Medienpolitik:

„Die Medienanstalten müssen umdenken“

von am 27.10.2016 in Allgemein, Archiv, Internet, Interviews, Journalismus, Jugendmedienschutz, Medienethik, Medienpolitik, Medienregulierung, Netzpolitik, Rundfunk

<h4>Medienpolitik: </h4>„Die Medienanstalten müssen umdenken“
Dr. Jürgen Brautmeier, Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen

Die Landesmedienanstalten müssen mehr öffentliche Debatten anstoßen

27.10.16 Interview mit Dr. Jürgen Brautmeier, Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen

Seit 2010 ist Dr. Jürgen Brautmeier Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen. Seine Amtszeit endet am 30. September 2016. 2014 beschloss der Landtag in NRW eine Änderung des nordrhein-westfälischen Landesmediengesetzes. Dies umfasst nun den Passus, dass der Landesmediendirektor künftig ein Jurist mit Befähigung zum Richteramt sein muss. Damit wurde dem Historiker Jürgen Brautmeier eine Kandidatur für eine Wiederwahl 2016 verwehrt. In einem medienpolitik.net-Interview analysiert Brautmeier, der von 2013 bis 2015 auch Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten war, kritisch die Anforderungen an die Medienpolitik und die Herausforderungen für die Landesmedienanstalten: Die Veränderungen der Mediennutzung erforderten vom Regulierer – anders als bei der Aufsicht über den Rundfunk – „ein viel flexibleres und überzeugenderes Agieren, denn die alten Gesetze und Regeln geben dafür nicht mehr viel her. Die Medienanstalten und ihre Gremien müssen umdenken.“

medienpolitik.net: Herr Brautmeier, wie sehr bestimmen heute das Internet und die sozialen Medien die Arbeit Ihrer Landesmedienanstalt?

Dr. Jürgen Brautmeier: Von der Mangelverwaltung (knappe Ressource Übertragungskapazitäten) sind wir durch das Internet und die sozialen Medien in eine Überflusssituation gekommen. Nicht mehr strikte Überwachung und Kontrolle, sondern Selbstregulierung (der Branche) und Kompetenzvermittlung (der Nutzer) sind jetzt die Instrumente der Wahl. Das erfordert vom Regulierer – anders als bei der Aufsicht über den Rundfunk – ein viel flexibleres und überzeugenderes Agieren, denn die alten Gesetze und Regeln geben dafür nicht mehr viel her. Die Medienanstalten und ihre Gremien müssen umdenken. Aber dazu sind sie durchaus in der Lage.

medienpolitik.net: Welche Kompetenz, welche rechtliche Legitimation gibt es dafür?

Dr. Jürgen Brautmeier: Der Rechtsrahmen ist veraltet, er hilft nur noch bedingt. Natürlich bewegen wir uns nicht im rechtsfreien Raum, aber wir sind viel mehr als früher als Moderator, als Vermittler, als Initiator öffentlicher Debatten gefordert. Forschung, die wir initiieren, Medienkompetenzprojekte, die wir fördern, Kampagnen, die wir starten oder unterstützen, sind dafür gute Instrumente. Das erlauben uns schon jetzt die bestehenden Mediengesetze. Und manche gesetzlichen Aufgaben sind neu hinzugekommen, in NRW z. B. das Thema Netzneutralität, bei dem wir uns stark eingebracht haben, als es um die BEREC-Richtlinien ging, oder das Thema Intermediäre, bei dem uns deren Rolle bei der öffentlichen Meinungsbildung interessiert und wir deshalb als Gemeinschaft der Medienanstalten, aber auch als LfM-Forschungsprojekte vorantreiben.

medienpolitik.net: Wie sieht es mit den sozialen Medien aus? Wo liegen hier die hauptsächlichen Probleme?

