Netzpolitik:

Eine Plattformregulierung muss der Meinungsvielfalt dienen

von am 27.04.2015 in Allgemein, Archiv, Digitale Medien, Internet, Netzpolitik, Netzpolitik, Plattformen und Aggregatoren, Rede, Regulierung, Rundfunk

<h4>Netzpolitik:</h4>Eine Plattformregulierung muss der Meinungsvielfalt dienen
Ulrich Kelber, MdB, Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz

Bundesregierung fordert gesetzliche Verankerung der Netzneutralität auf europäischer Ebene

27.04.15 Von Ulrich Kelber, MdB, Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und Verbraucherschutz

Das Internet insbesondere in der Ausprägung des http-Protokolls hat sich von einem Experiment bzw. Werkzeug von Wissenschaftlern zur prägenden Kraft sowohl für unsere Wirtschaft als auch für unsere Gesellschaft entwickelt. Diese Entwicklung hat in einem weitgehend regulierungsfreien Raum stattgefunden. In diesem Freiraum hat sich das Internet zum unbestritten größten Innovationsmotor des 21. Jahrhunderts entwickelt.

Wenn wir daher über Regulierung im Bereich der digitalen Wirtschaft sprechen, müssen wir uns zunächst die Frage stellen, ob diese überhaupt benötigt wird. Denn die Erfolgsgeschichte des Internets hat ohne Regulierung stattgefunden. Funktioniert das Internet und die darauf basierenden Dienstleistungen also besser ohne jede Regulierung? Um die Frage nach der Erforderlichkeit von Regulierung beantworten zu können, muss man sich vergegenwärtigen, wie sich das Internet verändert hat. Hierbei ist die vielleicht wichtigste Veränderung der überwältigende Erfolg des Internets.

Das Internet wird heute jeden Tag von geschätzten 2,9 Milliarden Menschen genutzt. Diese übermittelten 2013 jeden Tag ca. 1,7 Exabyte Daten über das Internet. Es ist zu erwarten, dass diese Datenmengen sich mit der zunehmenden Benutzung von Mobilgeräten und der weiteren Entwicklung des Internets der Dinge noch vervielfältigen werden. Aus dieser extrem schnell wachsenden Datenmenge können sich Knappheitsprobleme ergeben. Denn das Internet beruht auf einer physischen Struktur aus Kupferkabeln, Glasleitungen und Funkverbindungen. Diese Strukturen können nur eine begrenzte Anzahl von Daten pro Sekunde transportieren. Daher kann es zu Netzüberlastungen kommen.

Die Frage, nach welchen Regeln sich die Reihenfolge der Datenübertragung richten soll, wird unter dem Stichwort Netzneutralität diskutiert. Eine weitere Herausforderung, die durch den Erfolg des Internets bedingt ist, ist die Bewältigung der Informationsmenge. Die Fülle an Informationen und Dienstleistungszugängen im Internet ist heute so groß, dass wir diese nur sinnvoll nutzen können, wenn sie für uns geordnet und aufbereitet werden. Diese Aufgabe, Informationen für Internetnutzer nach bestimmten Kriterien systematisch aufzubereiten, übernehmen die sogenannten Plattformen. Diese Plattformen sind daher Informationsmittler – sogenannte Intermediäre – für die im Internet verfügbaren Angebote.

Die bekannteste dieser Plattformen ist sicherlich die Google-Suche. Ebenso bietet jedoch Wikipedia eine Plattform für Wissen, YouTube eine Plattform für Musik und Amazon und ebay Plattformen für den Interneteinkauf. Aber auch die sozialen Netzwerke sind letztendlich Plattformen. Denn sie erlauben es uns, innerhalb der schier unendlichen Vielzahl von Kontaktmöglichkeiten im Internet unsere eigenen sozialen Kontakte zu strukturieren. Diese Plattformen sind für eine sinnvolle Nutzung des Internets in seiner heutigen Form wesentlich. Daher nehmen sie im digitalen Raum eine wichtige Schlüsselfunktion ein. Die Frage, ob Plattformen aufgrund dieser Schlüsselstellung besonderen Anforderungen unterliegen sollten, wird unter dem Stichwort Plattform- beziehungsweise Suchmaschinenneutralität diskutiert.

Neutralität als Regulierungsziel erfasst daher zumindest zwei sehr unterschiedliche Problemstellungen. Während die Netzneutralität mit der immanenten Begrenztheit der physischen Infrastruktur zusammenhängt, ist die Frage der Plattformneutralität eng mit der Bewältigung der nahezu unbegrenzten Informationsfülle im Internet verknüpft. Aufgrund dieser sehr unterschiedlichen Ursachen ist es sinnvoller, diese beiden Aspekte von Neutralität zunächst getrennt zu betrachten.

