Filmpolitik:

„Ein außergewöhnlich erfolgreiches Drehjahr“

von am 16.02.2016 in Allgemein, Archiv, Filmwirtschaft, Interviews

<h4>Filmpolitik: </h4>„Ein außergewöhnlich erfolgreiches Drehjahr“
Geschäftsführerin der Filmstiftung NRW
Petra Müller, Geschäftsführerin der Film- und Medienstiftung NRW

Film- und Medienstiftung NRW ist weiterhin größter Länderförderer in Deutschland

17.2.16 Interview mit Petra Müller, Geschäftsführerin der Film- und Medienstiftung NRW

2015 arbeitete die Film- und Medienstiftung NRW bereits im fünften Jahr als Förderer und Standortagentur für das Film- und Medienland NRW. So unterstützte sie im Jahr 2015 insgesamt 406 Projekte mit rund 33,6 Mio. Euro und ist damit trotz Mittelkürzungen weiterhin finanzstärkste deutsche Länderförderung. Zusätzlich flossen über 1 Mio. Euro (1.065.590 Euro) über das Creative Europe-Programm und rund 7 Mio. Euro über den Create Media NRW-Wettbewerb in die Film- und Medienbranche NRW, so dass in Nordrhein-Westfalen rund 40 Mio. Euro Förderung für Film und Medien zur Verfügung gestellt werden konnten.

medienpolitik.net: Frau Müller 2015 war ein Rekordjahr für das deutsche Kino. Welchen Anteil hatte daran die Film- und Medienstiftung NRW?

Petra Müller: 2015 gehörten NRW-geförderte Produktionen wie „Er ist wieder da“, „Frau Müller muss weg“ oder „Hilfe, ich habe meine Lehrerin geschrumpft“ zu den besucherstärksten deutschen Filmen. Die Filmstiftung konnte 406 Projekte mit insgesamt 33,6 Mio. Euro fördern. 27,7 Mio. gingen in die Produktion von 83 Kino- und TV-Projekten. Davon wiederum flossen 7,3 Mio. an 25 internationale Koproduktionen, rund 5 Mio. an junge Film- und Medienprojekte, etwa 2,8 Mio. an Kinder- und Jugendfilme und 2,6 Mio. an Dokumentarfilme. 1,4 Mio. gingen an die innovativen Förderprogramme. Besonders erfreulich, dass wir dank der Initiative von ProQuote bei den Anträgen einen höheren Frauenanteil registrieren konnten und so bei 123 geförderten Projekten 27 Produzentinnen (22{4ae5f2cfbae1b1bdedfa59fe4a07f58bb35532ad595a47938acbe0c93e3e4f45}) und 46 Regisseurinnen (37{4ae5f2cfbae1b1bdedfa59fe4a07f58bb35532ad595a47938acbe0c93e3e4f45}) fördern konnten.

medienpolitik.net: Rund 34 Mio. Euro Förderung bedeutet, dass ca. 10 Prozent aller in Deutschland 2015 aufgewandten Fördermittel aus NRW stammen. Welche qualitative Bilanz können Sie für den Einsatz dieser Mittel ziehen?

Petra Müller: NRW-geförderte Arthouse-Filme wie „Der Staat gegen Fritz Bauer“, „Die geliebten Schwestern, „Zeit der Kannibalen“ oder auch „Babai“ wurden mit zahlreichen deutschen wie internationalen Preisen ausgezeichnet und trugen damit zu einer guten künstlerischen Bilanz bei. Diese wurde gerade gekrönt von der Oscar-Nominierung für „Mustang“, eine französisch-türkisch-deutsche Koproduktion und das Debut von Regisseurin Deniz Gamze Ergüven. Von NRW-Seite waren hier von Beginn an Vistamar und Uhlandfilm beteiligt.
Ausweis der qualitativen Bilanz ist einmal mehr die weltweite Festivalpräsenz filmstiftungs-geförderter Filme: Rotterdam, Berlin, München, Locarno, Venedig, Busan, Toronto, Hof oder Montreal – im vergangenen Jahr wurden an die 130 NRW-geförderte Filme auf internationale Festivals eingeladen. Und 2016 schließt nahtlos an: 13 Filme beim Max Ophüls-Festival, „Wild“ von Nicolette Krebitz reüssiert in Sundance, und bei der bevorstehenden Berlinale ist NRW mit insgesamt 26 Filmen in allen Festivalreihen vertreten, u.a. mit der Literaturverfilmung „Jeder stirbt für sich allein“ mit Emma Thompson und John Gleeson und Daniel Brühl im Wettbewerb, „Das Tagebuch der Anne Frank“ in der Reihe „Generationen“.

medienpolitik.net: „Mustang“ und auch „Jeder stirbt für sich allein“ sind internationale Koproduktionen. Wie wichtig sind diese für die Produzenten und wie wichtig ist es für einen Filmstandort, international präsent zu sein?

