Guter Rat braucht viel Zeit

von am 07.06.2019 in Aktuelle Top Themen, Allgemein, Archiv, Medienordnung, Medienpolitik, Medienregulierung, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk

Guter Rat braucht viel Zeit
Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net

Keine Einigung über Auftrag und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

07.06.2019. Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net

Es war vernünftig, dass die Länder gestern eine Entscheidung über den künftigen Auftrag und die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vertagt haben. Noch besteht kein unmittelbarer Zeitdruck. Ab 2021 muss eine Neufestsetzung des Rundfunkbeitrages erfolgen. Sollten sich die Länder nicht rechtzeitig einigen, gilt der bestehende Staatsvertrag weiter. Die nächste Ministerpräsidentenkonferenz findet im September statt. Vorher soll es weitere Gespräche mit Experten und Vertretern des privaten Rundfunks geben.

Weitgehend einig sind sich die Länder in Grundsatzfragen: Die Festsetzung des Rundfunkbeitrages soll künftig auf der Basis der KEF-Berechnungen plus einer Berücksichtigung der jährlichen Inflationsrate erfolgen. Zudem soll es ein Budget geben, mit dem die Anstalten flexibler über die Ausgaben für Programm und Personal entscheiden können. Außerdem soll nur ein Teil der Angebote direkt beauftragt werden. So hatte die Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer im Mai gegenüber epd erklärt: „Wir waren in der Vergangenheit sehr kleinteilig bei der Beauftragung, was die Spartensender betrifft. Ich kann mir vorstellen, dass wir uns darauf verständigen, dass die großen Programme im Staatsvertrag klar abgebildet sind und man den Sendern die Möglichkeit gibt, über die Sparten flexibler zu entscheiden.“

Uneinigkeit besteht aber in zahlreichen konkreten Punkten, die letztendlich entscheidend sind, ob der nächste Rundfunkbeitragsstaatsvertrag auch verfassungs- und EU-Konform sein wird. So hatte Prof. Dr. Thomas Hirschle im April in einem Gutachten festgestellt, dass eine Vollindexierung des Rundfunkbeitrags verfassungs- und europarechtlich nicht zulässig sei. Anfang Mai äußerte bei den Mitteldeutschen Medientagen auch der KEF-Vorsitzende Heinz Fischer-Heidlberger erneut Zweifel gegenüber dem Indexmodell: „Zu glauben, man könne Beitragsstabilität durch eine Indexierung erreichen, das geht nicht“, so Fischer-Heidelberger. Außerdem passten die Berücksichtigung des Finanzbedarfs und ein Indexverfahren nicht zusammen. Entweder sei der Index zu hoch im Verhältnis zum Bedarf der Sender – oder es sei umgekehrt. „Dann wären die öffentlich-rechtlichen Anstalten unterfinanziert.“ Erst sollte das Bedarfsverfahren aufgegeben werden, jetzt soll es zusammen mit dem Indexverfahren laufen“, kritisierte der KEF-Vorsitzende diesen „Unsinn“.

Auch die rheinland-pfälzische Staatssekretärin Heike Raab ist dem Indexmodell gegenüber nach wie vor skeptisch: „Es wird kein Geld sparen, aber vielleicht Beruhigung in die politische Debattenlage bringen“, sagte sie in Leipzig.

Also weder die konkrete Ausgestaltung des Auftrages, noch das Prozedere für die Festsetzung eines Indexes, noch die Länge der Gebührenperiode, die möglicherweise von derzeit vier auf sechs Jahre gestreckt werden soll, stehen fest.

„Uneinigkeit besteht in zahlreichen konkreten Punkten, die letztendlich entscheidend sind, ob der nächste Rundfunkbeitragsstaatsvertrag verfassungs- und EU-Konform sein wird.“

Auch wenn die Finanzierung vor allem im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, ist sie doch vom Auftrag nicht zu trennen. Aber was bedeutet es konkret, wenn Malu Dreyer im Gespräch mit epd formuliert, dass im „Vordergrund des Auftrags, Information, Kultur, Bildung und Qualitätsjournalismus stehen“ sollen?  Nach der Vorstellung einiger Länder soll es künftig möglich sein, dass die Sender selbst entscheiden, einen Teil linear und einen Teil online zu gestalten oder auch Spartenkanäle einzustellen und „umzufunktionieren“. Heißt das, dass ARD und ZDF dann ohne Auftrag einen Nachrichtenkanal oder eine Nachrichtenplattform starten können? Darüber würden sich die privaten Veranstalter und Zeitungsverlage gewiss nicht freuen.

In einem Gespräch mit medienpolitik.net erläuterte Dirk Schrödter, Chef der Staatskanzlei des Landes Schleswig-Holstein, dass man überlege, „ob es einer Notifizierung durch die Länder bei neuen linearen Programmen bedarf und wie diese aussehen könnte. Eine Zustimmung der Länder im Sinne eines Staatsvertrages würde aber diesen Reformansatz vollständig obsolet machen. Dann brauchen wir die Reform gar nicht“, so Schrödter, der zu den Initiatoren des Indexmodells gehört.

Es sind also nicht nur einige „Details“ über die die Länder sich noch verständigen müssen. Letztendlich entscheidet die konkrete Umsetzung der Idee der „Flexibilisierung beim Auftrag und der Indexierung beim Beitrag“ darüber, ob sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk künftig auf einer verfassungsrechtlichen Basis entwickeln kann oder ob wieder einmal das Bundesverfassungsgericht über unsere Medienordnung entscheiden muss.

So verwundert es nicht, dass der VAUNET, der Verband privater Medien, begrüßt, dass sich die Länder „für die wichtigen Zukunftsfragen des Auftrags und der Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Zeit nehmen“. Die Zeit sollte nun genutzt werden, so der VAUNET um auch in einen intensiven Austausch mit den Privaten zu treten.

Für Tabea Rößner, Sprecherin für Netzpolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen, ist es unerfreulich, „dass das Gespenst der Indexierung nach wie vor im Raum steht.“ Notwendig sei jetzt eine breite und offene gesellschaftliche Debatte über den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und wie dieser fit fürs digitale Zeitalter gemacht werden könne.

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