Hörfunk:

Den Wandel der Medien berücksichtigen

von am 04.07.2016 in Allgemein, Archiv, Digitale Medien, Dualer Rundfunk, Gastbeiträge, Hörfunk, Medienregulierung, Medienwirtschaft, Plattformen und Aggregatoren, Regulierung, Rundfunk

<h4>Hörfunk: </h4>Den Wandel der Medien berücksichtigen
Gert Zimmer, Geschäftsführer, und Nina Gerhardt, Leiterin Medienpolitik & Kommunikation RTL Radio Deutschland GmbH

Ein zeitgemäßer Ordnungsrahmen für den privaten Hörfunk

04.07.16 Von Gert Zimmer, Geschäftsführer, und Nina Gerhardt, Leiterin Medienpolitik & Kommunikation RTL Radio Deutschland GmbH

Radiomachen verändert sich. Die Sender müssen die Menschen über verschiedenste Kanäle und verstärkt online erreichen. Jenseits der klassischen terrestrischen Verbreitung stoßen sie auf Musikdienste und andere aufmerksamkeitsstarke Angebote, mit denen sie nun im Wettbewerb um Aufmerksamkeit stehen. Hierfür sind Innovationen und Investitionen gefragt, um in diesem wettbewerbsintensiven Umfeld zu bestehen. Zusätzlich zu ihren Digitalstrategien und Zukunftsvisionen brauchen die Unternehmen hierfür die Unterstützung der Medienpolitik für einen zeitgemäßen Ordnungsrahmen des privaten Hörfunks.

Rahmenbedingungen aus analogen Zeiten

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den privaten Hörfunk wurden vor langer Zeit festgelegt: Mit dem Start der privaten Programme Mitte der 80er-Jahre wurde das strukturelle und ordnungspolitische Korsett für Radioveranstalter erstellt. Die Welt war damals noch analog. Privatradio wurde überwiegend den Verlagsunternehmen zugesprochen, die in ihren regionalen und lokalen Verbreitungsgebieten tief verankert waren und zusätzlich Radiosender angliedern durften. Es sind heute im Wesentlichen noch die gleichen Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen, die seit den Gründungszeiten im Radiomarkt bestehen und die Gattung zu ihrer hohen Akzeptanz bei den Menschen geführt haben.

Gründe für die Regulierungsdichte

Radio ist ein Massenmedium mit regionaler oder lokaler Verankerung. Den Hörfunkprogrammen wurde in ihren analogen UKW-Märkten durch ihre hohe Attraktivität und der großen Reichweite ein erhebliches Meinungsbildungspotenzial zugesprochen. Zudem waren sie auf örtlich klar umgrenzte Verbreitungsgebiete ausgerichtet, in denen bereits Verlagshäuser einen Großteil der Bevölkerung erreichen konnten. Aus diesen Gründen wurde der Hörfunk mit weitgehenden Beschränkungen zur Verhinderung von Meinungskonzentration versehen. Der Radiomarkt sollte plural sein, um den Risiken einer einseitigen öffentlichen Meinungsbildung entgegenzuwirken. Meinungsvielfalt ist bis zum heutigen Tag das oberste Ziel der deutschen Hörfunkregulierung. Sie wird nach strengen Maßstäben mit Blick allein auf den Radio- bzw. Pressemarkt im Verbreitungsgebiet überprüft. Vielfalt ist sowohl durch Außenpluralität (dem Angebot möglichst vieler unterschiedlicher Programme) als auch Binnenpluralität (Meinungsvielfalt innerhalb des Veranstalters und/oder Programms) zu gewährleisten.
Ganz im Zeichen der föderal ausgerichteten Regulierung regeln 14 Landesmediengesetze bzw. Staatsverträge für Medien die Sicherstellung der Meinungsvielfalt in Deutschland. Die Gesetze unterscheiden sich bezüglich der Vorschriften zur Verhinderung der vorherrschenden Meinungsmacht teilweise ganz erheblich voneinander. Mit dem Ziel der Pluralität beinhalten zahlreiche Gesetze zum Beispiel die Verhinderung von Senderverbünden in einem lokalen oder landesweiten Verbreitungsgebiet, Beteiligungshöchstgrenzen von Anteilseignern am Hörfunk oder Vorgaben zum Binnenpluralismus innerhalb eines Programmveranstalters (wie die gesellschaftsrechtliche Zusammensetzung der Anteilseigner eines Senders). Die Gesetze weisen damit eine große Heterogenität und hohe Komplexität auf, um den jeweiligen Marktgegebenheiten Rechnung zu tragen. Die Regelungen führen zu einer regelmäßigen Überprüfung der Zusammensetzung der Gesellschaftsstrukturen von Rundfunkveranstaltern durch die Landesmedien-anstalten, wobei die Feststellung einer Meinungskonzentration im außen- oder binnenpluralen Bereich zur Bestimmung vielfaltssichernder Maßnahmen bis hin zum Lizenzverlust für den Veranstalter führen kann bzw. muss.