Dr. Jürgen Brautmeier: Bei den sozialen Medien gelten zunächst natürlich die allgemeinen Gesetze, die es durchzusetzen gilt, z. B. im Jugendschutz, bei der Menschenwürde etc. Unsere LfM-Kampagne für Meinungsfreiheit und gegen Hass und Diskriminierung im Netz ist aber ein Beleg dafür, dass es um mehr geht, nämlich um ein Erarbeiten und Vermitteln von Werten, von Umgangsformen, kurz um eine Bildungsaufgabe. Als Historiker vergleiche ich das mit dem Zeitalter der Aufklärung. Wir brauchen eine neue Aufklärung, damit der Mut, den eigenen Verstand zu gebrauchen, wie es Kant postuliert hat, gestärkt wird und nicht die Populisten und Volksverdummer den Ton angeben.

medienpolitik.net: Gegenüber Facebook setzt die Bundesregierung anscheinend auf freiwilligen Kooperationen. Reicht das aus?

Dr. Jürgen Brautmeier: Nein, das reicht nicht. Es kann helfen, aber zuerst muss der Staat dafür sorgen, dass die vorhandenen Gesetze angewandt werden und jeder, der  gegen Gesetze verstößt, dafür auch zur Rechenschaft gezogen wird. Dann wird auch Facebook ein gesteigertes Interesse haben, nicht als Plattform für Hass, Diskriminierung, Menschenverachtung genutzt zu werden. Je intensiver also auf beiden Wegen, juristisch und mit freiwilligen Maßnahmen, gehandelt wird, desto besser für uns alle.

medienpolitik.net: Hannelore Kraft hatte auf dem Medienforum NRW im Juni einen Netz-Codex für NRW gefordert. Kann das helfen, Hetze, Verleumdungen und Hasstiraden im Internet einzudämmen oder ist das eine „Schnapsidee“?

Dr. Jürgen Brautmeier: Es wäre eine Schnapsidee, wenn so etwas nur für NRW erarbeitet werden sollte. Aber so war es offensichtlich nicht gemeint. Es geht um die Bewusstmachung von Verhaltensregeln, um eine Art Netikette, und dazu muss man das Rad nicht neu erfinden. Es gibt derartige Verhaltensregeln, sogar auf der europäischen Ebene, daran kann und sollte sich NRW orientieren. Ich verstehe die Anregung so, dass sich auch in NRW relevante Akteure mit dieser Frage befassen und eine gemeinsame Positionierung erarbeiten, die dann sicher auch über NRW hinaus auf Interesse stoßen dürfte.

medienpolitik.net: Welche Rolle kann hierbei die LfM spielen?

Dr. Jürgen Brautmeier: Die LfM ist hier bereits aktiv, ich erinnere an die Kampagne gegen Hass und Diskriminierung im Netz, die ich erwähnt habe. Die Medienkommission der LfM repräsentiert die gesellschaftlichen Gruppen im Lande, sie ist also nah dran an der Gesellschaft und kann deshalb sowohl in der Erarbeitung eins solchen Kodex eingebunden werden wie auch in dessen Umsetzung und Verbreitung.

medienpolitik.net: Liegt bei der Kontrolle des Internets die Zukunft der Landesmedienanstalten?

Dr. Jürgen Brautmeier: Nein. das ist mir zu simpel. Die Medienanstalten sind im Kern für die Wahrung und Steigerung der medialen Vielfalt da, sie haben also eine wichtige Rolle für die Meinungsfreiheit, die Pluralität, für das, was Artikel 5 des Grundgesetzes bezweckt. Als reiner Kontrolleur kommen Sie da im Zeitalter des Internets nicht weit, da muss schon mehr passieren, wie eingangs beschrieben.

medienpolitik.net: Sie sind Historiker: Wie verändern die sozialen Medien unsere Gesellschaft?

Dr. Jürgen Brautmeier: Als Historiker denkt man nicht in kurzfristigen Abschnitten, sondern über längere Zeiträume. Was wir gerade mit den sozialen Medien erleben, ist noch viel zu frisch, um es historisch einordnen zu können. Im Kern zielt Ihre Frage ja auch nicht auf eine historische Einordnung, sondern auf eine Prognose über die weitere Entwicklung. Und dazu kann ich nur immer wieder sagen: Ich bin kein Prophet. Was ich sagen kann, ist, dass es sich um einen massiven Umbruch handelt, dessen Folgen wir noch nicht abschätzen können. Wir können das nur beobachten und versuchen, einen klaren Kopf zu behalten.

medienpolitik.net: Ein weiteres wichtiges Feld für Sie war die Stiftung für Lokaljournalismus. Auch daran gab es im Vorfeld viel Skepsis und Kritik. Wie ist der aktuelle Stand?

