„Eine Vollindexierung ist nur mit Einschränkungen zulässig“

Das KEF-Verfahren könnte in zwei Prüfschritte „zerlegt“ werden
001.04.2019. Interview mit Prof. Dr. Matthias Cornils, Direktor des Mainzer Medieninstituts, Lehrstuhl für Medienrecht, Kulturrecht und öffentliches Recht der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Im Auftrag der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz hat Prof. Dr. Matthias Cornils, Direktor des Mainzer Medieninstituts, ein Gutachten zu den „Verfassungs- und unionsrechtliche Rahmenbedingungen einer Vollindexierung des Rundfunkbeitrags“ verfasst, das für die Entscheidung der Rundfunkkommission der Länder eine wichtige Basis bildet. (Gutachten unter: www.mainzer-medieninstitut.de) In einem Gespräch mit medienpolitik.net betont der Medienrechtler, dass eine Vollindexierung nur mit Einschränkungen zulässig sein kann. Dazu gehören die Grundsätze der „Programmneutralität“ und der „Programmakzessorietät“. Über die Finanzierung dürfe der Staat keinen Einfluss auf die Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nehmen, auch nicht in der Weise einer intendierten Unterfinanzierung mit dem Ziel, die Anstalten dazu zu bewegen, ihren Aufwand zu reduzieren. Das KEF-Verfahren könne allerdings modifiziert werden: In eine jährlich vorzunehmenden ex post-Überkompensations-Kontrolle und eine zeitliche Streckung der Bedarfsermittlungsintervalle. Eine qualitativ-gegenständliche Begrenzung durch Ausschluss bestimmter Inhalte (kein Sport, keine Unterhaltung) sei ein verfassungsrechtlich verbotener Eingriff in den Kernauftrag, also die Grundversorgung, zu der die Unterhaltung und auch der Sport gehörten. An einer Schwerpunktsetzung – also etwa einer programmatischen Betonung der Informationsfunktion in den Bereichen Bildung, Nachrichten, Kultur – sei der Gesetzgeber aber nicht gehindert.
Medienpolitik.net: Herr Cornils, die Länder wollen einen Vorschlag für eine Vollindexierung bei der Ermittlung des Rundfunkbeitrages erarbeiten. Ist aus Ihrer Sicht eine Vollindexierung mit den Vorgaben des deutschen Verfassungsrechts vereinbar?
Cornils: Auch ein Beitrags-Ermittlungs- und Festsetzungsverfahren, das die Vollindexierung implementiert, ist grundsätzlich denkbar; das muss mit Blick auf die insoweit eindeutige, wenn auch nur als obiter dictum formulierte, also nicht entscheidungstragende Anerkennung einer solchen Option im zweiten Gebührenurteil des BVerfG v. 2007 angenommen werden. Es geht verfassungsrechtlich heute nicht mehr um die Frage des „Ob“, sondern des „Wie (weit)“ einer Vollindexierung. Allerdings ist auch schon vor Jahren in der Fachliteratur zutreffend dargelegt worden, dass die Beitrags-Vollindexierung nur unter Bedingungen und daher auch nur mit Einschränkungen zulässig sein kann. Diese
Bedingungen ergeben sich daraus, dass das Bundesverfassungsgericht aus der
Gewährleistung der Rundfunkfreiheit Prinzipien und auch Verfahrensanforderungen
hergeleitet hat, die nicht zur Disposition des Gesetzgebers stehen und daher
auch in einem auf eine Vollindexierung umgestellten Verfahren Beachtung finden
müssen. In materieller Hinsicht sind dies die Grundsätze der „Programmneutralität“
und der „Programmakzessorietät“: Über die Finanzierung darf der Staat keinen
Einfluss auf die Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nehmen, auch
nicht in der Weise einer intendierten Unterfinanzierung mit dem Ziel, die
Anstalten dazu zu bewegen, ihren Aufwand zu reduzieren. Die Verfassung
garantiert – in dem wissenschaftlich natürlich nicht zwingenden, aber für die
Rechtspolitik sicherlich maßgebenden Gedankengebäude des
Bundesverfassungsgerichts –, dass die Finanzierung dem Auftrag zu folgen habe
und nicht umgekehrt (Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit der Finanzausstattung).