Unveränderte Struktur des Radiomarktes

Die Struktur des deutschen Privatradiomarktes ist daher in den vergangenen Jahrzehnten im Wesentlichen gleich geblieben. Die deutsche Hörfunklandschaft ist seit jeher fragmentiert, regional bzw. lokal ausgerichtet und dadurch hochgradig plural. Aufgrund der Frequenzknappheit verfügt der auf die UKW-Verbreitung ausgerichtete Privatfunk seit seiner Gründung über eine limitierte Ausstattung an Frequenzen. Lediglich eine geringe Anzahl neu hinzugekommener UKW-Frequenzen konnten von der Regulierung seitdem an die Privaten verteilt werden. Auch die Radiounternehmen und deren Anteilseigner zeichnen eine hohe Kontinuität aus. Nur sehr wenige Veranstalter haben sich aus dem Radiogeschäft zurückgezogen oder UKW-Standorte aufgegeben, die von anderen Unternehmen übernommen wurden. Im Wesentlichen bestehen die heutigen Radiomarken seit den Gründungszeiten des privaten Hörfunks.

Veränderungen für das Radio durch die digitale Transformation

Viel Bewegung hat es somit weder in den Strukturen noch in den gesetzlichen Rahmenbedingungen des privaten Hörfunkmarkts gegeben. Gewaltig verändert haben sich hingegen die medialen Nutzungsgewohnheiten der Menschen und das Wettbewerbsumfeld von Radioveranstaltern. Heute konkurrieren Hörfunkunternehmen und ihre Produkte mit unzähligen Diensten um die Aufmerksamkeit der Menschen. In Zeiten des medialen Wandels hören die Menschen weiterhin in hohem Maße UKW-Programme, ihre Radionutzung verlagert sich jedoch zunehmend ins Internet. Dort finden sie eine unbegrenzte Vielfalt an Hörfunkprogrammen, anderen Audioformaten, aber auch an multimedialen Nachrichten, interaktiver Unterhaltung und personalisierten Services. Zudem werden Medien inzwischen verstärkt über das Smartphone konsumiert, das nicht nur für junge Menschen bereits zum unersetzlichen Lebensbegleiter geworden ist. Radio muss heute auf vielen Wegen zum Hörer finden und sich zunehmend von seiner klassischen Form lösen. Für die Sender ist es längst zum Alltagsgeschäft geworden, mit den Menschen über Social Media-Plattformen zu kommunizieren. Sie bringen Internet-Streams oder digitale Angebote auf den Markt, die das klassische, terrestrische Radioprogramm ergänzen oder völlig neue Dienste schaffen. Auch mit eigenproduzierten Videos, z.B. über Live-Broadcasting in sozialen Medien, erreichen vor allem Sender mit jüngerer Zielgruppe viel Reichweite. Neben der terrestrischen Verbreitung machen solche Onlinedienste bereits heute einen wichtigen Teil des Radiogeschäfts aus. Für die Sendeunternehmen bedeuten diese veränderten Anforderungen der Hörer, dass sie ihre Inhalte online verstärkt anreichern und personalisiert ausspielen müssen. Diese Entwicklungen gestalten das Radiomachen zunehmend komplexer.
Jedes Hörfunkunternehmen muss daher seine Strategie für die Inhalte und Verbreitungskanäle noch viel mehr als früher mit seinen finanziellen Rahmenbedingungen in Einklang bringen. Eine stetig steigende Inhalteproduktion, die Bedienung unterschiedlicher Plattformen und die ständige Entwicklung neuer technologischer Lösungen und digitaler Produkte führen zu kontinuierlich steigenden Kosten. Diesem stehen jedoch begrenzte Erlöse aus dem Werbemarkt gegenüber, was für den allein durch Werbung finanzierten privaten Hörfunk zu einem sinkenden Kostendeckungsgrad führt.

