Medienwirtschaft:

„Das ‚große Geschäft‘ ist eher ein Zukunftsversprechen“

von am 03.06.2016 in Allgemein, Archiv, Digitale Medien, Filmwirtschaft, Internet, Interviews, Kreativwirtschaft, Medienwirtschaft, Plattformen und Aggregatoren

<h4>Medienwirtschaft:</h4> „Das ‚große Geschäft‘ ist eher ein Zukunftsversprechen“
Boris Bolz, Geschäftsführer Mediakraft

Mediakraft wird fünf Jahre alt und Köln wird offizielles Hauptquartier

03.06.16 Interview mit Boris Bolz, Geschäftsführer Mediakraft

Mediakraft Networks verlagert seine bisher in München angesiedelten Unternehmens-Aktivitäten nach Köln. Köln wird damit auch offiziell das Headquarter vom Online-Video-Netzwerk Mediakraft. Nach eigenen Angaben will Mediakraft damit noch schlagkräftiger werden und seinen Service für Künstler und Werbekunden ausbauen. Damit konzentriert Mediakraft seine Aktivitäten am bisher schon bedeutendsten Standort des Unternehmens. Bestehen bleiben aber auch weiterhin die beiden deutschen Sales- und Produktions-Niederlassungen des Unternehmens in Hamburg und Berlin. In Köln entstehen unter anderem “TopZehn” (über 1,6 Millionen Abonnenten), der Kino-Kanal “DieFilmfabrik” (über 112 Millionen Videoviews), der Informationskanal “So Geht Das!” (rund 8 Millionen Videoviews) und mehrere weitere Formate.

medienpolitik.net: Herr Bolz, nach dem jüngsten Web-TV-Monitor der DLM existieren gegenwärtig ca. 8000 deutschsprachige YouTube-Kanäle mit mehr als 500 Abonnenten. Wie viele dieser Channel kommen von Ihnen?

Boris Bolz: Mitte April 2016 waren es genau 1.082. Aber das ist nicht ganz so erstaunlich, wenn man bedenkt, dass wir der einzige unter den großen Online-TV-Sendern sind, der sich systematisch der Förderung auch junger Talente verschrieben hat. Für die meisten Netzwerke und TV-Sender werden YouTuber erst interessant, wenn sie bereits großen Erfolg haben. Mediakraft ist von YouTubern gegründet worden, weshalb wir vielleicht etwas mehr als andere uns den Aufbau von Talenten auf unsere Fahnen geschrieben haben. Unsere Gründer waren selbst einmal kleine YouTuber. Zu unserer DNA gehört es, Künstler aufzubauen.

medienpolitik.net: Mediakraft wird in diesem Jahr fünf Jahre alt. Was wollen Sie vor allem feiern?

Boris Bolz: Fünf Jahre sind nun nicht wirklich alt, wir sind ja kaum der Start-up-Phase erwachsen. Das zehnjährige werden wir sicherlich gebührend feiern, und bis dahin feiern wir in bescheidenem Rahmen die Erfolge harter Arbeit, etwa wenn wir die Kino- und Musikerfolge unserer Künstler DieLochis feiern, einen neuen erfolgreichen Künstler signen wie den Minusmensch, oder einer unserer Original-Content-Kanäle wie TopZehn im Januar die 1,5 Millionen Abonnenten knackt oder bei DieFilmfabrik.tv das 100 millionste Video abgerufen wird.

medienpolitik.net: Wie hat sich in den vergangenen fünf Jahren die Funktion von Mediakraft gewandelt?

Boris Bolz: Kurz gesagt: Der Wettbewerb ist härter geworden, die Ansprüche der Künstler und des Publikums sind gestiegen. Wichtig war die Professionalisierung im Bereich des Umgangs mit der Werbewirtschaft. Wir haben jetzt klare Regeln für Produktplatzierungen, die wir in einem sehr konstruktiven Prozess gemeinsam mit den Landesmedienanstalten entwickelt haben. Aber es bleibt die Herausforderung, für professionell produzierten Content eine wirtschaftliche Basis zu schaffen. Künstler, die hauptberuflich auf YouTube tätig sind, erwarten, dass sie von ihrer Arbeit leben können. Das ist unsere andauernde Aufgabe.

medienpolitik.net: Es gibt in Deutschland inzwischen eine größere Anzahl von MCNs. Wird die Zahl der MCNs weiter wachsen oder wird es eher zu einer Konsolidierung kommen?

