Dem Entstehen von Meinungsmacht entgegenwirken

von am 17.01.2019 in Archiv, Digitale Medien, Gastbeiträge, Internet, Kommunikationswissenschaft, Medienordnung, Medienpolitik, Medienregulierung, Medienwissenschaft, Regulierung

Dem Entstehen von Meinungsmacht entgegenwirken
Prof. Dr. Birgit Stark, Institut für Publizistik Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Direktorin des Mainzer Medieninstituts

Vielfalt in der digitalen Gesellschaft

17.01.2019. Von Prof. Dr. Birgit Stark, Institut für Publizistik, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Medien leisten einen unverzichtbaren Beitrag zum Funktionieren der Demokratie, denn sie setzen Themen, liefern Hintergrundinformationen und stellen verschiedene Standpunkte zu politischen Fragen dar. Auf dieser Grundlage sollen sich die Bürger eine eigene, fundierte Meinung bilden und am demokratischen Willensbildungsprozess teilhaben können. Diese Vermittlungsleistung obliegt im digitalen Zeitalter nicht mehr ausschließlich den klassischen Medien, sondern auch Intermediären wie Facebook oder Google. Deren Auswahllogiken basieren jedoch auf Algorithmen und unterliegen damit ganz eigenen Regeln, die Chancen und Risiken für die mediale Vielfalt bergen. Denn sie bemessen Relevanz nicht im Sinne klassischer redaktioneller Leitwerte oder journalistischer Qualitätskriterien, sondern an ökonomischen Maximen und Popularität. Ob und wie diese automatisierten Entscheidungsfindungen zu einer verzerrten Vermittlung und Wahrnehmung von gesellschaftlich relevanten Themen und Problemlagen führen, wird noch sehr kontrovers diskutiert („Algorithmic Bias“).

Vor diesem Hintergrund möchte ich hier auf drei wichtige Punkte Bezug nehmen:

1. Welche Relevanz haben Intermediäre wie Facebook oder Google bei der Nachrichtennutzung bzw. beim Auffinden von Inhalten?

2. Was verändert sich dadurch bei der Informationsvermittlung? Was heißt es, wenn wir Nachrichten zu einem bestimmten Grad algorithmenbasiert vermittelt bekommen?

3. Und wie verändern sich dadurch Meinungsbildungsprozesse? Welche Erkenntnisse liegen uns bislang über die Folgen algorithmenbasierter Informationsvermittlung vor?

1. Relevanz von Intermediären bei der Nachrichtennutzung

Ich beziehe mich hier auf die aktuellsten Daten aus dem Reuters Digital News Report für Deutschland aus dem Jahr 2018. Fragt man die Nutzer, wie sie auf bestimmte Artikel oder Berichte im Netz überhaupt gestoßen sind, zeigt sich zum einen, dass es nach wie vor ganz verschiedene Zugangswege zu Online-Nachrichten gibt. So werden Nachrichtenangebote zum Beispiel direkt über eine Website oder eine App, aber auch über Suchmaschinen aufgesucht bzw. in sozialen Medien gefunden. Zum anderen erfolgt die Orientierung (noch) über eine Medienmarke, sprich journalistisch erzeugte Angebote spielen beim Auffinden von Inhalten für mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung (ca. 53 Prozent) nach wie vor eine große Rolle. Verdichtet man im Vergleich dazu die Zugangswege über personalisierte, algorithmenbasierte Quellen wie Suchmaschinen, soziale Medien oder Aggregatoren wie Google News, liegt hier der Anteil bei 42 Prozent.

Besonders in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen wird deutlich, dass die Nutzung algorithmenbasierter Zugangswege im Vergleich zur Gesamtbevölkerung bereits stark verbreitet ist: So finden 57 Prozent der 18- bis 24-Jährigen Onliner Nachrichten regelmäßig über die thematische Suche in Suchmaschinen, über Aggregatoren (wie Google News) oder soziale Medien (wie Facebook). Vor allem soziale Medien nehmen in dieser Altersgruppe eine wichtige Stellung ein (Digital News Report für 2018). Algorithmenbasierte Informations-quellen haben sich im Informationsrepertoire der Nutzer demnach fest etabliert und beeinflussen den Zugang zu Nachrichten. Sie verändern aber auch, wie Nachrichten wahrgenommen und rezipiert werden, wählen sie diese immerhin nach ganz anderen Funktionslogiken aus als dies journalistische Anbieter tun.

2. Funktionslogiken algorithmenbasierter Informationsvermittlung

Intermediäre wie Facebook und Google bündeln Nachrichten auf eine bestimmte Art und Weise, indem sie den Nachrichtenstrom der Nutzer in der Regel algorithmisch filtern und dabei Informationen über deren Kontaktnetzwerk sowie über explizit gemachte Präferenzen miteinbeziehen. Nach bestimmten Prinzipien sortierend bestimmen sie so die Inhalte und den Aufbau des Newsfeeds von Facebook sowie das Ranking bei Google, sprich welche Treffer dem Suchenden weit oben bzw. unten angezeigt werden.