Ungleicher digitaler Wettbewerb

Das veränderte Mediennutzungsverhalten der Menschen und die Präsenz neuer Dienste und Services hat dazu geführt, dass lokale oder regionale Hörfunkveranstalter nun in Konkurrenz zu international agierenden Konzernen stehen. Hier geht es nicht nur um den Wettbewerb um Hörer oder Nutzer, sondern immer mehr auch um Personal und Werbekunden. In der Audiolandschaft werden die Größenordnungen damit neu definiert. Und das ist erst der Anfang: Ein Blick auf beliebte Musikdienste zeigt, dass hier eine aggressive Preispolitik bei den Nutzungsgebühren (für werbefreie Angebote) besteht, um immer mehr Hörer an sich zu binden.
Große Onlinekonzerne und andere hörfunkfremde Unternehmen (wie beispielsweise der Discounter Aldi) bringen stetig neue Musikdienste auf den Markt. Zudem führen diese Unternehmen zunehmend Wortangebote ein und werben Hörfunk-Persönlichkeiten (z.B. Redakteure und Moderatoren) ab, wodurch sie dem klassischen Radio immer ähnlicher werden. Das jüngste Beispiel dafür ist der Erwerb der Netcast-Audiorechte an der Fußball-Bundesliga durch Amazon, das die Live-Übertragungen aller Spiele ab der Saison 2017/2018 in seinen Streaming-Dienst integriert.
Die Wirkmacht dieser Konzerne im Hörer- und Werbemarkt reicht inzwischen problemlos bis in regionale Märkte hinein, während die mittelständischen Radiounternehmen durch gesetzliche Vorgaben zu Eigentümerstrukturen und Beschränkungen bei Anzahl und Höhe von Beteiligungen oder programmlichen Vorgaben strategisch immer weniger handlungsfähig sind. Dabei steigt für die Veranstalter im Wettbewerb mit neuen Diensten der Innovationsdruck. Es sind Investitionen und strategische Visionen gefragt, die sich in den bisherigen Strukturen nur sehr eingeschränkt umsetzen lassen. Wichtige Veränderungen für die digitale Zukunft des Hörfunks bedürfen oftmals konsensualer Entscheidungen der Anteilseigner. Mit den bestehenden fragmentierten Gesellschaftsstrukturen lassen sich diese aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen und Investitionsbereitschaft oft nur sehr schwer umzusetzen. Notwendige Synergien in programmfernen Bereichen können nicht realisiert werden, da starre Gesetze sie teilweise ausschließen, obwohl die Meinungsvielfalt dadurch nicht in Gefahr geraten würde.

Eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten

Der Binnenpluralismus, der das Ziel hat, eine vorherrschende Meinungsmacht zu verhindern, trägt daher auch dazu bei, dass Radiounternehmen – und vor allem solche mit besonders starken Beschränkungen – durch ihre gesetzliche Regulierungsgrundlage in ihrer Handlungs- und Innovationsfähigkeit eingeschränkt sind. Dies stellt einen erheblichen Wettbewerbsnachteil gegenüber der Konkurrenz dar, die zwar nicht im klassischen UKW-Bereich auftritt, jedoch immer mehr Hörer über Onlinedienste bindet.

Wichtige Schritte der Deregulierung

Den Ausweg aus dieser Lage kann nur eine zeitgemäße Deregulierung erreichen. Diese würde das hehre Ziel der Meinungsvielfalt nicht gefährden, denn sie schafft Rahmenbedingungen, die Radioveranstaltern den Weg in die Zukunft ebnen. Aufgrund der tiefgreifenden Veränderungen im Umfeld des Hörfunks und der drohenden Reichweitenverluste durch eine Abwanderung von Nutzern ist eine Anpassung des konzentrationsrechtlichen Ordnungsrahmens für Radiounternehmen dringend notwendig. Dazu gehören:

  1. Der Abbau bzw. der Wegfall von Beteiligungshöchstgrenzen in den jeweiligen Landesmediengesetzen. Diese legen in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Grenzen für die Beteiligung am Hörfunk fest. Anteile dürfen daher in vielen Ländern nur bis zu einer gewissen Höhe gehalten werden. Einige Bundesländer sehen in den betreffenden Gesetzen keine starren Höchstgrenzen vor oder halten eine Beteiligungshöhe von bis zu 100{4ae5f2cfbae1b1bdedfa59fe4a07f58bb35532ad595a47938acbe0c93e3e4f45} zumindest offen, wenn die vorherrschende Meinungsmacht des Anbieters ausgeschlossen werden kann. Andere sehen starre, teilweise niedrige Grenzen ohne Einzelfallbetrachtung vor. Dies hat zersplitterte Eigentümerstrukturen zur Folge, die wenig entscheidungs- und innovationsfähig sind. Eine zu begrüßende Liberalisierung der Beteiligungsregelungen durch Streichung von Normen wird derzeit durch die Novellierung des Bayerischen Mediengesetzes (BayMG) angestrebt.
  2. Der Abbau bzw. der Wegfall von Senderzahlbegrenzungen. Die hierfür bestehenden Normen verhindern beispielsweise die Bildung von Funkhäusern in einigen Verbreitungsgebieten. Den Radioveranstaltern ist es hierdurch nicht möglich, programmferne Bereiche zweier Sender (wie Technik, Administration, Marktforschung) zusammenzulegen und hieraus wichtige Synergien zu schöpfen, mit denen Investitionen getätigt werden können. Auch hier sieht die Novellierung des BayMG eine wichtige Liberalisierung vor.
  3. Die Erleichterung von Anteilsübertragungen, ohne dass Zulassungen widerrufen werden bzw. neu beantragt werden müssen. Anteilsübertragungen sind in vielen Bundesländern mit einem hohen Lizenzverlustrisiko behaftet. Die zuständige Medienanstalt prüft bei strukturellen Veränderungen die möglichen Auswirkungen auf die Meinungsvielfalt. Anteilsübertragungen werden von den Gesellschaftern der Sender somit oft gar nicht erst in Erwägung gezogen, da im Falle einer Ablehnung die gesamte Gesellschaft in die Gefahr geraten würde, ihre Rundfunklizenz zu verlieren. Dies zementiert Marktstrukturen und mindert die Möglichkeit, sich an einem Radioveranstalter zu beteiligen, erheblich. Hier wäre beispielsweise die Einführung von Bagatellklauseln sinnvoll, bei deren Unterschreitung eine Prüfung und damit das Lizenzverlustrisiko eines Anbieters entfallen.
  4. Die Einführung von Öffnungsklauseln. Sofern grundsätzliche Höchstgrenzen in den Gesetzen bestehen bleiben, ermöglichen solche Klauseln eine Öffnung, die eine Abweichung der vorgegebenen starren Beschränkungen ermöglicht. Die jeweilige Landesmedienanstalt könnte nach einer Prüfung damit eine im Gesetz vorgesehene Beschränkung für nicht erforderlich erklären, sofern die Meinungspluralität, gegebenenfalls durch festzulegende vielfaltssichernde Maßnahmen, sichergestellt wäre. Öffnungsklauseln sind bereits in einigen Mediengesetzen der Länder verankert und halten für Rundfunkveranstalter alle Möglichkeiten im Rahmen einer spezifischen Betrachtung der Vielfaltssituation offen.
  5. Die Einbeziehung einer Gesamtbetrachtung des Marktes bei der Vielfaltsbestimmung. Diese wird bislang nur innerhalb des regionalen Radiomarktes vorgenommen (wobei das neue BayMG diesen Bewertungsansatz bei der Vielfaltsbetrachtung ebenso vorsieht). Andere Medien oder gar Internetangebote, die auch Meinungsbildungsrelevanz besitzen und oftmals regional ausgeprägt sind, werden bislang nicht in die Betrachtung einbezogen. Aufgrund der tiefgreifenden Änderungen der Medienlandschaft sollte Meinungsmacht nicht isoliert und mit alleinigem Blick auf den Einfluss lediglich durch Hörfunkprogramme ermittelt werden. Es ist stattdessen eine Gesamtbetrachtung des Marktes vorzunehmen.
    In keinem Fall dürfte eine Anpassung der gesetzlichen Regelungen die Regulierung für Hörfunkunternehmen noch verschärfen (zum Beispiel durch Aufnahme zusätzlicher Vorschriften zur Meinungskonzentration in liberalere Landesmediengesetze).

Vielfalt für die Zukunft

In Zeiten der digitalen Transformation besteht zwischen klassischen Hörfunkanbietern und neuen Wettbewerbern ein ungleiches Konkurrenzverhältnis, dass die klassische Radiobranche in ihren Entwicklungsmöglichkeiten beschränkt. Für die notwendigen Innovationen und die Möglichkeit, den Veränderungen des digitalen Wandels angemessen zu begegnen, ist die Anpassung von gesetzlichen Regelungen unabdingbar, damit Hörfunkveranstalter strategisch handlungsfähig werden. Dazu gehört die Schaffung eines zeitgemäßen flexiblen Ordnungsrahmens für den privaten Hörfunk. Für das wichtige Ziel der Programmvielfalt sind die starren Beschränkungen für Außen- und Binnenpluralität in der jetzigen Form nicht erforderlich. Sie könnten teilweise gestrichen, teilweise durch weniger starre Vorschriften ersetzt werden, ohne dass dem Vielfaltsziel geschadet würde. Einige Landesmediengesetze mit liberalerem Ansatz beweisen dies. Die Regulierung könnte durch die notwendigen Anpassungen endlich auch den Medienwandel, die neue Vielfalt im Netz und das Konkurrenzverhältnis mit Onlinediensten berücksichtigen. Für den Hörfunk wäre damit eine gute Basis für strategische Entscheidungen und Innovationen geschaffen, ohne dass die Meinungspluralität gefährdet würde.

Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe 07/16 erstveröffentlicht.

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