Dr. Jürgen Brautmeier: Vor Ort NRW, wie unsere Stiftung heißt, hat mit ersten Initiativen und Projekten vor allem den Online-Journalismus in den Blick genommen. Weiterbildung, Vernetzung, Kooperationen, z. B. mit „correctiv“, Regionalveranstaltungen, die Ausschreibung eines Preises für Lokaljournalisten sind erste sichtbare Aktivitäten. Ich verhehle nicht, dass wir noch weiter wären, wenn sich anfangs nicht alle auf Grund der politischen Diskussionen sehr vorsichtig bewegt hätten. Außerdem ist es ein kompliziertes Konstrukt, mit dem wir wegen der gesetzlichen Vorgaben arbeiten müssen, nämlich einer eigenständigen Gesellschaft, die wir als gGmbH erst einmal gründen, mit Satzung und Geschäftsordnung versehen, notariell und steuerrechtlich absegnen lassen mussten, und zwar immer mit Billigung der Medienkommission der LM, denn schließlich muss die über die Bereitstellung der Mittel entscheiden. So ist das nun einmal, ich habe mir abgewöhnt zu fragen, warum kompliziert, wenn es auch einfach geht? Ich denke aber, dass wir jetzt intensiv an Projekten arbeiten, die vielversprechend sind und hoffentlich einiges bewegen.

medienpolitik.net: Inwieweit kann das helfen, die Vielfalt im Lokaljournalismus zu erhalten?

Dr. Jürgen Brautmeier: Die LfM hat ja die Aufgabe, Vielfalt und Partizipation im lokalen und regionalen Raum zu fördern und Handlungsempfehlungen für die Gewährleistung von lokalem und regionalem Journalismus im Rundfunk und bei vergleichbaren Telemedien zu geben. Vor Ort NRW kann also Impulse geben, Hilfestellungen leisten, Kreativität freisetzen. Im Endeffekt müssen die Akteure der Branche dies auch wollen, und da bin ich auf Grund der bisherigen Erfahrungen mit der Stiftung und aus zahlreichen Gesprächen mit Betroffenen guten Mutes. Ich glaube, dass wir etwas Positives bewirken können und nicht hilflos der Entwicklung zusehen müssen.

medienpolitik.net: Wie muss sich diese Stiftung weiter entwickeln?

Dr. Jürgen Brautmeier: Sie muss Gutes tun und darüber reden. Und sie muss weitere Mitstreiter finden, in der Branche, in Stiftungen, in der Wissenschaft, der Weiterbildung etc. Da sind wir auf einem guten Weg und weiter als am Anfang, aber noch nicht weit genug.

medienpolitik.net: Ist das Modell auch von anderen Ländern zu übernehmen?

Dr. Jürgen Brautmeier: Na klar. Aber das wird von selbst geschehen, weil andere Länder vergleichbare Probleme haben und ebenso nach Lösungen suchen. Das Interesse an Vor Ort NRW ist auf jeden Fall groß, national sowieso, aber auch international beginnt die Aufmerksamkeit zu wachsen.

medienpolitik.net: Ist die Förderung von lokalen Medien, wie Lokal-TV oder auch der Bürgermedien nicht Stückwerk, solange nicht eine inhaltliche Förderung möglich ist?

Dr. Jürgen Brautmeier: Das dürfen sie eine Medienanstalt nicht fragen. Sie ist explizit nicht für die Förderung von Inhalten zuständig. Und ich bin der festen Überzeugung, das ist auch gut so.

medienpolitik.net: Warum wird das bayerische Modell nicht in allen Ländern angewendet?

Dr. Jürgen Brautmeier: Weil Bayern wegen seiner Verfassung, die keinen Privatfunk zulässt, mit einer Hilfskonstruktion dennoch private Veranstalter erlaubt, indem die bayerische Medienanstalt quasi als öffentlich-rechtlicher Träger der privaten Rundfunkveranstalter fungiert. In diesem Konstrukt kann dann auch anders gefördert werden als im Rest der Republik. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies in anderen Bundesländern Nachahmer findet. Wir haben für unser nordrhein-westfälisches Bürgerfunkmodell ja auch keine Nachahmer gefunden. Aber so ist der Föderalismus, der ja gerade für die Vielfalt so wichtig ist.

medienpolitik.net: Liest man die jüngsten Meldungen, geht es den privaten Sendern von RTL bis Sky wirtschaftlich sehr gut. Müssen die Medienanstalten noch darüber wachen, ob das duale System funktioniert?

Dr. Jürgen Brautmeier: Was hat der wirtschaftliche Erfolg mit der Überwachung zu tun? Wir sind wie erwähnt für die Wahrung und Stärkung der Vielfalt zuständig, da ist jeder wirtschaftlich erfolgreiche Sender ein Gewinn. Wenn Sie aber auf das duale System als Ganzes abheben, so muss ich nur an das Ungleichgewicht im Hörfunk erinnern und dass ich gerade auch mit Blick auf die Kosten für neue Übertragungswege (DAB+) starke Zweifel habe, dass dies auf Dauer gut geht. Aber die DAB+-Debatte will ich hier nicht fortsetzen. Ich will nur sagen, dass unsere Forderungen als LfM nach regulatorischen Rahmenbedingungen und öffentlicher Förderung, die wir schon vor über zehn Jahren erhoben haben, bis heute nicht erfüllt sind. Ich glaube nicht mehr an eine Wende zum Besseren, deshalb mein Appell, politisch endlich zu handeln, so oder so.

medienpolitik.net: Die Transformation läuft – sieht man sich z.B. die Zahlen von ProSiebenSat.1 an – fast voll alleine. Was können Sie für den privaten Rundfunk noch tun?

Dr. Jürgen Brautmeier: Im TV müssen wir nicht darüber reden. Aber von Förderung, wie Sie sie verstehen, haben wir auch nie geredet, zumindest nicht in NRW. Wir müssen etwas für den Hörfunk tun, aber dazu müssen die politischen Vorentscheidungen gefallen sein. Wenn die von Staatssekretär Eumann und mir initiierte aktuelle Debatte dies bewirkt haben sollte, wäre ich ja schon zufrieden. Genau dies, nämlich Entscheidungen der Branche und der Politik sind nötig, damit Klarheit über den Weg in die digitale Welt herbeigeführt wird. Das war und ist das Ziel. Alles Weitere diskutieren wir danach.

medienpolitik.net: Angenommen, die Mittel für die Landesmedienanstalten würden auf 3 Prozent des Beitrages aufgestockt. Wofür sollen die zusätzlichen Mittel in NRW ausgegeben werden?

Dr. Jürgen Brautmeier: Auf hypothetische Fragen antworte ich eher ungerne. Genauso gut könnten Sie fragen, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit den eingesparten Mitteln machen würde, wenn er sich auf seinen Grundversorgungsauftrag konzentrieren würde. Darüber würde ich gerne bei Gelegenheit etwas hören, aber Sie werden wahrscheinlich keinen Intendanten finden, der Ihnen dazu etwas sagt – weil es eben eine hypothetische Frage ist – oder?

medienpolitik.net: Unabhängig davon, wie realistisch eine Erhöhung auf 3 Prozent ist, Sie hätten doch aber sicher für einige Aufgaben mehr Geld. Welche wären das?

Dr. Jürgen Brautmeier: Ich bin zwar kein Hobbygärtner, aber ich wäre in diesem Fall mit der Gießkanne unterwegs, schon allein, um das von der Medienkommission fein austarierte Fördertableau nicht umzuwerfen. Das heißt konkreter: Alle fünf relevanten Förderkomplexe der LfM müssten davon profitieren: die Digitalisierung, die Stiftung „Vor Ort NRW“, die Medienkompetenz, die Bürgermedien und die Forschung.

Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe 11/16 erstveröffentlicht.

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