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„Die Meinungsfreiheit endet an den Schranken des Grundgesetzes“

von am 08.03.2017 in Allgemein, Archiv, Internet, Interviews, Medienethik, Netzpolitik, Regulierung, Social Media

<h4>Internet:</h4>„Die Meinungsfreiheit endet an den Schranken des Grundgesetzes“
Prof. Dr. Rolf Schwartmann, Professur für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht und Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht

EuGH lehnt bisherigen Grundsatz „im Zweifel für die Meinungsfreiheit“ ab

08.03.17 Interview mit Prof. Dr. Rolf Schwartmann, Professur für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht, insbesondere öffentliches und internationales Wirtschaftsrecht und Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht

Für Politiker und Kommunikationswissenschaftler ist es keine Frage mehr, dass soziale Netzwerke reguliert werden müssen. Umstritten sind aber Art und Umfang der Regulierung. Bei der Regulierung der „Meinungsäußerungsfreiheit” rät Prof. Dr. Rolf Schwartmann auf bedachte und verantwortungsbewusste Erwägung von Maßnahmen. Der Jurist empfiehlt einen gemeinsamen, selbstverpflichtenden Verhaltenskodex für Facebook, Google, Twitter und YouTube, über den öffentlich diskutiert werden müsse. Ziel könne sein, nach dem Vorbild des Jugendmedienschutzes eine regulierte Selbstregulierung in den sozialen Medien zu schaffen. Dazu sollten sich die Dienstanbieter zu einer Selbstkontrolleinrichtung zusammenschließen. Der Staat könne sich dann auch eine Aufsicht über die Selbstkontrolle beschränken, um unzureichenden Schutz durch die Selbstkontrolle zu verhindern. Dazu sei die Mitwirkung der Länder und der Landesmedienanstalten, gesetzlich verankert in einem Staatsvertrag, erforderlich.

medienpolitik.net: Herr Schwartmann, wo endet die Meinungsfreiheit?

Prof. Dr. Rolf Schwartmann: Verfassungsrechtlich endet die Meinungsfreiheit an den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG. Konkret also bei „den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der der persönlichen Ehre.“ Allgemeine Gesetze sind solche, die andere Rechtsgüter als die Meinungsfreiheit schützen. Der Europäische Gerichtshof hat in der seiner Entscheidung aus dem Jahr 2014 zum „Recht auf Vergessen“ einen bemerkenswerten Akzent für die Grenzen der Informationsfreiheit im Internet gesetzt. Danach überwiegen bei belanglos gewordenen wahren Tatsachen im Netz die Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens und des Datenschutzes regelmäßig das Interesse der Internetnutzer an einer Information im Netz. Weil ich das auf die Meinungsfreiheit übertragen würde, wird der Satz „im Zweifel für die Meinungsfreiheit“ von EuGH aus meiner Sicht nicht mehr getragen. Was der EuGH in der Google-Entscheidung mit Blick auf eine mit der Zeit belanglos gewordene wahre Tatsache entschieden hat, muss erst recht für eine aktuell belangvolle Lüge gelten. Man muss nun abwarten, wie sich das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dazu stellen. Dabei muss man sehen, dass die Datenschutz-Grundverordnung das „Recht auf Vergessenwerden“ noch deutlich ausgeweitet hat. Es muss nicht nur die Auffindbarkeit über die Suchmaschine unterbunden werden, sondern bei betroffenen Inhalten muss jede Kopie aus dem Netz verschwinden. Die technische Umsetzung dieser Pflicht ist eine gewaltige Aufgabe.

medienpolitik.net: Ist es egal, ob Hassreden und Verleumdungen über das offene Internet erfolgen oder in geschlossenen Internetgruppen?

