Medienpolitik:

Intermediäre als journalistische Vermittler

von am 27.03.2017 in Allgemein, Archiv, Internet, Journalismus, Medienpolitik, Netzpolitik, Social Media, Studie

<h4>Medienpolitik:</h4>Intermediäre als journalistische Vermittler
Prof. Dr. Birgit Stark, Institut für Publizistik, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Neue Studie zeigt Einflusspotenzial auf den Meinungsbildungsprozess

27.03.17 Von Prof. Dr. Birgit Stark, Institut für Publizistik, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Die Diskussion um den Regulierungsbedarf von Intermediären hat sich in den letzten Monaten intensiviert. Mitte März hat Justizminister Heiko Maas einen Gesetzentwurf präsentiert, der die Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken verbessern soll. Damit soll gegen Hasskriminalität und Falschnachrichten vorgegangen werden. Kritiker des Entwurfs fürchten den Beginn einer „Löschkultur“ im Netz und Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Denn privatwirtschaftliche Unternehmen würden weitreichende Befugnisse bei der Auslegung und Durchsetzung geltenden Rechts erhalten.

An diesem Punkt zeigt sich das Handlungsdilemma am offensichtlichsten, denn längst sind soziale Netzwerke in den Informationsrepertoires der Nutzer verankert. Sie haben sich als Informationsquelle für politische Nachrichten und aktuelles Tagesgeschehen etabliert. Zudem wächst durch Darstellungsformate wie Instant Articles das Risiko, die dahinterstehende Medienmarke gar nicht mehr wahrzunehmen. Damit übernehmen Intermediäre journalistische Vermittlungsleistungen und verfügen wie traditionelle Medien über Meinungsbildungsrelevanz. Im Selbstverständnis allerdings beschränken sich die Plattformanbieter auf ihre Intermediärsfunktion, d.h. sie betonen, dass sie keine eigenen Inhalte anbieten, sondern lediglich die technische Plattform zur Weiterverbreitung anbieten.

Über ihren Einfluss auf die individuelle und öffentliche Meinungsbildung wird deshalb viel spekuliert. So unterscheidet sich die Nachrichtennutzung auf Facebook von der Nutzung über klassische Massenmedien, denn sie ist sozial eingebunden: Nutzer nehmen vor allem das wahr, was in ihrem persönlichen Facebook-Newsfeed angezeigt wird – und diese Auswahl wird algorithmenbasiert gesteuert. Sie basiert nicht nur darauf, was Nutzer selbst „geliked“ haben, sondern auch auf Inhalten, die ihre Freunde „geliked“ und „geteilt“, ihnen also weitergeleitet und empfohlen haben. Außerdem werden Nutzer auch indirekt über die Wahrnehmung des Meinungsklimas beeinflusst: Sie bilden sich einen Eindruck davon, wie bestimmte Meinungen in der Gesellschaft verteilt sind, indem sie die Kommentare und Bewertungen anderer Nutzer beobachten können und Anschlusskommunikation sichtbar gemacht wird. Auch wenn die im Netz suggerierte Meinungsverteilung in den seltensten Fällen dem Meinungsklima in der Gesamtbevölkerung entsprechen wird: Sieht und liest man dort, wie andere Menschen kontroverse politische Themen bewerten, kommt es zu einem Rückkopplungseffekt auf die eigene Meinungsbildung; beispielsweise kann sich die Bereitschaft, sich zu einem Thema zu äußern, verändern.

Ob und wie diese algorithmenbasierten Personalisierungslogiken zu einer verzerrten Vermittlung und Wahrnehmung von gesellschaftlich relevanten Themen und Problemlagen führen, wird noch kontrovers diskutiert. Eine aktuelle Studie – gefördert von der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen und dem Forschungsschwerpunkt Medienkonvergenz der Johannes Gutenberg-Universität Mainz – befasst sich mit Meinungsbildungsprozessen auf Facebook und vergleicht die Effekte unterschiedlicher Informationsquellen. Um die komplexen Wirkungszusammenhänge adäquat zu erfassen, arbeitet die Studie mit einem Mehr-Methoden-Design: eine Kombination aus quantitativen und qualitativen Erhebungen in Form einer Online-Tagebuchstudie, eines Tracking-Analysetools und einer Online-Community.

In der quantitativen Befragung wurden über zwei Wochen hinweg themenbezogen die Informationsnutzung von Internetnutzern zum aktuellen Zeitgeschehen erfasst und verschiedene Fragen zur Meinungsbildung gestellt. Dabei deckt die Erhebung die verschiedenen Stufen des Meinungsbildungsprozesses ab: Eingebettet in unterschiedliche kommunikationswissenschaftliche Forschungsstränge wird nicht nur erfasst, ob Intermediäre die wahrgenommene Wichtigkeit bestimmter politischer Themen (Agenda-Setting-Funktion), sondern auch die Wissensvermittlung (d. h. das subjektive Gefühl, über diese Themen informiert zu sein) und die Meinungsvermittlung (d. h. die Wahrnehmung von unterschiedlichen (politischen) Positionen zu diesen Themen und die Wahrnehmung des Meinungsklimas) verändern. Auf allen drei Stufen kann es zu bestimmten Wirkeffekten und damit zu möglichen Verzerrungen bei der Meinungsbildung kommen.

