Filmpolitik:
„‚Die Gießkanne‘ hat bei uns ihre Berechtigung“

Sowohl Kinofilme als auch High-End-Serien sollten durch die Förderung unterstützt werden
16.05.18 Interview mit Hans Joachim Mendig, Geschäftsführer HessenFilm und Medien GmbH
Hans Joachim Mendig hat jahrelang erfolgreich Fernsehserien und Fernsehfilme produziert. Seit 2016 verantwortet er als Geschäftsführer HessenFilm und Medien GmbH die Filmförderung des Landes Hessen. Nach seiner Auffassung befindet sich die Filmbranche im Umbruch und hat ein starkes Orientierungsbedürfnis. Für ihn ist die Vielfalt der Produktionen ein Indikator, ob es dem deutschen Film gut geht. Die Förderung auf Länder- und Bundesebene müssten sich noch besser ergänzen: Schwerpunktförderung auf Bundesebene und zusätzliche Vielfalt auf Länderebene. „Insofern kann man konstatieren, dass wir teilweise komplementär zu den FFA-Leitlinien fördern“, so Mendig in einem medienpolitik.net-Gespräch. Gerade bei der Förderung durch den Bund bringe die Setzung von Schwerpunkten ihre Vorteile, während auf Länderebene „die Gießkanne“ ihre Berechtigung habe.
medienpolitik.net: Herr Mendig, wie bewerten Sie die Situation des deutschen Films: In der Krise? Es geht ihm besser denn je? Er ist auf einem guten Weg?
Hans Joachim Mendig: Sowohl als auch. Der Zukunftskongress zu den Perspektiven der Deutschen Film- und Fernsehkultur im Rahmen des Lichter Filmfestivals hat gezeigt, dass es in der Branche einen hohen Diskussionsbedarf gibt. Das liegt nicht nur daran, dass internationale deutsche Erfolge wie „Toni Erdmann“ oder „Victoria“ leider eher die Ausnahme sind. Durch neue Technologien wie VR/AR und neue Vermarktungswege ist die Branche insgesamt in einem Umbruch und hat ein Orientierungsbedürfnis. Aus meiner Sicht sind „Toni Erdmann“, „Victoria“ oder auch die Fernsehserien „Babylon Berlin“ und „Bad Banks“ gleichzeitig auch Signale, dass wir international konkurrenzfähig sind.
medienpolitik.net: Woran messen Sie, wie gut der deutsche Film ist?
Hans Joachim Mendig: Dafür gibt es meiner Meinung nach mehrere Maßstäbe. Vereinfachend könnte man sich an der Zahl der gewonnenen Preise auf internationalen Festivals orientieren. Oder an dem relativen Erfolg deutscher Produktionen an der Kinokasse im Vergleich zu internationalen Konkurrenz. Für mich ist aber durchaus auch die Vielfalt der Produktionen ein Indikator, ob es dem deutschen Film gut geht. Insbesondere auch bei uns in Hessen sehe ich eine breite Palette an Themen und Erzählformen.
medienpolitik.net: Vor einem knappen Jahr hat die FFA ihre Leitlinien beschlossen, die in der Filmwirtschaft für Kontroversen gesorgt hat. Welche Relevanz haben diese Leitlinien für die HessenFilm und Medien GmbH?
Hans Joachim Mendig: Grundsätzlich bringen die neuen Leitlinien für uns keine großen Veränderungen. Unser Fokus liegt auf der Stärkung der regionalen Filmbranche. Die Leitlinien haben aber insofern eine Relevanz, als dass wir teilweise versuchen Förderbereiche komplementär abzudecken, d.h. wenn die kulturelle Förderung auf Bundesebene reduziert wird, versuchen wir das im Rahmen unserer Möglichkeiten ein Stück weit zu kompensieren. Wenn man uns aber allgemein mit den Strukturen auf Bundesebene vergleichen wollte, müsste man sagen, dass die HessenFilm und Medien so etwas wie eine Filmförderung von FFA und BKM unter einem Dach ist: Wir fördern sowohl kulturell wichtige aber genauso auch wirtschaftlich erfolgsversprechende Filmprojekte.
medienpolitik.net: Ist es richtig, dass die FFA sich stärker auf wirtschaftlich erfolgreiche Filme konzentriert und hier auch höhere Fördersummen einsetzen will?
