30 Jahre Lokalradio in Nordrhein-Westfalen – und jetzt?

Der NRW-Radiomarkt steht vor einem gravierenden Umbruch
15.01.2020. Von Rechtsanwalt Helmut G. Bauer
Der lokale Hörfunk in Nordrhein-Westfalen (NRW) ist etwas Besonderes. Am 01. April 1990 startete mit Radio Duisburg das erste nach dem „Zwei-Säulen-Modell“ konstruierte Lokalradio. Es gestaltete acht Stunden Programm vor Ort und übernahm in der übrigen Zeit das Mantelprogramm von radio NRW. Kurz vor seinem 30. Geburtstag steht das System erstmals vor großen Herausforderungen. Im Rahmen einer Strategie „RADIO IN NRW 2022“ will die Landesregierung auf den Frequenzen von BFBS den nordrhein-westfälischen Radiomarkt bald für ein kommerzielles UKW-Programm, das Teile von NRW erreicht, öffnen. Zugleich will die Landesanstalt für Medien (LfM) Übertragungskapazitäten für landesweite und lokale Programme über DAB+ ausschreiben.
Im lokalen Hörfunk in NRW sind die wirtschaftliche Verantwortung und die publizistische Verantwortung zwischen zwei Organisationen aufgeteilt (Zwei-Säulen-Modell). Die publizistische Verantwortung, also die Programmverantwortung, trägt eine Veranstaltergemeinschaft. Sie ist als eingetragener Verein organisiert und besteht aus höchstens 23 Vertreterinnen und Vertretern gesellschaftlich relevanter Gruppen. Der Verein ist Arbeitgeber der journalistischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Für die wirtschaftliche Verantwortung, mithin die Finanzierung des Programms, ist eine Betriebsgesellschaft zuständig, die die Werbezeiten vermarktet. Bis zu 75 Prozent der Anteile an dieser Gesellschaft halten Tageszeitungsverlage des jeweiligen Verbreitungsgebietes. Die restlichen Anteile sind Kommunen vorbehalten.
Eine Besonderheit des Konstrukts ist, dass die Veranstaltergemeinschaften verpflichtet sind, täglich 60 Minuten ihrer Sendezeit lokalen Gruppen zur Verfügung zu stellen. Diese Gruppen sollen damit das lokale Informationsangebot ergänzen und Medienkompetenz erlangen. Ursprünglich konnte jeder, der im dem lokalen Verbreitungsgebiet wohnte, Sendezeit beanspruchen. Zur Absicherung des Lokalfunks wurden die UKW-Frequenzen so geplant, dass möglichst in allen 54 Kreisen und kreisfreien Städten ein Lokalradio realisiert werden konnte. Gegenwärtig gibt es 44 lokale Radiosender, weil in einigen Fällen ein Programm für zwei Kreise bzw. Städte veranstaltet wird bzw. in wenigen Kreisen kein Lokalradio existiert. Frequenzen für ein landesweites Programm standen bisher nicht zur Verfügung. Gemeinsame Klammer ist das Rahmenprogramm Radio NRW, das u.a. die nationale Werbung akquiriert, die stündlichen Nachrichten und zudem ganze Programmstunden liefert. Das Rahmenprogramm sorgt zudem für einen wirtschaftlichen Ausgleich zwischen den Lokalradios. Aus Solidarität mit anderen Lokalstationen verzichten Lokalradios in den großen Städten und in wirtschaftlich attraktiven Gebieten auf eigenständige 24-Stunden-Programme mit einem eigenen Format und auf eine eigene nationale Vermarktung. Nach dem Ausscheiden des WDR sind nur noch die nordrhein-westfälischen Tageszeitungsverlage und RTL Gesellschafter.
