Filmwirtschaft:
„Gewinner wären große digitale Plattformen“

Verbot von Geoblocking würde für deutsche Produzenten ein Umsatzminus von 400 Mio. Euro bedeuten
13.07.16 Interview mit Christian Sommer, Country Representative Germany, Motion Picture Association (MPA)
Territoriale Lizenzen sind das Fundament der Filmwirtschaft in Deutschland und Europa. Würde dieses Fundament im Zuge der Gesetzgebungsvorhaben zum Digitalen Binnenmarkt abgeschafft oder eingeschränkt, müssten Filmwirtschaft, Verbraucher und kulturelle Vielfalt mit erheblichen Verlusten rechnen. So würde kurzfristig der Umsatz deutscher Produzenten um bis zu 400 Mio. Euro und das Produktionsvolumen in Deutschland um bis zu 30 Prozent sinken, deutsche Verbraucher würden mit bis zu einer Milliarde Euro mehrbelastet. Langfristig wäre die Prognose insbesondere für lokale Filmproduktionen noch schlechter. Das geht aus einer Studie der Forschungsinstitute Oxera und Oliver & Ohlbaum hervor, die im Auftrag zahlreicher Verbände, Unternehmen und Filmfördereinrichtungen der deutschen und europäischen Filmbranche die Relevanz des Territorialitätsprinzips für audiovisuelle Medien in der EU und europäische Verbraucher untersucht hat.
medienpolitik.net: Herr Sommer, ein Streitpunkt bei der Schaffung des digitalen Binnenmarktes ist das Geoblocking. Warum wollte bzw. will die EU-Kommission das Territorialitätsprinzip abschaffen?
Christian Sommer: Die EU-Kommission geht fälschlicherweise nach wie vor davon aus, dass das Urheberrecht ein Hindernis für den digitalen Binnenmarkt darstellt. Diese Annahme ist grundfalsch, denn es gibt keine gesetzliche urheberrechtliche Vorschrift, die grenzüberschreitende Lizenzierungen untersagt. Auch heute ist es möglich, audiovisuelle Werke grenzüberschreitend zu lizenzieren und auszuwerten. Geoblocking ist dabei ein Instrument zur Durchsetzung von Lizenzverträgen, die so ausgestaltet werden, dass sie der Nachfrage, den Marktgegebenheiten und Vermarktungsmöglichkeiten optimal gerecht werden. Der geltende Urheberrechtsrahmen ist also kein Hindernis, sondern gleichermaßen flexibel und notwendig, um den digitalen Binnenmarkt bestmöglich zu bedienen und als wichtigste rechtliche Grundlage die Produktion von europäischen Filmen durch Vorab-Verkäufe der Rechte in verschiedene Märkte überhaupt erst zu ermöglichen. Eine Aushöhlung des Territorialitätsprinzips mit dem Wegfall der Möglichkeit gebietsspezifischer Vermarktung und exklusiver Auswertung würde die Finanzierungsgrundlage von Film- und Fernsehproduktionen eliminieren. Auch deswegen steht die gesamte europäische Filmbranche diesem Vorhaben der Kommission – vorsichtig ausgedrückt – sehr kritisch gegenüber. Wenn die Kommission Hindernisse bei der Realisierung des digitalen Binnenmarktes tatsächlich angehen möchte, so gibt es beispielsweise mit unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen, heterogenen Jugendschutzbestimmungen und einem äußerst fragmentierten Breitbandausbau in der EU genug Ansatzpunkte, sicherlich aber nicht beim Urheberrecht.
medienpolitik.net: Wer profitiert vor allem von der Abschaffung des Territorialitätsprinzips?
