Medienpolitik:

„Es braucht auch künftig einen ‚Watchdog‘“

von am 07.05.2018 in Allgemein, Archiv, Digitale Medien, Internet, Interviews, Jugendmedienschutz, Medienordnung, Medienpolitik, Medienrecht, Medienregulierung, Plattformen und Aggregatoren, Regulierung

<h4>Medienpolitik: </h4>„Es braucht auch künftig einen ‚Watchdog‘“
Cornelia Holsten, Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) und Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt

Medienanstalten mahnen die Länder, Intermediäre dringend zu regulieren

07.05.18 Interview mit Cornelia Holsten, Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) und Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt

Konvergente Medienordnung. Dieser Begriff bewegt die medienpolitische Diskussion in Deutschland wie kein zweiter. Es geht dabei vor allem um den Zugang zu und die Auffindbarkeit von Content in der digitalen Medienwelt. Auf dem DLM-Symposium 2018 haben die Medienanstalten präsentiert, welche Auswirkungen künstliche Intelligenz, Algorithmen und Big Data auf unsere Kommunikationsräume haben. Zur Diskussion standen Fragen, wie Meinungsvielfalt auch künftig sichergestellt werden kann, wie Zugang und Auffindbarkeit im Rundfunkstaatsvertrag zukunftssicher geregelt werden sollen, wie Angebote, die einen besonderen Beitrag zur Meinungsbildung leisten, gefördert werden können.

medienpolitik.net: Frau Holsten, Sie befassten sich auf dem DLM-Symposium 2018 mit der „Digitalen Medienordnung“. Das ist ein Thema über das seit Jahren diskutiert wird und mit dem sich auch die Bund-Länder-Kommission befasst hat. Was wollen Sie an Neuem zu dieser Debatte beitragen?

Cornelia Holsten: Wie sagt man so schön: Steter Tropfen höhlt den Stein. Wir Landesmedienanstalten wissen aus langjähriger Erfahrung, wovon wir bei diesem Thema reden und werden auch nicht müde, zu jeder Gelegenheit darauf hinzuweisen, wie dringend wir diese Digitale Medienordnung jetzt endlich benötigen. Mit jedem Jahr, das ins Land streicht, ploppen neue Mediendienste und Phänomene auf, die dringend einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. In den letzten Jahren ging es noch um Influencer Marketing und Streaming im Netz, 2018 stehen Künstliche Intelligenz und Algorithmen auf dem Tableau. Das sind alles Begriffe, die das derzeitige Recht nicht kennt. Hierauf wollen wir die Politik mit unserem Symposium aufmerksam machen.

medienpolitik.net: Die Erkenntnisse und Beschlüsse der Bund-Länder-Kommission sind inzwischen 1 ½ Jahre alt, sind sie noch aktuell?

Cornelia Holsten: Sie sind durchaus noch aktuell, aber eben nicht mehr vollständig. Die Regulierung für Intermediäre haben wir als Landesmedienanstalten immer befürwortet, das sollte schnellstmöglich umgesetzt werden. Wir werden unsere Position bei diesem Thema deutlich machen. Zukünftig werden wir es mit ganz anderen Intermediären zu tun haben – das muss man sich bei Gesetzen und Staatsverträgen, die ja nicht jährlich angepasst werden können, immer vor Augen führen. Wir werden darüber zu reden haben, wer für die Entscheidungen von Künstlicher Intelligenz oder Algorithmen verantwortlich gemacht werden kann. Das betrifft ja nicht nur die Medienwelt, sondern beispielweise auch das autonome Fahren oder Smart Home.

medienpolitik.net: Wo sehen Sie dringenden Handlungsbedarf?

Cornelia Holsten: Wir brauchen dringend Regeln für die Intermediäre. Das merken wir nicht nur stark beim Jugendmedienschutz oder bei Fake News, sondern vor allem bei der Zugangsfreiheit und somit auch bei der Medien- und Meinungsfreiheit. Immer mehr Menschen nutzen mittlerweile digitale Sprachassistenten zu Hause. Da haben Sie als User nicht mal mehr eine Benutzeroberfläche, alles läuft über Empfehlungen des Geräts. Wenn Alexa entscheidet, welche Informationen Ihnen zugänglich gemacht werden, hat das sehr große gesellschaftliche Relevanz. Und da denke ich nicht nur an Werbung, sondern auch und in erster Linie an politische Kommunikation.

medienpolitik.net: Welche Rolle sollen und müssen Regulierung und Selbstregulierung in einer konvergenten Medienordnung spielen?