Prof. Dr. Rolf Schwartmann: Ja. Das Recht fragt grundsätzlich nicht nach dem Kontext, in dem rechtswidrige Handlungen oder Straftaten begangen werden, sondern nach der Rechtsverletzung durch eine rechtswidrige Handlung sowie nach dem Täter und dessen Schuld. Das gilt auch für Beleidigungen und Verleumdungen. Besondere Wertungen zur Stärkung der Meinungsfreiheit können durch Satire oder Kunst hinzukommen. Aber auch diese haben Grenzen. „Satire darf alles“ ist kein Rechtssatz. „Die Würde des Despoten ist unantastbar“ aber sehr wohl. Das hat das Landgericht Hamburg jetzt in der Böhmermann-Entscheidung vom 10.2.2017 erwartungsgemäß bekräftigt.

medienpolitik.net: Matthias Döpfner bezeichnet die Regulierung von sozialen Netzwerken als Zensur. Teilen Sie diese Auffassung?

Prof. Dr. Rolf Schwartmann: Zensur ist ein Rechtsbegriff aus Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG. Danach ist das staatliche Unterbinden einer Meinung verboten bevor sie geäußert wird. In der aktuellen Debatte geht es um etwas anderes, nämlich um bereits geäußerte und möglicherweise rechtswidrige Inhalte, die Dritte verletzen können. Jede Zeitungsredaktion und jeder Rundfunkveranstalter veröffentlicht nur das, was der Richtung des Mediums entspricht und was sie unter Berücksichtigung der Schranken der Meinungsfreiheit verantworten kann. Danach setzt die Medienaufsicht oder der Presserat an. Wenn man die Beachtung von Rechten anderer als verbotene Zensur bezeichnet, dann werden die Grenzen der Meinungsfreiheit als Korrektiv der Verfassung im Sinne einer ausgewogenen und rechtlich zulässigen Debatte verkannt.

medienpolitik.net: Was sollte man bei sozialen Netzwerken regulieren, um Hassbotschaften und Fake-News zu reduzieren?

Prof. Dr. Rolf Schwartmann: Man muss sich um eine Regulierung von Plattformen kümmern, weil sie maßgeblicher Faktor der Meinungsbildung sind. Massenmedien können gefährlich werden. Das wusste man bei der Schaffung des Grundgesetzes. Deshalb kennt unser Recht für Presse und Rundfunk neben den Redaktionen, die eine Richtung für den Inhalt vorgeben, seit jeher eine Aufsicht, die im Mediensystem vor der gerichtlichen Kontrolle ansetzt. Bei der Presse hält man den Presserat für ausreichend, beim Rundfunk sind Rundfunkräte, bzw. der Fernsehrat und die Landesmedienanstalten erforderlich. Massenhaft verbreitete Beleidigungen und Verleumdungen dürfen nicht deshalb privilegiert werden, weil sie in Sozialen Medien verbreitet werden und nicht über Presse- oder Rundfunk.

medienpolitik.net: Wie reguliert man denn angemessen?