Christian Sommer: Zahlreichen Verlierern stehen vielleicht eine Handvoll Gewinner gegenüber, und das sind die großen digitalen Plattformen, die auch heute schon ganz Europa bedienen können und die in der Lage sind, paneuropäische Lizenzen zu erwerben und die Mittel dafür aufzubringen. Heute gibt es eine vielfältige Landschaft von ca. 3.000 Online-Abrufdiensten in Europa, mit einem funktionierenden Wettbewerb und der Möglichkeit, der Vielfalt in Europa gerecht zu werden und unterschiedlichste Nachfrager zu bedienen. Kleine und lokale On-Demand-Anbieter wären aber nicht die einzigen Verlierer: Es wären vor allem die Verbraucher, denen nicht etwa ein größeres Angebot zur Verfügung stünde, sondern mittel- und langfristig eine stark reduzierte und weitaus weniger vielfältige Film- und Fernsehlandschaft, was sich unmittelbar auf die kulturelle und sprachliche Vielfalt in Europa auswirkt. Auch zeigt die Eurobarometer-Erhebung der Kommission, dass die Nachfrage nach grenzüberschreitendem Zugriff verschwindend gering ist. Wenn die weiteren Verlierer in einem solchen Szenario, die Produzenten, mangels Finanzierungsmöglichkeiten überhaupt noch für einen faktisch gesamteuropäischen Markt produzieren können, dann für größere Zielgruppen und zu Mainstream-Themen. Auch hier mit direkter Auswirkung auf die kulturelle und sprachliche Vielfalt, insbesondere für die kleineren Mitgliedstaaten. Verlieren würden auch der Wettbewerb, die Vertragsfreiheit und die europäische Idee nach dem Leitgedanken „in Vielfalt geeint“. Wenigen internationalen Digitalplattformen stehen also nur Verlierer gegenüber, langfristig sicher auch diejenigen, die aus sehr persönlicher Perspektive aus Brüssel argumentieren.
medienpolitik.net: In den letzten Wochen hat Günther Oettinger mehrfach betont, dass er sich dafür einsetzen werde, dass Geoblocking weiterhin möglich sei. Ist damit die Gefahr vom Tisch?
Christian Sommer: Es ist erfreulich, dass Kommissar Oettinger die Tragweite und Bedeutung von territorialer Auswertung erkennt und unsere Argumente offenbar überzeugen. Dem steht jedoch das in der Mitteilung der EU-Kommission vom 9. Dezember 2015 zu „Schritten zu einem modernen, europäischeren Urheberrecht“ explizit festgelegte „eigentliche Ziel eines vollständigen, europaweit grenzüberschreitenden Zugangs zu allen Arten von Inhalten“ gegenüber, was der Beschlusslage der EU-Kommission entspricht. Dies steht erst einmal und solange dies weiter als Ziel der Kommission Bestand hat, stehe ich anderslautenden Lippenbekenntnissen eher skeptisch gegenüber. Die EU-Kommission arbeitet gerade an einer Überarbeitung der Satelliten- und Kabelrichtlinie, wo die Kommission die Möglichkeit hat, ihren Worten Taten folgen zu lassen und das Territorialitätsprinzip und die exklusive Rechteauswertung im Online-Bereich nicht anzutasten. Die Gefahr ist also noch nicht vom Tisch.
medienpolitik.net: Warum droht gerade mit der Überprüfung der Satelliten- und Kabelrichtlinie Gefahr für das Geoblocking?
Christian Sommer: Die Satelliten- und Kabelrichtlinie hat in der besonderen Situation im Jahr 1993 einige Grundprinzipien festgelegt, die bis heute Geltung haben. Dazu gehören das Herkunftslandprinzip für Satellitensendungen das besagt, dass nur für das Ursprungsland der Satellitensendung die Urheberrechte erworben werden müssten, nicht aber für jedes Land, in dem der damals kaum eingrenzbare Overspill des Satelliten empfangbar war. Abgesehen davon, dass dieses Prinzip durch Verschlüsselung und Decoder-Empfänger und somit eingrenzbarer Empfangsmöglichkeit an Bedeutung verloren hat, ist in der Diskussion, dieses Prinzip auf den Online-Bereich auszudehnen, auch wenn die technischen Grundlagen in keiner Weise vergleichbar sind. Dies würde aber bedeuten, dass für einen Online-Abrufdienst nur im Ursprungsland die Rechte erworben werden müssten, nicht jedoch im Empfängerland – mit verheerenden Auswirkungen. Abgesehen davon, dass schon schwer festzustellen wäre, wo denn eine solche „Sendung“ ihren Ursprung hätte, würde dies das Territorialitätsprinzip vollkommen aushebeln und für eine bisher landesspezifische Lizenz 27 dazu kommen – mit fatalen Folgen für das Preisgefüge und der Durchsetzbarkeit von Rechten insbesondere bei illegale Angebote. Das zweite relevante, in der Satelliten- und Kabelrichtlinie verankerte