Rundfunk:
„Die Beitragsreform ist nicht gescheitert“

Hessen tritt für Senkung des Rundfunkbeitrages ein
21.09.16 Interview mit Axel Wintermeyer, Staatsminister und Chef der Hessischen Staatskanzlei
Axel Wintermeyer, Chef der Hessischen Staatskanzlei, hält den KEF-Vorschlag, den Rundfunkbeitrag um 30 Cent zu senken, „für nachvollziehbar“. Es stelle sich verfassungsrechtlich tatsächlich die Frage, ob die Länder dem Beitragszahler eine Senkung des Rundfunkbeitrags vorenthalten können. Trotzdem hält Wintermeyer es für „nicht verwunderlich“, wenn der Beitrag mittelfristig wieder steigen müsse, zumal nach dem Finanzbedarf der Rundfunkanstalten bereits ab 2017 wieder eine Erhöhung möglich gewesen wäre. Durch die Rücklage, in die die Mehreinnahmen aus dem Rundfunkbeitrag in den Jahren 2013 bis 2016 geflossen sind, sei das verhindert worden. Die Länder wollen im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft zur Strukturoptimierung prüfen, ob eine längerfristige Rücklagenbildung durch die KEF möglich ist. Wintermeyer sprach sich gegen eine Einstellung von DAB+ aus Kostengründen aus.
medienpolitik.net: Herr Wintermeyer, unter den Ländern ist die Frage, ob der Rundfunkbeitrag erneut gesenkt werden soll umstritten. Wohin tendiert Hessen?
Axel Wintermeyer: Ich halte den Vorschlag der KEF, den Rundfunkbeitrag um 30 Cent für die Beitragsperiode 2017 bis 2020 zu senken, für nachvollziehbar. Sie weisen allerdings zu Recht darauf hin, dass einige Länder dazu neigen, auf eine Beitragssenkung ganz zu verzichten. Eine Entscheidung über diese Themenfelder wird in der Ministerpräsidentenkonferenz im Herbst dieses Jahres erfolgen.
medienpolitik.net: Es gibt Meinungen, dass der Beitrag nicht abgesenkt werden solle, weil sonst ab 2021 eine stärkere Erhöhung folgen könnte. Anscheinend sehen Sie diese Gefahr nicht?
Axel Wintermeyer: Zunächst sei der Hinweis erlaubt, dass es seit dem Jahr 2009 keine Rundfunkgebühren- bzw. keine Rundfunkbeitragserhöhung mehr gegeben hat. Der Rundfunkbeitrag ist im Jahr 2015 sogar um 48 Cent gesenkt worden. Dass es dann irgendwann – nach zwölf Jahren – wieder einmal nach oben gehen muss, ist vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich. Eine solche Preisstabilität dürfte es in den vergangenen Jahren in keinem anderen öffentlichen Bereich gegeben haben.
Im Übrigen möchte ich darauf aufmerksam machen, dass es nach dem dargelegten Finanzbedarf der Rundfunkanstalten bereits für die Beitragsperiode 2017 bis 2020 zu einer Beitragserhöhung kommen müsste. Dass dies nicht der Fall ist, ist auf den Umstand zurückzuführen, dass die Rücklage, in die die Mehreinnahmen aus dem Rundfunkbeitrag in den Jahren 2013 bis 2016 geflossen sind, auf den Finanzbedarf in der folgenden Beitragsperiode 2017 bis 2020 angerechnet wird.
Ergänzend möchte ich darauf hinweisen, dass die Länder im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Auftrag und Strukturoptimierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten prüfen, ob und inwieweit solche längerfristigen, über eine Beitragsperiode hinausreichenden Entwicklungen im KEF-Verfahren zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten berücksichtigt werden sollen, beispielsweise im Rahmen einer periodenübergreifenden Rücklagenbildung durch die KEF.
medienpolitik.net: Filmschaffende und Filmverbände haben sich gegen eine Senkung ausgesprochen, weil das nach ihrer Ansicht zu einer deutlichen Verschärfung des Kostendrucks in den Sendern führen und die bedarfsgerechte Finanzierung der Rundfunkanstalten und die Erfüllung des Programmauftrags in der geforderten Qualität damit gefährden würde. Was halten Sie von diesem Argument?