Cornelia Holsten: Idealerweise geht beides Hand in Hand. Im Jugendschutz haben wir mit der regulierten Selbstregulierung durchaus gute Erfahrungen gemacht. Es ist sicher sinnvoll, die konkrete Ausgestaltung einiger Vorschriften in die Hände derjenigen zu legen, die die Inhalte produzieren. Schließlich tragen sie die Verantwortung für ihre Inhalte. Dieser Logik folgt ja auch das Medienrecht. Wir sehen aber auch, dass die Selbstkontrolle bei Social Media insbesondere bei Hate Speech an ihre Grenzen kommt, mitunter auch versagt hat. Wichtig ist, dass die Kontrolleinrichtungen, die am Ende entscheiden, staatsfern organisiert sind und nicht Bundesbehörden sind, die oftmals eine (partei-)politische Agenda zu berücksichtigen haben.

medienpolitik.net: Was muss das Kriterium sein, ob Angebote im Internet reguliert werden oder nicht? Die Relevanz für die Meinungsbildung?

Cornelia Holsten: Exakt darum geht es: Wie relevant ist ein Angebot für die Meinungsbildung? Derzeit entscheiden ja nicht die Inhalte, sondern mehr oder weniger formelle Gründe darüber, wie stark etwas reguliert wird. Nehmen wir nur den Unterschied zwischen linear und on-demand. Es ist schwer zu erklären, warum RTL für das Programm eine medienrechtliche Zulassung braucht, für die Mediathek aber nicht. Wir sprechen uns als Landesmedienanstalten schon länger für eine „qualifizierte Anzeigepflicht“ für alle Angebote aus. Die Relevanz zur Meinungsbildung bleibt als Kern, hier müssen wir uns über nachvollziehbare Kriterien verständigen. Ich warne auch davor, ausschließlich die Reichweite als entscheidendes Kriterium zu nehmen. Auch sehr kleine „nischige“ Zielgruppenangebote können eine enorme Auswirkung auf die Meinungsbildung haben. Denken Sie zum Beispiel nur an Livestreams einer rechtsextremen Veranstaltung.

medienpolitik.net: Wie differenziert muss eine Regulierung erfolgen?

Cornelia Holsten: Unterschiedliche Medien müssen nach denselben Zielen reguliert werden. Das bedeutet vor allem Vielfaltssicherung, Meinungsfreiheit, Verbraucher- und Jugendschutz. Das Ziel muss dabei immer eine angemessene Regulierung sein. Für den Hörfunk gibt es ja schon eine abgestufte Regulierung mit Erleichterungen für Internet-Radios. Für Streaming-TV sollte so etwas ebenso angedacht werden. Die Landesmedienanstalten haben sich ja schon mehrfach für die „qualifizierte Anzeigepflicht“ für derartige Inhalte ausgesprochen. Der Inhalt der Anzeige könnte sich auf die wesentlichen Aspekte beschränken, die für die Medienaufsicht wichtig sind, um den Anbieter und das audiovisuelle Angebot medienrechtlich beurteilen und beaufsichtigen zu können. Für die Rechtsdurchsetzung ist es unerlässlich, dass uns ein für das jeweilige Angebot Verantwortlicher benannt wird.

medienpolitik.net: Es hat eine Umverteilung der Meinungsmacht von den traditionellen Medien ins Internet gegeben. Sollte sich Medienregulierung künftig vor allem auf das Internet konzentrieren?

Cornelia Holsten: Die Medienregulierung muss dort sein, wo Medien genutzt werden. Und das ist und wird zunehmend online sein, auch wenn lineares TV und Radio derzeit (noch) hohe Nutzungszahlen aufweisen. Im Rahmen der Konvergenz werden wir ohnehin dazu übergehen, den Content zu bewerten und zu regulieren, egal, ob er über Live-Streaming, UKW oder HbbTV verbreitet wird. Darum ist es uns als Landesmedienanstalten auch immer so wichtig, dass es einen benannten Content-Verantwortlichen für jedes Angebot gibt, der uns Rede und Antwort stehen kann, wenn es Beschwerden zu Inhalten gibt. Das ist also nicht neu. Hinzu kommt die Auffindbarkeit der Angebote in der Online-Welt. Durch die explosionsartige Vermehrung an Content und die vielen Intermediäre müssen wir im Namen der Medienvielfalt vor allem darauf achten, dass Angebote und Nutzer einander finden können. Das bedeutet, dass der Zugang für beide Seiten diskriminierungsfrei erfolgen muss. Hier spielt die Musik zunehmend im Netz – eine wirkliche Herausforderung für die Aufsicht. Auffindbarkeit als Aufgabe von Regulierung ist das wichtigste Thema unserer Zeit und der nächsten Jahre – damit nicht die Intermediäre als Sheriffs darüber entscheiden, wer in den Saloon reinkommt.

