Rundfunk:
„Keine Entpolitisierung der Rundfunkgesetzgebung“

Sachsen-Anhalt plädiert für Beitragsfestsetzung von zwei Jahren – leichte Beitragserhöhung möglich
17.09.18 Interview mit Rainer Robra, Staatsminister, Chef der Staatskanzlei und Kulturminister des Landes Sachsen-Anhalt
Rainer Robra, Chef der Staatskanzlei Sachsen-Anhalts, hat in der aktuellen Debatte um den Rundfunkbeitrag und die weitere Ausgestaltung des Auftrages in einem medienpolitik.net-Gespräch eine eindeutige Position gegen eine „Fokussierung“ und mögliche Reduzierung des Auftrages bezogen: „Ich sehe in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nicht den geringsten Anlass, den Auftrag, wie er in § 11 des Rundfunkstaatsvertrages normiert ist, zu beschneiden. Das ist in jeder Facette – in Unterhaltung, in Information, in Sport und allen Bereichen der Kultur – vom Verfassungsgericht gewürdigt worden.“ Zugleich äußert Robra Zweifel an den Vorschlägen einiger Länder, mit einer vollständigen Indexierung die Ermittlung des Beitrages und damit die Rolle der KEF zu verändern und mit einer „Flexibilisierung“ die Entscheidung über die Verwendung des Beitrages stärker in die Sender zu verlagern. „Es ist eine Selbstrestriktion, die am Ende zu einer Programmgestaltung nach Kassenlage führt, auch mit einem bunten Wechsel im Austausch von Programmen. Die Flexibilisierung des Programms bedeutet den Rückzug der Länder aus der Verantwortung für die Zahl der Sender und Programme“, so Robra. Der Chef der Staatskanzlei Sachsen-Anhalts schlägt vor, den „Beitrag nur für zwei Jahre beschließen, um Zeit für eine gründliche Debatte zu gewinnen“. Zugleich könne er sich vorstellen, dass der Beitrag leicht steige, wenn deutlich werde, dass zumutbare Anstrengungen auf allen Seiten geleistet würden, die Kosten insgesamt zu senken.
medienpolitik.net: Herr Robra, welche Konsequenzen sehen Sie aus dem Urteil des BVerfG zum Rundfunkbeitrag für die laufende Debatte über den Beitrag ab 2021?
Rainer Robra: Ich begrüße, dass das Bundesverfassungsgericht die immer schwelende Frage, ob der Wechsel von der Gebühr zum Beitrag rechtlich eventuell nicht korrekt war, beendet hat. Wir haben jetzt eine stabile Grundlage, dass ein insbesondere in Ostdeutschland umstrittenes Thema der Beitragspflicht von Zweitwohnungen geklärt worden ist. Wir wissen aber auch, dass der Rechtsfrieden noch nicht hundertprozentig hergestellt ist. Die Autoradios von Handwerkern und Kleingewerbetreibenden sind politisch noch immer ein Thema, aber wir wollen die Debatte darüber jetzt nicht wiederbeginnen, weil wir im Moment andere Herausforderungen haben.
Das Verfassungsgericht hat darüber hinaus viele Hinweise zum Thema Rundfunk im digitalen Zeitalter, zur Expansion bei den Privaten, neuen Wettbewerbern und zur Positionierung von ARD und ZDF in diesem Kontext gegeben. Hierbei finde ich besonders bemerkenswert, dass die Richter auch an die Seriosität der Öffentlich-Rechtlichen appelliert haben. So heißt es beispielsweise, dass die Bedeutung der Öffentlich-Rechtlichen durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die die Wirklichkeit nicht verzerren, das Sensationelle nicht in den Vordergrund rücken und vielmehr ein Vielfaltssicherndes und Orientierung bietendes Gegengewicht zu bilden, wächst. Das Verfassungsgericht wägt bekanntlich jedes Wort daraufhin ab, ob es zur Begründung der Entscheidung notwendig ist. Und wenn im Kontext daran erinnert wird, was bereits im Staatsvertrag steht, dass Fakten und Meinungen auseinander zu halten sind, dann ist das auch ein wichtiger Appell an die öffentlich-rechtlichen Anstalten.
medienpolitik.net: Das heißt, dass Fakten und Meinungen in den Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks besser, als es gegenwärtig geschieht, auseinandergehalten werden sollten?
