Medienrecht:

Keine Rolle rückwärts!

von am 23.08.2016 in Allgemein, Archiv, Digitale Medien, Gastbeiträge, Internet, Kreativwirtschaft, Medienpolitik, Medienrecht, Medienregulierung, Medienwirtschaft, Netzpolitik, Netzpolitik, Plattformen und Aggregatoren, Urheberrecht

<h4>Medienrecht: </h4>Keine Rolle rückwärts!
Dr. Eva Flecken, Director Public Policy & EU Affairs Sky Deutschland

Tauziehen um das europäische Urheberrecht

23.08.16 Von Dr. Eva Flecken, Director Public Policy & EU Affairs Sky Deutschland

Einige Vertreter der europäischen Institutionen lassen sich zu drastischen Formulierungen hinreißen, wenn es um das europäische Urheberrecht geht. So manch einer erliegt der eigenen Emotionalität bei Fragen des grenzüberschreitenden Zugriffs auf Bewegtbild-Inhalte. Wer hätte vermutet, dass ausgerecht ein sperriges Thema wie das Urheberrecht derartig die politischen Gemüter in Brüssel erregt? Wie so häufig liegt die Antwort in der individuellen Betroffenheit. Wer im Ausland nicht auf seinen im Heimatland abonnierten Dienst zugreifen kann, ist verärgert – und das zu Recht. Denn warum soll es den Reisenden interessieren, ob er seine Lieblingsserie in Berlin oder von Brüssel aus aufruft?

Weil in der Tat keine guten, wenn auch bislang sachlichen, Gründe gegen den grenzüberschreitenden Zugriff innerhalb Europas sprechen, wurde das Thema kräftig angepackt. Äußerten Vertreter der Kommission und des Parlaments anfangs radikale Positionen, die das bestehende Urheberrecht vom Kopf auf die Füße gestellt hätten, so entwickelte sich die Diskussion in den vergangenen zwei Jahren positiv. Das Ergebnis – der Entwurf einer Portabilitätsverordnung – kann sich aus verschiedenen Gründen absolut sehen lassen. Zum Ersten haben sich beide Seiten aufeinander zubewegt und zielorientiert nach praktikablen Lösungen gesucht. Das gemeinsame Ziel klar vor Augen – nämlich den Zugriff auch außerhalb der eigenen nationalen Grenzen auf die im Heimatland verfügbaren audiovisuellen Medien –, haben sich sowohl Diensteanbieter und Urheber als auch Politik der Diskussion gestellt. Zweitens ist die Idee, eine rechtliche Fiktion zu schaffen, sodass der Nutzer sein Heimatland gewissermaßen stets bei sich trägt und es damit auch urheberrechtlich nie verlässt, eine kreative Idee pragmatischer Gesetzgebung. Bei allen offenen Punkten, die wir bei dem Verordnungsentwurf noch sehen, ist dieser Vorschlag grundsätzlich praktikabel und zielführend. Ohne zu übertreiben, lässt sich die Portabilitätsverordnung als ein Beispiel funktionierender politischer Willensbildung deklarieren. Sie wird dem Anliegen eines digitalen Binnenmarkts gerecht, ohne die Besonderheiten des audiovisuellen Sektors zu missachten.

Doch all das wird nun infrage gestellt, bevor es überhaupt in Kraft treten, geschweige denn Wirkung entfalten kann. Was wir derzeit aus Brüssel hören, ist nämlich die Rückkehr zum Stand von vor zwei Jahren und damit in die Zeit vor der Portabilitätsverordnung: Mit der Öffnung der Satelliten- und Kabelrichtlinie und einer Erweiterung des Herkunftslandprinzips auf die OTT-Verbreitung würde das Fundament der Kultur- und Kreativbranche zerschlagen werden. Eine solche Ausweitung hätte zur Folge, dass das Geoblocking, wie wir es im Bereich des offenen Internets kennen, fallen würde. Als Kettenreaktion würde dies die Aufgabe territorial exklusiver Lizenzen mit sich bringen, eine Marktpreisbildung für Serien, Filme und auch Sportevents könnte nicht mehr funktionieren, da die Nachfrage nach diesen Inhalten territorial schlichtweg unterschiedlich ausfällt. Paneuropäische Verkaufsverträge machen vielleicht in der Schraubenproduktion Sinn, nicht jedoch im Bereich der urheberrechtlichen Lizenzvergabe. Manche Dinge lassen sich einfach nicht in die vermeintlich reine Lehre des europäischen Binnenmarkts quetschen. Allein für den deutschen Markt wird mit einem kurzfristigen, signifikanten Einschnitt von 400 Mio. Euro beim Umsatz im Produktionsvolumen gerechnet. EU-weit werden laut einer Studie von Oxera und Oliver & Ohlbaum sogar 8,2 Mrd. Euro vorausgesagt. Das ist fraglos ein Klotz und kein Kleckerkram.
Damit wird deutlich, dass eine Ausweitung des Herkunftslandprinzips das Territorialitätsprinzip im Urheberrecht ohne Not infrage stellen würde. Es käme einem schwerwiegenden Eingriff in die Vertragsfreiheit der Sendeunternehmen gleich, der die Kreativwirtschaft ökonomisch schwächen würde.