Boris Bolz: Der Eindruck täuscht glaube ich etwas, die Anzahl der MCNs hat sich nicht deutlich verändert, zumindest nicht derjenigen, die eine gewisse Marktrelevanz besitzen. Allerdings haben einige MCNs den Besitzer gewechselt, sind von Medienkonzernen aufgekauft worden. Beispielsweise Tube One, die 2014 vom Werberiesen Ströer geschluckt wurden, oder Collective Digital Studios, die 2015 für 83 Millionen US-Dollar von ProSiebenSat.1 übernommen wurden und heute Studio 71 heißen, oder Divimove, bei denen sich 2015 RTL eingekauft hat.
Das zeigt zweierlei. Erstens, die großen Konzerne sehen offenbar ein enormes Potential im MCN-Markt. Zweitens, wie andere Branchen auch, ist YouTube und Online-Video aus den Kinderschuhen raus. Solche Markt-Prozesse gehen eigentlich immer mit einer Konsolidierung einher.

medienpolitik.net: Die Maker-Studios eröffnen eine Niederlassung in Köln, also direkt vor Ihrer Nase, große Medienunternehmen haben in den letzten zwei Jahren eigene MCNs gegründet oder aufgekauft. Welche Chancen haben Netzwerke wie Mediakraft, sich dagegen zu behaupten?

Boris Bolz: Maker ist Teil des Disney-Konzerns, und der Eintritt in den deutschen Markt wird seit einem Jahr vorbereitet und ist Teil einer absolut logischen Internationalisierungs-Strategie. Wir pflegen gute persönliche Beziehungen zu Maker und freuen uns, dass die Standort-Entscheidung für Köln kurze Wege zu den Kollegen ermöglicht.
In der Tat aber ist Mediakraft als einziges der großen deutschen Netzwerke unabhängig geblieben und gehört noch nicht mehrheitlich zu einem großen Medienkonzern. Wenn sie schauen, wie viele Millionen Euro private TV-Sender in die Übernahme eines mit unserem Netzwerk vergleichbares Geschäftsmodell stecken, dann kann man schon neidisch werden. Auf der anderen Seite aber gibt diese Ausnahmestellung uns auch eine gewisse Unabhängigkeit und die Möglichkeit schneller Entscheidungen, um als Innovationsführer der Online-TV-Branche wahrgenommen zu werden.

medienpolitik.net: Man liest immer wieder von Millionären unter den YouTubern, dank gut dotierter Werbeverträge. Was landet von diesem Geld bei Ihnen?

Boris Bolz: Das ist ein häufiges Missverständnis. Wenn von YouTube-Millionären die Rede ist, denken viele Journalisten ans Geld. In der Branche versteht man unter YouTube-Millionären jedoch Künstler, die mehr als eine Million YouTube-Abonnenten haben. Und eine Million YouTube-Abonnenten sind keineswegs eine Million Euro Einnahmen, auch nicht im entferntesten. Fast alle Künstler müssen sich ihre Views hart erarbeiten, und wir als Netzwerk arbeiten hart an der Akquise von Werbeverträgen.
Dass das große Geschäft auf YouTube winkt, ist mit einigen seltenen Ausnahmen eher ein Zukunftsversprechen. Der Großteil der Werbebudgets landet heute immer noch im TV, online bekommt nur ein kleines Stück vom Kuchen. Das wollen wir ändern, aber das ist derzeit noch so. Beim Netzwerk, welches den Vertrieb organisiert, bei Bedarf Technik bereitstellt, Studios unterhält, Marketing und Fan-Development betreibt und Künstler fördert, bleibt nach Abzug der Plattformkosten – wenn es gut läuft – ein Viertel der Werbe-Einnahmen. Dass die MCNs dicke absahnen würden, ist genau so ein Ammen-Märchen wie die angebliche Kommerzialisierung der Szene durch die Netzwerke. Unser Ziel ist es einfach, YouTuber so erfolgreich zu machen, dass sie davon leben können. Einige wenige können das, und ein Bruchteil davon sehr gut. Immerhin nähert sich Mediakraft mit großen Schritten dem Break-even.

medienpolitik.net: Die YouTube-Kanäle leben von den Zugriffen, da von der Reichweite auch die Werbeerlöse abhängig sind. Das heißt, die MCNs mussten bisher mit noch mehr YouTube-Kanälen weiter wachsen, um profitabel zu sein. Was aber wohl nicht so recht gelang?