Prof. Dr. Rolf Schwartmann: Derzeit nimmt Twitter etwa eine proaktive Vorabkontrolle von Texten mit technischen Mitteln vor. Sie legen dabei letztlich Unternehmensstandards zugrunde. Das ist vergleichbar mit der Durchsetzung der Standards von Facebook, wonach unverfängliche Nacktaufnahmen etwa zur Aufklärung über den menschlichen Körper aus dem Netz genommen werden. Das ist problematisch. Zum einen, weil eine maschinelle Kontrolle zu unpräzise ist und auch zulässige Inhalte entfernt. Zum anderen, weil sie nicht auf Gesetzen sondern auf Firmenstandards beruht.
Man muss also einen Modus finden, der in unser Rechtssystem eingepasst ist. Nach dem Telemedienrecht gibt es keine proaktive Prüfpflicht einer Plattform, Inhalte auf Rechtmäßigkeit zu prüfen. Dabei sollte es bleiben. Es muss aber ein Inhalt aus dem Netz entfernt werden, wenn der Anbieter des Telemediendienstes Kenntnis von dessen Rechtswidrigkeit erlangt hat. Diese Kenntnis tritt zu spät ein, wenn man darauf wartet, bis sie in einem Gerichtsverfahren geklärt ist. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der rechtswidrige Gehalt seine Wirkung längst entfaltet. Der Vorgang muss also mit einer menschlichen Prüfung eines gemeldeten Verstoßes beginnen. Dabei ist es unschädlich, wenn er durch ein Programm angestoßen wird.
Ich habe ein dreistufiges Vorgehen zur Diskussion gestellt (F.A.Z. vom 16.1.2017, S. 9). In einem ersten Schritt könnte man abwarten, ob die die derzeit von Facebook praktizierte Praxis mit freiwilliger, externer Kontrolle von gemeldeten Verstößen fruchtet. Die Prüfung ist der Sache nach mit der einer Medienanstalt vergleichbar, nur dass sie eben nicht durch eine Anstalt des öffentlichen Rechts erfolgt. Sodann könnte man einen runden Tisch der wesentlichen betroffenen Netzanbieter, also eine Art Ethikkommission erwägen, etwa wie sie als „Google-Beirat“ nach der Entscheidung zum „Recht auf Vergessen werden“ etabliert wurde. Auf einer dritten Stufe könnte man ein System der freiwilligen Selbstkontrolle erwägen, wie wir es vom Jugendmedienschutz her kennen. Hier gibt sich die Wirtschaft selbst einen Rahmen und der Staat überwacht die Einhaltung und hat ein justitiables Letztentscheidungsrecht.

medienpolitik.net: Wer ist für die Inhalte verantwortlich: Der Absender, die Plattform, derjenige, der die Inhalte teilt?

Prof. Dr. Rolf Schwartmann: Jeder der Beteiligten auf unterschiedliche Weise. Der Absender ist als Urheber eines Inhalts für ihn voll verantwortlich. Problematisch wird das dann, wenn Inhalte schon durch Algorithmen erzeugt werden. Die Plattform ist nach dem Telemediengesetz für fremde Inhalte verantwortlich, sobald dort Kenntnis von der Rechtswidrigkeit besteht. Wer eine falsche Tatsachenbehauptung in Form einer Verleumdung teilt leistet Beihilfe dazu. Bei ehrverletzenden Meinungsäußerungen kommt es darauf an, ob man sich deren Inhalt zu eigen macht, sich ihm also anschließt.

medienpolitik.net: Sind nachrichtenähnliche Inhalte, die über soziale Netzwerke verbreitet werden, Medieninhalte?

Prof. Dr. Rolf Schwartmann: Sie sind Faktor, also Multiplikator, der Meinungsbildung und erfüllen damit das für die Einordnung als Medieninhalt relevante Kriterium.

medienpolitik.net: Mark Zuckerberg hat selbst gesagt: Facebook is a media company, just “not a traditional media company”. Wenn Facebook sich selbst als Medium sieht, muss es doch auch – zumindest in Bezug auf die Meinungsbildung – als Medium betrachtet werden und dem Presserecht unterliegen?

Prof. Dr. Rolf Schwartmann: Der Sache nach enthält Facebook alles, was aus Sicht der Verfassung Gefahren durch enorm reichweitestarkes Verbreiten von Inhalten birgt. Ob man für die Regulierung Anleihen bei der Presse oder beim Rundfunk nimmt ist Ansichtssache. In jedem Fall muss eine für derartige Telemedienanbieter sachgerechte Kontrolle erfolgen, um die Grenzen der Meinungsfreiheit umsetzen zu können. Mit Blick auf potentielle und oft auch tatsächliche Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft kommt das was über Soziale Medien verbreitet wird, dem Rundfunk aus meiner Sicht näher als die Presse.

medienpolitik.net: Man könnte so doch auch soziale Netzwerke zu Gegendarstellungen zwingen?

Prof. Dr. Rolf Schwartmann: Die Gegendarstellung geht ja davon aus, dass der für den Inhalt Verantwortliche selbst einen Inhalt verantworten will. Das passt auf Facebook nicht so recht, weil Facebook ja nicht selber postet.

medienpolitik.net: Sollten soziale Netzwerke, da sie einen immer stärkeren Einfluss auf die Meinungsbildung haben, in die medienkonzentrationsrechtliche Bewertung einbezogen werden?

Prof. Dr. Rolf Schwartmann: Das sollte vermehrt geschehen und es erfolgt über crossmediale Betrachtungen schon. Dass soziale Medien konzentrationsrechtlich erhebliche Gefahren für den Meinungsbildungsprozess bergen und dessen Verzerrung bedingen können, liegt auf der Hand.

medienpolitik.net: Inwieweit würde das helfen, den negativen Einfluss sozialer Netzwerke zu begrenzen?

Prof. Dr. Rolf Schwartmann: Die Einbeziehung bindet sie in den „Regulierungskreislauf“ ein und macht ihr Gefährdungspotential transparent. Das ist so gerecht wie sachgerecht.

medienpolitik.net: Facebook will journalistische Inhalteanbieter wie Correctiv mit der Überprüfung von Inhalten beauftragen. Unter welchen Bedingungen ist das möglich?

Prof. Dr. Rolf Schwartmann: Das ist nur möglich, wenn solche Gremien sachlich und personell und mit Blick auf ihre juristische Expertise angemessen ausgestattet sind. Diese Aufgabe ist rechtlich anspruchsvoll und mit Blick auf das Ausloten der Schranken der Meinungsfreiheit auch heikel. Mit Blick auf die gerichtliche Kontrolle der Entscheidung dieser Gremien müssen sie nach transparenten und anerkannten Verfahren arbeiten, die es zu erarbeiten gilt. Mit ehrenamtlichen Mitarbeitern wird eine seriöse Überprüfung kaum zu leisten sein.

medienpolitik.net: Sie sehen bei der Eindämmung von Hass, Verleumdung und Fake-News per Internet auch die Presse in der Verantwortung. Warum?

Prof. Dr. Rolf Schwartmann: Weil deren Inhalte im Kontext mit Beleidigungen und gezielten Falschmeldungen verbreitet werden und neben der staatlichen Verantwortung auch eine gesellschaftliche und unternehmerische Verantwortung existiert. Die Presse, aber auch die Rundfunkveranstalter sind hier in der Pflicht, um zum Schutz des Systems beizutragen. Die Medienbranche ist sehr nah an den Gefahren durch soziale Netzwerke und sie ist nicht davon frei, sie zu verstärken indem sie deren Reichweite erhöht.

medienpolitik.net: Wie könnte eine Selbstverpflichtung der Plattformen für soziale Netzwerke funktionieren und wer sollte diese Selbstverpflichtung kontrollieren?

Prof. Dr. Rolf Schwartmann: Aus meiner Sicht könnte man Anleihen beim Jugendmedienschutz nehmen. Ein Regulierungsansatz für soziale Medien könnte staatliche Aufsicht mit freiwilliger Selbstkontrolle verzahnen. Die Diensteanbieter könnten sich in einer selbst finanzierten Selbstkontrolleinrichtung wie der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Dienstleister (FSM) zusammenschließen, die die Diensteanbieter kontrollieren würde. Die Selbstkontrolleinrichtung würde ihrerseits durch eine staatliche Stelle beaufsichtigt. Der Staat würde deshalb nur noch eine eingeschränkte Letztkontrolle zur Verhinderung eines unzureichenden Schutzes durch die Selbstkontrolle beanspruchen und gegen deren Entscheidungen stünde der Rechtsweg offen. Weil die Aufsicht über Medienanbieter und die Durchsetzung von Bußgeldern gegen diese Sache der Länder ist, wäre ein Staatsvertrag erforderlich.

Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe 03/17 erstveröffentlicht.

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