Eine solche Abkehr vom funktionierenden urheberrechtlichen Rechtsrahmen birgt die Gefahr, dass die positive Entwicklung einer vielfältigen europäischen Medien- und Produktionslandschaft gefährdet wird. Noch nie sind die mediale Vielfalt und die Auswahl für den Konsumenten so groß gewesen wie heute. Dies haben wir einer stark wachsenden Branche und einem immer intensiveren Wettbewerb zu verdanken. Möglich wird diese Vielfalt allerdings nur aufgrund erheblicher Investitionen in neue Formate sowie innovative Technologien unter Beibehaltung der kulturellen Besonderheiten in den jeweiligen Mitgliedstaaten der europäischen Union. All das beruht auf den wesentlichen Prinzipien des Urheberrechts und der Vertragsfreiheit. Beides zusammen bietet die Flexibilität und zugleich die Rechtssicherheit, um das Verhältnis zwischen Produzenten, Rechteinhabern und Verwertern bestmöglich auszugestalten. Dies schließt insbesondere Vertragsverhältnisse auf Grundlage exklusiver und territorialer Vereinbarungen ein. Diese sind notwendig, um rechtssicher in Produktionen und Distribution investieren zu können. Davon können wir keine Abkehr wollen.

Zwei Dinge sind in dieser Diskussion besonders bemerkenswert. Erstens ist bereits heute eine paneuropäische Rechteklärung möglich. Es gibt kein Gesetz, das dies verhindern oder auch nur behindern würde. Auf Grundlage der Vertragsfreiheit können bereits heute audiovisuelle Werke grenzüberschreitend lizenziert und entsprechend ausgewertet werden. Dies geschieht gemäß der Marktgegebenheiten, die sich keinesfalls allein auf unternehmerische Interessen zurückführen lassen, sondern vielmehr ein Konglomerat aus kulturellen, sprachlichen sowie wirtschaftlichen Parametern darstellen. Zweitens gibt es überhaupt nur wenige, ich möchte sagen vereinzelte Stimmen, die eine Ausweitung des Herkunftslandprinzips und ein Verbot von Geoblocking aus dem Markt heraus fordern. Um es in aller Deutlichkeit darzulegen: Beinahe alle betroffenen Industriezweige haben sich dagegengestellt. Produzenten, Free-TV, Pay-TV, VoD-Anbieter – also Urheber und Verwerter – schmieden häufiger eine Allianz. Und die Kabelnetzbetreiber und Internet-Service-Provider sprechen sich ebenfalls dagegen aus. Da bleiben nicht mehr viele übrig, die sich überhaupt noch dafür aussprechen.

Umso erfreulicher ist es, dass sich die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zur Satelliten- und Kabelrichtlinie klar zu den Grundsätzen des europäischen Urheberrechts bekennt und die gegenwärtig diskutierte Ausweitung des Herkunftslandprinzips auf das offene Internet ablehnt.

Wir sollten uns vielmehr alle gemeinsam und tatkräftig dafür einsetzen, dass der eingeschlagene und überaus aussichtsreiche Weg für eine zügige Umsetzung der Portabilitätsverordnung beibehalten wird. Anstatt nun auf der Zielgeraden eine Rolle rückwärts zu machen, sollten wir lieber weiterhin das Wohl der Kreativindustrie, aber auch des Verbrauchers im Blick haben und die Portabilitätsverordnung zügig umsetzen. Denn alles andere würde nicht nur eine Gefahr für die Kultur- und Kreativindustrie bedeuten, es würde auch die Portabilitätsverordnung insgesamt obsolet machen.

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