Der garantierte und zu finanzierende Funktionsauftrag wiederum wird in Inhalt
und Umfang durch ein Zusammenspiel der Faktoren des verfassungsrechtlich unabdingbaren
Kernauftrags (Grundversorgung), der gesetzlichen Beauftragung und der
Programmautonomie der Anstalten bestimmt.
Weil diese Größen – und damit auch der zu finanzierende Aufwand – aber in erheblichem Maße unbestimmt und interpretationsoffen sind, hat das Bundesverfassungsgericht die Rationalität der Gebühren- (heute: Beitrags-)Festsetzung durch recht detaillierte Vorgaben an das Festsetzungsverfahren zu sichern versucht – Vorgaben, wie sie im derzeit nach dem Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag praktizierten dreistufigen Verfahren umgesetzt sind. Insbesondere die Verfahrensschritte der Bedarfsanmeldung durch die Anstalten sowie einer externen fachlichen Wirtschaftlichkeitskontrolle durch ein dazu institutionell geeignetes Gremium erscheinen nach den insoweit unmissverständlichen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts verfassungsfest, können also auch bei Umstellung auf eine Indexierung nicht ganz beseitigt werden. Die Vollindexierung kann vor diesem Hintergrund nur die Rolle einer prozeduralen Ergänzung einnehmen. Zentrale Anforderung an die Novellierung ist daher, dass eine neu eingeführte Komponente der Indexierung nicht einen Festsetzungs-Automatismus entbindet, der am Ende zu einer nicht mehr bedarfsgerechten Beitragshöhe und somit Finanzierung führte. Die Vollindexierung darf die nach wie vor maßstabbildende Bedarfsermittlung nicht substantiell überschreiben. Organisations- und verfahrensrechtlich ist sie nur – aber immerhin – in der Variante einer Anreicherung des weiterhin auf den unverzichtbaren prozeduralen Komponenten der Bedarfsanmeldung und externen Kontrolle gründenden Festsetzungsverfahrens denkbar. Verfassungsrechtlich zulässig wäre danach eine Verlängerung der Intervalle, in denen eine konsolidierte (d.h. durch ein Kontrollorgan wie die KEF auf Wirtschaftlichkeit geprüfte) Bedarfsanmeldung stattfinden muss. Denkbar ist auch – darin läge wohl der wichtigste, von der Indexierung als solcher freilich unabhängige, auch ohne Indexierung im derzeit normierten Modell mögliche Entlastungseffekt –, den abschließenden Verfahrensschritt einer Neufestsetzung des Beitrags im Staatsvertrag und Umsetzungsgesetz oder durch Rechtsverordnung nur noch für den Fall vorzusehen, dass die (neue) Bedarfsermittlung einen gegenüber der kraft zwischenzeitlicher Indexierung erreichten Beitragshöhe abweichenden Finanzierungsbedarf und -anspruch ergibt. Entspricht der Bedarf hingegen der indexgestützt errechneten Finanzausstattung, könnte eine neuerliche Befassung der Regierungen und Parlamente entfallen: Verfassungsrechtliche Postulate der bedarfsgerechten Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips stünden einer solchen Lösung nicht entgegen. Ob die damit verbundene Entkoppelung der Finanzierungsanpassung vom politischen Diskurs erstrebenswert ist, ist freilich eine andere, politisch zu entscheidende Frage.
Medienpolitik.net: Wie steht es mit dem EU-Beihilferecht? Hier wurde ja 2007 ein schwieriger Kompromiss ausgehandelt…
Cornils: Die (partielle) Abkoppelung einer „Ertragsindexierung“ vom aufwandsbezogen-konkreten Finanzbedarf der Rundfunkanstalten ist das sowohl unter verfassungsrechtlichen als auch unionsrechtlichen Maßstäben problematische Charakteristikum einer Vollindexierung. Die einschlägigen Vorgaben aus der sogenannten Rundfunkmitteilung der EU-Kommission aus dem Jahr 2009 ziehen einem Modellwechsel daher ähnliche Grenzen wie schon das Verfassungsrecht. Das bedeutet konkret, dass auch Unionsrecht die prozedurale Absicherung einer bedarfsentsprechenden Finanzierung des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks fordert, wenn auch hier nur – enger – mit der wettbewerbsschützenden Stoßrichtung der Vermeidung einer Überfinanzierung durch für die Funktionserfüllung nicht erforderliche Zuwendungen. Die Einführung einer „automatischen“ Bestimmung der Beihilfenhöhe durch „kontrollfreie Indexierung“ könnte diesem Prinzip niemals genügen, da ein solcher Mechanismus überhaupt keine Kostenorientierung der Beihilfe mehr garantierte und strukturell die Möglichkeit einer Überkompensierung nicht ausschließen könnte, Geht man davon aus, dass die unionsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Finanzmechanismus in Deutschland – gebilligt durch den Beihilfekompromiss von 2007 – durch das Zusammenspiel der Kontrolltätigkeit der Rechnungshöfe und der KEF erfüllt werden, so muss der in diesem Verfahren bewirkte Kontrollstandard im Wesentlichen aufrechterhalten bleiben. Namentlich die Elemente einer jährlichen Buchführungs- und Verwendungskontrolle, einer Nettokosten-Äquivalenzprüfung der Mittelzuweisungen und einer umfassenden Prüfung der Finanzsituation der Anstalten jeweils für einen vier Jahre nicht wesentlich übersteigenden Zeitraum erscheinen unionsrechtlich zwingend.