Boris Bolz: Zugriffe, also Video-Views, und Reichweite laufen nicht unbedingt synchron. Es gibt beispielsweise Gamer-Kanäle, die haben irrsinnig viele Views, aber eine vergleichsweise geringe Reichweite.
Bei der Reichweite sind wir im letzten Jahr voran gekommen. Erfreulich, dass Mediakraft obendrein auch bei den monatlichen Views von 390 Millionen Views im Monat auf 600 Millionen zulegen konnte. Wir hätten es gerne gesehen, wenn es noch besser gelaufen wäre, aber das ist doch ganz ordentlich.
Viel entscheidender für die Profitabilität ist jedoch, ob wir das Inventar monetarisieren. Bisher wird überhaupt nur rund ein Zehntel aller Videos auf Youtube monetarisiert. Das haben wir für unsere Kanäle im vergangenen Jahr deutlich steigern können, weshalb wir aufgrund einer gestiegenen Vertriebsleistung bei gesunkenen Kosten besser dastehen als zuvor.

medienpolitik.net: Wie sieht das neue Geschäftsmodell aus?

Boris Bolz: Wir werden immer wieder mit der Plattenindustrie verglichen. Aber der Vergleich stimmt gerade nicht. Wenn dort ein Künstler einen Vertrag mit einem Label eingeht, dann macht er für die ein paar Alben und zieht weiter. Aber die Platten bleiben bei dem Label, weil der Vertrag sich auf die Werke bezieht. Bei MCNs ist genau das Gegenteil der Fall – es sind Zeitverträge, nach denen der Künstler den Content mitnimmt. Das macht hohe Investments unattraktiv, der ROI bricht abrupt weg. Deshalb gehen wir mit Kreativen jetzt langfristige, auf die Werke bezogene Partnerschaften ein mit einem Auswertungsmodell, bei dem beide angemessen partizipieren.

medienpolitik.net: Sie arbeiten mit Department Musik bei einem Album der DieLochis zusammen. Das Paar gehört zu Ihren Stars. Ist das Teil Ihrer Strategie, den Erfolg Ihrer Stars in weitere Medien zu verlängern, und davon zu profitieren?

Boris Bolz: Selbstverständlich. Die Auswertung von Urheberrechten unserer Künstler über alle Medien ist generell ein Thema, welches wir strategisch und konsequent verfolgen. Das fängt mit klassischen CD-Verkäufen an, wo wir gerade mit großer Freude auf die iTunes und Amazon Vorbestellungszahlen für das im Sommer erscheinende erste Album der Lochis blicken. Aber das umfasst eben auch Merchandising und Ticketverkauf bis hin zu Kinofilmen. Hier sind wir in den letzten Monaten mehrere strategische Partnerschaften eingegangen, nicht nur mit Department Muusic, sondern auch mit Merchstore oder Stagelink. Wir können so unseren Künstlern ein weit umfassenderes Service-Paket bieten als in der Vergangenheit und unsere Zusammenarbeit auf ein neues Level heben.

medienpolitik.net: TV-Sender gehen bei Produktionen finanziell in Vorleistung. Ist das künftig bei YouTubern, um eine bestimmte Qualität zu sichern, auch verstärkt nötig?