Welche Nachrichten dem Nutzer also angezeigt werden, hängt maßgeblich von seinen persönlichen Kontakten sowie seinem vergangenem Nutzungs- bzw. Suchverhalten ab. Damit stellen Algorithmen Nachrichten nach ganz anderen Kriterien zusammen als Journalisten. Während sich die journalistische Nachrichtenauswahl weitaus stärker am Publikum orientiert, ist bei der algorithmischen Auswahl in erster Linie wichtig, so viele Nutzer solange wie möglich auf der Plattform zu halten, um entsprechend ihrem Geschäftsmodell auch Werbung verkaufen zu können.

Ein weiterer wichtiger Punkt bezüglich der Funktionslogiken ist zudem die Sichtbarkeit der Anschlusskommunikation. Durch Kommentare und Likes wird in sozialen Netzwerken erkennbar, wie andere zu einem Thema stehen bzw. welche Meinung sie hierzu vertreten. Gerade diese Kommunikationssituation hat weitreichende Folgen, indem die Anonymität die Redebereitschaft in bestimmten Gruppen steigen lässt und die Isolationsfurcht mindert, wenn man sehr extreme Aussagen trifft.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die Nachrichtenauswahl durch Algorithmen gravierend von der klassischen Nachrichtenauswahl im Journalismus unterscheidet: Der Journalismus orientiert sich sowohl am Publikum und dessen (mutmaßlichen) Interessen sowie an der öffentlichen Aufgabe, die ihm zukommt. Im Internet hingegen kommen neue „Nachrichtenfaktoren“ hinzu, die sich nicht an den Merkmalen der berichteten Ereignisse festmachen lassen, sondern durch Algorithmen geschaffen und priorisiert werden und vor allem Reichweite und Interaktivität generieren sollen (u. a. die Qualität der Nutzerbeziehung-en oder explizite Nutzerinteressen).

3. Was bedeutet das für Meinungsbildungsprozesse?

Ganz allgemein können Intermediäre vergleichbare Wirkungseffekte wie Medien haben, indem sie auf Themen aufmerksam machen, Wissen vermitteln und durch das Aufzeigen verschiedener Standpunkte einen Eindruck über das Meinungsklima geben. Das heißt man erhält auch einen Eindruck darüber, wie Meinungen und Stimmungen in der Gesellschaft verteilt sind, indem man erfährt, wie Andere über ein Thema denken.

Diese Wirkungspotenziale kann man auf den einzelnen Stufen des Meinungsbildungs-prozesses anordnen: Themen-, Wissens und Meinungsvermittlung. Fasst man in aller Kürze zusammen, was die bisherigen empirischen Befunde im Allgemeinen und zu der letzten Stufe im Meinungsbildungsprozess darlegen, kommt man zu folgenden Ergebnissen:

Intermediäre sind unerlässlich, wenn es um die Suche und das Auffinden von Informationen geht und daher fester Bestandteil im Meinungsbildungsprozess. Wie bereits erläutert, haben sie vor allem bei Jüngeren eine sehr hohe Relevanz erreicht. Die ursprüngliche Annahme, dass wir bereits in völlig undurchlässigen Filterblasen leben, hat sich allerdings als so nicht richtig herausgestellt. Denn wir sind mit anderen – etwa mit Freunden und Bekannten in persönlichen Gesprächen – im Austausch oder kommen mit einem breiten Mix verschiedener massenmedialer Informationsquellen in Kontakt, die unsere Sicht auf die Welt anpassen, andere Standpunkte zulassen und wichtige gesellschaftliche Themen aufgreifen. Damit sind unsere Informationsrepertoires noch sehr breit angelegt und die „Filterblasen“ durchlässig.

Gleichwohl finden sich aber Belege für mögliche Polarisierungsprozesse an den politischen Rändern. So lässt der aktuelle Forschungstand die Annahme zu, dass es unter bestimmen Umständen zur Bildung von Echokammern kommen kann. Diese subtilen Beeinflussungsmechanismen zeigen sich vor allem auf der letzten Stufe des Meinungsbildungsprozesses, also insbesondere bei der Beobachtung des Meinungsklimas.