„Mit der Entscheidung über das UKW-Landesprogramm und die DAB+-Kapazitäten entscheidet die LfM über den zukünftigen Erfolg des Lokalfunks.“
Ist der lokale Rundfunk ein Erfolg? Betrachtet man die rund 1,6 Mio. Hörerinnen und Hörer in der durchschnittlichen Stunde, wird man dies eindeutig bejahen können. Dieser Erfolg spiegelt sich auch in den Werbeumsätzen der Betriebsgesellschaften und dem national erzielten jährlichen Brutto-Werbeumsatz von Radio NRW von rund 130 Mio. Euro wider. Zugleich muss aber die Frage erlaubt sein, ob diese Erfolge angesichts von 18. Mio. Einwohnern in NRW nicht auch eingetreten wären, wenn es keine Trennung in Veranstaltergemeinschaft und Betriebsgesellschaft gegeben hätte. Die entsprechenden Zahlen aus Bayern und Baden-Württemberg scheinen diese Interpretation zuzulassen. Die im Bayern Funkpaket zusammengeschlossenen Lokalradios erreichen in der Durchschnittsstunde rund eine Mio. Hörerinnen und Hörer (Mo-Fr) und erzielen zusammen mit Antenne Bayern einen jährlichen nationalen Bruttoumsatz von ca. 160 Mio. EUR. Der nationale Bruttoumsatz der lokalen und regionalen Sender in Baden-Württemberg beträgt im Jahr rund 120 Mio. EUR bei ca. 1,26 Mio. Hörerinnen und Hörern in der durchschnittlichen Stunde (Mo-Fr).
30 Jahre nach dem Start hat sich die Medienlandschaft auch in NRW einschneidend verändert. Die Auflagen der Tageszeitungen sinken unaufhaltsam weiter und die wirtschaftliche Basis der Verlage hat sich deutlich verschlechtert. Gleichzeitig hat die Pressekonzentration zugenommen, während sich die Meinungsmacht immer stärker ins Internet verlagert. Im Audio-Bereich gibt es im Internet für jeden die Möglichkeit, mit sehr geringem Aufwand ein eigenes Web-Radio zu veranstalten. Podcasts sind ein zusätzliches Angebot zum Hörfunk. Streamingdienste erlauben eine individuell konfigurierbare Musikauswahl. Smart Speaker erleichtern den Zugriff auf Musik, Nachrichten und andere Angebote des Internets. Angesichts der damit verbundenen Herausforderungen ist zu untersuchen, ob die Voraussetzungen, die zur Schaffung des NRW-Lokalfunksystems geführt haben, noch gegeben sind, und ob Veränderungen geboten sind, damit das Lokalradio im Wettbewerb bestehen kann.
Willy Brandt und der Lokalfunk
Das Zwei-Säulen-Modell ist ein Relikt des Kampfes um die Einführung privaten Rundfunks in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Während die CDU sich für die Zulassung privater Rundfunkveranstalter einsetzte, hatte sich die SPD lange Zeit gegen jede Form des kommerziellen Rundfunks gestellt.
Die Öffnung des Rundfunksystems für private Veranstalter hat ihren Ursprung in einer Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt am 18. Januar 1973, in der er einen Bericht über den Ausbau des technischen Kommunikationssystems ankündigte. Für den Rundfunk schlug die daraufhin eingesetzte „Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems“ 1976 die Durchführung von vier Kabelpilotprojekten vor, um neue Übertragungswege und neue Programme im Rundfunk zu erproben. Im terrestrischen Hörfunk und Fernsehen gab es damals keine freien Frequenzen. Im Jahr 1978 bestimmten die Ministerpräsidenten vier Pilotprojekte in Berlin, Dortmund, Mannheim/Ludwigshafen und München als Standorte zum Testen von Kabelfernsehen und -hörfunk. In Ludwigshafen, München und Berlin wurden Programme privater Fernseh- und Radioveranstalter zugelassen. Das Kabelpilotprojekt Dortmund wurde in der ausschließlich öffentlich-rechtlichen Trägerschaft des WDR durchgeführt, wobei jedoch neue private und öffentlich-rechtliche Programme aus anderen Pilotprojekten ins Kabel eingespeist wurden. Es startete am 1. Juni 1985 nach Ludwigshafen und München als drittes Pilotprojekt. Die Besonderheit war das über UKW ausgestrahlte lokale WDR-Hörfunkprogramm „Radio Dortmund“, das noch nach dem Ende des Pilotprojektes am 31. Mai 1988 bis Ende 1994 fortgeführt wurde.