Prinzip ist die Verwertungsgesellschaftenpflichtigkeit für die Weitersendung von Rundfunksendungen im Kabelnetz, mit der die damaligen Investitionen in die Infrastruktur erleichtert werden sollten. Auch hier ist eine Ausweitung auf den Online-Bereich im Gespräch und zwar nicht nur für lineare, sondern auch für nicht-lineare Inhalte wie Catch-up-TV und Mediathekeninhalte. Auch dies würde vorhandene und wertvolle Exklusivrechte, die Basis für die Finanzierung und Refinanzierung von audiovisuellen Inhalten, massiv entwerten, die Entwicklung von neuen Angeboten hemmen und Investitionen in Inhalte und -produktion kaum mehr möglich machen. Der audiovisuelle Bereich arbeitet auf der Basis von Vertragsfreiheit, welche die individuelle Ausübung von Exklusivrechten ermöglicht. Jede Ausweitung einer Verwertungsgesellschaftspflichtigkeit und des Herkunftslandprinzips ist insbesondere wegen der besonderen Unterschiede zwischen Satellit und Kabel auf der einen, sowie des Internets auf der anderen Seite weder geboten noch notwendig. Dies würde Nachfrage- und Marktrealitäten verkennen, praktische und rechtliche Probleme nicht nur bei der Rechtsdurchsetzung mit sich bringen sowie wohl im Widerspruch zu international bindenden Verpflichtungen der EU und der Mitgliedstaaten stehen. Selbst wenn die urheberrechtlichen Grundlagen unangetastet blieben, eine territoriale Lizenzvergabe also nach wie vor möglich wäre und „nur“ Geoblocking innerhalb nicht mehr möglich wäre, würde die Lizenzvergabe mangels Durchsetzbarkeit und Eingrenzbarkeit faktisch nur noch europaweit stattfinden, da das Instrument zur Einhaltung der vertraglichen Bestimmung fehlen würde. Die urheberrechtliche Grundlage und das Instrument zur Durchsetzung von lizenzrechtlichen Vertragsbestimmungen gehen Hand in Hand.
medienpolitik.net: Warum würde die Filmwirtschaft unter der Abschaffung vor allem leiden?
Christian Sommer: Der gesamte europäische audiovisuelle Sektor hat im Jahr 2013 Einnahmen in Höhe von etwa 83 Milliarden Euro erzielt, wovon 40 Milliarden Euro für Inhalte ausgegeben wurden. Deswegen ist es wenig überraschend, dass die Vorschläge der Kommission insbesondere dort größte Sorge ausgelöst haben. Film- und Fernsehproduktionen werden in der EU derzeit primär nach dem Prinzip der Gebietsausschließlichkeit lizenziert, Land für Land. Dies vereinfacht den Vorabverkauf von Rechten noch vor Drehbeginn in verschiedenen Ländern, um das für die Produktion notwendige Budget zu beschaffen. Die Produktion von Inhalten ist in einem wettbewerbsintensiven Umfeld grundsätzlich risikobehaftet: Jeder neue Film, jedes neue Fernsehprogramm oder jede neue Fernsehserie stellen einen Prototyp dar – eine kostspielige Investitionsentscheidung, deren Erfolg oder Scheitern sich nicht genau vorhersagen lässt – und bei jeder Art von Inhalten gibt es mehr Misserfolge als Erfolge. Um der Nachfrage gerecht zu werden und um die Produktion von Inhalten finanziell tragbar zu machen, müssen die Produzenten auf einer Portfolio-Basis ausreichende Erträge erwirtschaften – unterstützt von rentablen Inhalten zum Ausgleich der unrentablen Inhalte. Anders ausgedrückt: die Hits gleichen die Flops aus, teilweise im Verhältnis 1 zu 9, wobei ein Erfolg bis zu 9 Misserfolge mitfinanziert. In Europa bewertet jede nationale Zuschauerhaft Inhalte verschieden, abhängig von kulturellen Faktoren, lokalen und sprachlichen Vorlieben. Filme werden über sogenannte „Fenster“ verbreitet, die den Verbrauchern ermöglichen, eine Reihe von Medien – z.B. Kino, Blu-ray,/DVD, VoD, Pay-TV/Free-TV – mittels verschiedener Angebotstypen sei es Abonnement, Verleih oder Kauf, zu dem Preis anzusehen, den sie bereit sind zu zahlen. Die teils staatlichen Vorgaben für diese Fenster sind von Land zu Land unterschiedlich. Dies erhöht die Komplexität der Vermarktung audiovisueller Inhalte in ganz Europa zusätzlich, zeigt aber auch, wie fragil diese Branche ist. Ein Eingriff in die so wichtige Vertragsfreiheit und das Territorialitätsprinzip als Finanzierungsgrundlage hätte verheerende Auswirkungen. Hier gibt es auch keine Unterschiede zwischen kleinen, unabhängigen Produzenten in Deutschland und großen internationalen Studios, denn lokale und europäische Produktionen machen eine wichtige Säule des Geschäfts aus, teilweise bis zu 40 Prozent des Umsatzes.