Mit dem Begriff Netzneutralität wird zunächst eine Art Verkehrsregel des Internets beschrieben, die man wie folgt definieren kann: Alle im Internet übertragenen Daten werden unabhängig von dem Empfänger oder Absender oder den verwendeten Endgeräten oder ihrem Inhalt diskriminierungsfrei transportiert. Dies bedeutet, dass eine Überlastung des Netzwerkes alle transportierten Daten in gleicher Weise trifft. Oder anders ausgedrückt: Wenn es zum Stau kommt, stehen alle im Stau.

Aufgrund der Fortschritte in der Netzwerktechnik ist es jedoch möglich, einzelnen Datenpaketen Vorrang einzuräumen. Netzbetreiber können daher Datenpaketen eines bestimmten Dienstes einen Vorrang vor anderen Datenpaketen zuweisen. Im Fall der Netzwerküberlastung werden diese vorrangigen Datenpakete dann prioritär befördert und kommen schneller an ihr Ziel. Für diese Datenpakete gibt es also so etwas wie eine Überholspur. Für die Benutzung dieser Überholspur können die Netzbetreiber ein Entgelt von den Inhalteanbietern und/oder den Nutzern verlangen. Ein solches Angebot wird häufig als zweiseitiges Geschäftsmodell bezeichnet.

Solche Überholspuren ermöglichen durchaus Innovationen in Bezug auf Anwendungen und Dienste, die in z. B. eHealth Echtzeit erbracht werden müssen. Dieser Raum für Innovationen würde durch eine zu engmaschige Regulierung beschränkt.

Wenn jedoch die Übertragungsqualität von Daten allgemein von einem Entgelt abhängig gemacht wird, würde eine der wichtigsten Eigenschaften des Internets gefährdet – nämlich seine Offenheit.

Bisher konnten im Internet alle Nutzer ihre Informationen zu den gleichen Bedingungen übermitteln. Diese Bedingungen galten für einflussreiche Wirtschaftsverbände ebenso wie für kleine NGOs, für große Konzerne genauso wie für ein kleines Start-Up. Dieser gleiche Zugang für alle Nutzer hat maßgeblich zum Erfolg des Internets beigetragen.

Denn nur aufgrund der Vielzahl von digitalen Medien, Blogs und Foren konnte das Internet zu einem Ort der Meinungsvielfalt, der Teilhabe und des Austauschs werden. Ebenso sind die Innovationen, die heute das Internet prägen, nicht ohne die Start-Ups denkbar.

Meine Damen und Herren, wenn nun in großem Umfang bestimmte Übertragungskapazitäten für diejenigen vorgehalten werden, die hierfür ein Entgelt entrichten, wird sich der Zugang für diese weniger finanzkräftigen Nutzer absehbar deutlich verschlechtern. Denn diese prioritären Übertragungskapazitäten gehen zumindest ohne Regelung zu Lasten des offenen Internets. Außerdem könnte für die Netzbetreiber der ökonomische Anreiz entstehen, das offene Netz zusätzlich zu drosseln. Denn wenn der Unterschied zwischen den priorisierten Diensten und dem Internet hinreichend groß ist, sind diese als Produkte am Markt attraktiv.

Eine solche Entwicklung hätte zum einen zur Folge, dass die Meinungsvielfalt im Internet erheblich beeinträchtigt würde. Denn wenig finanzkräftige Angebote wie Blogs, Online-Zeitungen und Webseiten von gemeinnützigen Organisationen und andere Informationsangebote könnten diese prioritären Übertragungskapazitäten häufig nicht bezahlen.

Zum anderen kann eine Aufgabe der Netzneutralität die Innovationskraft des Internets und den Wettbewerb empfindlich reduzieren. Denn wenn gute Übertragungsqualitäten nur gegen Zahlung eines Entgelts zur Verfügung stehen, erhöht dies die Marktzutrittsschranken für Start-Ups erheblich. Denn diese werden – im Gegensatz zu bereits etablierten Unternehmen – häufig nicht in der Lage sein, die geforderten Entgelte aus der Portokasse zu zahlen.

Die Möglichkeit, in großem Umfang eine prioritäre Übertragung zu erwerben, würde außerdem die Marktposition der großen Unternehmen im Bereich des Web 2.0 weiter verstärken. Denn Unternehmen wie Google oder Facebook wären zweifellos in der Lage, für gute Übertragungsqualitäten zu bezahlen. Für Markteinsteiger, die versuchen, ein Konkurrenzprodukt am Markt zu etablieren, können solche Entgelte hingegen unüberwindbare Hürden schaffen. Eine Aufgabe der Netzneutralität könnte daher die Bildung von Monopolen begünstigen.