Nachdem inzwischen mehr UKW-Spektrum für neue Programme ausgewiesen wurde, brachte ein Bundesparteitag im Mai 1984 die Wende bei der SPD. Die nordrhein-westfälische SPD setzte sich mit einem Antrag durch, neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen binnenplural verfassten lokalen Hörfunk einzuführen. Er sollte ein Gegengewicht zu den Monopolen der Zeitungsverlage bilden. In der sich anschließenden Diskussion in Nordrhein-Westfalen wurden unterschiedliche Modelle diskutiert. Ein Modell sah nach dem Vorbild des WDR die Einrichtung lokaler „öffentlich-rechtlich verfasster“ Radioveranstalter in jedem der 54 Kreise und kreisfreien Städte vor. Dabei sollten Medienräte der vor Ort gesellschaftlich relevanten Gruppen für das Programm verantwortlich sein. Die Finanzierung sollte über eine zusätzliche Rundfunkgebühr erfolgen. Da man davon ausging, dass nur in Ballungsräumen ein Lokalradio wirtschaftlich betrieben werden kann, gab es Überlegungen zur Einrichtung eines Rahmenprogramms. In der politischen Auseinandersetzung wurde schnell klar, dass ein solches System aus Mitteln der Rundfunkgebühr nicht finanzierbar ist.
„Das Zwei-Säulen-Modell ist ein Relikt des Kampfes um die Einführung privaten Rundfunks in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts.“
Zwei Jahre später legte die Staatskanzlei den ersten Referentenentwurf für ein Landesmediengesetz vor. Danach sollten Lokalradios an 54 Standorten entstehen. Medienräte nach dem Vorbild des Rundfunkrates des WDR sollten für das Programm verantwortlich sein. Die wirtschaftlichen und personellen Aufgaben sollten privaten Investoren vorbehalten sein. Ein Mantelprogramm zur Ergänzung der lokalen Programme sollte vom WDR oder einem genossenschaftlichen Verbund der Lokalradios produziert werden. Die Tageszeitungsverlage sollten aufgrund der Monopolsituation in vielen Gebieten weitgehend ausgeschlossen sein. Für mehr Meinungsvielfalt sollten 15 Prozent der täglichen Sendezeit Bürgerinnen und Bürgern für die Verbreitung ihrer Meinung zur Verfügung gestellt werden. Grundgedanken für diese Bestimmung waren die Radiotheorie von Bertolt Brecht, nach der jeder Zuhörer nicht nur hören, sondern selbst das Radio für seine Anliegen nutzen können sollte, und außerdem die Forderung aus der Studentenbewegung der 1960er Jahre nach einer „Gegenöffentlichkeit“. Im Kabelpilotprojekt Dortmund gab es dazu, wie heute noch in anderen Bundesländern, einen sogenannten „Offenen Kanal“, den jeder zur Verbreitung seiner Meinung nutzen konnte.
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens schlug der nordrhein-westfälische Verlegerverband VRWZ die Aufteilung des Lokalradios in eine Anbietergemeinschaft für das Programm und eine Betriebsgesellschaft für die Finanzierung vor. Die Zeitungsverlage sollten sich vorrangig mit bis zu 75 Prozent an den Betriebsgesellschaften beteiligen dürfen. Den restlichen Anteil sollten als Korrektiv die Kommunen bzw. Kreise halten. Durch dieses Modell sollte einerseits die lokale Presse gesichert, andererseits das Entstehen von publizistischen Doppelmonopolen verhindert werden. Dieser Vorschlag wurde von der SPD übernommen. Nach der Verabschiedung des Landesrundfunkgesetz 1988 klagte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf Betreiben der CDU-Landtagsfraktion vor dem Bundesverfassungsgericht. Sie hielt insbesondere das Zwei-Säulen-Modell und die 15 Prozent-Regelung für verfassungswidrig. Das höchste deutsche Gericht beurteilte im Jahr 1991 diese Bestimmungen jedoch als verfassungskonform.
