Medienpolitik:
Eine juristische Delikatesse

Die Novelle des Urhebervertragsrechts erscheint klar europarechtswidrig.
10.2.16 Von Prof. Dr. Stephan Ory, Direktor am Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) in Saarbrücken/Brüssel
Im Referentenentwurf des Urhebervertragsrechts ist das Urheberrechtsuniversum klar in oben und unten unterteilt. Oben, da leben die Verwerter. Das sind die Anbieter von Radio und TV, die Verleger von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, Tonträgerhersteller und Theater. Unten, da leben die Kreativen.
Die Verwerter, so die Begründung des Entwurfs, verweigern eine faire Vergütung. Sie sind verantwortlich für eine schlechter werdende wirtschaftliche Situation auch dort, wo das bislang „eher besser“ war. Sie verlangen „nicht selten“ eine zeitlich unbegrenzte Übertragung von Nutzungsrechten für alle bekannten und unbekannten Nutzungsarten gegen eine Einmalzahlung, also den „Total Buy-Out“. Nur „im kleinen Sektor des Starbereichs“ ist das anders. Verwerter vergeben keine Folgeaufträge an diejenigen, die versuchen, individuelle Rechte ihnen gegenüber durchzusetzen, das nennt die Begründung „Blacklisting“.
Die Kreativen, das sind die Urheber von Texten, von Musik aber auch die ausübenden Künstler, die Darbietungen erbringen. Die Begründung erwähnt Einzelpersonen und Kleinunternehmen, die die große Mehrzahl an der Kultur- und Kreativwirtschaft ausmachen. Deren wirtschaftliche und soziale Situation sei „häufig“ prekär, trotz qualifizierter Leistung, erbracht auf Grundlage einer akademischen Ausbildung. Nur wenige Stars könnten teils exorbitante Vergütungen erzielen. Es bestehe „bereits oft“ ein „Überangebot an freiberuflichen Urhebern“. Viele seien stark intrinsisch motiviert. Schlechte Produktionsbedingungen und unangemessen
niedrige Bezahlungen würden daher eher akzeptiert als in anderen Branchen.
Ziel ist eine Verschärfung des Urhebervertragsrechts
Der „Entwurf eines Gesetzes zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung“ will hier Abhilfe schaffen. Sein Ziel ist eine Verschärfung des Urhebervertragsrechts. Der Frage, ob die Schwarz-Weiß-Zeichnung des Urheberrechtsuniversums so stimmt, wird in der Begründung des Gesetzesentwurfs nicht nachgegangen. Empirische Befunde fehlen, so dass der Zusammenhang von Ursache und Wirkung und auch die Wirksamkeit der vom Gesetzgeber gebrauten Medizin ausschließlich nach politischer Überzeugung beurteilt wird. Jedenfalls in dieser Gesetzesinitiative kommen die anderen Bewohner der Urheberrechtswelt nicht vor, also weder die Plattformen, die Intermediäre oder die Nutzer. Auch User Generated Content findet keine Erwähnung, geht doch das Vorhaben davon aus, dass jeder Kreative, der Inhalte erstellt, davon leben will und das nur deshalb nicht kann, weil er nicht mit seinem Verwerter auf Augenhöhe verhandeln kann.
Das verschärfte Urhebervertragsrecht soll also die Position der Kreativen stärken. Das geschieht durch einen Burdensome-Ansatz, indem zunächst Eingriffe in die Möglichkeit vorgenommen werden, individuelle Verträge abzuschließen. So soll zwingend für jede Nutzung eine angemessene – also übliche sowie redliche – Vergütung anfallen. Auch hier verdeutlicht die Begründung, was gemeint ist: wenn beispielsweise ein Artikel in der Printausgabe einer Zeitung oder Zeitschrift erscheint, dann soll noch einmal eine Vergütung zwingend sein, wenn der Text auch im Online-Auftritt des Mediums erscheint. Die Regelung zielt also gegen Pauschalverträge, die als „Total Buy-Out“ negativ angesehen sind. Zukünftig soll jeder „Werknutzer“ jedem Kreativen auf dessen Verlangen hin einmal im Jahr „Auskunft über den Umfang der Werknutzung und die hieraus gezogenen Erträge und Vorteile … erteilen sowie hierüber Rechenschaft … ablegen“. Im Sinne des Burdensome-Ansatzes will das den Aufwand des individuellen Urhebervertragsrechts erhöhen, denn die Auskunft kann auch dann verlangt werden, wenn sie für die Abrechnung des Vertragsverhältnisses irrelevant ist.
Umfassende Absprache der Konditionen und Preise
Dem Urheber wird schließlich ein Rückrufrecht wegen anderweitiger Nutzung eingeräumt. Nach fünf Jahren kann er sich von seinem bisherigen Verwerter verabschieden, sofern sich ein anderer Vertragspartner zur Nutzung nach dem Rückruf verpflichtet hat. Der kann natürlich völlig ohne Risiko der Anschubfinanzierung in ein erfolgreiches Werk einsteigen, weshalb dem bisherigen Verwerter das im Gesetzesentwurf vorgesehene Vorkaufsrecht wenig nutzt. Und die Pointe an der Sache ist, dass der bisherige Verwerter im Rahmen der oben erwähnten Auskunftsverpflichtung seinem Urheber die Kalkulationsgrundlagen zusammengestellt hat, mit denen er beim Konkurrenten zur Verhandlung des neuen Vertrages vorstellig wurde.