Daher bin ich überzeugt, dass der Erhalt des Grundsatzes der Netzneutralität als allgemeine Verkehrsregel der Datenübertragung wichtig ist. Denn diese Regel trägt zum Erhalt der Meinungsvielfalt und der Innovationskraft des Internets bei und stärkt den Wettbewerb in der digitalen Wirtschaft.

Die gesetzliche Verankerung der Netzneutralität sollte auf europäischer Ebene erfolgen. Denn wenn jeder Mitgliedstaat andere Regeln zur Netzneutralität erlässt, verhindert dies ein Zusammenwachsen des europäischen digitalen Binnenmarkts.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung setzt sich daher auf europäischer Ebene mit Nachdruck für eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität ein. Dieses Regulierungsziel muss jedoch nicht zwangsläufig dazu führen, dass der Raum für Innovationen, die eine gesicherte Qualität benötigen, beschränkt wird und ein Beitrag zur Finanzierung der Infrastruktur geleistet wird. Hier gilt es einen Ausgleich zu finden. Die in die europäische Diskussion eingebrachte Position der Bundesregierung sieht daher vor, dass die Netzneutralität als Grundsatz gesetzlich verankert wird und gleichzeitig Spezialdienste unter den folgenden drei Voraussetzungen zulässig sein sollen:

  1. Es findet keine Diskriminierung zwischen Inhalten oder funktional gleichwertigen Anwendungen oder Diensten statt.
  2. Der Spezialdienst wird nicht als Substitut zum Internetzugangsdienst angeboten.
  3. Es sind ausreichende Netzwerkkapazitäten vorhanden, um die Spezialdienste parallel zu den Internetzugangsdiensten anbieten zu können.

Die Einhaltung dieser drei Vorgaben soll von den nationalen Regulierungsbehörden überwacht werden.

Hierdurch kann eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität erreicht werden, die ein offenes Internet gewährleistet, ohne den Raum für künftige Innovationen zu verschließen.

Allerdings bezieht sich eine Regelung der Netzneutralität notwendigerweise nur auf die Übertragung von Daten über die physische Infrastruktur. Die physische Infrastruktur ist jedoch lediglich einer der Faktoren, die die Struktur des digitalen Ökosystems bestimmen.

Unter dem Oberbegriff „Plattformneutralität“ werden hingegen verschiedene Fragestellungen diskutiert, die nicht die rein physische Datenübertragung, sondern die Art der Informationsvermittlung im Netz betreffen. Hier stehen eher inhaltliche Qualitätsanforderungen im Vordergrund.

Dabei ist zwischen den spezifischen Regelungen des Rundfunkstaatsvertrages der Länder – also der Plattformregulierung im engeren Sinne – einerseits und dem weitgehend unregulierten Bereich der sonstigen Internetplattformen andererseits zu unterscheiden. Hier kann man die Frage aufwerfen, ob die rundfunkrechtlichen Regelungen zur Sicherung der Meinungs- und Angebotsvielfalt nicht auch für sämtliche – oder zumindest für marktmächtige – Internetplattformen gelten sollten.

Lässt sich der verfassungsrechtlich vorgegebene Pluralismus des Rundfunks angesichts der Rolle, die das Internet als Informations- und Kommunikationsinstrument heutzutage einnimmt, übertragen?

Unter den vielen verschiedenen Arten von Internetplattformen kommt den Suchmaschinen wiederum eine besondere Bedeutung für die Informationsvermittlung zu. Dies zeigt sich an der gigantischen Anzahl von Suchanfragen, die tagtäglich an Google gerichtet werden: derzeit wohl über 3 Milliarden Anfragen täglich, Tendenz steigend.

Auch hier scheint das freie Internet ein Stück weit zum Opfer des eigenen Erfolgs geworden zu sein. Denn ein freier, „ungefilterter“ Zugang des einzelnen Internetnutzers zu sämtlichen im Netz verfügbaren Informationen, Angeboten und Inhalten ist kaum mehr möglich: Jede Vermittlung von Informationen und Inhalten setzt zwangsläufig eine vorherige – meist automatisierte – Selektion voraus.

Bei der Auswahl und Aufbereitung von Informationen werden Plattformbetreiber stets versuchen, dem jeweiligen Nutzer möglichst passende und attraktive Ergebnisse zu präsentieren. Dabei werden sie, auch um sich von konkurrierenden Anbietern abzusetzen, ihrem Geschäftsmodell unterschiedliche Maßstäbe und Relevanzkriterien zugrunde legen. Am Beispiel der Google-Suche setzt sich dieser Auswahlprozess, das sogenannte Ranking, aus einem Zusammenspiel von über 200 Faktoren zusammen, die zudem ständig angepasst werden.