Zustand des Lokalradiosystems
Trotz der großen Akzeptanz des Lokalfunks bei Hörerinnen und Hörern und der Werbewirtschaft stößt dieses Rundfunksystem weiterhin auf Skepsis. Insbesondere viele Radioveranstalter außerhalb von NRW verstehen noch immer nicht, dass sie keinen Zugang zu diesem attraktiven Hörermarkt haben. Aber auch intern werden regelmäßig Grundsatzdiskussionen geführt. Die meisten Tageszeitungsverlage haben noch immer nicht ihren Frieden mit dem System gemacht, weil sie nur über die Genehmigung der Wirtschaftspläne und die Einstellung und Entlassung des Chefredakteurs bzw. der Chefredakteurin auf die Lokalradios Einfluss nehmen können. Die Betriebsgesellschaften werden entlang der Verlagsgrenzen von Servicegesellschaften der Verlage gesteuert. Einige Verlage stellen hin und wieder die Notwendigkeit des Rahmenprogramms in Frage und denken darüber nach, sich aus dem System zu lösen oder wie man das Radiosystem verändern kann, insbesondere wenn sie die Programmaufwendungen mit Lokalradios außerhalb von NRW vergleichen. Erst vor kurzem haben sie ein Gutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Ergebnis gekommen sein soll, die Veranstaltergemeinschaft und die Betriebsgesellschaft zu verschmelzen und die ehrenamtlichen Mitglieder der Veranstaltergemeinschaft auf eine beratende Rolle zu beschränken. Bei vielen der ehrenamtlichen Mitglieder der Veranstaltergemeinschaft hat über die Jahre offensichtlich der Elan abgenommen, oft kümmert sich nur noch der Vorstand um die Belange der Redaktion.
Eine wichtige Funktion haben die Chefredakteurinnen bzw. Chefredakteure, die im Lokalfunk eher die Rolle von Stationsmanagern ausüben, weil sie sich neben den journalistischen Aufgaben auch mit Fragen der Unternehmensentwicklung beschäftigen. Sie bilden in der täglichen Arbeit das Scharnier zwischen Veranstaltergemeinschaft und Betriebsgesellschaft und haben sich zur „Dritten Säule“ entwickelt, ohne als solche formal anerkannt zu sein. Viele fordern eine größere Unabhängigkeit von dem Rahmenprogramm und haben ihr eigenes Programm schrittweise ausgeweitet.
„Mit einem landesweiten kommerziellen UKW-Programm und der Zuweisung von DAB+ Übertragungskapazitäten verändern sich die Spielregeln für den Lokalfunk.“
Farbe bekennen
Trotz aller Diskussionen und Differenzen sind sich alle Lokalfunk-Beteiligten darin einig, dass das System nicht für neue Radioveranstalter geöffnet werden soll. Deutlich wurde dies, als sich die Initiative „MEHR! Radio“, bisher erfolglos, für ein unabhängiges Lokalradio für Düsseldorf einsetzte oder als 2015 dem deutschtürkischen Radio Metropol FM elf leistungsschwache UKW-Sender zugewiesen wurden. Dagegen hat sofort die von den Verlegern gegründete Radiogesellschaft, die sich ebenfalls beworben hatte, erfolgreich geklagt.
Die CDU/FDP-Landesregierung hatte 2017 in ihrem Koalitionsvertrag Eckpunkte einer Gesamtstrategie „Radio in NRW 2022“ angekündigt, die sie am 29. November 2019 vorgestellt hat. Sie bekennt sich zu dem bestehenden Lokalfunk-Modell, das aber an wenigen Stellen geändert werden soll. Die Verlage sollen die Möglichkeit erhalten, alle Geschäftsanteile einer Betriebsgesellschaft zu übernehmen. Die Beiträge des Bürgerfunks sollen zukünftig als zusätzliches Element der lokalen Anbindung des Lokalfunks bei der Berechnung der gesetzlich bestimmten lokalen Sendezeit einbezogen werden. Von besonderer Bedeutung ist aber die Ankündigung, aus den UKW-Frequenzen des Senders BFBS der britischen Streitkräfte eine landesweite Senderkette zu bilden. Kriterien für die Vergabe sollen die lokale bzw. regionale Anbindung an redaktionelle Strukturen, sowie der Beitrag zum Erhalt des bestehenden Hörfunkangebots sein. Eine Vergabe an eine Gesellschaft der Tageszeitungsverlage ist damit vorprogrammiert. 2019 hat die LfM angekündigt, Übertragungskapazitäten für DAB+-Multiplexe auszuschreiben und das Verfahren zur Frequenzzuordnung zu starten. Nach dem Willen der LfM soll zunächst eine landesweite DAB+-Senderkette vergeben werden. Danach sollen fünf oder sechs regionale Bedeckungen ausgeschrieben werden. Schon bei dem Call for Interest hatte sich 2018 gezeigt, dass viele Radioveranstalter aus anderen Bundesländern interessiert sind, den Wettbewerb in NRW aufzunehmen. Von den Veranstaltergemeinschaften haben nur wenige ihr Interesse bekundet. Die meisten warten offenbar bis zur Ausschreibung, ob sie sich beteiligen. Eine Hörfunk-Servicegesellschaft hat Interesse angemeldet. Eine andere Sendergruppe hat erklärt, nicht über DAB+ senden zu wollen.
