Medienpolitik:

„Das ist ziemlich einmalig“

von am 26.09.2018 in Allgemein, Archiv, Digitale Medien, Interviews, Medienpolitik, Medienregulierung, Medienwissenschaft, Regulierung

<h4>Medienpolitik:</h4>„Das ist ziemlich einmalig“
Prof. Dr. Wolfgang Schulz, Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung/Hans-Bredow-Institut (HBI)

Direktor des Hans-Bredow-Instituts kritisiert, dass der Medienstaatsvertrag das Medienkonzentrationsrecht ausklammert

26.09.18 Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Schulz, Direktor des Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung

Im Oktober 2014 veröffentlichten Prof. Dr. Wolfgang Schulz, Direktor des Hans-Bredow-Instituts, und Prof. Dr. Winfried Kluth, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, das Gutachten „Konvergenz und regulatorische Folgen“. Das Gutachten bildete die Grundlage für die Beratungen der Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz. Die Studie empfahl ein „Kombinationsmodell“. Dieses sieht ein mögliches Auslaufen der klassischen Rundfunkregulierung unter einer Evaluation der Nutzungsgewohnheiten vor sowie den Aufbau einer Anreizregulierung für solche Angebote, die einen besonderen Wert für die Gesellschaft haben. Ausgehend von den Ergebnissen der Bund-Länder-Kommission haben die Länder jetzt den Entwurf eines Medienstaatvertrages vorgelegt, der auch Überlegungen des Schulz-Kluth-Gutachtens berücksichtigt. Es sei bemerkenswert, dass die Länder einen Staatsvertragsentwurf vorgelegt hätten, der das geltende Recht in vielen Punkten der veränderten Realität anpassen könne, betont Prof. Dr. Wolfgang Schulz in einem medienpolitik.net-Interview. „Die Länder zeigen damit, dass sie handlungsfähig und handlungswillig sind.“ Kritik übt der Direktor des Hans-Bredow-Instituts aber daran, dass der Medienstaatsvertrag das Medienkonzentrationsrecht ausgeklammert. „Die Länder, so Schulz, „werden durch Zuwarten irgendwann in den Zustand der Verfassungswidrigkeit hineinlaufen, denn es handelt sich um die zentrale Pflichtaufgabe der Medienregulierung.“

medienpolitik.net: Herr Schulz, vor vier Jahren haben Sie zusammen mit Winfried Kluth ein Gutachten im Auftrag der Länder „Konvergenz und regulatorische Folgen“ vorgelegt. Jetzt liegt der Entwurf eines Medienstaatsvertrages vor. Lassen sich damit – alles in allem – die Konsequenzen, die sich aus der Konvergenz für unsere Medienordnung und die Medienvielfalt ergeben, „in den Griff“ bekommen?

Prof. Dr. Wolfgang Schulz: Zunächst ist bemerkenswert, dass die Länder einen Staatsvertragsentwurf vorgelegt haben, der das geltende Recht in vielen Punkten der veränderten Realität anpassen kann. Die Länder zeigen damit, dass sie handlungsfähig und handlungswillig sind. Der Entwurf baut auf den Ergebnissen der Bund-Länder-Kommission auf, die wiederum unser Gutachten als eine der Grundlagen genutzt hat. In vielen Punkten greift der Entwurf unsere Beschreibungen der Veränderung der Realität auf, etwa bei der Plattformregulierung, die nun einen breiteren Anwendungsbereich bekommen soll, oder bei der Einbeziehung von Intermediären in die Medienregulierung.

medienpolitik.net: In dem Entwurf des Medienstaatsvertrages ist das Medienkonzentrationsrecht ausgeklammert. Sie haben dieser Frage viel Raum eingeräumt. Wie dringend wäre es, das Medienkonzentrationsrecht zu verändern?