Rainer Robra: Das Bundesverfassungsgericht vertritt offenkundig nicht die These, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten Lücken schließen, die die Privaten hinterlassen. Aber es erwartet offenkundig, dass sich die öffentlich-rechtlichen Sender in Form, Inhalt und Stil deutlich abgrenzen von Tendenzen, zu denen sich die Privaten oft aus wettbewerbs- und marktorientierten Gründen veranlasst sehen. Das ist ein wichtiger Hinweis an die Öffentlich-Rechtlichen sich formal, inhaltlich und stilistisch auf dem Niveau zu bewegen, das wir erwarten und das in den Staatsverträgen vorausgesetzt wird.
medienpolitik.net: Sehen Sie aktuell einen Anlass darauf hinzuweisen?
Rainer Robra: Die Diskussion um die Trennung von Fakten und Meinungen, von Bericht und Kommentar in den unterschiedlichen Formaten ist allfällig. Mal gelingt es besser, mal weniger. Ich kann für mich nur schlussfolgern, wenn der Senat Anlass sieht darauf hinzuweisen, dann wird er auch Grund dafür gesehen haben.
medienpolitik.net: Das BVerfG verweist auf die zunehmende Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Kann man daraus, in Zusammenhang mit der Diskussion um den Beitrag, nicht ableiten, dass mehr Aufwand auch einen höheren Beitrag bedeutet?
Rainer Robra: Das Verfassungsgericht sagt nicht, dass die Öffentlich-Rechtlichen mehr Aufgaben wahrnehmen müssen, sondern dass sie die Aufgaben, die sie haben, mit großer Seriosität und immer auch mit Blick auf die Privaten erfüllen und zu diesen ein Gegengewicht bilden sollen. Das muss nicht notwendigerweise teurer werden als bisher. Ich sehe aber auch in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nicht den geringsten Anlass, den Auftrag, wie er in § 11 des Rundfunkstaatsvertrages normiert ist, zu beschneiden. Das ist in jeder Facette – in Unterhaltung, in Information, in Sport und allen Bereichen der Kultur – vom Verfassungsgericht gewürdigt worden. Dem müssen die Anstalten gerecht werden können. Ich erwarte, dass das nicht zu einer Beitragsexplosion führen wird.
medienpolitik.net: Kann man nicht daraus ableiten, dass möglicherweise der Auftrag erweitert werden müsste?
Rainer Robra: Der Auftrag deckt all dieses ab. Und alles was das Bundesverfassungsgericht der Politik und den Öffentlich-Rechtlichen ins Stammbuch geschrieben hat, ist jetzt schon Gegenstand der Staatsverträge und damit des Auftrags. Ich habe eher Bedenken, dass wir gewollt oder ungewollt bei Diskussionen über die Veränderung des Auftrages, die wir ja auch im Zusammenhang mit dem Betragsmodell führen, unter den verfassungsrechtlichen Standard abrutschen und hinterher bestimmte, heute als selbstverständlich angesehene Aspekte als nicht mehr beauftragt gelten könnten. Deshalb bin ich in dieser Frage auch sehr sensibel.
medienpolitik.net: Denken Sie hier an die Unterhaltung, die in den letzten Wochen sehr häufig in der Diskussion war?
Rainer Robra: Ich denke generell an die Frage, ob es einen Kernbereich der Versorgung geben soll, wie es durch einige Länder vertreten wird, den die Öffentlich-Rechtlichen zwingend abdecken müssen. Dieser soll danach von einem Randbereich gedanklich und textlich abgetrennt werden, der einer weitergehenden Gestaltung durch die Anstalten selbst zugänglich ist. Diese Überlegungen teile ich nicht. Ich sehe in der Entscheidung des Verfassungsgerichtes einen deutlichen Fingerzeig, dass der Auftrag zeitgemäß definiert ist, nachdem wir – unter dem Vorbehalt der Ratifizierung in allen Landesparlamenten – im Onlinebereich mit dem Telemedienauftrag ein großes Tor geöffnet haben. Daher sehe nicht den geringsten Grund, Inhalte und Umfang des Auftrags gerade jetzt zu begrenzen.
medienpolitik.net: Also keine Fokussierung?
Rainer Robra: Die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind immer eine Art Gemischtwarenladen, der vielen etwas bieten soll. Sie haben nach wie vor eine Brückenfunktion, die darin besteht, Menschen mit Unterhaltungsangeboten zu locken, anzuregen dabei zu bleiben und sie dann zu Angeboten zu führen, die den kulturellen Bedürfnissen entsprechen, die bildend, die informierend sind. Damit tragen sie dazu bei, dass wir auch in künftigen Generationen mündige Bürgerinnen und Bürger haben, die ihrem demokratischen Auftrag, den Staat durch Wahlen und Abstimmungen zu konstituieren, verantwortungsbewusst und selbstbewusst gerecht werden können.
medienpolitik.net: Sie sind in Sachsen-Anhalt auch Minister für Kultur. Denken Sie dabei auch an die Filmwirtschaft, die bei der Diskussion über eine Begrenzung der Unterhaltung in den letzten Wochen die Sorge geäußert hat, dass es zu Einschnitten kommt?
Rainer Robra: In den 16 Jahren in denen ich diese Aufgabe wahrnehme, habe ich die Filmwirtschaft persönlich immer im Blick gehabt. Durch eine Reihe von Protokollnotizen, die oft in Sachsen-Anhalt entwickelt worden sind, haben wir Signale ausgesendet, was wir von den Anstalten erwarten, um der Filmwirtschaft in Deutschland auch eine Perspektive zu bieten. Das begann mit dem Appell, vertragliche Grundlagen für die Vertragsbeziehungen zu schaffen und auch jetzt haben wir im Telemedienstaatsvertrag wieder ein solches Signal ausgesendet. Wir betreiben als Ländergemeinschaft ein Monitoring, das uns zeigt, ob diese Protokollnotizen auch ernstgenommen und umgesetzt werden. Ich kann rückschauend sagen, dass vor Jahren die Gräben zwischen den öffentlich- rechtlichen Sendern und der Filmwirtschaft viel tiefer und die Konflikte viel größer waren. Angesichts der unterschiedlichen Geschäftsmodelle von ARD und ZDF, die beide einer jeweils eigenen ökonomischen und kulturpolitischen Logik folgen, gibt es immer wieder neue Wünsche und Aspekte. Gerade bei der Frage der langfristigen Nutzung von Rechten in den Mediatheken und der Nutzung neuer Verwertungsmöglichkeiten, die oft nicht vorherzusehen sind. Wir haben die Belange der Filmwirtschaft, insbesondere der Produzentinnen und Produzenten immer im Auge gehabt. Und das wird auch in Zukunft so bleiben.
medienpolitik.net: Eine Gruppe von Ländern schlägt eine Indexierung und Flexibilisierung des Beitrages vor. Es ist das fünfte Mal, dass Sie als Chef der Staatskanzlei über die Höhe der Rundfunkgebühr/des Rundfunkbeitrages entscheiden müssen. Sie müssten doch froh sein, wenn dieses Verfahren durch das Indexierungsmodell abgelöst wird?
Rainer Robra: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Durch eine Übertragung in die von einem Index gesteuerte Selbstregulierung der Anstalten und ihrer Gremien käme es zu einer sehr weit gehenden Entpolitisierung der Rundfunkgesetzgebung. Das kann auf Dauer für die Akzeptanz der Anstalten in einem repräsentativen parlamentarisch-demokratischen System gefährlich sein. Darauf hat auch meine Kollegin Raab aus Rheinland-Pfalz kürzlich in einem Zeitungsbeitrag hingewiesen. Bestenfalls holt sich die Politik das zurück, wenn sie den Eindruck hat, dass die Entwicklung in eine falsche Richtung läuft. Bei so einem Gerangel möchte ich nicht dabei sein. Was immer wir verabreden hat nicht Verfassungsrang, es hat den Rang eines einfachen Gesetzes und kann auch jederzeit geändert werden. Ich habe es bei allen Problemen, die im Detail mit der Rundfunkstaatsvertragsgesetzgebung verbunden sind, immer für richtig gehalten, dass die zuständigen Ausschüsse der Landtage über die laufende Entwicklung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk informiert sind, denn nur dann können wir ernsthaft von einer Medienpolitik in den Ländern sprechen.
medienpolitik.net: Warum ist Ihnen das so wichtig?