Spielregeln werden verändert
Seit seiner Verabschiedung wurde das Gesetz zwar mehrere Male novelliert, ohne dabei jedoch die prägenden Elemente des Zwei-Säulen-Modells und Bürgerfunks grundlegend zu verändern. Mit einem landesweiten kommerziellen UKW-Programm und der Zuweisung von DAB+ Übertragungskapazitäten verändern sich die Spielregeln für den Lokalfunk, weil sein Privileg des lokalen Funkmonopols entfällt. Es entsteht lokal und landesweit publizistischer Wettbewerb und Konkurrenz auf dem Werbemarkt. Die Diskussion über das neue fast landesweite UKW-Programm wird viele Akteure veranlassen, die Frage nach dem Sinn vieler Regelungen des Landesrundfunkgesetzes zu stellen. Insbesondere die Veranstaltergemeinschaften und Chefredakteurinnen und -redakteure werden unabhängig davon eine Beteiligung an der Programmformatierung einfordern. Grundsätzlich müssen die Landesregierung und der Landtag überprüfen, ob die Regelungen zwischen Veranstaltergemeinschaften und Betriebsgesellschaften geeignet sind, dass die Lokalradios im Wettbewerb mit Radioveranstaltern bestehen können, die keinen vergleichbaren Beschränkungen unterliegen.
Ein anderer Aspekt ist die Bindung der Veranstaltergemeinschaften an eine Betriebsgesellschaft eines Tageszeitungsverlages. Diese Verknüpfung gilt jedoch nur für das reichweitenstärkste Programm. Da nicht nach dem Verbreitungsmodus unterschieden wird, kann diese Verpflichtung plötzlich das DAB+ Programm treffen, wenn es eine größere Reichweite erreicht. Die UKW-Veranstaltergemeinschaft wäre dann frei, sich neu zu organisieren, sollte diese Bestimmung nicht verändert werden.
Ein anderes Thema sind die täglich 60 Minuten Sendezeit für den Bürgerfunk. Seit das Internet zum Alltag gehört und jeder ohne große Mühe sein eigenes Radioprogramm veranstalten kann, ist es kaum zu rechtfertigen, dass die Lokalradios Sendezeit für den Bürgerfunk bereitstellen müssen. Die Idee des Bürgerfunks als ein Element zum Erwerb von Medienkompetenz kann bei Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch verwirklicht werden, wenn die Ergebnisse im Internet und nicht im Programm der Lokalradios ausgestrahlt werden. Die Veranstaltergemeinschaften werden sich die Frage stellen, warum ihnen diese Verpflichtung auferlegt ist und nicht ihren lokalen Wettbewerbern. Die Unterscheidung damit zu rechtfertigen, dass die Lokalradios aufgrund der UKW-Ausstrahlung noch mehr Hörer erreichen, dürfte auf Dauer kaum ausreichen, wenn die DAB+-Reichweiten steigen. Länder wie Rheinland-Pfalz und Thüringen lösen dieses Thema über Offene Kanäle.
