Filmwirtschaft:
„Geld ist kein Qualitätsgarant“

Filmwirtschaft fordert eine „strategischere Industrieförderung“
16.05.17 Interview mit Alfred Holighaus, Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V. (SPIO)
Die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V. (SPIO) hat ein Zehn-Punkte-Papier mit ihren wesentlichen politischen Forderungen an die Parteien kommuniziert. Im Zentrum der Forderungen stehen verschiedene filmwirtschaftliche Herausforderungen zur Digitalisierung. Die SPIO fordert u.a. die Bekämpfung von Online-Piraterie und ein Level-Playing-Field für alle Anbieter audiovisueller Inhalte im Internet. Neben kartell- und urheberrechtlichen Anliegen werden im Forderungskatalog aber auch die Filmförderung, die Verantwortung für das filmische Erbe und der Jugendschutz thematisiert. Als gesellschaftlich besonders wertvolles Angebot sieht die SPIO außerdem den Kultur- und Kommunikationsort Kino in der Fläche, weshalb sie sich für strukturpolitische Maßnahmen im ländlichen Raum stark macht.
medienpolitik.net: Herr Holighaus, die SPIO hat zehn Forderungen an die Politik „für eine zukunftsfähige Filmwirtschaft“ verabschiedet. Wenn Sie diese Forderungen unter eine Dachmarke, eine Überschrift stellen sollten, welche wäre das?
Alfred Holighaus: Filmwirtschaftliche Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung.
medienpolitik.net: Sie haben Ihre Forderungen veröffentlicht, kurz nachdem das Bundeskabinett den DFFF um 75 Millionen Euro ab 2018 aufgestockt hat. Warum reicht Ihnen das immer noch nicht?
Alfred Holighaus: Es ist natürlich keine Frage, dass wir den Kabinettsbeschluss ausdrücklich begrüßen und uns über dessen Implementierung nach der Wahl sehr freuen würden. Die Erhöhung des DFFF ist ein Schritt in die richtige Richtung, der ja bekanntlich schon eine ganze Weile auf der Agenda der Filmbranche steht. Im globalen Wettbewerb um die attraktivsten Produktionsstandorte ist Deutschland mittlerweile von vielen Ländern überholt worden. Wenn jedoch immer mehr Produktionen im Ausland realisiert werden, schadet dies langfristig dem Know-how und Potential der hiesigen Kreativwirtschaft. Deshalb brauchen wir dringend starke ökonomische Anreize, die sich – jenseits des DFFF – nicht nur auf eine reine Kinofilmförderung begrenzen, sondern auch andere audiovisuelle Formate mitdenken.
medienpolitik.net: Rechnet man alle Fördermittel zusammen, inkl. FFA und Länder, könnten ab 2018 400 Mio. Euro Fördermittel bereitstehen, die in weniger Filme fließen sollen. Dann könnten die Produzenten doch „Oscars“ am Fließband produzieren?
Alfred Holighaus: Produzenten hätten dann zumindest schon mal gute Voraussetzungen, hochwertige und damit auch erfolgsversprechende Filme zu realisieren. Geld ist jedoch kein monokausal funktionierender Qualitätsgarant in dieser kostenintensiven und extrem arbeitsteilig funktionierenden Kunst. Deshalb wird es umso wichtiger, dass dieses Geld in die richtigen Hände gerät. Gute Filme werden schließlich von guten Filmemachern und ihren Teams gemacht, nicht von gut gefüllten Fördertöpfen.
medienpolitik.net: Dennoch fordern Sie zusätzlich die „Einführung planungssicherer Zulagen oder Steueranreizmodelle“. Warum?
Alfred Holighaus: Weil wir das große Bild im Blick haben müssen. Die Filmbranche ist Teil einer aktiven Kreativwirtschaft, deren vielfältige Inhalte und digitale Innovationen wesentlich zum Fortschritt unserer Gesellschaft beitragen: von der Kameratechnik in selbstfahrenden Autos bis zur digitalen Animation virtueller Realitäten. Um die Potentiale verschiedener audiovisueller Formate optimal nutzen zu können, brauchen wir eine strategischere Industrieförderung unserer Branche. Und da schafft Planungssicherheit Effektivität.
medienpolitik.net: Müsste die Förderung noch besser koordiniert, eine noch bessere Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern erfolgen?