Rainer Robra: Die Abgeordneten, die den unmittelbaren Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern in ihren Wahlkreisen haben, machen sich intensiv Gedanken darüber, wie man das System vernünftig aufsetzen, steuern und begleiten kann. Sie aus dieser Gesamtverantwortung entlassen zu wollen, ist kritisch. Darüber hinaus ist bei der Indexierung eine Reihe von Teilproblemen noch nicht gelöst. Das beginnt mit dem Beitragssockel, von dem wir ausgehen. Die Kollegen, die es propagieren, sprechen von 17,20 Euro. Der Chef der KEF sagt, das sei nicht nachzuvollziehen, es müsse eine andere Basis sein. Man käme rechnerisch bei einer Ausgangsbasis von 17,20 Euro ohne Berücksichtigung von bekannten Sondereffekten so etwa in die Höhe von 17,98 Euro, ab 2021 für zwei Jahre. Also auf den Betrag, wie er bis 2015 bestand. Aber ob es redlich ist und einer kritischen Überprüfung standhält, darüber diskutieren wir gerade in der Rundfunkkommission.
Die Dynamisierung ist der erste Faktor, der zweite ist bekanntermaßen die Gefahr der Über- und Unterfinanzierung, auch welche Rolle die KEF spielt und unter welchen Voraussetzungen in diesem System der parlamentarische Gesetzgeber beteiligt werden sollte. Das ist alles nicht so einfach wie es manchmal erscheint und deshalb ringen wir in der Frage miteinander.
medienpolitik.net: Frau Raab hat in dem von Ihnen genannten Artikel auch eine gewisse Sympathie für die Indexierung gezeigt. Sie hat darauf verwiesen, dass 80 Prozent bereits jetzt indexiert sind. Doch ich höre bei Ihnen grundlegendere Bedenken dagegen.
Rainer Robra: Die Indexierung, die dem KEF-System immanent ist, ist eine andere Art von Indexierung nach allgemeinen Verbraucherpreisindizes, von der jetzt die Rede ist, weil für jeden Kostenblock differenzierte Regelungen angewendet werden. Mit Interesse habe ich verfolgt, dass die BBC beim gerade vollzogenen Übergang zur Indexierung das zunächst auf einen überschaubaren Erprobungszeitraum beschränkt wissen wollte, weil auch dort keine völlige Klarheit über die Wirkung der Indexierung geherrscht hat. Wir wollen und dürfen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht unterfinanzieren, aber wir dürfen auch nicht überfinanzieren, sonst wird der Beihilfekompromiss mit der EU-Kommission verletzt. Wir haben eine ähnlich präzise Punktlandung zu organisieren, wie sie mit dem KEF-System und dem ihm immanenten Spardruck gewährleistet ist. Das scheint mir mit einem relativ simplen Algorithmus nur schwer erreichbar. Zurzeit appelliere ich an die Intendantinnen und Intendanten den Finanzbedarf, Ende Oktober beginnt das Beitragsfestsetzungsverfahren der KEF für die nächste Periode, zurückhaltend anzumelden und sich der Folgen bewusst zu sein. Sie sollten auch neue Projekte, die kostenintensiv sind, auf den Prüfstand stellen, um uns in die Lage zu versetzen mit einer, wenn überhaupt, marginalen Beitragssteigerung an die Öffentlichkeit treten zu können. Alles andere wäre in den Parlamenten schwer vermittelbar.
medienpolitik.net: Mit dem Vorschlag der Indexierung ist auch die künftige Funktion der KEF verbunden. Sie sind also dafür, dass die jetzigen Aufgaben der KEF bei der Festsetzung der Beitragshöhe erhalten bleiben müssen, um eine Über -oder Unterfinanzierung zu verhindern.
