Filmpolitik:
„Interessenvertretung auf Augenhöhe“

10 Jahre Allianz Deutscher Produzenten
19.04.18 Interview mit Dr. Christoph Palmer, Geschäftsführer Produzentenallianz
Am 3. März 2018 entstand die Allianz Deutscher Produzenten durch den Zusammenschluss von drei Produzentenverbänden. Die Zahl der Mitgliedsunternehmen hat sich seitdem von knapp 80 auf 250 im Jahr 2018 entwickelt. Damit bildet die Produzentenallianz gut 80 Prozent des deutschen Umsatzvolumens ab. Das Ziel, die jahrzehntelang zersplitterte Interessenvertretung deutscher Film- und Fernsehproduzenten zu einigen, ist damit heute annähernd erreicht. „Die Film- und Fernsehproduktionswirtschaft in Deutschland wird nach Jahrzehnten der Zersplitterung endlich ernst genommen und kann auf Augenhöhe verhandeln“, zieht Geschäftsführer Christoph Palmer in einem medienpolitik.net-Gespräch ein Fazit aus zehn Jahren Lobby-Arbeit. Zu den Aufgaben für die nächsten Jahre zählt Palmer u.a. die Verbesserung der Rechtesituation der Produzenten, gute Rahmenbedingungen in der Förderung, beim Arbeitsrecht und bei der Steuerpolitik am Standort Deutschland zu gewährleisten und den europäischen Rechtsrahmen so zu gestalten, dass er eine Refinanzierbarkeit unabhängig realisierter Produktionen ermöglicht.
medienpolitik.net: Herr Palmer, die Produzentenallianz wird in diesem Jahr 10 Jahre alt. Sie sind im November seit zehn Jahren Vorsitzender der Geschäftsführung. Sie wollten ursprünglich nur für kürzere Zeit die Geschäftsführung übernehmen. Was „fesselt“ Sie an diesen Job?
Dr. Christoph Palmer: Der Film ist natürlich per se interessant und fesselnd. Ohne Enthusiasmus geht es nicht! Mit den Produzenten in ihrer doppelten Ausprägung als Unternehmer und Kreative zusammenarbeiten zu können, ist ein Privileg. Zudem sind die Gestaltungs- und Verhandlungsmöglichkeiten in der Produzentenallianz groß, auch weil der Vorstand viel Vertrauen in die Geschäftsführung setzt und das Kollegialorgan der Geschäftsführung in den vergangenen zehn Jahren bestens harmoniert hat. Das Gleiche kann man für das engagierte Team in unseren Geschäftsstellen in Berlin und München sagen.
medienpolitik.net: Sie haben es mit einer kreativen Branche zu tun, mit oft sehr individuellen Interessen, mit großen Playern und Ein-Mann-Unternehmen. Diese unterschiedlichen Interessen und künstlerischen Ansichten unter einen Hut zu bringen ist sicher nicht einfach und kostet Nerven und Geduld…
Dr. Christoph Palmer: In der Tat ist die Heterogenität in der Branche groß. Auch die Genres im Verband haben zum Teil unterschiedliche Auffassungen und – natürlich erst recht – verschiedene Schwerpunkte. Ein Ziel jedoch verbindet alle: Spannende, unterhaltende, informative, qualitätsvolle Geschichten von Menschen und Ereignissen, Produkten und Stoffen im bewegten Bild zu erzählen. Zudem ist der Spannungsbogen zwischen dem marktführenden Unternehmen und kleinen Firmen sehr inspirierend und bereichert auch viele Diskussionsprozesse im Verband.
medienpolitik.net: Warum war es richtig, vor zehn Jahren die unterschiedlichen Produzentenverbände zu vereinigen?
Dr. Christoph Palmer: Durch die Fusion von drei Verbänden der Fernseh-, der Kino- und der Unterhaltungsproduzenten 2008 konnte erstmals eine gewisse Einheitlichkeit der Interessenvertretung in Deutschland erreicht werden. Dieser Genre-übergreifende Ansatz war offenbar attraktiv, denn im Laufe der Jahre sind mit Animation, Dokumentation und Werbung drei weitere Sektionen hinzugetreten. Mit 250 Mitgliedsfirmen bildet die Produzentenallianz gut 80 Prozent des deutschen Umsatzvolumens ab. Das gewährleistet eine gewisse Verhandlungsmacht – die jahrzehntelang vorher nie da war – gegenüber Auftraggebern und Auftragsnehmern, gegenüber der Politik, den Förderinstitutionen und der Öffentlichkeit. Natürlich bleiben wir aber auch offen für weitere Interessenten.
medienpolitik.net: Worauf ist die Allianz in ihrer Lobby-Arbeit besonders stolz?