Für die quantitative Befragung lassen sich drei zentrale Befunde festhalten:
Erstens ist das regelmäßig genutzte Informationsrepertoire generell sehr vielfältig, d.h. in der Regel informiert man sich mittels unterschiedlichen Informationsquellen über das politische Zeitgeschehen. Der genutzte Mix ist sehr breit, wobei die traditionellen Massenmedien nach wie vor eine große Rolle spielen. Internetquellen haben jedoch einen festen Platz im Repertoire der Nutzer, für Facebook-Nutzer ist das Internet sogar die wichtigste Informationsquelle, gefolgt vom Fernsehen und persönlichen Gesprächen. Facebook nimmt im Informationsrepertoire häufig eine bestimmte Position ein, ist aber nur eine Nachrichtenquelle unter vielen – in der Regel nicht die alleinige oder hauptsächliche: Als sehr internetaffine Personen nutzen Facebook-Nutzer insgesamt eine größere Vielfalt an Informationsquellen als Facebook-Nichtnutzer. Je intensiver und vielfältiger die Nutzung zu bestimmten politischen Themen, desto besser fühlt man sich auch informiert. Allerdings führt Facebook in der Selbsteinschätzung der Befragten nicht unbedingt dazu, dass sie besser über Themen informiert sind. Das hängt auch damit zusammen, dass die Nutzer auf Facebook insgesamt eher wenige politische Informationen erhalten und die soziale Netzwerkplattform nicht zur gezielten Informationssuche nutzen, sondern dort eher zufällig über Informationen „stolpern“. Es sind vor allem traditionelle Nachrichtenquellen und persönliche Gespräche, die das Gefühl der subjektiven Informiertheit stärker positiv beeinflussen.

Zweitens variiert je nach konkretem politischem Thema die Bedeutung von Facebook als Informationsquelle. Auch wenn die Nutzung von Facebook zwar nicht zu einem engeren wahrgenommenen Themenspektrum führt, kann sie die wahrgenommene Priorität von Themen verändern. Diese Agenda-Setting-Effekte zeigen sich aber nicht bei den wahrgenommenen Topthemen, die sich nach wie vor in der gesamten Bevölkerung stark ähneln, sondern erst weiter hinten in der Themenrangfolge.

Drittens zeigen sich Auswirkungen der Facebook-Nutzung auf den weiteren Stufen des Meinungsbildungsprozesses: Sobald Facebook eine Informationsquelle für politische Themen ist, lassen sich indirekte Effekte auf die Meinungsbildung durch die Beobachtung und Wahrnehmung des Meinungsklimas nachweisen. Denn spielt Facebook als Informationsquelle zu einem Thema eine wichtige Rolle, wird das Thema nicht nur kontroverser wahrgenommen, sondern man fühlt sich mit der eigenen Meinung auch stärker der Mehrheit zugehörig. Das bedeutet, es kann zu einer themenspezifischen Polarisierung kommen, weil offenbar ein verzerrter Eindruck vom tatsächlichen Meinungsklima entstehen kann. Diese Verzerrungseffekte können nicht zuletzt durch die Tonalität der Diskussion zustande kommen. Allerdings darf dabei die Rolle intervenierender Variablen, z.B. des politischen Interesses oder des Orientierungsbedürfnisses nicht vernachlässigt werden. Berücksichtigt man diese persönlichen Einflussfaktoren, zeigt sich, dass die in der Öffentlichkeit postulierten pauschalen Wirkungszusammenhänge zwischen Facebooknutzung und Meinungsbildung der tatsächlichen Komplexität und Vielschichtigkeit des Meinungsbildungsprozesses nicht gerecht werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Sobald Facebook für ein politisches Thema zu einer wichtigen Informationsquelle wird, macht sich das Einflusspotenzial auf unterschiedlichen Stufen des Meinungsbildungsprozesses bemerkbar. So kann sich nicht nur die Wahrnehmung der Wichtigkeit von Themen, sondern auch die Wahrnehmung der Kontroversität des Themas verändern. Die Befunde der Tagebuchstudie wie auch die Aussagen in den qualitativen Diskussionen in der Online-Community belegen, dass das Debattenniveau hier eine zentrale Rolle spielt. Zudem darf nie vergessen werden, dass durch die rasch steigende Aufmerksamkeit anderer Medien Meinungsaussagen aus Netzwerken immer wieder zu „Medienhypes“ werden. Das heißt, die Gewichtung von Themen im Zusammenspiel mit der klassischen Medienberichterstattung führt aus der Nutzerperspektive zu einem Multiplikatoreffekt, der ungeahntes Wirkungspotenzial besitzt.
Damit sind wir beim Ausgangspunkt, denn die Befunde der Studie untermauern die Wichtigkeit, konsequent gegen Verleumdungen und Falschmeldungen vorzugehen. Plattformanbieter hier aus der Verantwortung zu nehmen, wäre der falsche Weg.

Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe 04/17 erstveröffentlicht.

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