Urheberrecht:
Der Vorschlag der Europäischen Kommission ist richtig

Leistungsschutzrecht für Presseverleger 2.0
10.10.2016 von Dr. Ole Jani, Partner bei CMS Hasche Sigle
Kaum ein urheberrechtliches Gesetzgebungsvorhaben in Deutschland war so umstritten wie die Schaffung eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger. Jetzt schlägt die Europäische Kommission vor, ein solches Recht in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu etablieren.
Die Pläne für ein europäisches Leistungsschutzrecht für Presseverleger
Der Entwurf für eine Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt („Directive on Copyright in the Digital Single Market“), den die Europäische Kommission am 14.09.2016 vorgestellt hat, sieht in Artikel 11 die Schaffung eines europäischen Leistungsschutzrechts für Presseverleger vor, das sich erkennbar am deutschen Presseverleger-Leistungsschutzrecht orientiert, in seinem Schutzumfang jedoch deutlich darüber hinausgeht.
Es soll nach dem Willen der Kommission nicht der Entscheidung der Mitgliedstaaten vorbehalten sein, ob sie auf der Grundlage dieser unionsrechtlichen Vorgaben ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger schaffen, denn der Richtlinienentwurf regelt eine Pflicht zur Umsetzung („Member States shall provide publishers of press publications with …“). Wenn die Kommission sich mit ihrem Vorschlag durchsetzt, würde deshalb ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geschaffen werden.
Der Richtlinienentwurf beschränkt das Leistungsschutzrecht auf Presseverleger. Ein Leistungsschutzrecht auch für Buchverlage ist nicht vorgesehen. Presseverleger im Sinne der Richtlinie sind Verleger von Presseerzeugnissen. Bei der Definition des Presserzeugnisses (Artikel 2) orientiert sich der Richtlinienentwurf ebenfalls an der entsprechenden Bestimmungen des deutschen Rechts (§ 87f Abs. 2 UrhG).
Während das Leistungsschutzrecht für Presseverleger in Deutschland auf das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung durch Onlinemedien beschränkt ist, soll das europäische Leistungsschutzrecht auch das Vervielfältigungsrecht umfassen, allerdings auch insoweit beschränkt auf digitale Nutzungen. Sämtliche Schranken, die die sog. Informationsgesellschafts-Richtlinie zum Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und zum Vervielfältigungsrecht vorsieht, sollen entsprechend auch für das Presseverleger-Leistungsschutzrecht gelten. Im Unterschied zum deutschen Recht, das eine Schutzfrist von lediglich einem Jahr vorsieht, soll das europäische Leistungsschutzrecht eine Schutzfrist von 20 Jahren haben.
In Deutschland hat der Gesetzgeber von einer Regelung abgesehen, nach der das Leistungsschutzrecht nur von einer Verwertungsgesellschaftspflicht geltend gemacht werden kann. Ironischerweise waren es ausgerechnet die Netzpolitiker im Bundestag, die gegen eine solche – im Urheberrecht durchaus gängige – Regelung Vorbehalte geäußert haben. Die Praxis in Deutschland zeigt indes, dass das Presseverleger-Leistungsschutzrechts sinnvoll nur kollektiv durch eine Verwertungsgesellschaft ausgeübt werden kann. Der dadurch geschaffene „one-stop-shop“ ist auch im Interesse der Nutzer. Das europäische Leistungsschutzrecht sollte deshalb verwertungsgesellschaftspflichtig sein.
Das Leistungsschutzrecht der Presseverleger ist in Deutschland nicht gescheitert
Kritiker wenden ein, das Leistungsschutzrecht für Presseverleger in Deutschland sei gescheitert, denn es sei den Verlagen bis heute nicht gelungen, substanzielle Einnahmen mit dem Leistungsschutzrecht zu erzielen. Ein solches Recht jetzt auf europäischer Ebene zu etablieren, sei auch deshalb verfehlt. Das ist unzutreffend. Die bisherige Entwicklung in Deutschland taugt nicht als Argument gegen ein europäisches Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Denn die Kritiker übersehen, dass es stets ein langer Weg ist, bis ein neues Recht endgültig durchgesetzt werden kann. Im Urheberrecht gibt es zahlreiche Beispiele für Rechte und Ansprüche, deren Etablierung im Markt jahrelange Prozesse vorausgegangen sind. Es war deshalb von Anfang an klar, dass die Durchsetzung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger mit langwierigen Rechtsstreitigkeiten verbunden sein wird und dass viele Streitfragen zur Anwendung dieses Rechts höchstrichterlich geklärt werden müssen. Dass die Verlage aus ihrem Leistungsschutzrecht für Presseverleger bisher nur geringe Erträge erzielen können, ist deshalb keine Überraschung und mitnichten ein Einwand gegen das Leistungsschutzrecht.
Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger ist ein netzpolitisches Symbol
Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger ist in der politischen Debatte in Deutschland schnell zu einem netzpolitischen Symbol geworden. Zu einer Projektionsfläche für all jene, die dem Konzept des geistigen Eigentums grundsätzlich misstrauen und die den Schutz von kreativen Leistungen und Investitionen in solche Leistungen durch das Urheberrecht generell in Frage stellen. Die Proteste aus der sog. Netzgemeinde haben die politischen Entscheidungsträger in Deutschland seinerzeit beeindruckt und verunsichert. Nicht zuletzt deshalb ist das Gesetz in Deutschland in Teilen misslungen.
Die sogenannte Netzgemeinde ist eine amorphe Gestalt. Die Piratenpartei hat ihr nur vorübergehend ein politisches Gravitationszentrum gegeben. Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger wirkt vielleicht deshalb in besonderem Maße identitätsstiftend und wird deshalb zum Gegenstand des gemeinsamen Protests. In einem wirtschaftlich-technischen Umfeld, das nach dem Gesetz des „winners-take-all“ funktioniert, sollten die Kritiker des Presseverleger-Leistungsschutzrechts aber nicht der romantisch-naiven Vorstellung von einem freien und ungehinderten Informationsaustauschs im Internet erliegen. Auch die sog. Netzpolitiker in allen Parteien müssen überlegen, wem der Status Quo tatsächlich nützt. Was wir lesen, wird heute schon maßgeblich durch wenige Plattformen beeinflusst. Es ist nicht das Presseverleger-Leistungsschutzrecht, das die Freiheit der Kommunikation und die Informationsvielfalt gefährdet.
Plattformökonomie
Selbstverständlich muss die Medienwirtschaft auf die Herausforderungen der Digitalisierung selbst Antworten finden. Das kann der Gesetzgeber ihr nicht abnehmen. Auch das Leistungsschutzrecht für Presseverleger dient keineswegs dazu, überholte Geschäftsmodelle zu schützen. Das zeigt auch die Entwicklung in Deutschland. Seit der Einführung des Presseverleger-Leistungsschutzrechts gelingt es den Verlagen den Anteil an paid-content kontinuierlich zu erhöhen. Die Bereitschaft der Nutzer, für journalistische Inhalte im Internet zu bezahlen, steigt. Das Leistungsschutzrecht setzt also keineswegs die von Kritikern befürchteten wirtschaftlichen Fehlanreize.
Auch in der Ökonomie des Internets müssen faire Wettbewerbsbedingungen herrschen. Und auch technologische und unternehmerische Innovationen sind keine Rechtfertigung dafür, dass einzelne Marktteilnehmer sich fremde Leistungen aneignen und die Erträge aus deren Verwertung kassieren. Mit dem Presseverleger-Leistungsschutzrecht setzt der Gesetzgeber dieser Entwicklung etwas entgegen und bekräftigt seinen Anspruch, im Internet die Spielregeln nicht den großen Internetunternehmen zu überlassen.
Eine formale Stärkung der Verlage durch das Leistungsschutzrecht ist allerdings wertlos, wenn gegenüber (quasi-) monopolistischen Internetunternehmen Abhängigkeiten bestehen und das Urheberrecht aufgrund dieser Abhängigkeit nicht durchgesetzt werden kann und die Rechteinhaber gezwungen sind, ihre Rechte kostenlos oder zu einseitig diktierten Bedingungen zur Verfügung zu stellen. Das zeigen die Erfahrungen mit dem Leistungsschutzrecht in Deutschland sehr deutlich. Und dieses Dilemma kann das Urheberrecht auch auf europäischer Ebene nicht lösen. Aber wenn das Leistungsschutzrecht für Presseverlage in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union eingeführt wird und damit den verbindlichen Rechtsrahmen für einen Markt mit rd. 500 Mio. Einwohnern bildet, wird es auch den großen Digitalunternehmen nicht mehr so leicht fallen, sich einer Verhandlung mit den Verlagen auf Augenhöhe zu entziehen. Oft wird gefordert, Europa müsse mit einem gemeinsamen Ordnungsrahmen und als Einheit auftreten, um den großen Internetgiganten wirksam entgegen treten zu können. Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger bietet hierzu eine Gelegenheit.
Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe 10/16 erstveröffentlicht.