Es liegt auf der Hand, dass ein solcher Auswahlprozess den Plattformbetreibern eine gewisse Machtposition gegenüber den Nutzern verleiht und zugleich ein gewisses Missbrauchspotenzial in sich birgt. Hinzu kommt, dass die bei Plattformen typischen Netzwerkeffekte die Marktmacht erfolgreicher Anbieter verstärken und verfestigen können. Dadurch erhöht sich auch das Risiko, dass diese ihre Marktmacht durch Manipulation oder ungerechtfertigte Bevorzugung eigener Produkte und Dienste missbrauchen.

Wenn Internetnutzer nun aber angesichts der unüberschaubaren Informationsfülle auf die Dienste von Intermediären angewiesen sind, stellt sich die Frage, ob es eines neuen, internetspezifischen Regulierungsinstruments für Plattformen bedarf. Aufgrund der Vielfalt an denkbaren Plattformmodellen, unterschiedlichen Nutzerinteressen und möglichen Relevanzkriterien lässt sich die „Neutralität“ als Anforderung für Plattformen und Suchmaschinen jedoch nur schwer in Gesetzesform gießen:

Kann durch staatliche Regulierung überhaupt sichergestellt werden, dass dem einzelnen Nutzer jeweils eine „neutrale“ Informationsauswahl angezeigt wird? Anhand welcher Kriterien ließe sich die Neutralität von Suchergebnissen, angezeigten Inhalten oder Algorithmen bewerten? Müsste dann jede Suchmaschine jedem Nutzer stets identische Suchergebnisse liefern, ohne Rücksicht auf individuelle Präferenzen und Interessen?

Meine Damen und Herren, all diese Fragen und insbesondere mögliche Regulierungsansätze werden innerhalb der Bundesregierung und der bestehenden Regulierungsinstitution intensiv diskutiert. Wir führen hierzu zahlreiche Gespräche mit sämtlichen Marktteilnehmern: Suchmaschinenanbietern, großen Plattformbetreibern wie Facebook und Amazon, Content Providern und Verbraucherverbänden. Ich bin der Auffassung, eine Regulierung sollte vor allem darauf abzielen, einen diskriminierungsfreien Zugang zu Plattformangeboten und Inhalten zu gewährleisten sowie die Transparenz und Verbraucherinformation beim Betrieb von Internetplattformen zu verbessern und Wettbewerb und neue Markteintritte zu gewährleisten.

Doch auch hier dürfen wir nicht den europäischen Kontext aus den Augen verlieren: Einerseits hat sich im weiteren Verlauf des EU-Missbrauchsverfahren gegen Google heraus kristallisiert, welchen Bedenken bereits mit den vorhandenen Instrumenten des Wettbewerbsrechts begegnet werden kann. Die Kommission hat hier die Chance zu zeigen, dass sich die europäischen Regeln auch auf neue Geschäftsmodelle in sich dynamisch entwickelnden Märkten anwenden lassen und auch konsequent durchgesetzt werden. Sollten in diesem Bereich Defizite festgestellt werden, müsste eine Anpassung des geltenden EU-Wettbewerbsrechts an die Besonderheiten digitaler Märkte geprüft werden.

Andererseits zeichnet ab, dass das bestehende Wettbewerbsrecht keine Antworten auf sämtliche wettbewerbs-, verbraucher- und datenschutzrechtlichen Fragen wird geben können, die sich im Zusammenhang mit dem Betrieb von Internetplattformen stellen. Daher findet in Brüssel zurzeit eine ähnliche Diskussion wie auf nationaler Ebene darüber statt, ob und auf welche Weise eine weitergehende Regulierung von Internetplattformen erfolgen sollte.

Die Überlegungen der Kommission für eine „Digitale Agenda für Europa“ verfolgen wir aufmerksam und bringen unsere politischen Prioritäten aktiv ein. Ziel der Bundesregierung ist es, die Digitalisierung in der Europäischen Union gemeinsam voranzutreiben und dabei durch einen digitalen Ordnungsrahmen hohe Wettbewerbs-, Sicherheits-, Verbraucher- und Datenschutzstandards zu setzen.

Wie wir in Deutschland und Europa mit den Herausforderungen eines ständig wachsenden Internets umgehen, wird nach meiner Überzeugung für die zukünftige Entwicklung der digitalen Gesellschaft und Wirtschaft entscheidend sein. Die heutige Tagung kann einen wichtigen Beitrag leisten, diese Herausforderungen besser zu beschreiben und zu begreifen.

Rede beim kölner forum medienrecht (kfm e.V.) am 16. April 2015

Print article