Boris Bolz: Was oft übersehen wird, wenn davon die Rede ist, dass dreiviertel der heute populärsten YouTuber bei Mediakraft gestartet sind, dass viele von ihnen sogar als Angestellte gestartet sind oder Mediakraft ihr Studium oder ihre Ausbildung finanziert hat. Insofern sind wir auch in der Vergangenheit schon in Vorleistung gegangen, und der Aufbau vieler YouTube-Kanäle wäre sonst kaum denkbar gewesen. Der Fehler war, dass wir damals keine längerfristigen Verträge über die Auswertung des Contents abgeschlossen haben, sodass die Künstler nach Ende des Vertrages den Content mitgenommen haben.
Eine der Veränderungen, welche den Markt aktuell kennzeichnen, ist jedoch auch, dass die Ansprüche an den Content steigen. Mit einer bloßen Kopie bestehender Schmink-Kanäle oder Letsplay-Formate startet heute kein Künstler mehr durch. Desweiteren ist es aufgrund des breiteren Angebotes heute generell schwieriger als vor drei oder vier Jahren, eine große Fanbase aufzubauen. Junge Künstler müssen oft ein lange Durststrecke überstehen, sodass wir hier auch in Vorleistung gehen müssen. Gerade weil sich Mediakraft auch der Förderung junger Talente verschrieben hat.

medienpolitik.net: Der mobile-Video-Konsum wächst sehr schnell. Hat das Konsequenzen für Sie? Oder ist Channel gleich Channel, egal über welchen Weg?

Boris Bolz: Da unser Angebot nicht gebührenfinanziert ist, muss unabhängig vom Distributionsweg eine Monetarisierung möglich sein. Rund 60 Prozent unserer User konsumieren unseren Content mobil. Mobile hat also eine enorme Bedeutung für uns. Die Carrier wissen das. Erste Ansätze für Kooperationen von Mobilfunkanbietern mit YouTube-Künstlern fanden wir auch wirklich sehr interessant, sie waren allerdings noch nicht wirklich überzeugend umgesetzt. Hier hätten wir einige Ideen, wie man es konsequenter machen könnte.

medienpolitik.net: Die „Erneuerung“ der YouTube-Szene erfolgt sehr rasant. Inzwischen ist die zweite Generation von YouTubern aktiv. Ändern sich damit auch die Inhalte und Formate?

Boris Bolz: Auch wenn sich das menschliche Bedürfnis nach Entertainment seit 2.000 Jahren weniger verändert hat, als wir manchmal glauben möchten, setzt natürlich jede Generation neue Impulse. Einige sagen ja, es sei sogar schon die dritte Generation aktiv. Ein innovatives Format sind etwa Broken Thumbs TV, die Letsplay mit Comedy und Unpacking mixen und die Schwächen der YouTuber-Szene bisweilen gnadenlos aufs Korn nehmen. Sicherlich nicht jedermanns Geschmack, aber bei den jungen Zuschauern finden sie riesigen Anklang und gehören zu den schnellst wachsenden Kanälen.
Generell sehen wir einen Trend zu mehr nutzwertigen Informationen. Die Zuschauer wollen nicht mehr nur unterhalten werden oder am Leben ihrer Idole teilhaben, sondern etwas dabei lernen oder unerhörte Geschichten erzählt bekommen. Das zeigt die große Popularität von Do-it-yourself Formaten und so genannten Live-Hacks.

medienpolitik.net: Auf Facebook laufen mehr Videos als auf YouTube. Wären soziale Medien wie Facebook für Sie mit Ihren Channels auch eine Alternative zu YouTube?

Boris Bolz: YouTube wird für uns immer ein wichtiges Medium bleiben. Facebook hat heute ebenfalls schon eine sehr große Bedeutung, und mit der möglichen Monetarisierung von Video-Content wird diese Plattform für uns noch interessanter. Parallel sprechen wir mit vielen weiteren Partnern. Spotify liefern wir bereits Premium-Content, und wir können uns sehr gut weitere Partner vorstellen – auch mit Print-Medien, die für ihre Webseiten attraktiven Video-Content benötigen.

medienpolitik.net: YouTube will auch Paid-Content anbieten – wenn auch vorerst nur in den USA. Inwieweit könnten Mediakraft und Ihre Channels davon profitieren?

Boris Bolz: Wir beobachten diese Entwicklung mit großem Interesse. Wir produzieren heute schon Content, für den YouTube-Zuschauer auch bereit sind, Geld auszugeben, wie unseren Kanal TheGreatWar, den wir teilweise über Crowd-Funding finanzieren. Strategisch gesehen könnte also die Einführung eines Paid-Content-Modells bei YouTube sowohl die Produktion von neuem Qualitäts-Content befördern als auch bestehenden Kanälen neue Finanzierungswege eröffnen. Mal schauen.

Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe Nr. 6/2016 erstveröffentlicht.

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