Medienpolitik:
Verantwortungslosigkeit wird mit Meinungsfreiheit verwechselt

Rechtsdurchsetzung im Netz – wie wir unseren Werten auch online Geltung verschaffen (müssen!)
30.11.17 von Dr. Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien in NRW
Lange wurde darüber nachgedacht, geredet, befürchtet und geplant. Nun sind Digitalisierung und Konvergenz Realität und natürlich geht keiner der Pläne auf wie gedacht. Dennoch, und entgegen weit verbreiteter Bedenken und Ängste, gilt: Niedrige Zugangshürden fördern Kreativität und Partizipation und ein umfassender Wettbewerb lässt unentwegt neue Geschäftsmodelle entstehen. Die Angebotsvielfalt ist immens, die Wahlmöglichkeiten der Nutzer steigen. Sie sind in der Lage, sich auch an den klassischen Gatekeepern vorbei vielseitig, sei es international, im Lokalen oder zu speziellen Nischenthemen, zu informieren. Kurzum: Mit der konvergenten Medienlandschaft sind große Chancen verbunden. Doch der rasante Wandel ist auch disruptiv, in Teilen aggressiv, für einige in hohem Maße verunsichernd und er eröffnet Bedarf einer Neusortierung unserer bisherigen Vorgehensweisen.
Was heißt das für die demokratische Medienordnung und für uns, die Medienaufsicht? Die Fakten zeigen: Ein rein Rundfunk-basierter Ansatz der Medienregulierung ist nicht mehr in der Lage, die Realität der Mediennutzung einzufangen. Die fortschreitende Konvergenz im Medienmarkt erfordert eine ebenso konvergente Betrachtung und wirft die bereits viel diskutierte Frage nach einer konvergenten Regulierung auf. Das ist im Jahr 2017 kaum mehr neu. Gleichwohl müssen wir aufpassen, dass wir bei allem Nachdenken und Diskutieren nicht in operative Hektik verfallen, sondern unseren generellen Kompass im Auge behalten.
Hierfür können wir drei Punkte inzwischen als gesetzt ansehen:
Erstens, die Angriffe auf die Werte, für deren Schutz wir da sind, haben sich im Internet ebenso intensiviert wie die Omnipräsenz von Medien allgemein. Hierbei verschwimmen, zweitens, die Grenzen der Mediengattungen und Akteure, was die Identifikation von Tätern und die Zuordnung von Verantwortlichen zunehmend erschwert. Drittens funktioniert unser erlerntes Instrumentarium zur Durchsetzung der Rechtsordnung nur noch zu Teilen, bisherige „best practices“ lassen sich in einer digitalisierten Welt kaum mehr zuverlässig anwenden.
Was nun? Neue Lösungsansätze sind je nach Themenfeld unterschiedlich komplex, aber immer am Ursprungssinn der Medienaufsicht ausgerichtet. Besinnen wir uns zurück, welche Kernprinzipien wir regulatorisch verfolgen:
Regulierungsziele sind der Jugendschutz, der Schutz der Menschenwürde, der Nutzerschutz und der Schutz der Medienvielfalt. Nur diese Schutzgüter können in einer Medienrealität, in der Wandel die einzige Konstante ist, als Kompass bei der Schaffung einer kohärenten – und vor allem demokratischen – europäischen Medien- und Kommunikationsordnung dienen.
Deshalb sollte sich ein zukunftsfähiger Rechtsrahmen nicht länger an der zugrundeliegenden Technologie eines Diensteanbieters orientieren, sondern von diesen zentralen gesellschaftlichen Werten geleitet sein. Und dabei brauchen wir ein Abstraktionsniveau, das die Erreichung unserer Regulierungsziele nicht länger an technologischen Hürden scheitern lässt.
Bei der Durchsetzung dieser Rechtsgüter müssen wir uns fragen, was gut funktioniert und wo wir Dinge besser machen können. Bislang erweisen sich verschiedene Wege als unterschiedlich effektiv:
Im Bereich der Werbevorschriften erreichen wir den Schutz unserer Rechtsgüter etwa über Beanstandungen und Bußgelder oder über das Prinzip des „second strikes“. Unsere Erfahrungen zeigen, dass offene Kommunikation und Dialogbereitschaft (genauer: die direkte Ansprache und Sensibilisierung der Szene mit sprachlich angepassten FAQs über „Dos and Don’ts“ bei werblichen Inhalten) in Kombination mit der Androhung von Rechtsdurchsetzung bereits Erstaunliches bewirken – informierte „Influencer“ passen ihr Verhalten an. Mit solchen Maßnahmen erreichen wir unser Regulierungsziel und wahren den Schutz des Nutzers, der jederzeit in der Lage sein muss, werbliche Inhalte als solche wahrzunehmen. Eine vergleichbare Werberegulierung bei vergleichbaren Inhalten unabhängig von ihren Verbreitungswegen stellt zudem eine Angebots- und Anbietervielfalt sicher.
Nicht ganz so selbstverständlich ist es um die Gewährleistung von Transparenz und Verantwortung bei Internetangeboten bestellt. Die Impressumspflicht wird weitflächig nicht eingehalten und die Durchsetzung der Lizenzpflicht im Netz, die die Adressierbarkeit der jeweiligen Verantwortlichen sicherstellen soll, gestaltet sich in etwa so sperrig wie das gesetzliche Verfahren, das wir dafür anwenden müssen (und dessen Sinnhaftigkeit – nicht dessen Ziel! – wir bereits vor Jahren mit einem Fragezeichen versehen haben). Hier gibt es noch viel zu tun.
Die größte Herausforderung aber ist derzeit sicher der Schutz von Menschenwürde und Jugend. Hier gilt es, die seit Jahren zunehmende Rechts- und Rücksichtslosigkeit im Netz in den Griff zu bekommen. Wir sind online mit Kommentaren konfrontiert, die selbst bei grob ehrverletzenden Äußerungen jegliches Unrechtsbewusstsein vermissen lassen. Verantwortungslosigkeit wird mit Meinungsfreiheit verwechselt. Es gehört aber auch zum Recht und zur Freiheit eines jeden, sich sicher und respektiert zu fühlen – auf der Straße wie im Netz. Es ist unsere gesamtgesellschaftliche wie auch regulatorische Aufgabe, dieses Recht zu schützen und dafür braucht es nicht nur sinnvolle Regeln, sondern auch deren wirksamen Vollzug.
Die Landesanstalt für Medien NRW (LfM) hat deshalb im Rahmen des Projektes „Verfolgen statt nur Löschen – Rechtsdurchsetzung im Internet“ mit betroffenen Akteuren eine Arbeitsgruppe geschaffen, die sich genau das zur Aufgabe gemacht hat. Ihr Ziel ist es, eine effektive Strafverfolgung auch im Netz zu gewährleisten, indem Politik, Aufsicht, Strafverfolgungsbehörden und Medienhäuser koordiniert zusammenarbeiten. Übergeordnet geht es darum, eine generalpräventive Wirkung zu entfalten und so das Unrechtsbewusstsein im Netz wiederzubeleben.
So notwendig und zielführend ein solches Modellprojekt und die anderen Maßnahmen auch sind, allein durch ein Engagement auf Länder- bzw. Bundesebene lassen sich diese Probleme nicht lösen. Die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) setzt sich daher für eine noch engere Kooperation und den regelmäßigen Austausch der Regulierer auf EU-Ebene ein. Im Rahmen der Tätigkeit in der European Regulators Group for Audiovisual Media Services (ERGA) liegt ein zentraler künftiger Arbeitsschwerpunkt in der Frage, wie dies grenzüberschreitend sichergestellt werden kann. Hierzu hat die ERGA in ihrem Arbeitsprogramm für 2018 die Einsetzung einer entsprechenden Subgroup beschlossen.