Axel Wintermeyer: Die KEF hat in ihrem 20. Bericht bereits einen zusätzlichen Aufwand von insgesamt 253 Mio. Euro für die Jahre 2017 bis 2020 anerkannt, um die Einkommenssituation von Urhebern und Produzenten zu verbessern. Ich gehe deshalb davon aus, dass hier bis auf Weiteres kein zusätzlicher Handlungsbedarf besteht.
medienpolitik.net: Bei der ersten Empfehlung für eine Senkung der KEF um 73 Cent 2014 haben sich die Länder für eine geringere Senkung ausgesprochen. Was ist heute anders als 2014?
Axel Wintermeyer: Im Jahr 2014 sind die Länder übereingekommen, den Rundfunkbeitrag lediglich um 48 Cent zu senken und die Beitragsmehreinnahmen in eine Rücklage einzustellen, die den Rundfunkanstalten für den Zeitraum 2013 bis 2016 nicht zur Verfügung stand. Nach Abschluss des Evaluierungsverfahrens sollten diese Gelder mögliche Korrekturen am Regelwerk des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages finanziell absichern. Darüber hinaus war nach der Umstellung auf Beiträge zum damaligen Zeitpunkt noch nicht klar, ob sich die Prognosen über die künftige Entwicklung des Beitragsaufkommens erhärten würden. Heute wissen wir mehr über die Entwicklung der Beitragseinnahmen im Zeitraum 2013 bis 2016. Insoweit ist die damalige Situation nicht vergleichbar mit der Gegenwart, in der die Länder vor der Entscheidung stehen, für den Zeitraum 2017 bis 2020 den Rundfunkbeitrag um 30 Cent zu senken.
medienpolitik.net: Die Zahl der Beitragsverweigerer scheint – Zeitungsberichten zufolge – trotz Mahnverfahren und Pfändungen zuzunehmen. Ist das Ziel der Länder, mit der Beitragsreform auch mehr Einzahlergerechtigkeit zu erreichen, gescheitert?
Axel Wintermeyer: Die Beitragsreform ist nicht gescheitert. Das Gegenteil ist der Fall: Das bis Ende 2012 geltende geräteabhängige Finanzierungssystem wäre auf Dauer nicht mehr zukunftsfähig gewesen. Wegen der Möglichkeit, sich der Rundfunkgebührenpflicht zu entziehen, hatte das alte Rundfunkgebührenmodell zu einem strukturellen Erhebungs- und Vollzugsdefizit geführt. Vor diesem Hintergrund leistet die Neuregelung der Rundfunkfinanzierung durch den Rundfunkstaatsvertrag einen wesentlichen Beitrag zu mehr Beitragsgerechtigkeit.
Auch die von Ihnen angesprochene Durchführung von Vollstreckungsverfahren bei bestandskräftigen Beitragsbescheiden dient in diesem Zusammenhang der Durchsetzung von Beitragsgerechtigkeit. Dabei ist ein Sondereffekt zu berücksichtigen: Aufgrund des durchgeführten einmaligen Datenabgleichs im privaten Bereich konnten in diesen Jahren 3,6 Mio. neue Beitragskonten (insbesondere für Schwarzhörer und Schwarzseher) eingerichtet werden. Bei einer nicht unerheblichen Zahl davon mussten die Rundfunkanstalten wegen fehlender Zahlungseingänge Vollstreckungsmaßnahmen ergreifen.
medienpolitik.net: Würde eine Absenkung zu mehr Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber dem Beitrag führen? Würde die Zahl der „Verweigerer“ sinken?