Hans Joachim Mendig: Die Entscheidung der FFA ist aus meiner Sicht vertretbar. Wir wollen, dass der deutsche Film national wie international reüssiert. Höhere Produktionsbudgets garantieren diesbezüglich zwar keinen Erfolg, erhöhen aber seine Wahrscheinlichkeit. Bei letztlich begrenzten Fördermitteln ist es deshalb legitim, dass die FFA sich auf einen Schwerpunkt festlegt. Es liegt nun an uns Länderförderern oder auch am BKM, die kulturelle Vielfalt zu sichern. Diese Ansicht vertrete ich übrigens schon seit einiger Zeit: Schwerpunktförderung auf Bundesebene und zusätzliche Vielfalt auf Länderebene.
medienpolitik.net: Inwieweit unterscheiden sich die Fördergrundsätze der HessenFilm und Medien GmbH von den FFA-Leitlinien?
Hans Joachim Mendig: Neben der Sicherung der kulturellen Vielfalt des hessischen Films, haben wir zwei Schwerpunkte festgelegt, die uns besonders vielversprechend erscheinen. Zum einen engagieren wir uns besonders bei der Nachwuchsförderung. Wir wollen jungen Filmschaffenden Anreize bieten, in Hessen zu bleiben oder sich hier niederzulassen. Unseren zweiten Schwerpunkt setzen wir bei der Stärkung des Dokumentarfilms, der in Hessen, historisch gewachsen, ein Aushängeschild ist. Insofern kann man konstatieren, dass wir teilweise komplementär zu den FFA-Leitlinien fördern.
medienpolitik.net: 2018 stehen für die Filmförderung rund 400 Mio. Euro zu Verfügung so viele wie noch nie. Inwieweit wird mit diesem mehr an Fördermitteln die Qualität gestärkt?
Hans Joachim Mendig: Im Fußball sagt man, „Geld schießt keine Tore“, um das dann im gleichen Atemzug zu widerlegen. Höhere Budgets verbessern insgesamt die Produktionsbedingungen. Insofern wirken sich höhere Fördermittel in der Regel positiv auf die Qualität eines Films aus, wenngleich sie natürlich keine Gewähr für höhere Qualität oder einen Erfolg bieten. Letztlich ist natürlich auch entscheidend, wie die Fördermittel verteilt werden: Mit der Gießkanne oder nach Schwerpunkten? Gerade bei der Förderung durch den Bund hat die Setzung von Schwerpunkten ihre Vorteile, während auf Länderebene „die Gießkanne“ ihre Berechtigung hat.
medienpolitik.net: Werden wir 2018 mit dem Rekordjahr der Förderung auch ein Rekordjahr beim deutschen Marktanteil erleben?
Hans Joachim Mendig: Das hoffe ich und wünsche ich mir. Mit den neuen Fördermitteln wurde eine gute Voraussetzung geschaffen. Ob sich dann der Erfolg auch am „Box Office“ niederschlägt, hängt von vielen Faktoren ab: Wie gut sind die deutschen Stoffe? Welche Konkurrenz gibt es aus dem Ausland? Außerdem ist davon auszugehen, dass sich die Rekordmittel in 2018 erst in den nächsten Jahren in den Produktionen bemerkbar machen.
medienpolitik.net: Die Filmwirtschaft wird in Deutschland mittels FFA, DFFF I + II, Kulturelle Filmförderung des Bundes, den German Motion Picture Fund und die Länder gefördert. Greifen diese verschiedenen Instrumente schon ausreichend ineinander?
Hans Joachim Mendig: Grundsätzlich kann ich Ihre Frage bejahen. Die von Ihnen genannten Förderinstrumente sind allerdings zum Teil noch relativ jung. Bis eine nachhaltige Evaluierung von DFFF II oder des German Motion Picture Funds und ihrer Verzahnung mit den bestehenden Instrumenten möglich ist, wird sicher noch einige Zeit vergehen.
Handlungsleitende Maxime bei der Verteilung der Fördermittel sollte ein hohes Maß an Kontinuität und Planungssicherheit für die Produzenten sein ohne dabei an Flexibilität einzubüßen, die Instrumente an aktuelle Entwicklungen anzupassen.
medienpolitik.net: Pro Jahr entstehen gegenwärtig 300 deutsche Filme. Bekanntlich ist hier nicht Masse gleich Klasse. Wie kann unsere Förderung mehr Klasse und weniger Masse generieren?