Dr. Christoph Palmer: In der Fernsehauftragsproduktion sind über die Jahre mit den Eckpunktepapieren mit ARD und ZDF ganz neue Geschäftsbedingungen für die Branche, ja ist eine neue „Magna Charta“ des Produzierens entstanden. Die Verbesserungen sind erheblich und ermöglichen es, das in Deutschland heute auskömmlicher produziert werden kann. Der von der KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten) bestätigte Sondertopf Programm in der laufenden Gebührenperiode 2017 bis 2020 im Umfang von 200 Mio. Euro hat einen Nachholbedarf im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nachdrücklich anerkannt, der nun konkret umgesetzt wird. Wenn man berücksichtigt, dass umsatzmäßig heute zwei Drittel der Fernsehauftragsproduktion vom öffentlich-rechtlichen System vergeben wird, zeigt sich die Relevanz.
Vorwiegend in der Kino-Filmförderung haben sich in den vergangenen Jahren die Förderkonditionen im Umfang und Qualität beachtlich verbessert. Wir sprechen 2018 über ein Gesamtvolumen von 400 Mio. Euro beim DFFF I und DFFF II, beim GMPF, bei der FFA und den Länderförderungen. Das ist ein Drittel mehr als noch vier Jahre zuvor. Ich finde, die Entwicklung weist eindeutig in die richtige Richtung, aber es gibt für bestimmte, gerade für den internationalen Markt besonders wichtige Programmformen (z.B. High End-TV-Serien) noch Luft nach oben.
medienpolitik.net: Was sind darüber hinaus die größten Erfolge der Allianz in den zehn Jahren?
Dr. Christoph Palmer: Hier möchte ich ganz allgemein formulieren: Die Film- und Fernsehproduktionswirtschaft in Deutschland wird nach Jahrzehnten der Zersplitterung endlich ernst genommen und kann auf Augenhöhe verhandeln. Mir kam es nie auf wohlfeile Forderungskataloge und lautstarke Orchestrierung an, sondern auf die Durchsetzung von konkreten Ergebnissen. Die Erfolgsliste ist umfangreich und detailliert und wird jährlich in Aktionsprogrammen fortgeschrieben und bilanziert.
medienpolitik.net: Wo hätten Sie sich mehr Erfolg gewünscht?
Dr. Christoph Palmer: Es ist in der ersten Dekade noch nicht gelungen, bei der Rechtesituation einen Paradigmenwechsel zu erreichen. Noch immer ist das „Buy-out“-Modell gängige Praxis, zumindest bei der Fernsehproduktion. Mit dem sogenannten „Schichtenmodell“, das die Produzentenallianz gemeinsam mit der ARD 2016 entwickelt hat, wird die Rechteteilung jedoch gelebte Realität. Wir werden zur gegebenen Zeit evaluieren, wie nachhaltig sich dieses Modell am Markt bewährt.
Ein engerer Gesprächskontakt mit den privaten Anbietern wäre wünschenswert. Auch sie können von einem starken produktionswirtschaftlichen Gesprächspartner profitieren. Qualitätsvolles Produzieren und unverwechselbarer Content sind Kennzeichen des deutschen Markts.
medienpolitik.net: Als die Allianz gegründet worden ist spielte das Thema Produzent als Urheber eine wichtige Rolle. Heute scheint es kein Thema mehr zu sein, obwohl sich ja an der Rechtsstellung nichts geändert hat. Warum lassen Sie dieses Thema ruhen?
Dr. Christoph Palmer: Wir lassen das Thema mitnichten ruhen. Anlässlich der Koalitionsverhandlungen haben wir jüngst gerade die Parteien wieder mit unseren Vorschlägen für eine Stärkung des Produzenten im Urheberrecht befasst. Die Regelung einer angemessenen Vergütung sowie der Bestsellerparagraph auch für Produzenten und die urheberrechtliche Absicherung der Möglichkeit zu Verhandlungen auch über Verwertungsregelungen für Produzenten bleiben auf der Agenda. Allerdings scheint derzeit in der Bundespolitik und auch in Europa dafür noch kein „window for opportunity“ offen zu sein. Wir sind den Parteien der Großen Koalition jedoch dankbar, dass sie sich zur nachhaltigen Stärkung der Filmförderung auf mindestens dem bisherigen Niveau, inklusive einer Förderung der internationalen vermarktbaren High-End-Serie, verpflichtet haben.
medienpolitik.net: Aber sind die Produzenten nicht in der digitalen Welt gegenüber Regisseuren, Kameraleuten oder Drehbuchautoren, die Urheber sein können, benachteiligt?