Medienpolitik.net: Finden sich die Aufgabe und Rolle der KEF im bisherigen Vorschlag, als eine Art Kontrolleur, angemessen wieder?
Cornils: Es setzt sich doch – soweit ersichtlich – in den Diskussionen die Einsicht durch, dass eine im Verfahren der Beitragsfestsetzung institutionalisierte „externe Kontrolle“ unions- und verfassungsrechtlich unabdingbar ist, auch in einem um eine Vollindexierung ergänzten Prozedere. Die KEF in ihrem konkreten Design genießt dabei natürlich keinen verfassungsrechtlichen Bestandsschutz; gefordert ist aber die ausreichende Unabhängigkeit und auch fachliche Expertise einer solchen Kontrolleinrichtung. Die fachliche Überprüfung auf die Einhaltung der beiden Maßstäbe einerseits des „Rahmens des rechtlich umgrenzten Rundfunkauftrags“, andererseits der „Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“ ist notwendig, um der Bedarfsanmeldung ein Korrektiv entgegenzuhalten, welches die Beschränkung des definitiv ermittelten (konsolidierten) Finanzbedarfs auf das für die Erfüllung des Funktionsnotwendigen erforderliche Maß sichert. Bedarfsanmeldung und fachliche externe Kontrolle sind mithin von Verfassung wegen notwendige Korrelate in einem jedem Beitragsfestsetzungsverfahren. Die Aufgabe der externen Kontrollinstanz im Kontext der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland kann in zwei aus höherrangigem Recht gebotene Funktionen unterschieden werden, unionsrechtlich diejenige der Überkompensations-Kontrolle, verfassungsrechtlich diejenige der Bedarfsermittlung. Beide Funktionen können – wie bisher – in einem integrierten Prüfverfahren zusammengefasst, aber auch in unterschiedliche Prüfschritte zerlegt werden. Namentlich aus letzterer Möglichkeit ergeben sich gerade für ein modifiziertes, um eine Vollindexierung ergänztes Verfahren Spielräume für eine modifizierte Gestaltung: Die unionsrechtliche Vorgabe einer in kurzen Abständen (idealiter: jährlich) vorzunehmenden ex post-Überkompensations-Kontrolle kann so erfüllt, aber mit dem möglichen rechtspolitischen Anliegen einer zeitlichen Streckung der Bedarfsermittlungsintervalle (turnusmäßig alle sechs oder acht Jahre) verbunden werden.
Im Festsetzungsverfahren, in dem die Bedarfsanmeldung der Anstalten Ausgangspunkt und Grundlage der Beitragsfestsetzung ist, kann die Aufgabe der externen Kontrollinstanz in ihrer Mitwirkung bei der Bedarfsermittlung nicht auf eine bloß nachlaufende ex-post-Kontrolle beschränkt werden: Diese Kontrolle teilt vielmehr, indem sie nach den verfassungsrechtlichen Festlegungen der Judikatur zwingend auf die Bedarfsanmeldung bezogen ist, deren zukunftsgerichtete Natur. Die unionsrechtlich gebotene Finanzmittel-Verwendungskontrolle muss sich ihrer begrenzten Funktion nach hingegen nicht dafür interessieren, ob dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die für seine Auftragserfüllung notwendigen Mittel zur Verfügung stehen; sie hat nur zu prüfen, ob es im Betrachtungszeitraum zu Überkompensierungen oder Quersubventionierungen gekommen ist. Insofern ist sie auf die tatsächlich entstandenen Kosten und Erträge zu richten, etwa auf der Grundlage der Jahresabschlussberichte der Anstalten, nicht auf prognostizierten Aufwand und prognostizierte Einnahmen.