Hans Joachim Mendig: Eine Möglichkeit ist die Schwerpunktförderung. Einzelne Produktionen könnten höher gefördert oder vielversprechende Talente gezielt aufgebaut werden. Zusätzlich ist die Weiterqualifizierung der Filmbranche, vor allem des Nachwuchses ein Thema, bei dem die Förderungen Akzente setzen können. Die zeitlichen Abstände zwischen neuen Trends und Technologien werden immer kleiner, da ist eine permanente Fortbildung wie in anderen Branchen ein Muss.
medienpolitik.net: Ist es gut, dass Filme gefördert werden, bei denen von vornherein feststeht, dass sie kaum im Kino, sondern vor allem auf Festivals gezeigt werden?
Hans Joachim Mendig: Im Sinne einer kulturellen Förderung und der kulturellen Vielfalt ist das durchaus sinnvoll. Viele Filme würden, wenn sie sich allein wirtschaftlich tragen müssten, nicht existieren. Es kommt hier auf eine gesunde Balance an.
medienpolitik.net: Viele Kritiker behaupten, der deutsche Kinofilm leide darunter, dass in vielen Fällen eine finanzielle Beteiligung durch TV-Sender erforderlich, die dann auch mitreden und nur ihre Interessen sehen. Wenn diese TV-Abhängigkeit, z.B. durch den Verkauf an Plattformen, verringert wird, werden deutsche Filme „besser“?
Hans Joachim Mendig: Ich glaube, das kann man nicht so pauschal sagen. Auch in der Zusammenarbeit mit TV-Sendern sind großartige Produktionen entstanden. Die Plattformen haben außerdem ebenfalls ihre Vorstellungen, welche Formate sie produzieren oder ankaufen und wie diese ausgestaltet sein müssen. Die von Plattformen angekauften Produktionen werden außerdem auch von der BBC, HBO und anderen Partnern (mit-)finanziert. Bei solchen aufwendigen Produktionen tritt der Produzent auch nicht in Vorleistung und hat dafür alle kreative Freiheit. Er hat ebenfalls Partner, die ihre Vorstellungen einbringen wollen.
medienpolitik.net: Die TV-Sender – und auch Förderinstitutionen – investieren gegenwärtig viel Geld und auch kreative Leistungen in High-End-Serien. Leidet darunter der Kino-Spielfilm, weil letztlich Fördermittel aber auch kreative Leistungen für ihn knapper werden?
Hans Joachim Mendig: Aus meiner Sicht ergänzen sich die beiden Formate. Beide sind wichtig und sollten unterstützt werden. Wenn ich mir die Qualität einiger High-End-Serien anschaue, will ich nicht ausschließen, dass wir in Zukunft einige davon sogar im Kino sehen werden. Außerdem wechseln Kreative zwischen den Formaten. Christian Schwochow hat einige tolle Spielfilme gemacht, bevor er zuletzt die großartige Serie „Bad Banks“ gedreht hat. In Amerika haben zahlreiche Größen wie Martin Scorsese oder Darren Aronofsky ebenfalls schon für beide Formate produziert und Regie geführt. Ich bin mir deshalb sicher, dass wir in Deutschland in Zukunft sowohl hochwertige Kino-Spielfilme als auch High-End-Serien produzieren werden.
medienpolitik.net: Welchen Anteil haben die Kinos daran, dass viele gute Filme nicht ihr Publikum erreichen?
Hans Joachim Mendig: Ich glaube, man kann in der Hinsicht nicht pauschal von den Kinos sprechen. Cineplex-Kinos, die mit einer gewissen Kostenstruktur arbeiten, wählen unter Rentabilitätsgesichtspunkten sicherlich andere Filme aus als ein kleines Programmkino. Es ist aus Sicht der Förderungen deshalb wichtig, die Programmkinos gezielt zu unterstützen, um auch in Zukunft ein vielfältiges Kinoprogramm zu gewährleisten. Grundsätzlich begrüße ich es, wenn Cineplex-Kinos bei der Zusammenstellung ihres Programms auch andere Filme als Blockbuster berücksichtigen.
medienpolitik.net: Was muss sich bei den Kinos ändern?
Hans Joachim Mendig: Die Kinos müssen es schaffen, mit den technologischen Entwicklungen Schritt zu halten. Neben der nötigen guten technischen Ausstattung der Säle werden die Betreiber auch Antworten auf die Disruption durch neue Technologien wie Virtual Reality und 360-Grad-Produktionen finden müssen. Das Kino war schon immer ein Erlebnisort. Das wird es auch in Zukunft sein müssen, indem es mehr bietet als Home Entertainment Technologien.
Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe 05/18 erstveröffentlicht.