Nun erkennt auch die Gesetzesbegründung, dass das für den Verwerter eine ziemliche Last bedeutet. Das sei nur eine „halbzwingende Regulierung“, heißt es beschwichtigend, denn durch gemeinsame Vergütungsregeln könne man sich der Beschwernisse entledigen. Gemeint sind kollektive, mit Urhebervereinigungen und Gewerkschaften auch für freie und im arbeits- und sozialrechtlichen Sinn glasklar selbstständige Mitarbeiter festzulegende Vergütungsregeln. Es geht also darum, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Urheberrechtsverträge als Einzelunternehmen oder als Verwerterbranchen mit Kollektiven zu vereinbaren. Während AGB üblicherweise keine Preisliste enthalten und eine kollektive Befugnis zur Preisfestsetzung sonst in arbeitsrechtlichen Tarifverträgen nur für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerähnliche möglich ist, zielen die gemeinsamen Vergütungsregeln im Urheberrecht auf eine umfassende Absprache der Konditionen und Preise.
Diese gemeinsamen Vergütungsregeln gibt es bereits seit 2002 im Urheberrecht. Damals waren sowohl im materiellen Recht als auch beim Verfahrensrecht neue Regelungen getroffen worden, über deren Auslegung Verfahren bis hin zum Bundesverfassungsgericht geführt worden waren. Erst in den letzten Jahren wurden entsprechende Vergütungsregeln abgeschlossen, wobei sich abzeichnete, dass eher einzelne Unternehmen gezielt auf ihr jeweiliges Geschäftsmodell abgestimmte Modelle vereinbarten. Den Verfechtern eines kollektiv vorgezeichneten Urhebervertragsrechts war das zu wenig, so hatte das schließlich Eingang in die Vereinbarung der großen Koalition gefunden.
Der Burdensome-Ansatz des erschwerten individuellen Urhebervertragsrechts soll also die Verwerter, wenn nicht überzeugen, so doch jedenfalls veranlassen, ihr Glück im kollektiven Recht zu wagen. Die Urhebervereinigungen erhalten mit dem Rückrufrecht und dem Bürokratiemonster beim Auskunftsanspruch gewichtige Positionen, die sich gegen gutes Geld wieder abverhandeln lassen können. So fordern beispielsweise die Literaturübersetzer in ver.di im Rahmen ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf Ersatz dafür, dass den freien Urhebern „Streikmöglichkeiten“ fehlen.
Die kollektiven Regelungen sollen durch ein Verbandsklagerecht abgesichert werden. Wer als Verwerter selbst gemeinsame Vergütungsregelungen abgeschlossen hat oder einem Branchenverband angehört, der mit Urheberverbänden eine solche Regelung unterschrieben hat, soll auf Unterlassung nach wettbewerbsrechtlichem Vorbild verklagt werden können, wenn er von solchen Vergütungsregeln abweicht. Der Verwerter soll sich, so stellt eine ergänzende Regelung zur individualvertraglichen Folge des Verstoßes gegen gemeinsame Vergütungsregeln fest, nicht auf individuelle Vereinbarungen berufen können, die zum Nachteil des Urhebers abweichen.
Das verändert die bisherige Regelung aus dem Jahr 2002. Dort war die besondere angemessene Vergütung in das Gesetz geschrieben worden, die einem Urheber individuell und weit vor dem Bestseller-Paragraphen eine Vertragsanpassung ermöglicht, wenn seine Vergütung möglicherweise zwar üblich, aber nicht „redlich“ und damit insgesamt nicht angemessen war. Von dieser Möglichkeit wurde Gebrauch gemacht, die Übersetzervergütungen wurden so zum Beispiel bis zum Bundesgerichtshof gebracht und dort entschieden. Im bisherigen Recht kann ein Verwerter mit jedem Urheber individuell Konditionen ansprechen; die Verwendung von Vergütungsregeln gibt ihm allerdings Rechtssicherheit, denn sie gelten als angemessen und können vom einzelnen Urheber nicht vor Gericht angegriffen werden. Die Reform will nun also die individuelle Vertragsabrede ausschließen. Wir sind beim Mindestlohn für Kreative.
Kontroverse Diskussion sind zu erwarten
Die zum Jahreswechsel bekannt gewordenen Stellungnahmen gegenüber dem Bundesjustizministerium lassen eine kontroverse Diskussion erwarten, die derjenigen vor der Gesetzesnovelle des Jahres 2002 vermutlich nicht nachsteht. Den Gewerkschaften zum Beispiel geht das alles nicht weit genug, sie fordern ein weitergehendes Verbandsklagerecht: Jedes Verwerterunternehmen in der Branche, ob es verbandsgebunden ist oder nicht, soll auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wenn es von Vergütungsregeln abweicht, die ein Branchenverband geschlossen hat. Die kollektiven Verbände auf Urheberseite wollen also ihre Verhandlungsergebnisse auch auf alle Außenseiter ausdehnen.