Medienpolitik.net: Welchen Einfluss dürfen die Länder auf die Höhe des Beitrages nehmen?
Cornils: Die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten einer politischen Einflussnahme auf den „Preis“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind bekanntlich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts recht eng begrenzt worden: Mittelbar können die Länder den zu finanzierenden Aufwand allerdings dadurch begrenzen, dass sie den Tätigkeitsumfang (Programme und online-Angebote) der Anstalten definieren, dies allerdings nur unter Beachtung des verfassungsfesten Auftragskerns („Grundversorgung“) und der darüber hinausgehenden, selbst auch zusätzlich finanzwirksamen Autonomiespielräume der Anstalten (Programmautonomie). Im Beitragsfestsetzungsverfahren sind Kürzungen aus medienpolitischen Gründen hingegen ausgeschlossen und bleibt nur die Option einer Abweichung von der Bedarfsfeststellung aus im Wesentlichen sozialstaatlichen Motiven (zur Wahrung der Interessen der Beitragszahler). Diese sind vom BVerfG allerdings restriktiv verstanden worden – es ergibt sich daraus wohl kaum eine Befugnis zu signifikanten Einschnitten in den konsolidierten Bedarf. Verfassungsrechtlich zwingend ist diese Abweichungsbefugnis der Parlamente übrigens ohnehin nicht. Dies ergibt sich schon daraus, dass das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auch die Möglichkeit einer Delegation der Festsetzung auf den Verordnungsgeber (d.h. die Landesregierungen) anerkannt hat, eine Gestaltung, mit der aber zugleich auch die nur parlamentarisch zu verantwortende Abweichungsbefugnis auf der dritten Stufe des Festsetzungsverfahrens entfiele. Die Indexierung ist kein Instrument, mit dem sich diese verfassungsrechtlichen Fesseln (in der Lesart des Bundesverfassungsgerichts) abstreifen ließen. Kostendämpfungs- und Beitragsstabilisierungsziele lassen sich mit einer Vollindexierung des Beitrags nicht verfolgen, auch und schon gar nicht in Kombination mit einer Flexibilisierung des Rundfunkauftrags. Soweit hinter der Idee einer Kombination von Indexierung und Flexibilisierung die Vorstellung einer auf diesem Wege möglichen Kostendisziplinierung stehen sollte, kollidierte gerade dieses Anliegen mit den insoweit sehr deutlichen Prämissen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Medienpolitik.net: Zu den verfassungsrechtlichen Grundsätzen gehört es, dass der Beitrag dem Auftrag folgen muss. Wie genau muss damit der Auftrag von den Ländern definiert werden? Darf der Anteil von bestimmten Inhalten am Programm z.B. Unterhaltung oder Sport vorgeben werden?