Dr. Christoph Palmer: Benachteiligung ist ein weitreichendes Wort. Jedenfalls ist richtig, dass die Produzenten im Urheberrecht aufgewertet werden müssen. Wir werden im Gespräch mit der Bundesregierung, den Parteien und auch auf der europäischen Ebene dazu aktiv bleiben.
medienpolitik.net: In der Filmwirtschaft gibt es für jedes Gewerk einen Verband. Manchmal hat man den Eindruck, diese arbeiten eher gegeneinander. Wäre aus Ihrer Sicht eine engere Zusammenarbeit und ein stärkeres gemeinsames Formulieren und Vertreten von Interessen wünschenswert und möglich?
Dr. Christoph Palmer: Wir haben uns in den vergangenen zehn Jahren darum bemüht, nicht gegen andere Verbände und ihre Interessen zu arbeiten, sondern das Miteinander der Branche zu suchen. Natürlich stehen für uns als Unternehmer- und Wirtschaftsverband die Interessen unserer Mitglieder im Vordergrund, aber wir berücksichtigen auch die Vorstellungen anderer Marktteilnehmer. Ich bin skeptisch, ob es bei der jahrzehntelangen, eingeübten Individualität der Filmbranche gelingen kann, alle Interessen immer unter einen Hut zu bringen. Die traditionsreiche Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) erreicht ja schon eine gewisse Koordination der Verbände. Auch Ver.di hat sich immer wieder bemüht, eine Koordinierung unter verschiedenen Verbänden der Kreativseite zu erreichen.
medienpolitik.net: Ihre jährliche Umfrage hat erstmals Ende vergangenen Jahres ergeben, dass es den Produzenten wirtschaftlich besser geht als zuvor. Welchen Anteil hat daran die Produzentenallianz?
Dr. Christoph Palmer: Das Ergebnis der Herbstumfrage 2017 hat uns selber überrascht. Erstmals in der Geschichte der seit 2009 durchgeführten Umfrage ging es den Produktionsunternehmen besser als im Vorjahr: Die Zahl der Unternehmen, die rote Zahlen schrieben ist deutlich gefallen, die Umsatzrenditen sind Genre-übergreifend gestiegen. Die Erholung zeigte sich bei kleinen mehr als bei größeren Unternehmen. Die Situation des eigenen Unternehmens wurde überwiegend positiv eingeschätzt. Die Eckpunkte mit ARD und ZDF kommen als Gründe in der Fernsehproduktion dafür maßgeblich in Frage. Die Steigerungen bei den budgetierbaren Herstellungskosten betragen je nach Produktion und Genre zwischen 4 und 12 Prozent. In der Kinofilmproduktion haben wir seit 2016 eine wieder erheblich verbesserte Fördersituation nach dem Einbruch des Jahres 2015. So etwas tritt ja nicht automatisch ein, sondern muss intensiv erkämpft werden! Und beim Werbefilm zeigt sich natürlich insgesamt die Stärke der deutschen Wirtschaft und eines nachgefragten Werbemarkts. Es ist nun aufmerksam zu verfolgen, ob sich die Erholung auch in diesem Jahr fortsetzen wird.
medienpolitik.net: Wie hat sich die Branche in den zehn Jahren verändert?
Dr. Christoph Palmer: Ganz eindeutig: Sie ist internationaler geworden. Ausländische Anbieter haben in Deutschland verstärkt investiert. Die Konzentration von Firmen hat zugenommen. Der Wettbewerb ist noch härter geworden. Aber auch die Professionalisierung in der Arbeit ist in der ganzen Breite der Branche spürbar.
medienpolitik.net: Wie weit ist sie auf dem Weg zu einer Wirtschaftsbranche vorangekommen?