Petra Müller: Internationale Koproduktionen sind von Beginn an so etwas wie das Markenzeichen der NRW-Filmförderung. Koproduktionen sind vor allem deshalb wichtig, weil die Finanzierung für kleinere und mittelgroße Filme immer schwieriger wird. Internationale Präsenz ist im wachsenden Wettbewerb der Produktionsstandorte ohnehin von zentraler Bedeutung.

medienpolitik.net: In welchen Bereichen ist es in NRW 2015 nach vorne gegangen?

Petra Müller: NRW kann auf ein außergewöhnlich erfolgreiches Drehjahr zurückblicken, das nicht nur Stars und Spitzenregisseure nach NRW brachte, sondern auch für eine gute Auslastung bei Dienstleistern und Studios sorgte: Der „Staat gegen Fritz Bauer“ von Lars Kraume mit Burghart Klaußner in der Hauptrolle wurde fast vollständig in NRW gedreht. Christian Schwochow verfilmte mit „Paula“ die faszinierende Geschichte der Malerin Paula Modersohn-Becker mit Carla Juri in der Hauptrolle. Die norwegische Regisseurin Vibeke Idsøe drehte „Das Löwenmädchen“ mit Rolf Lassgård und Ken Duken in den MMC-Studios, Hans Steinbichler inszenierte „Das Tagebuch der Anne Frank“, Adolf Winkelmann drehte „Junges Licht“, eine Ruhrgebietsgeschichte aus den 1960er Jahren mit Charly Hübner und Lina Beckmann an Originalschauplätzen in Dortmund, Bochum, Marl und Bottrop. Komplett in NRW und ebenfalls im Ruhrgebiet wurde „Radio Heimat“ nach Frank Goosen gedreht. Auch die geförderten Fernsehfilme überzeugten mit großen Produktionen: Für die deutsch-schweizerische Koproduktion „Gotthard“ von Urs Egger wurden über 100 Meter Tunnel nachgebaut, „Die Turnschuhgiganten“ von Oliver Dommenget erzählt die Geschichte der Brüder Adi und Rudi Dassler und Philip Stölzl inszenierte den Dreiteiler „Karl Mays Winnetou“ in Kroatien und den MMC-Studios mit Wotan Wilke Möhring als Old Shatterhand.

medienpolitik.net: Sie fördern verschiedene Formate, unterschiedliche Genres. Wo konnten Sie 2015 innovative Akzente setzen?

Petra Müller: In erster Linie im Bereich der Serien. Mit „Weinberg“ hatte die Filmstiftung als erste Förderung die Produktion einer horizontal erzählten Serie unterstützt und sich 2015 dann ebenfalls maßgeblich an „Babylon Berlin“ beteiligt. Im Programm für serielle Formate wurde u.a. die Entwicklung der „Bauhaus-Serie“ von Nadcon und zero one gefördert. Im Rahmen ihrer Serienstrategie entwickelte die Filmstiftung gemeinsam mit dem European Film Market 2015 die „Drama Series Days“, eine neue Plattform für hochwertigen Serien-Content, die nach großem Erfolg im vergangenen Jahr fortgesetzt und um Doku-Serien erweitert wird.
In Cannes wurde im Mai ein deutsch-französischer Co-Development-Fonds für Serien unterzeichnet. Gemeinsam mit Bayern, Baden-Württemberg und Berlin ist NRW Partner auf deutscher Seite. Auf französischer Seite unterstützt das Centre national du cinéma (CNC) den Fonds, der mit einer Gesamtsumme von 200.000 Euro p.a. ausgestattet ist.

medienpolitik.net: Mit fast 5 Mio. Euro haben Sie im vergangenen Jahr Nachwuchsprojekte gefördert. Das sind 12 Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel. Wie steht es denn um das junge Kino in NRW?

Petra Müller: Als ich nach NRW kam, war der Berlin-Sog in der gesamten Filmbranche und insbesondere auch in der jungen Filmszene sehr ausgeprägt. Im Zusammenwirken von ifs, KHM, Mediengründerzentrum und Filmstiftung und den Debütredaktionen der Sender ist in NRW eine neue Generation von Produzenten, Autoren und Regisseuren herangewachsen, die sich mit ihrem Standort eng verbunden fühlt und ihre Zukunft hier sieht.
Firmen wie Augenschein, Weydemann Bros., Sutor Kolonko, Color of May, Made in Germany u.v.a.m. stehen für ambitioniertes junges Kino aus NRW, internationale Koproduktionen und anspruchsvolle Dokumentarfilme, transmediale Projekte und Arthouse mit Unterhaltungswert. Unter dem Label „Made in NRW“ präsentieren sich die Produzenten gemeinsam bei Festivals und die Filmstiftung zeigt die aktuellen Produktionen in Filmreihen.

medienpolitik.net: Der größte Teil der Förderung entfällt nach wie vor auf den Kinofilm und das Kino. Wird das auch in den nächsten fünf Jahren so bleiben?