Alfred Holighaus: Es sollte damit losgehen, dass sich erst einmal die Bundesförderung effektiver koordiniert und die Aufgaben, Förderbereiche und Förderziele aufeinander abstimmt. Zum Beispiel mit festen Budgetgrößen bei der FFA und einer deutlichen Akzentuierung der BKM-Förderung auf Dokumentarfilme und filmische Experimente. Eine Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern ist da schon schwerer zu erreichen, weil die Fördersysteme nicht kompatibel sind. Aber eine effektivere Kooperation zwischen den einzelnen Ländern wäre durchaus wünschenswert.
medienpolitik.net: Ein Teil der Filmwirtschaft kritisiert, dass die Förderung des Bundes nach wie vor sehr stark kinozentriert ist, mit den DFFF-Mitteln mehr TV-Serien gefördert werden sollen. Welchen Sinn ergibt das für die Branche insgesamt und für das Kulturgut Film?
Alfred Holighaus: Wir müssen die Förderung audiovisueller Inhalte ganzheitlich betrachten. Deswegen sprechen wir ja – siehe oben – von Anreizmodellen für Formate jenseits des Kinos. Aber ganz klar als Ergänzung, teilweise auch als Bestandteil, aber nicht als Alternative.
medienpolitik.net: Hat das Kino seine Funktion als Lokomotive für die Popularisierung und Verbreitung von Spielfilmen inzwischen an TV- und Video-Plattformen verloren?
Alfred Holighaus: Das Kino kann wegen seines einzigartigen Angebots von Präsentation und Rezeption eines Films seine Funktion als Lokomotive für Spielfilme niemals verlieren, weil die exklusive Verabredung mit diesem Produkt nur hier möglich und erlebbar ist. Das Kino macht die Spielfilme populär und sorgt nach wie vor für Erfolge in den weiteren Auswertungsformen. Dass die Online-Plattformen durchaus auch eigene populäre Formate entwickelt haben, steht auf einem anderen Blatt.
medienpolitik.net: Der erste Punkt Ihres Forderungskatalogs ist der Erhalt der ländlichen Lebens- und Wirtschaftsräume, um der anhaltenden Landflucht und der Ghettoisierung der Großstädte entgegenzutreten und damit der Erhalt des „Kultur- und Kommunikationsortes Kino“. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Alfred Holighaus: Weil der Inhalt dieser Forderung nicht nur von medienpolitischer, sondern vor allem von gesellschaftspolitischer Bedeutung ist. An vielen Orten unserer Republik ist das Kino tatsächlich der einzige, auf jeden Fall aber der lebendigste Ort für Kultur und Kommunikation – zwei zentrale Begriffe für die Identität einer Gesellschaft. Da stecken Themen wie Bildung, Diskursfähigkeit, Neugierde, Toleranz, Weltläufigkeit, Respekt und vieles mehr drin. Alles Dinge, die an Bedeutung zu verlieren drohen. Aber das Paket für die Politik ist hier natürlich viel größer, weil der Erhalt der Kinos mit weiteren strukturpolitischen Maßnahmen einhergehen muss.
medienpolitik.net: Bei mehreren Punkten geht es ihnen um das Internet. Ist das für Sie inzwischen ein „Freund“ oder immer noch ein „Feind“?
Alfred Holighaus: Das Internet per se und die gesamte technologische Entwicklung war nie der Feind des Kinos und des Films. Im Gegenteil! Die Herstellung, Vermarktung und Präsentation unserer Produkte hat diesen Entwicklungen entscheidende Impulse gegeben. Wir stellen uns nur gegen das, was durch rein technologische Möglichkeiten zu einem Wert erhoben wird, hinter dem weder Kreativität noch Risikobereitschaft noch Leidenschaft stecken müssen. Mit anderen Worten: Wir reagieren sensibel und wenn es sein muss auch feindselig, wenn die von uns geschaffenen und vermarkteten Werte im Netz entwertet werden.
medienpolitik.net: Sie fordern „zwingend die Möglichkeit, eigene Vertriebsstrukturen für Bezahlinhalte im Netz aufzubauen oder bestehende Auswertungskanäle kommerziell zu nutzen.“ Wer oder was hindert Sie daran?