Damit befinden wir uns inmitten juristischer Delikatessen. Die Koalitionsfreiheit des Grundgesetzes schützt zum Beispiel auch davor, gar keinem Verein beizutreten und in der Folge auch keinem von ihm gesetzten Recht zu unterliegen. Davon machen viele Kreative Gebrauch, der Organisationsgrad bei Journalisten, Autoren und Künstlern, denen man nicht zu Unrecht eher individualistische Gesinnung nachsagt, ist gering. Gleichwohl sehen sich Organisationen und Gewerkschaften als derart repräsentativ an, um auch für die Außenseiter Recht zu setzen und insbesondere die Preise vorzugeben.
Tarifverträge haben normative Geltung wie ein Gesetz – aber eben nur für Gewerkschaftsmitglieder und die Unternehmen, die dem Arbeitgeberverband angehören. Die gemeinsamen Vergütungsregeln sollen ohne diese normative Geltung faktisch auch auf Außenseiter erstreckt werden. Das wird nicht funktionieren: ein einzelner Urheber mag vielleicht noch im Prozess um seine individuelle Vergütung als Indiz für deren angemessene Höhe den Richter auf Vergütungsregeln hinweisen, die von einem Verband abgeschlossen sind, an den der Kläger nie und nimmer Mitgliedsbeitrag zahlen würde. Umgekehrt würde sich unser Urheber aber strikt dagegen wehren, wenn ihm sein individueller Auskunftsanspruch oder sein persönliches Recht, nach fünf Jahren den Verwerter zu wechseln, vom Richter mit dem Hinweis verwehrt würde, irgendein Urheberverband habe mit irgendeinem Verwerterverband eine Regel abgeschlossen, die dieses gesetzliche Recht außer Kraft setzen will. Unser Urheber würde fragen, mit welcher Legitimation irgendein Dritter ihm sein gesetzlich verbrieftes Recht absprechen will.
Jede Wette, unser Urheber würde einen Richter finden, der den Gesetzeswortlaut als Maßstab nimmt und nicht eine Vergütungsregel Dritter. Der Burdensome-Ansatz funktioniert also schon im Grundsatz nicht. Juristisch formuliert ist das eine Frage des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Der Regelungsmechanismus erscheint schon nicht geeignet, das gesetzgeberische Ziel zu erreichen. Aber auch bei der Abwägung zwischen dem Ziel, einem Kreativen zu seinem Recht zu verhelfen, und dem Eingriff in die Vertragsfreiheit des Verwerters hat das Bundesverfassungsgericht zum Urhebervertragsrecht geurteilt, dass dem Verwerter jedenfalls im gerichtlichen Verfahren die Möglichkeit bleiben muss, im konkreten Fall darzulegen, warum eine andere Vereinbarung als kollektiv vorgezeichnet für beide Vertragsparteien gleichwohl angemessen ist.
Gefahr droht vom europäischen Kartellrecht
Gefahr droht dem gesetzgeberischen Modell auch vom europäischen Kartellrecht. Selbstständige Urheber sind Unternehmer. Es gilt der Grundsatz, dass Preisabsprachen unzulässig sind. Genau das will aber der Gesetzgeber erreichen: die Branchen sollen die Konditionen einschließlich der Preise festsetzen. Der Preiswettbewerb soll ausgeschlossen werden, weil der Gesetzgeber die Rollenverteilung im Urheberrechtskosmos zwischen oben und unten so eindeutig verteilt sieht. Das Problem ist nicht neu und war bereits im Gesetzgebungsverfahren vor der Novelle 2002 diskutiert worden. Hatte man dort halbwegs wohlwollend noch davon reden mögen, die Vergütungsregeln seien eine Orientierungsmarke, die abweichende individuelle Vereinbarungen nicht ausschließen, sodass der Wettbewerb immerhin noch eine Restchance hat, so ist das nach der deutlichen Verschiebung, die der Gesetzgeber zum kollektiven Urhebervertragsrecht vornehmen will, auch bei gutmeinender Interpretation kein Argument mehr. Das Gesetzesvorhaben erscheint klar europarechtswidrig.
Würde sich der Referentenentwurf durchsetzen, wäre die nächste Runde an grundsätzlichen Streitigkeiten beim Urhebervertragsrecht vorgezeichnet. Würde ein Verwerter von einer Gewerkschaft auf Unterlassung individueller Vertragsvereinbarungen verklagt, würde der Verwerter recht beraten zunächst einmal einwenden, dass die gemeinsame Vergütungsregel, die mit dem gegen ihn gerichteten Verfahren durchgesetzt werden soll, ohnehin europarechtswidrig ist. Man sieht sich in Luxemburg.
Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe Nr. 2/2016 erstveröffentlicht.