Cornils: Die erste Frage zielt auf die derzeit erwogene Option einer Lockerung der gesetzlichen Programmierung („Flexibilisierung“), die zweite hingegen auf eine Schärfung des öffentlich-rechtlichen Profils („Fokussierung“). Erstere wird gemeinhin für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten und eher unter unions-beihilferechtlichen Gesichtspunkten problematisiert – weil damit möglicherweise der für die Beihilfenrechtfertigung notwendige Präzisionsgrad der Definition und Beauftragung nicht mehr erreicht wird. Letztere entschärft hingegen gerade in entgegengesetzter Richtung das unionsrechtliche Bestimmtheitsproblem, stößt dafür aber verbreitet auf verfassungsrechtliche Bedenken, die sich einmal aus der verfassungsrechtlich angelegten inhaltlichen Breite des Funktionsauftrags ergeben (auch Sport und Unterhaltung!), zum anderen aus der Programmautonomie der Anstalten. Was zunächst die Flexibilisierung angeht, ist sie bei näherem Zusehen aber auch verfassungsrechtlich keineswegs ganz unproblematisch, zumindest nicht in der „starken Variante“ einer vollständigen oder weitgehenden Freigabe der Auftragsdefinition in die Hände der Anstalten selbst. Das deutsche Rundfunkverfassungsrecht adressiert die Ausgestaltungsverantwortung für die Schaffung der positiven Rundfunkordnung an die zuständigen Gesetzgeber. Diese – nicht etwa unmittelbar die Anstalten – sind verfassungsrechtlich in die Pflicht genommene Träger der Gewährleistungsverantwortung für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der zumindest die Grundversorgung in dem umfassenden Verständnis der bundesverfassungsrechtlichen Rechtsprechung wahrnimmt. Dieser Gewährleistungsverantwortung darf sich der Gesetzgeber nicht entziehen. Er muss daher zumindest durch inhaltlich-qualitative Beschreibungen des Funktionsauftrages in dessen ganzen Breite dafür sorgen, dass die Anstalten auf diesen Auftrag verpflichtet werden. Dies schließt einen Verzicht auf enumerative Festlegungen bestimmter Sendekanäle und Angebote oder auf allgemeinere quantitative Vorgaben (etwa eine zahlenmäßige Obergrenze der Kanäle) zwar noch nicht notwendigerweise aus. Man muss aber sehen, dass in dem Maße der Verlagerung der Auftrags-Konkretisierungsaufgabe auf die Anstalten diese auch die Last politischer Rechtfertigung dieser Konkretisierung tragen. Die quantitative Festlegung im Rundfunkstaatsvertrag hat, das wird nicht selten übersehen, auch eine Schutzfunktion für die Anstalten: Sie gibt demokratisch legitimierte Orientierung für das Maß der Tätigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und entlastet mithin die Anstalten davon, sich für die Konkretisierung des Rundfunkauftrags allein selbst rechtfertigen zu müssen. Verfassungsrechtlich steht hingegen nichts entgegen, auch die Angebotsgestaltung in der Alternative linear oder nichtlinear einem Bestimmungsrecht der Anstalten zu öffnen, sie also insofern zu flexibilisieren. Einen verfassungsrechtlichen Linearitätsvorbehalt dürfte die Rundfunkgewährleistung mit der Garantie der flächendeckenden, die gesamte Bevölkerung erreichenden Grundversorgung schon heute kaum noch enthalten, jedenfalls nicht für die Angebote außerhalb des Kerns klassischer Vollprogramme. Unionsrechtlich
ist zwar die Beschränkung auf eine weitgefasste, nur mehr qualitative
Beschreibung der Erforderlichkeit der Tätigkeit für die demokratischen,
sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft ausreichend. Allerdings
kommt es auf eine hinreichende Steuerungsdichte dieser qualitativen
Beschreibung dann eben auch an. Eine globale Beauftragung von linearen und
online-Inhalten ohne jede quantitative und qualitative nähere Eingrenzung
stünde mit den im Beihilfekompromiss mit Deutschland im Jahr 2007 zugrunde
gelegten Grundsätzen kaum in Einklang. Der Vorschlag, jedenfalls von den
Anstalten neu konzipierte Angebote,
die nicht explizit gesetzlich beauftragt sind, einem „Amsterdam-Test“
(Dreistufen-Test) innerhalb der Anstalten zu unterwerfen, kann diese Flanke
unionsrechtlich absichern, und zwar sowohl für lineare als auch für
nichtlineare Angebote.
Medienpolitik.net: Und wie ist es mit der Fokussierung? Haben Sie hier bedenken?