Petra Müller: Die Förderung von Kinofilmen in allen Phasen der Entwicklung, Produktion und Herausbringung ist nach wie vor die Kernaufgabe der Filmstiftung. Neben großen Fernsehproduktionen erwarten wir in den kommenden Jahren eine deutliche Zunahme bei aufwändigen Serienprojekten und einen Anstieg bei interaktiven und webbezogenen Inhalten. Die Verhältnisse dürften sich weiterentwickeln, wenn verlässliche Geschäftsmodelle und Finanzierungen mit anderen Distributionsformen und -plattformen möglich werden.

medienpolitik.net: Die Novellierung des FFG soll u.a. dazu beitragen, dass von der FFA weniger Filme, diese aber mit einem größeren Budget gefördert werden. Hat das zur Konsequenz, dass die Länderförderer verstärkt kulturelle Filme fördern?

Petra Müller: FFG-Novelle, DFFF-Reform, der neue German Motion Picture Fund und die angekündigten Erhöhung der BKM-Förderung – die gesamte deutsche Filmförderstruktur ist derzeit in Bewegung. Für Produzenten und Förderer wäre es wichtig, die verschiedenen Instrumente, ihre Ziele und Voraussetzungen klar zu definieren und aufeinander abzustimmen. Wenn DFFF und FFA Anzahl und Kleinteiligkeit der geförderten Projekte verringern wollen und die überwiegende Mehrheit der deutschen Film- und Serienprojeke unterhalb der Zugangsschwelle für den GMPF liegen, erwarten Arthouse-Produzenten eine stärkere Unterstützung durch das BKM.
Der Anteil der Filmstiftungsförderung an kulturell anspruchsvollen Filmen ist bereits jetzt hoch, und das wird angesichts dieser Entwicklungen voraussichtlich auch so bleiben.

medienpolitik.net: Im neuen FFG soll der Zwang entfallen, dass alle geförderten Filme auch im Kino laufen sollen. Ist das sinnvoll und wirtschaftlich vertretbar, wenn Filme nur für Festivals produziert werden?

Petra Müller: Nach meinem Verständnis kann es in dieser Frage nicht in erster Linie darum gehen, Filme für Festivals zu fördern, sondern um die grundsätzliche Flexibilisierung der starren Auswertungsschemata, auch, damit die Herausbringung von Filmen spezifischer gestaltet werden kann. Das ist insbesondere sinnvoll für kleinere, inhaltlich starke Filme, die nur für kurze Zeit im Kino sind und daher schnell im TV oder on Demand verfügbar sein sollten.

medienpolitik.net: Vor fünf Jahren ist aus der Filmstiftung die Film- und Medienstiftung NRW entstanden. Was zählen Sie zu den wichtigsten Erfolgen dieser fünf Jahre?

Petra Müller: Film, Fernsehen, Games, Web, crossmediale Inhalte – die Film- und Medienstiftung hat den audiovisuellen Fokus für NRW deutlich erweitert. Sie hat innovative Förderprogramme und Stipendien entwickelt, erfolgreich in die medienübergreifende Nachwuchsarbeit investiert, die Vernetzung, die Präsentation und das Marketing für den Medienstandort verstärkt. So ist NRW als Film- und Medienland präsenter als selten zuvor. Die Film- und Medienstiftung agiert als Impulsgeber für die Medien- und Standortentwicklung, mit ihren Aktivitäten hat sie die Games- und Webvideo-Szene erschlossen, mit ihrer Unterstützung sind Entwicklerpreis und Webvideopreis zu wichtigsten Auszeichnungen für Gamer und YouTuber geworden, die NRW-Präsenz bei Gamescom und demexco ist heute selbstverständlich.
Vor allem aber ist die Filmstiftung verlässlicher Partner in der Förderung. Und hier zählen dann ja immer Preise und Auszeichnungen zu den Erfolgsmarken: die Oscar-Nominierungen für „Pina“ und „Mustang“ wären zu nennen, ebenso wie die „Golden Globe-Nominierung“ für „Rush“, eine Palme für „Melancholia“, ein Löwe für „Die Taube sitzt auf einem Baum und denkt über das Leben nach “, Europäische Filmpreise für beide, der Deutsche Filmpreis für „Hannah Arendt“, der Internationale Emmy für „Unsere Mütter, unsere Väter“, die Erfolge von „Der Medicus“, „Stromberg“, „Cloud Atlas“, ganz sicher die Ansiedlung der Wim Wenders Stiftung in Düsseldorf. Einen Tag vor der diesjährigen Oscar-Verleihung wird die Filmstiftung 25. Wünschen Sie uns Glück!

Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe Nr. 2/2016 erstveröffentlicht.

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