medienpolitik.net: Die Musikindustrie protestiert nicht gegen die Abschaffung, obwohl die Musik über VoD-Plattformen im Internet weltweit gestreamt werden kann. Warum ist das, was für Sie ein Problem ist, für die Musikindustrie anscheinend kein Problem?
Christian Sommer: Zunächst einmal sind natürlich die Finanzierungs- und Produktionsmechanismen im Musikbereich nicht mit der in der Filmwirtschaft vergleichbar. Auch bei der Auswertung gibt es deutliche Unterschiede, wenngleich es bei der Vermarktung einige Änderungen gegeben hat. Mit der Verwertungsgesellschaftenrichtlinie wurde aber auch grenzüberschreitende Komponenten für die Musikwirtschaft bereits geregelt und mittlerweile auch in Deutschland umgesetzt. Im Hinblick auf die Bedeutung und den Wert von Exklusivrechten bei der Auswertung und Vermarktung gibt es nach meiner Wahrnehmung keinerlei Unterschiede. Die Prinzipien der Vertragsfreiheit, der Vermarktungsmöglichkeit und die Durchsetzung von Exklusivrechten sind elementare Grundpfeiler sowohl der Film- als auch der Musikindustrie. Ich habe keinen Zweifel, dass die Musikindustrie ebenfalls Versuchen entgegentreten wird die zur Folge hätten, Exklusivrechte zu entwerten und Auswertungsmöglichkeiten einzuschränken.
medienpolitik.net: Wie groß wäre der Schaden für die Filmwirtschaft in Europa, wenn Geoblocking nicht mehr erlaubt sein würde?
Christian Sommer: Die jüngst vorgestellte Studie „Auswirkungen von grenzüberschreitendem Zugang zu audiovisuellen Inhalten für Konsumenten in der EU“ der Unternehmensberatung Oxera und der Medienberatung Oliver & Ohlbaum (www.oxera.com/crossborder) legt dar, dass die Vorschläge der EU-Kommission zur Änderung des Urheberrechts und zur Untergrabung der Verwertung von Film- und TV-Rechten in Europa nach dem Territorialitätsprinzip zu deutlich geringeren Investitionen in TV- und Filminhalte führen. Die wirtschaftlichen Berechnungen sagen kurzfristig signifikante Einschnitte voraus, wobei die Zuschauer in Europa Wohlfahrtsverluste im Wert von bis zu 9,3 Milliarden Euro infolge des Verlustes des Zugangs zu Inhalten und Diensten, zu dem sie derzeit berechtigt sind, sowie infolge höherer Preise hinnehmen müssten. In Deutschland würden sich dieser Wohlfahrtsverlust auf bis zu 1 Mrd. Euro summieren und es würden bis zu 45{4ae5f2cfbae1b1bdedfa59fe4a07f58bb35532ad595a47938acbe0c93e3e4f45} weniger lokale Inhalte produziert werden, insbesondere Nischenprodukte und Inhalte abseits des Mainstream. Europaweit geht die Studie von bis zu 8,2 Mrd. Euro weniger Umsatz für Produzenten aus.
medienpolitik.net: Wird nicht durch Abo-Modelle globaler VoD-Anbieter wie Netflix oder Amazon Geoblocking eh zu einem Auslaufmodell?