Cornils: Kaum zu bezweifeln dürfte sein, dass eine qualitativ-gegenständliche Begrenzung im Rundfunkstaatsvertrag und Gesetz durch thematischen Ausschluss bestimmter Inhalte (kein Sport, keine Unterhaltung) verfassungsrechtlich verboten ist. Insoweit ginge es auch nicht erst um eine nicht mehr gerechtfertigte Antastung der Programmautonomie, sondern um einen verfassungsrechtlich verbotenen Eingriff in den verfassungsrechtlichen Kernauftrag, also die Grundversorgung, zu der die Unterhaltung und auch der Sport unzweifelhaft gehören. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass das Bundesverfassungsgericht von diesen Festlegungen abrücken könnte. An einer Schwerpunktsetzung – also etwa einer programmatischen Betonung der Informationsfunktion in den Bereichen Bildung, Nachrichten, Kultur – ist der Gesetzgeber damit aber verfassungsrechtlich nicht zwingend gehindert. Allerdings steigt das Risiko der Verfassungswidrigkeit sicherlich mit der Bindungsintensität der gesetzlichen Festlegung: Bezifferte Quoten für Unterhaltung oder Sport im Verhältnis zu anderen Bereichen dürften kaum haltbar sein, schon weil die Grenze etwa zwischen der Unterhaltung einerseits und der Information oder Kultur kaum trennscharf zu ziehen ist. Aber eine allgemeine Schwerpunktvorgabe im Gesetz, die dann durch eine aufgewertete anstaltsinterne Programmsteuerung durch die pluralistischen Gremien gegenüber den Redaktionen zur Geltung gebracht werden könnte, erscheint vertretbar. Die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass eine Berichterstattung über herausragende Sportereignisse und dass Unterhaltung für die Informations- und Integrationsfunktion des Rundfunks „unerlässlich“ ist, sagt ja nichts darüber aus, in welchem Umfang dies der Fall sein muss. Und dass die Anstalten ohnehin gerade in Inhaltebereichen, die auch von privatwirtschaftlichen Anbietern übernommen werden können, schon nicht mehr umfassend und vollständig alle Inhalte selbst anbieten (Fußball!), ist offensichtlich; insofern gibt es längst eine gewisse Art von Arbeitsteilung mit dem privaten Sektor. Natürlich bedeutet dies keine strikte sektorale Aufgabenabgrenzung, aber es bedeutet doch die Möglichkeit und faktisch auch Notwendigkeit einer Auswahl und Schwerpunktbildung. Diese könnte auch stärker auf die besonderen vom Bundesverfassungsgericht in seiner jüngeren Rechtsprechung betonten Eigenrationalitäten der beiden Säulen des dualen Systems bezogen werden, also auf die jeweils besonderen Stärken. Es leuchtet nicht recht ein, weshalb der Gesetzgeber diese zwar nicht kategorische, aber doch Orientierung gebende, den besonderen Mehrwert des öffentlich-rechtlichen Rundfunk stärkende Fokussierung nicht jedenfalls durch eine allgemein gehaltene programmatische Leitlinie soll vorsteuern dürfen. Gleiches dürfte auch für nicht thematisch ausgerichtete, sondern qualitativ-modale Vorgaben gelten, die querschnitthaft die gesamte Inhaltegestaltung erfassen, also etwa die Akzentuierung eines besonderen öffentlich-rechtlichen Profils, wie sie der Rundfunkstaatsvertrag schon längst ansatzweise kennt.
Weitergehende, insbesondere definitivere Eingriffe in die inhaltliche Angebotsgestaltung dürften sich, wie schon bei den Programmgrundsätzen diskutiert, allerdings am verfassungsrechtlichen Grundsatz der Staatsferne brechen. Der staatliche Gesetzgeber ist, wie gezeigt, an konkreteren Programmgestaltungsvorgaben gehindert. Sollen gleichwohl Fokussierungs-Vorgaben zur Stärkung des „Markenkerns“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entwickelt werden, die über bloße Appelle an die Intendanten und Programmdirektoren hinausreichen, könnte aber durchaus erwogen werden, diese Vorgaben auf der Ebene der anstaltsinternen Gremienkontrolle zu institutionalisieren, dadurch also dem Intendantenprinzip eine stärkere planerische Steuerung durch die pluralistisch-staatsfernen Gremien entgegenzuhalten, und zwar sowohl in den Drei Stufen-Test-Verfahren als auch im Wege der laufenden Programmaufsicht.
Terminhinweis:
Mainz Media Forum am 5. April 2019: „Indexierung des Rundfunkbeitrags? Verfassungs-, unionsrechtliche und medienpolitische Implikationen“ . Es diskutieren auf dem Podium moderiert von Professor Dr. Matthias Cornils, Direktor des Mainzer Medieninstituts:
Dr. Heinz Fischer-Heidlberger, Vorsitzender der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF)
Professor Dr. Karl-Eberhard Hain, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Medienrecht an der Universität zu Köln
Professor Dr. Albrecht Hesse, Juristischer Direktor und stellvertretender Intendant des Bayerischen Rundfunks, Vorsitzender der Juristischen Kommission der ARD
Dr. Christoph Stieber, Stellvertretender Leiter der Abteilung Medien und Digitales, Staatskanzlei Rheinland-Pfalz