Prof. Dr. Wolfgang Schulz: Dass dieser Teil fehlt, hat mich überrascht. Soweit ich weiß, liegt ein ausgearbeiteter Gesetzesentwurf für ein Modell der Meinungsmachtkontrolle vor, das alle relevanten Medien einbezieht. Es muss also eine politische Entscheidung sein, dies jedenfalls derzeit nicht in die Modernisierung des Staatsvertrages einzubeziehen. Man kann von außen nur spekulieren, was der Grund dafür ist. Bei derartigen Regelungen kommt es am Ende aber immer auf den Schwellenwert an, der politisch festgelegt wird. Von ihm hängt ab, ob Unternehmen noch weitere Beteiligungen zukaufen können oder an medienrechtliche Grenzen stoßen. Da besteht immer das Risiko, dass Regierungen schauen, inwieweit Unternehmen in ihrem Land möglicherweise Expansionsgrenzen gesetzt werden, und dann Bedenken im Länderkreis anmelden. Oder es besteht die Gefahr, dass Grenzwerte festgelegt werden, die so hoch sind, dass Bertelsmann, Springer und ProSiebenSat.1 fusionieren könnten, ohne dass etwas passiert. Im letztgenannten Fall würden sich die Länder nicht nur Spott aussetzen, sondern auch verfassungsrechtliche Vorgaben unterlaufen.
Lange wird man mit einer Reform hier aber nicht mehr warten können. Zum einen läuft die derzeitige Regelung wegen der engen Auslegung, die die Verwaltungsgerichte ihr unterlegen, faktisch fast leer. Zum anderen zeichnet sich immer stärker ab, dass eine wirksame Kontrolle vorherrschender Meinungsmacht nicht allein beim Fernsehen ansetzen kann. Fernsehen hat zwar immer noch die Rolle eines Leitmediums, aber andere Medien gewinnen an Bedeutung, und Meinungsmachtkontrolle muss das Zusammenspiel dieser Einflusskanäle in den Blick nehmen. Zumindest aber müsste die zentrale Norm der Meinungsmachtkontrolle im Staatsvertrag wieder gangbar gemacht werden. Die Länder werden durch Zuwarten irgendwann in den Zustand der Verfassungswidrigkeit hineinlaufen, denn es handelt sich um die zentrale Pflichtaufgabe der Medienregulierung.

medienpolitik.net: Erstmals sollen Intermediäre reguliert werden. Sie haben auf die wachsende Bedeutung von Intermediären für die Meinungsbildung hingewiesen. Entspricht der gegenwärtige Entwurf den regulatorischen Notwendigkeiten?

Prof. Dr. Wolfgang Schulz: Das ist ziemlich einmalig, ich kenne kein Land der Welt, das es unternimmt, potentielle Meinungsmacht von Intermediären in die Medienregulierung einzubeziehen. Dass Anbieter von Social Media Plattformen oder Suchmaschinen auf die Meinungsbildung Einfluss nehmen können, ist evident. Allerdings unterscheidet sich ihre Rolle im Meinungsbildungsprozess von der der Medien und wir sind erst am Anfang, ihre Funktionen zu verstehen und beschreiben zu können. Wir hatten daher vorgeschlagen, zunächst die Anbieter dazu zu bringen, die Transparenz zu erhöhen und deutlich zu deklarieren, welche Funktion sie erfüllen wollen, damit man sie daran – auch im öffentlichen Diskurs – messen kann. Diesen Gedanken greift der Entwurf jedenfalls auf, wenngleich mir noch nicht jede Formulierung geglückt erscheint, etwa wenn von Intermediären Angaben zur genauen Gewichtung ihrer Kriterien angemahnt werden. Das dürfte in der Praxis schwer umsetzbar sein.
Es geht allerdings aus meiner Sicht zu weit, auch Regeln zur Diskriminierungsfreiheit einführen zu wollen. Diskriminierungsfreiheit klingt harmlos, keiner vernünftiger Mensch will Diskriminierung. Aber eine solche Vorgabe würde eine gesetzlich erzwungene Neutralisierung von Diensten bedeuten. Um ihre Funktion zu erfüllen, müssen Intermediäre Inhalte ungleich behandeln. Eine Suchmaschine, die die Ergebnisse nach dem Zufallsprinzip sortiert, wäre nutzlos. Funktionieren kann ein Diskriminierungsverbot also nur, wenn man scharfe Kriterien dafür hat, wann eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist und wann nicht. Mir ist unklar, wie man das definieren will. Darüber sollte man noch einmal gründlich nachdenken. Und die Zeit kann man auch dafür nutzen, die Landesmedienanstalten so zu strukturieren, dass sie die Aufgabe der Aufsicht in diesem Bereich effektiv erfüllen können. Dieser Punkt gehört für mich ohnehin auf die Agenda für die nächste Stufe der Modernisierung der Medienordnung.

medienpolitik.net: Der vorliegende Entwurf hält im Wesentlichen am traditionellen Rundfunkbegriff unter Verweis auf die neue AVMD-Richtlinie fest. Halten Sie das angesichts der veränderten Mediennutzung für sinnvoll?

Prof. Dr. Wolfgang Schulz: Wir hatten in unserem Gutachten gesagt, dass man durchaus noch eine Weile an dem Rundfunkbegriff festhalten kann, aber lange wird er als zentraler Grenzbegriff nicht mehr tauglich sein. Pragmatisch kann ich verstehen, dass man sich an die Entwicklungen in Europa koppeln möchte. Mittelfristig wird man die Regulierung hier aber modularer gestalten müssen. Das heißt die Normen, die europäisches Recht umsetzen, müssen natürlich mit einem Anwendungsbereich arbeiten, der dem entspricht, was das europäische Recht vorgibt. Das muss aber beispielsweise nicht für den Anwendungsbereich der Meinungsmachtkontrolle gelten, denn dieser Bereich ist nicht europarechtlich koordiniert.

Der Beitrag ist eine Vorveröffentlichung aus der promedia-Ausgabe 10/18.

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