfang des Jahres gesagt, dass es für uns, die FFA, ganz entscheidend ist, wie zügig wir alle neuen kommerziellen Verwerter des Films als Beitragszahler mit ins Boot ziehen können. Hier denke ich zum Beispiel an Video-on-Demand-Anbieter, die ihren Unternehmenssitz im Ausland haben, in Deutschland jedoch Geld verdienen. Das FFG sieht eine solche Filmabgabe längst vor. Bislang mussten wir den entsprechenden Passus im Gesetz aussetzen, weil wir mit der Europäischen Kommission noch nicht ganz einig sind. Wir sind hier in guten Gesprächen mit den zuständigen Stellen in Brüssel und hoffen, dass wir hier in absehbarer Zeit zu einem Konsens finden werden. Dies alles ist aber auch der Grund, weshalb ich schon in meiner Zeit als Staatsminister dafür gesorgt habe, das aktuelle FFG mit einer Laufzeit von drei Jahren auszustatten anstatt wie sonst üblich mit fünf. Wir wollen und werden die Grundlagen unseres Handelns, also das FFG, weiter reformieren. Die neuen Medien erfordern dabei nicht nur ein viel kürzeres Umdenken, sondern sie geben auch das Tempo vor.
medienpolitik.net: Sie haben im Frühjahr auf dem Kongress des HDF-Kino gesprochen und anscheinend mit der Branche ihren Frieden geschlossen. Nun fordern die Kinos eine Post-Digitalisierungsförderung, weil der Unterhalt und die Erneuerung der digitalen Technik höhere Kosten verursachen. Wie kann den Kinos – vor allem den kleineren – geholfen werden?
Bernd Neumann: Ich brauche keinen Frieden zu schließen, denn ich habe mich immer für die Kinobranche eingesetzt. Meine Kritik galt nur den permanenten Klagen einiger Unternehmen aus diesem Kreis. Natürlich kenne ich solche Wünsche. Wir sollten hier allerdings auch einmal berücksichtigen, was die FFA in der jüngeren Vergangenheit für die Kinos in Deutschland geleistet hat. In diesem Jahr stehen für die Kinoförderung fast 22 Mio. Euro zur Verfügung, 9,2 Mio. davon für die Digitalisierungsförderung einschließlich der Vorauszahlungen im Rahmen der Treuhandvereinbarung mit den Verleihern. Im Vorjahr hat die FFA 17,8 Mio. Euro für die Kinoförderung aufgewendet, 9,5 Mio. davon für die Digitalisierungsförderung – von der nach Ablauf von nur dreieinhalb Jahren insgesamt 1.800 Kinos profitiert haben. Viele davon sind Betreiber von kleinen Filmtheatern, die ohne Förderung von Bund, Ländern und der FFA niemals in der Lage gewesen wären, ihre Häuser auf den allerneuesten Stand der Digitaltechnik zu bringen. Ich denke, diese Zahlen sprechen für sich, wenn es darum geht, das Kino in der Fläche zu retten und die kleinen Kinos sinnvoll und nachhaltig zu unterstützen. Und natürlich können Kinobetreiber jederzeit im Zusammenhang mit geplanten Maßnahmen im Umfeld der Digitalisierung Kinoinvestitionsförderung bei der FFA beantragen.
Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe Nr. 9/2014 erstveröffentlicht.