Rainer Robra: Zunächst will ich feststellen, dass das Bundesverfassungsgericht die Indexierung mehrfach als einen denkbaren Weg bezeichnet hat, ohne dass ich davon überzeugt wäre, dass die Verfassungsrichter alle Details eines solchen Übergangs haben in den Blick nehmen können, denn das ist die Aufgabe des Gesetzgebers. Selbst wenn man verfassungsrechtlich auf der sicheren Seite wäre, sollte man die erwünschten und unerwünschten Haupt- und Nebenwirkungen in den Blick nehmen. Die KEF ist eines der wenigen Organe mit extrem hohem Sachverstand aus unterschiedlichen Fachbereichen, den Rechnungshöfen der Länder, Wirtschaftsprüferkanzleien, Hochschulen, auch aus der Politik. Die KEF rekrutiert sich aus Damen und Herren, die einen ungeheuren Erfahrungs- und Wissensschatz zusammengetragen haben, wie Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei den Rundfunkanstalten gewährleistet werden können. Man weiß dort auch, wie man bei undifferenzierten Einsparforderungen der Politik einerseits und dem absoluten „mehr geht gar nicht“ von Intendanten andererseits, doch noch Möglichkeiten findet, dem Beitragswachstum Grenzen zu setzen. Jede Form von Indexierung und darauf weist der Vorsitzende der KEF mit Recht hin, birgt die Gefahr, dass Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit vernachlässigt werden, dass also Ressourcen unwirtschaftlich genutzt werden. Das ist einer der Gründe, warum ich das KEF-Verfahren weiterhin für wichtig halte. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass es schwerer wäre, so qualifizierte Persönlichkeiten für die Mitarbeit bei der KEF zu gewinnen, wenn sie nur noch eine periphere Institution wäre, die allenfalls dann in Erscheinung tritt, wenn Über- oder Unterfinanzierung zur Debatte stehen. Das ergibt sich nicht so ohne weiteres aus dem Zahlenwerk, das muss inhaltlich durchdrungen werden. Wenn die KEF nur noch von Zeit zu Zeit, gewissermaßen als Gutachter aufträte, reißt irgendwann der Faden zu den inneren Strukturen der Anstalten. Dann könnten wir uns inhaltlich nicht mehr so auf das Ergebnis der Kommission verlassen, wie es derzeit unstrittig der Fall ist.
medienpolitik.net: Nun werden Indexierung und Flexibilisierung immer in einem Atemzug genannt. Kann man das nicht trennen? Ist es nicht möglich, den Beitrag nach dem bisherigen Verfahren zu ermitteln und trotzdem eine höhere Flexibilisierung zu erreichen, indem der Auftrag allgemeiner formuliert wird?
Rainer Robra: Ich bin nicht von der These überzeugt, dass Indexierung und Flexibilisierung des Auftrages zwingend zwei Seiten einer Medaille seien. Indexierung ist ein Modus Operandi der Ermittlung des Finanzbedarfs der Anstalten, dem die These vorausgeht, dass der Verbraucherpreisindex Preissteigerungen abbildet, die der Kostenentwicklung der Rundfunkanstalten bei Fortschreibung ihres Programmangebotes entspricht. Notwendige größere Entwicklungen, wie die Digitalisierungswelle oder DAB+, bei denen die KEF mit Abschlägen und Zuschlägen gearbeitet hat, werde dabei vernachlässigt. Die Beitragsfestsetzung würde dann auf der Basis eines großen „Grundrauschen“ geschehen, das vom Verbraucherpreisindex, den das Statistische Bundesamt vorgibt.
Ich kann nicht nachvollziehen, wie die Schwächen der Indexierung durch eine Flexibilisierung des Programmauftrags geheilt werden könnten. Wie sollen die Anstalten damit umgehen? Sollen sie am Ende den Programmauftrag nach Kassenlage erfüllen? Das Bundesverfassungsgericht fordert, dass sie den Auftrag so erfüllen können, wie sie ihn als Programmverantwortliche verstehen und wie sie es verantworten können. Bei aller Sparsamkeit dürfen sie nicht schon systembedingt genötigt sein, sich selbst aus finanziellen Gründen inhaltlich unvertretbare Beschränkungen auferlegen zu müssen. Wenn sich die Politik der Verpflichtung zur Beauftragung ein Stück weit entzöge, würde sich auch Bedeutung und Funktion der Gremien erheblich verändern. Sie bekämen dann tatsächlich ein Stück weit quasiparlamentarische Normsetzungskompetenz, denn letztlich definierten sie den Auftrag, sei es auch nur in einem Randbereich. Von demokratietheoretischen Bedenken abgesehen, habe ich Zweifel, ob das den Vorgaben der EU-Kommission entspräche, die wegen des unverändert bestehenden Beihilfecharakters des Beitrages eine Beauftragung durch den parlamentarisch verantwortlichen Gesetzgeber erwarten. Auch die Zusammensetzung der Gremien und deren Binnenstruktur, würde sich bis in die Ausschüsse elementar ändern müssen. Ob das für die Anstalten dabei hilfreich wäre, inhaltlich und technisch immer auf der Höhe der Zeit zu sein, erscheint mir zweifelhaft. Der Akzeptanz in der Öffentlichkeit diente es jedenfalls nicht.
medienpolitik.net: Muss man die Verbreitungswege bis ins Detail festlegen, muss man genau definieren wie viele Spartensender und Radioprogramme es gibt, die terrestrisch oder digital verbreitet werden?