Axel Wintermeyer: Für den einzelnen Beitragszahler fällt eine Reduzierung des Rundfunkbeitrags um 30 Cent nicht so sehr ins Gewicht. Es wäre daher vermessen zu glauben, dass durch eine Beitragssenkung aus „Beitragsverweigerern“ Verfechter des neuen Finanzierungssystems werden, das die Länder mit dem Rundfunkbeitragsstaatsvertrag eingeführt haben. Die Akzeptanz des Rundfunkbeitragsfinanzierungssystems hängt nicht allein davon ab, ob der Rundfunkbeitrag um 30 Cent gesenkt wird oder nicht. Es stellt sich vielmehr verfassungsrechtlich wie tatsächlich die Frage, ob die Länder dem Beitragszahler eine Senkung des Rundfunkbeitrags vorenthalten können, für die sich die KEF nach Überprüfung und Feststellung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ausgesprochen hat.
medienpolitik.net: Die Altersversorgung der ARD ist ebenfalls von der KEF kritisch angesprochen worden. Zwar haben die ARD und das Deutschlandradio die entsprechenden Verträge gekündigt, aber damit ist das Problem anscheinend nicht gelöst. Sollte man einen radikalen Schnitt machen und sollten die Länder die Versorgungsleistungen bis zu einem Stichtag übernehmen, damit die die Sender hierfür nicht noch mehr Beitragsgeld aufwenden müssen?
Axel Wintermeyer: Angesichts der in vielen Ländern vereinbarten Schuldenbremsen räume ich einer solchen Sonderfonds-Lösung in Länderhand keine Realisierungschance ein. Sie dürfte auch im Hinblick auf das von Verfassungs wegen garantierte Gebot der Staatsferne problematisch sein, das eine Alimentation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch den Staat verbietet.
medienpolitik.net: Die Länder haben – wie Sie eben auch erwähnt haben – eine Arbeitsgruppe „Auftrag und Strukturoptimierung der Rundfunkanstalten“ eingesetzt. Was ist das Ziel dieser Arbeitsgruppe?
Axel Wintermeyer: Die Arbeitsgemeinschaft Auftrag und Strukturoptimierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten untersucht unter Einbeziehung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den Jahren ab 2020 aufgestellt sein muss, damit er seinen verfassungsmäßigen Auftrag zu für den Beitragszahler verträglichen Bedingungen adäquat erfüllen kann. Vor diesem Hintergrund werden die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder auf ihrer Jahreskonferenz über mögliche Themenfelder zu entscheiden haben, die Gegenstand weiterer Untersuchungen sein werden. Die Beratungen hierzu stehen jedoch erst am Anfang.
medienpolitik.net: Wäre es sinnvoll, DABplus zu reduzieren oder ganz aufzugeben, um damit Kosten für die ARD in Millionenhöhe zu sparen?
Axel Wintermeyer: Die terrestrischen Möglichkeiten bei UKW sind erschöpft, neue Wettbewerber haben mangels verfügbarer Frequenzen kaum noch Chancen, in den Radiomarkt einzutreten. Die Umstellung auf DABplus verfolgt daher langfristig das Ziel, UKW als terrestrischen Übertragungsweg abzulösen.
Für den Hörer eröffnen sich aus der Umstellung auf DABplus neue Möglichkeiten: Für ihn verbessert sich die Empfangsqualität der ausgestrahlten Programme; darüber hinaus wird er auf ein größeres Angebot an verschiedenen Sendern zugreifen können. Vor diesem Hintergrund stellt sich eher die Frage, ob bei einer ausreichenden Marktdurchdringung mit DABplus-Empfangsgeräten ganz auf eine UKW-Ausstrahlung verzichtet werden sollte. Von der damit verbundenen Kostenersparnis profitiert auch der Rundfunkbeitragszahler.
medienpolitik.net: Das Verfassungsgericht achtet sehr sorgfältig darauf, dass sich die Länder nicht in die Programmhoheit der Sender einmischen. Wie groß ist der Spielraum der Länder für weitere Reformen?
Axel Wintermeyer: Die Arbeitsgemeinschaft Auftrag und Strukturoptimierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten zielt nicht vorrangig auf die Einsparung von Programmen. Im Vordergrund der Beratungen stehen vielmehr z.B. die Ermittlung von Synergieeffekten in der Zusammenarbeit der Rundfunkanstalten untereinander, die Nutzung der Chancen, die sich aus der Digitalisierung ergeben, sowie eine Modernisierung des KEF-Verfahrens.
Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe 09/16 erstveröffentlicht.