Alfred Holighaus: Grundvoraussetzung für eine faire Beteiligung am digitalen Geschäft sind wertvolle Online-Lizenzen, die durch exklusive Nutzungsrechte gegenüber dem Vertragspartner erzielt werden können. Nehmen wir nur mal die aktuellen Bestrebungen der öffentlich-rechtlichen Sendeunternehmen, sich über eine zeitliche und räumliche Ausweitung ihrer Mediatheken nach und nach als kostenlose Videoplattformen zu profilieren. Diese gefährden nicht nur die Werthaltigkeit solcher Lizenzen. Es ist grundsätzlich durchaus die Frage zu stellen, ob die über eine Haushaltsabgabe finanzierten Einrichtungen überhaupt angemessene Preise für die universelle Nutzung audiovisueller Inhalte zahlen wollen und können. Obendrein ist zu erwarten, dass die gerade wachsende Akzeptanz in der Bevölkerung, legale – und eben auch kostenpflichtige – Angebote zu nutzen, mit der Propagierung einer Gratis-Kultur im Netz wieder rückläufig würde. Welche Schwierigkeiten dies für die Herstellung neuer kreativer Inhalte bedeutet, zeigt ein Blick auf die Zeitungsverlage, die immer noch um eine faire Monetarisierung ihrer digital eingestellten Artikel kämpfen.
medienpolitik.net: Macht eine solche „Kleinstaaterei“ wirklich Sinn? Es gab ja schon mehrere Versuche der Branche solche Vertriebsplattformen aufzubauen, die aber alle nicht erfolgreich waren. Warum sollte es jetzt klappen?
Alfred Holighaus: Die Gründe, warum eine gemeinsame Plattform für deutsche Kinoproduktionen in der Vergangenheit scheiterte, liegen im Kartellrecht begründet und sind für uns nicht nachvollziehbar. Seitdem versuchen unterschiedliche deutsche VoD-Plattformen, sich auf dem Markt zu behaupten. Sie können und müssen zu einer Alternative werden, damit der Zugang zu Inhalten nicht von wenigen global agierenden Unternehmen gesteuert wird und Vielfalt zur reinen Quantität verkommt.
medienpolitik.net: Die EU taucht bei Ihren Forderungen nur einmal im Zusammenhang mit der „Untergrabung des Territorialitätsprinzips“ auf. Warum sind Sie hier so zurückhaltend?
Alfred Holighaus: Ich würde nicht sagen, dass wir hier zurückhaltend auftreten, sondern fokussiert. Das Territorialitätsprinzip ist ein existenzieller Marktmechanismus der Filmwirtschaft und wird gerade heftig durch verschiedene europäische Initiativen zur Schaffung eines Digitalen Binnenmarktes attackiert. Unsere Regierung muss der EU deshalb klar machen, dass dieser Binnenmarkt keinen Vorrang vor den urheberechtlichen Grundlagen der deutschen Kulturnation haben darf. Die Möglichkeit zur exklusiven territorialen Lizenzvergabe gehört für die Filmwirtschaft unbedingt dazu. Die Folgen einer Abschaffung dieses Prinzips begrenzen sich schließlich nicht nur auf eine fortschreitende Unterfinanzierung unabhängiger deutscher Filmemacher, sondern gehen mit einem geringeren Angebot von kulturell vielfältigen Filmwerken letztlich auch zu Lasten der Verbraucher. Die Regierungen Spaniens und Frankreichs haben sich übrigens in dieser Frage schon öffentlich auf die Seite ihrer Filmwirtschaften gestellt. Das können wir auch von der Regierung eines Landes erwarten, dessen Filmwirtschaft nicht nur nachweislich einer aktuellen Studie des BMWi an Bedeutung zunimmt.
medienpolitik.net: Hat die „EU-Medienpolitik“ nicht auch in anderen Punkten, vom Digitalisierungskonzept bis zur Beihilferegelung Konsequenzen für die deutsche Filmwirtschaft? Das heißt, außer, dass das Territorialprinzip beibehalten werden soll, gibt es keine Wünsche an die EU?
Alfred Holighaus: Wünsche gibt es natürlich immer viele! Wir wären aber schon froh, wenn sich einige unserer vorgestellten Kernforderungen, die sich an die kommende Bundesregierung richten, auf deren Agenda wiederfänden und man in die Diskussion darüber kommen könnte.
Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe 05/17 erstveröffentlicht.