Christian Sommer: Globale VoD-Anbieter würden unzweifelhaft zu den Gewinnern, vermutlich zu den einzigen Gewinnern zählen, sollten gebietsspezifische Auswertungen in der EU nicht mehr möglich und das Territorialitätsprinzip ausgehöhlt werden. Schon heute ist es so, dass einige dieser Plattformen, wann immer möglich, sich die weltweiten Rechte sichern. Das zeigt, dass es auch heute möglich ist, sowohl grenzüberschreitend Inhalte anbieten zu können und gleichzeitig einen Wettbewerb zwischen den verschiedensten Anbietern, global und national, zu ermöglichen. So kann sichergestellt werden, dass die Nachfrage optimal bedient wird und Nutzerpräferenzen berücksichtigt werden können. Abo-Modelle sind zudem nur eine von vielen Möglichkeiten, Inhalte online zur Verfügung zu stellen – die gleichen Inhalte, die in einem anderen Auswertungsfenster über andere Plattformen und Modelle von unterschiedlichen Rechteinhabern vertrieben und so zur Refinanzierung der Produktionen beitragen. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Geoblocking ist keineswegs ein Auslaufmodell. Das Gegenteil ist möglicherweise der Fall und die globalen Plattformen zeigen auf, wie wichtig exklusive Inhalte in dem boomenden digitalen Markt sind. Je diversifizierter die Märkte werden, je genauer auf Nutzerbedürfnisse eingegangen, je spezifischer Lizenzen vergeben werden und je exklusiver die Inhalte werden, desto wichtiger wird die spezifische Einhaltung und Abgrenzung der Lizenzen – und dafür ist Geoblocking als Instrument zur Lizenz-Compliance wichtig.
medienpolitik.net: Im Entwurf der AVMDRL wird jetzt gestattet, dass Mitgliedstaaten Videoplattformen künftig zur Finanzierung von Filmförderfonds mit heranziehen dürfen. Schafft das nicht den finanziellen Ausgleich zur Abschaffung von Geoblocking?
Christian Sommer: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun und sollte auch nicht vermischt werden, ebenso wenig wie das Herkunftslandprinzip in der AVMDRL und das in der Satelliten- und Kabelrichtlinie. Vor einer solchen Logik des „Ausgleichs“ oder „Aufrechnens“ kann ich nur warnen. Der nächste logische Schritt wäre dann etwas, was wir vor einigen Jahren in Deutschland unter dem unsäglichen Begriff „Kulturflatrate“ gekannt haben, auf europäischer Ebene und was Produktionen nur durch einen gigantischen Umverteilungsmechanismus am Markt und Nutzer vorbei und abhängig von den Verteilern möglich machen würde. Planwirtschaft par excellence. Eine Erhöhung des EU-Fördervolumens sozusagen als „Ausgleich“ wurde ebenfalls bereits diskutiert. Markt und Exklusivität mit einem Höchstmaß an Flexibilität können die Möglichkeiten und Potenziale für die Filmwirtschaft auf lokaler, europäischer und internationaler Ebene am besten freisetzen.
medienpolitik.net: Was könnte die EU-Kommission bewegen, Geoblocking weiterhin zu gestatten?
Christian Sommer: Bevor die EU-Kommission Rechtsakte vorschlägt ist sie verpflichtet, auf Basis der besten verfügbaren Erkenntnisse eine Folgenabschätzung vorzunehmen. Dabei sollen die Auswirkungen quantifiziert und dargelegt werden. Die Territorialitätsstudie von Oxera / Oliver & Ohlbaum ist dabei der Maßstab. Ich bin sehr zuversichtlich, dass dort auch die zahlreichen, teils von der Kommission selbst beauftragten Studien mit einfließen werden und die Kommission, sollte sie die Ergebnisse der Folgenabschätzung ernst nehmen, auf derartig tiefgreifende Einschnitte in einen funktionierenden Markt verzichten muss und wird. Dies auch angesichts der bindenden Prinzipien zur besseren Rechtssetzung, nach der die angestrebten Ziele zu möglichst geringen Kosten erreicht werden müssen. Die durch eine Aushöhlung des Territorialitätsprinzips verursachten Kosten stehen in keinem Verhältnis zu den nur höchst unwahrscheinlichen Vorteilen und den verbundenen Schäden für die Rechteinhaber, für die kulturelle Vielfalt in Europa, der Auswahlmöglichkeiten für Verbraucher und der europäischen Filmwirtschaft insgesamt.
Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe 07/16 erstveröffentlicht.