medienpolitik.net: Die jüngste Studie der KEK hat gezeigt, welche großen Veränderungen sich in der Meinungsbildung in knapp zehn Jahren vollzogen haben. Sehen Sie überhaupt noch eine Chance, hier regulierend einzugreifen?

Cornelia Holsten: Klar ist: Die Meinungsbildungsrelevanz des Internet nimmt zu. Die großen Chancen auf Teilhabe an der öffentlichen Kommunikation, die das Internet eröffnet, führen jedoch nur begrenzt zu einer breiteren Machtverteilung. Intermediäre und nicht-publizistische Akteure mit politischer Relevanz können erhebliche Meinungsmacht erlangen. Das Gutachten rät dazu, nicht nur Medienunternehmen, sondern sämtliche Akteure mit publizistischer oder politischer Relevanz in den Blick der Regulierung nehmen. Nur so können wir diese „Plattform-Revolution“ regulatorisch meistern.

medienpolitik.net: Welche Rolle kommt den Ländern bei der Schaffung einer digitalen Medienordnung zu?

Cornelia Holsten: Da Medienregulierung Ländersache ist, sind die Länder nun einmal die zentralen Player. Die Medienordnung wird von den Ländern kreiert, das ist bereits verfassungstechnisch so verbürgt und auch gut so. Ich persönlich kann es ehrlich gesagt kaum noch abwarten, endlich den ersehnten Modernisierungsstaatsvertrag in Händen zu halten und hoffe, dass die Rundfunkkommission sich hier so bald wie möglich erfolgreich auf die Ziellinie zu bewegt. Denn wie bei jedem Marathon gilt auch hier: das Überschreiten der Ziellinie ist jede Mühe wert.

medienpolitik.net: Warum kann die Regulierung von Intermediäre, Plattformen, Social Bots usw. nicht über das Telemediengesetz oder ein spezielles Bundesgesetz wie das NetzDG, das ja auch bestimmte Normen für soziale Netzwerke festlegt, geregelt werden?

Cornelia Holsten: Die Medienaufsicht ist aus guten Gründen föderal und staatsfern organisiert. Wie sehen ja an anderen Staaten, was passieren kann, wenn dem nicht so ist. Sobald es um meinungsbildende Inhalte geht, kommt man an Staatsverträgen der Länder und somit auch an den Landesmedienanstalten nicht vorbei. Und das macht ja auch Sinn, denn Unabhängigkeit in der Medienaufsicht ist ein Must-have der Demokratie.

medienpolitik.net: Sieht man sich aktuelle Themen wie Big Data, künstliche Intelligenz aber auch Smart Speaker an, sind das komplexe Themenfelder, die nicht nur die Medien betreffen. Benötigen wir dafür nicht eine gesamtstaatliche oder sogar internationale Regelung?

Cornelia Holsten: Der internationale Austausch ist unverzichtbar. Erst kürzlich haben wir mit den anderen europäischen Regulierungsbehörden eine noch engere Zusammenarbeit bei der Verfolgung grenzüberschreitender Verstöße vereinbart. Das Ziel von allen Beteiligten ist es gemeinsam die europäischen Grundwerte im Internet effektiver zu schützen.

medienpolitik.net: Welchen Platz sehen Sie für die Landesmedienanstalten in der neuen Medienordnung?

Cornelia Holsten: Die Landesmedienanstalten werden auch weiterhin in der Bundesliga mitspielen, und zwar ganz sicher auf einem der vorderen Plätze. Wir haben Erfahrung mit der Anwendung des Medienrechts und wissen, wo die Herausforderungen liegen, was funktioniert und was nicht. Unsere Aufgaben werden sich weiter verändern und wir uns mit Ihnen. Trotz aller denkbaren Liberalisierungen und Selbstkontrollen braucht es aber auch zukünftig immer noch einen „Watchdog“, der den Medienmarkt mit all seinen Facetten begleitet und gestaltet.

Der Beitrag wurde in der promedia-Ausgabe 05/18 erstveröffentlicht.

Print article