Dr. Christoph Palmer: Wir sind seit langer Zeit eine beachtliche Wirtschaftsbranche, die Zehntausende von Arbeitsplätzen in Deutschland aufweist und einen nachhaltigen Umsatz erzielt. Laut einer aktuellen Studie des Bundeswirtschaftsministeriums werden für jeden Euro direkter Bruttowertschöpfung aus den Kernaktivitäten der Filmwirtschaft insgesamt 1,60 Euro an Wertschöpfung in der Volkswirtschaft realisiert. Wir unterscheiden uns freilich von anderen Wirtschaftsbranchen durch unseren künstlerisch-kreativen Wertschöpfungsansatz. Das wird so bleiben. Filme zu produzieren ist natürlich etwas anderes, als Schrauben herzustellen oder Dienstleistungen zu verrichten. Die Präsidentin der IHK Berlin, Dr. Beatrice Kramm, selber erfolgreiche Produzentin, formulierte es beim jüngsten Produzententag zum Auftakt der Berlinale 2018 sehr schön wie folgt: „Wir verkörpern einen bedeutenden Industriezweig. Mit über 13 Milliarden Euro tragen die Unternehmen der Filmwirtschaft zur Leistung der deutschen Volkswirtschaft bei. Das katapultiert uns im Vergleich zu anderen Sektoren zwar nicht an die Spitze, aber locker ins Mittelfeld.“
medienpolitik.net: Welche Möglichkeiten sehen Sie für die Produzentenallianz diesen Prozess zu beschleunigen?
Dr. Christoph Palmer: Für die Bundesländer mit einer entwickelten filmischen Infrastruktur steht die wirtschaftliche Bedeutung unserer Branche außer Frage. So sprach z.B. der damalige Chef der Berliner Senatskanzlei, Staatssekretär Björn Böhning beim Deutschen Produzententag 2015 von einer „filmischen Industriepolitik“ für Deutschland. Der nächste Schritt war die Anerkennung unseres wirtschaftlichen Potentials durch das Bundeswirtschaftsministerium, das Ende 2015 den German Motion Picture Fund angekündigt und Anfang 2017 in der eben erwähnten Studie die große wirtschaftliche Bedeutung der Filmindustrie in Deutschland festgestellt hat. Es ist kaum nötig zu sagen, dass wir diese Entwicklung gewollt, forciert und begleitet haben. Und das werden wir in Zukunft natürlich fortsetzen, wozu uns unsere exzellente Vernetzung mit Politik und Verwaltung – parteiübergreifend und auf Bundes- und Länderebene – auch in die Lage versetzt. Das alles – um nochmal auf Ihre Frage vom Anfang zurückzukommen – ist nur möglich, weil wir mit der Produzentenallianz einen kraftvollen Branchenverband haben, der für alle professionellen und wirtschaftlich agierenden Produzenten mit einer Stimme spricht.
medienpolitik.net: Sie vertreten die Interessen der Produzenten gegenüber Sendern. Und wie sieht es mit den Plattformen wie Netflix oder Amazon aus, die für die deutschen Produzenten an Bedeutung gewinnen?
Dr. Christoph Palmer: Der Dialog mit den Plattformen hat längst begonnen. Mit Google in Deutschland etwa besteht eine gute Gesprächsbasis. Der Geschäftsführer von Amazone Prime Video Germany, Dr. Christoph Schneider, war auf unserem jüngsten VoD-Panel beim Deutschen Produzententag Diskussionsteilnehmer. Unsere Mitgliedsfirmen sehen die bedeutenden Chancen der Plattformen als neue Auftraggeber und sind zum Teil schon zu interessanten Vertragsabschlüssen gelangt, gerade bei Serienproduktionen. Es ist doch fantastisch, dass sich der Auftragsmarkt durch die Plattformen weiter pluralisieren kann! Der deutschsprachige Markt mit gut 100 Mio. Konsumenten ist der größte in Europa. Der Gesprächsprozess mit den Plattformen wird sich auch auf Verbandsebene in den nächsten Jahren sicher noch erheblich intensivieren.
medienpolitik.net: Was sind die wichtigsten Aufgaben der Produzentenallianz für die nächsten zehn Jahre?
Dr. Christoph Palmer: Beim Rechtebehalt bzw. der Rechteteilung voranzukommen, Innovationen beim Erzählen und Produzieren zu begleiten, gute Rahmenbedingungen in der Förderung, beim Arbeitsrecht und bei der Steuerpolitik am Standort Deutschland zu gewährleisten, ausreichend qualitätsvolles Personal für die Firmen zur Verfügung zu haben, den europäischen Rechtsrahmen so zu gestalten, dass er eine Refinanzierbarkeit unabhängig realisierter Produktionen ermöglicht und weiterhin zu einer Einheitlichkeit der Interessenvertretung zu finden.
Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe 04/18 erstveröffentlicht.