Es bestätigt sich, dass gruppendynamische Entwicklungsprozesse entstehen, die den prägenden Charakteristika der Kommunikationsumgebung auf Facebook geschuldet sind. Unseren Befunden zufolge kommen diese aber nur unter ganz bestimmten Bedingungen zum Tragen: Auf Facebook in eine Echokammer zu geraten oder sich aktiv in eine solche zu begeben setzt ein homogenes Netzwerk voraus. Das heißt, der Nutzer darf nur solche Seiten „liken“ und Inhalte „sharen“, die seinen Überzeugungen entsprechen. Zusätzlich muss er ein homogenes Facebook-Netzwerk aus Personen haben, die seine Überzeugungen teilen und über die er ebenfalls Informationen erhält, die mit seinen Ansichten konform sind. Werden in seinem Netzwerk hingegen abweichende Meinungen vertreten, werden diese auch im Newsfeed des Nutzers auftauchen und seine Echokammer „aufbrechen“. Diese Voraussetzungen für das Entstehen von Echokammern dürfen nur bei einer kleinen Minderheit der Facebook-Nutzer gegeben sein – und zwar vermutlich vorrangig bei denen am Rand des politischen Spektrums, die ohnehin schon extreme Ansichten vertreten. Diese Gruppen

nehmen folglich gemeinsam eine sehr einseitige Sicht auf Diskussionen ein. Bei diesen Nutzergruppen kann es tatsächlich passieren, dass sie das andere Meinungslager schließlich nicht mehr wahrnehmen. Auch wenn die Zahl dieser Nutzer begrenzt ist, erscheint uns dies problematisch.

Denn die neuartigen Vernetzungsmöglichkeiten im Internet machen politisch Extremen sämtlicher Couleur bewusst, dass es „da draußen“ mehr Gleichgesinnte gibt als vielleicht gedacht. Das könnte ihre Isolationsfurcht vermindern und ihre Artikulationsbereitschaft auch außerhalb ihrer Echokammer steigern und letztlich zu einer Überrepräsentation radikaler Meinungen und Argumente im gesamtgesellschaftlichen politischen Diskurs führen. Dies wiederum kann das Bild der Bevölkerung vom tatsächlichen Meinungsklima verzerren, die Artikulationsbereitschaft der verschiedenen Lager beeinflussen und zu gesamtgesellschaftlichen Schweigespiralprozessen führen.

Unsere vertiefenden Analysen zum Flüchtlingsthema haben diese Art von Schweigespiralprozessen bestätigt. In Zeiten, in denen schon wenige Stimmen und geringe Stimmverschiebungen Mehrheitsverhältnisse drastisch verändern können, können solche Entwicklungen folgenreich für die Gesamtgesellschaft und die Demokratie sein. An dieser Stelle des Meinungsbildungsprozesses ist auch das Einfallstor für einen möglichen Missbrauch durch Social Bots und Falschmeldungen auf Facebook am größten. Denn auf diesem Wege kann interessengeleitete Desinformation nicht nur durch bestimmte Themensetzungseffekte die Medienagenda, sondern auch das Meinungsklima in der Bevölkerung im gewünschten Sinne beeinflussen.

Regulierungsmaßnahmen sind zwingend notwendig, denn Intermediäre haben unser Nachrichten-Ökosystem fundamental verändert, insbesondere durch die neu geschaffenen ökonomischen Abhängigkeiten. Ein Großteil der Werbeeinnahmen im Online-Bereich fließt an die Plattform-Anbieter, an Google und Facebook. Das heißt es bedarf spezifischer Bestimmungen zur Vielfaltssicherung bei Intermediären und Plattformen. Noch können die traditionellen Medienhäuser ein Gegengewicht bei der Meinungsbildung aufbauen, wird dies irgendwann nicht mehr der Fall sein, dann verändern sich die Rahmenbedingungen fundamental. Deswegen müssen wir jetzt über Mindeststandards nachdenken und dem Entstehen erheblicher Meinungsmacht prophylaktisch entgegenwirken, da sie sich nachträglich nur noch schwer beseitigen lässt. Vor diesem Hintergrund sind (Mindest-)Vorgaben betreffend Diskriminierungsfreiheit und Transparenz für Medienintermediäre aus Gründen der kommunikativen Chancengleichheit geboten.

Alles in allem hat die medienpolitische Auseinandersetzung in den letzten Jahren unverkennbar gezeigt, dass wir eine Leitbild-Debatte brauchen, die den Einfluss von Algorithmen auf die öffentliche Kommunikation richtig einordnet, um die normativen und rechtlichen Leitlinien auch angemessen gestalten zu können. Auf nationaler und europäischer Ebene werden teilweise sehr unterschiedliche Wege gegangen. Gerade Deutschland hat versucht mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz seinen eigenen Weg zu gehen.

Das Gesetz kann nicht in allen Punkten überzeugen. Dennoch hat es gezeigt, dass nur auf politischen Druck hin die Internetunternehmen ihrer Verantwortung stärker gerecht werden und diese auch annehmen, indem sie etwa die Transparenz verbessern oder ein kontinuierliches Reporting vorlegen.

Keynote von Prof. Dr. Birgit Stark zum Brüsseler Mediengespräch am 11. Oktober 2018

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