All das ist erst ein Anfang – aber das ist nicht schlimm. Auch Gesetzgeber und Medienaufsicht müssen die Chance haben, sich neu zu ordnen und werden das auch schaffen. Dazu müssen wir aber auch ehrlich zu uns selbst sein und dürfen nicht aus dem Blick verlieren, dass einige Stolpersteine hausgemacht sind. So steht den Prozessabläufen der Landesmedienanstalten ein kritischer Schulterblick so schlecht nicht zu Gesicht und ist bereits ins Visier genommen. Vor allem in einem Punkt steckt sicherlich Optimierungspotenzial: Die Verfahren sind umständlich und dauern lange, zudem sind die Strukturen etwas starr und nicht auf den raschen Wandel vorbereitet. Um dies zu verbessern, müssen und werden wir unsere Vorgehensweisen an die mediale Realität anpassen, konvergent denken und europäisch handeln. Mit Mut und Haltung kann es uns gelingen, unseren Werten auch im Internet wieder Geltung zu verschaffen.
Zum Erfolg dieser wichtigen Etappe kann auch der Gesetzgeber seinen Beitrag leisten. Es muss naturgemäß geprüft werden, in welchen Punkten der Rechtsrahmen angepasst werden kann. Wie zum Beispiel der kürzlich in den Medien debattierte Fall des Greenwatch-Blogs gezeigt hat, scheitert der Verfahrenserfolg der Medienanstalten auch daran, dass sie aufgrund eines fehlenden Auskunftsanspruches gegenüber Diensteanbietern nur sehr begrenzte Möglichkeiten haben, der Täter im Internet habhaft zu werden. Deshalb erscheint es dringend geboten, diesen in § 14 Abs. 2 TMG kodifizierten Auskunftsanspruch auch auf die Medienanstalten auszuweiten.
Gerade im Hinblick auf die Bekämpfung von Hassrede und „Fake News“ bietet sich ebenfalls die Chance, die Gesetzeslage an die moderne Medienrealität anzupassen. Die Ahndung von Verstößen gegen die Vorschriften der allgemeinen Gesetze und die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der persönlichen Ehre ist aus dem Anwendungsbereich des § 59 Abs. 3 RStV ausgenommen. Ebenso ausgenommen ist bisher die Ahndung von Verstößen gegen die journalistischen Grundsätze bei journalistisch-redaktionellen Telemedienangeboten (§ 4 Abs. 2 RStV). Die aktuellen Diskussionen um das Phänomen „Fake News“ zeigen jedoch, dass eine Notwendigkeit besteht, Verstöße gegen journalistische Grundsätze auch bei journalistisch-redaktionellen Telemedienangeboten zu ahnden, wie es im Bereich des Rundfunks möglich ist und seit jeher vollzogen wird.
Vielleicht wäre es auch überdenkenswert, sich die konkrete Ausgestaltung des NetzDG (Netzwerkdurchsetzungsgesetz) erneut anzusehen. Das bereits etablierte und funktionierende System zum Schutz der Jugend durch KJM und Selbstregulierungseinrichtungen stellt ein geeignetes und vor allem staatsfernes Gefäß für die im Gesetz umschriebenen Aufgaben dar, aus dem heraus die für den Vollzug des NetzDG erforderlichen Maßnahmen getroffen werden könnten – und das erfreulich verfassungskonform.
Um die Medienordnung der Zukunft auf tragkräftige Füße zu stellen, müssen wir gemeinsam mit dem Gesetzgeber, anderen Behörden und den Marktplayern nach Lösungen suchen. Es gilt, etwas Schützenswertes zu schützen und nicht verzagt zu sein. Die Chancen dieser neuen Medienrealität sind es wert.
Dieser Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe 12/17 erstveröffentlicht.