Rainer Robra: Bisher ging es dabei um die Frage, welche Faktoren die Kosten bestimmen. Wir sind bei der Deckelung der Radiowellen davon ausgegangen, dass jedes Zusatzprogramm auch zusätzliche Kosten verursacht. Diese sind bei einem zusätzlichen Fernsehprogramm um ein Vielfaches höher. Im Verlauf der 16 Jahre meiner Tätigkeit habe ich in den Gremien wie in der Öffentlichkeit unabhängig von etwaigen Mehrkosten schon viele Vorschläge gehört, welche neuen Programme unbedingt erforderlich seien. So gab es in jüngerer Zeit zur besseren Integration von Flüchtlingen die Forderung, eine der Anstalten müsse ein eigenes Programm für Migranten machen. Aber auch die Diskussion um das gemeinsame Jugendprogramm von ARD und ZDF „funk“ wäre ganz anders verlaufen, wenn wir eine Programmerfindungskompetenz der Anstalten und ihrer Gremien hätten. Das auch im ökonomischen Interesse der Beitragszahler, das das Verfassungsgericht bei den Ländern verankert sieht, noch im Zaume zu halten, würde wahrscheinlich nicht gelingen.
medienpolitik.net: Sie rechnen damit, dass die Flexibilisierung eher zu einer Ausweitung des Programms führen könnte, während man aus den Sendern hört, dass es zu einer Reduzierung der Programme kommen würde und zu zweckdienlicheren Verbreitungswegen.
Rainer Robra: Ich befürchte diese Entwicklung unter der Prämisse, dass Indexierung und Flexibilisierung verkoppelt werden. Es ist eine Selbstrestriktion, die am Ende zu einer Programmgestaltung nach Kassenlage führt, auch mit einem bunten Wechsel im Austausch von Programmen. Die Flexibilisierung des Programms bedeutet den Rückzug der Länder aus der Verantwortung für die Zahl der Sender und Programme. Unter sechzehn Ländern einen gemeinsam getragenen Kompromiss zu finden, setzt der frei fließenden Phantasie Grenzen. Der auch nur teilweisen Übertragung auf die Gremien der Anstalten würde insofern eine Expansionstendenz innewohnen.
medienpolitik.net: Sehen Sie einen möglichen Kompromiss zwischen den beiden „Lagern“ der Länder?
Rainer Robra: Das ist aktuell schwer zu sagen. Im Moment bereitet der Zeitdruck Probleme, unter dem wir diskutieren. Wir sollten uns auch im Kreise der Länder noch einmal sehr sorgfältig Gedanken darüber machen, wie wir uns zeitliche Brücken bauen können, die uns in das ruhige Fahrwasser zurückbringen, das notwendig ist, um alle Aspekte beider Seiten dieses Prozesses diskutieren und betrachten zu können. So könnten wir beispielsweise den Beitrag nur für zwei Jahre beschließen, um Zeit für eine gründliche Debatte zu gewinnen. Die Konstruktion, die wir in Deutschland für die sehr komplexe Ko-Regulierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben, durch Selbstverpflichtungen der Anstalten, Gremienentscheidungen, die KEF und die Landesgesetzgeber, ist bedeutend schwieriger zu handhaben als in anderen Ländern, in denen der Gesetzgeber alle Details festlegt. Die Schweiz hat jetzt entschieden, der SRG einen anderen auch inhaltlichen Rahmen zu setzen, in Frankreich lief es so ähnlich. Die BBC hat ihr Board, das relativ deutliche programmliche Vorgaben machen kann, bis hin zu nationalem Content der verbindlich von der Filmwirtschaft abgerufen werden muss. Das haben wir in Deutschland aus verfassungsrechtlichen Gründen alles so nicht. Und deswegen ist der Diskussionsprozess, der alle Beteiligten und deren Argumente einbeziehen muss, bei uns schwieriger und kann jetzt nicht in 6 bis 8 Wochen zu einem allseits befriedigenden Ergebnis geführt werden.
medienpolitik.net: Sie gehören zu den konsequentesten Verfechtern einer absoluten Beitragsstabilität. Wollen Sie mit dem Appell an die Sender, den Bedarf vernünftig anzumelden, dieses Ziel erreichen?
Rainer Robra: Zunächst einmal benötigen wir zurückhaltende Anmeldungen, um die Dinge auch in und mit den Landtagen vernünftig weiterentwickeln zu können. Wir haben in der letzten Landtagssitzung abermals einen Beschluss mit auf den Weg bekommen, der die Beitragsstabilität sehr hoch aufhängt. Ich weiß andererseits, dass sich nicht alle, auch technischen und sonstigen Einsparmöglichkeiten, die die Anstalten angeboten haben, sofort verwirklichen lassen. Wenn erkennbar ist, dass die Anstalten auf dem Pfad der Tugend wandeln, aber nach Einschätzung der KEF unter Berücksichtigung des notwendigen Bedarfs einen etwas höheren Betrag als 17,50 Euro benötigen, dann wird es hoffentlich daran nicht scheitern. Deutlich werden muss allerdings, dass zumutbare Anstrengungen auf allen Seiten geleistet worden sind, die Kosten insgesamt zu senken.
medienpolitik.net: Sie haben mit Ihrem Vorschlag, künftig nur noch eine nationale öffentlich-rechtliche Anstalt, das ZDF, zu erhalten und dafür die ARD-Anstalten stärker zu regionalisieren, für viel Wirbel gesorgt. Ist das Modell nach dem heftigen Gegenwind jetzt im Archiv gelandet?
Rainer Robra: So schlicht habe ich das nie gefordert. Ich habe mich von jenen abgesetzt, die nur eine Anstalt erhalten wollte. Mein Anliegen war und ist, dass ARD und ZDF klarere Profile ausbilden. Das ZDF als die nationale Anstalt, die zwar in allen Ländern mit kleinen Studios vertreten ist, aber ansonsten die großen nationalen Themen, die uns alle verbinden, in den Vordergrund stellt. Und an die ARD appelliere ich nach wie vor, und habe inzwischen den Eindruck, dass sie sich diesem Ansinnen schon geöffnet hat, stärker ihre regionale Kompetenz auszuspielen. Sie sollte sich der Herausforderung stellen, die wir im Rundfunkstaatsvertrag mit dem Begriff „Zusammenhalt stärken“ umschrieben haben. Dieses Bedürfnis nach innerer Kohärenz Gesamtdeutschlands ist nach den jüngsten Ereignissen in Ostdeutschland nicht geringer geworden. Wir müssen den Dialogprozess unter den Ländern ganz allgemein und zur Vertiefung des Zusammenhalts in Deutschland organisieren. Das kann die Politik nicht allein leisten, sondern nur in Zusammenarbeit mit den Massenmedien. Wir brauchen einen Modus, der dieses Gespräch gewährleistet und das kann nur die ARD, da sie in allen Ländern mit starken Landesrundfunkanstalten vertreten ist. Die ARD könnte beispielsweise die besten Sendungen der Dritten auch einmal auf eine universal zugängliche Plattform des Ersten heben, damit wir alle mehr davon mitbekommen, was in den Ländern passiert und geleistet wird. Ein wichtiger Punkt ist beispielsweise das Bildungswesen. Alle glauben, die Probleme, die sie mit der Unterrichtsversorgung ihrer Kinder haben, seien nur solche ihres jeweiligen Landes, weil es nur auf den Länderformaten reflektiert wird. Dabei ist es ein brennendes gesamtdeutsches Thema. Die ARD beschäftigt sich vorwiegend mit Politikfeldern, die in der Kompetenz des Bundes liegen. Wichtige Themen wie Bildung, Wissenschaft und Kultur, das klassische Hausgut der Länder, fallen einfach unter den Tisch, obwohl sie die Menschen in allen Teilen Deutschlands viel mehr beschäftigen als andere Themen, die in Talkshows breitgetreten werden. Also meine Vorschläge sind nicht im Archiv, sie sind für mich weiterhin auf der Tagesordnung.
Der Beitrag ist eine Vorveröffentlichung aus der promedia-Ausgabe 10/18.