Mit der Ausschreibung der BFBS- UKW-Senderkette gewinnt Nordrhein-Westfalen Zeit beim Wechsel von der analogen zur digitalen Hörfunkverbreitung. Sie wird in den nächsten Monaten im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Die Veranstaltergemeinschaften, in deren Gebiet das Programm empfangen werden kann, stehen vor der Frage, wie sie inhaltlich auf das neue UKW-Programm reagieren. Der Lokalfunk insgesamt muss befürchten, dass sich das Programm negativ auf seine nationalen Werbeumsätze auswirkt. Das beeinflusst dann die Frage, ob ausreichend Mittel verfügbar sind, um das bestehende und vielleicht sogar neue Programme über DAB+ zu verbreiten. Die Antworten auf die vielen anstehenden Entscheidungen sind eine Herausforderung für die ehrenamtlich tätigen Mitglieder der Veranstaltergemeinschaft. Sie setzen ein umfassendes Wissen über die Entwicklung im Radio- und Audiomarkt voraus, um die damit verbundenen unternehmerisch strategischen Entscheidungen treffen zu können. Sie sind aber die Voraussetzung für die Gespräche mit der Betriebsgesellschaft über die weitere Ausrichtung des jeweiligen Lokalradios. Auch die Betriebs- bzw. Servicegesellschaften müssen sich positionieren. Sie könnten z.B. von der Möglichkeit Gebrauch machen, sich in wirtschaftlich unattraktiven Gebieten aus dem Lokalfunk zurückzuziehen und sich auf eine Beteiligung an dem neuen UKW-Programm beschränken oder auch eigene lokale DAB+-Programme veranstalten. Jeder Rückzug oder Wettbewerb im Lokalen würde den Konsens aufkündigen, der die Grundlage des Zwei-Säulen-Modell ist.
Eine zentrale Rolle im Hörfunk in NRW hat die LfM. Anders als Medienanstalten in anderen Bundesländern hat sie nicht nur die Rolle einer Lizenz- und Aufsichtsbehörde. Sie ist mit dafür verantwortlich, dass das System funktioniert. In der Vergangenheit hat sie viele Prozesse im Lokalfunk moderiert und dafür Sorge getragen, dass durch einen finanziellen Ausgleich zwischen den Stationen auch in wirtschaftlich weniger attraktiven Gebieten Lokalradio möglich ist.
Von großer Bedeutung ist die anstehende Entscheidung der LfM zur Ausgestaltung des DAB+ Sendernetzes. Entscheidet sie sich zunächst für die Ausschreibung der landesweiten DAB+-Übertragungskapazitäten, ist zu befürchten, dass die fünf oder sechs regionalen DAB+ Multiplexe für den Lokalfunk erblich teurerer werden, weil es nicht genügend Programme geben wird, um sie zu füllen und sich die Kosten zu teilen. Mischt man landesweite und lokale Programme in den regionalen Multiplexen, muss der Gesetzgeber entscheiden, ob es den landesweiten Programmen dann die Ausstrahlung lokaler Werbung untersagt. Er muss auch überlegen, zukünftig eine Lizenzverlängerung davon abhängig zu machen, dass das Lokalprogramm auch über DAB+ ausgestrahlt wird, um damit dem Lokalfunk den Weg in die digitale Zukunft zu ebnen. Die LfM hat sich in der Vergangenheit nur selten mit Fragen der Weiterqualifizierung der Mitglieder der Veranstaltergemeinschaften oder anderer Akteure im Lokalfunk beschäftigt. Das muss schnellstmöglich ausgeweitet werden. Angesichts der großen Verantwortung der Veranstaltergemeinschaften sollte auch überlegt werden, eine Weiterbildung für deren Mitglieder obligatorisch zu machen. Mit der Entscheidung über das UKW-Landesprogramm und die DAB+-Kapazitäten entscheidet die LfM über den zukünftigen Erfolg des Lokalfunks. In jedem Fall werden die anstehenden Entscheidungen das Zwei-Säulen-Modell auf eine Belastungsprobe stellen. Der Gesetzgeber muss die bestehende Regelungen überprüfen und der Entwicklung anpassen.
Helmut G. Bauer
Rechtsanwalt in Köln, Studium der Rechtswissenschaften, Publizistik, Politik und Ethnologie in Heidelberg und Mainz. Er war Justiziar und später Geschäftsführer des Kabelpilotprojektes Ludwigshafen und der erste Direktor der Landesmedienanstalt in Rheinland-Pfalz. Von 1989 – 1996 war er Gründungsgeschäftsführer der radio NRW GmbH. Er war anschließend Geschäftsführer in verschiedenen Medienunternehmen.In seiner Arbeit konzentriert er sich auf Fragen der Rundfunkinfrastruktur und auf neue Medientechnologien, insbesondere für den Hörfunk. Er berät auf nationaler und europäischer Ebene Hersteller und Nutzer drahtloser Produktionsmittel in Frequenzfragen.Bauer ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und war viele Jahre Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten.