Facebook’s Hausgericht
von Helmut Hartung am 14.04.2020 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Digitale Medien, Internet, Kommunikationswissenschaft, Medienwissenschaft, Netzpolitik, Social Media

Ein Oversight Board soll entscheiden, welche Inhalte verbreitet werden dürfen
14.04.2020. Von Prof. Dr. Otfried Jarren, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung Universität Zürich und Prof. Dr. Tobias Gostomzyk, Institut für Journalistik TU Dortmund
Facebook errichtet derzeit ein Quasi-Gericht. Es soll verbindlich darüber entscheiden, welche Inhalte auf dem sozialen Netzwerk verbreitet werden dürfen – und welche nicht. Verlieren staatliche Gerichte ihre Entscheidungskompetenzen in Fragen der Meinungsfreiheit? Facebook ist mit der katholischen Kirche vergleichbar: Das Unternehmen ist global tätig, wie die Weltkirche. Die Setzung von Gemeinschaftsstandards erfolgt zentral und hierarchisch, nicht in einem demokratischen Prozess.
Facebook vertritt eine Heilserwartung: Community und Vernetzung für alle, wir sind eine Gemeinschaft. Das führt zu Akzeptanz und es wird allgemein hingenommen, dass fast nur die Firma Geld mit den Nutzerdaten verdient. An der Spitze steht gleich einem Papst Mark Zuckerberg als Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzender. Doch die firmeneigene Rechtsetzung, so durch Gemeinschaftsstandards, kann – wie bei der Kirche – mit staatlichen Normen kollidieren. Das gefährdet die Strategie von Facebook: Das Geschäft soll global und einfach bleiben. Deshalb kommt der Ruf nach Regulierung aus Menlo Park; wohlwissend, dass sie im globalen Maßstab nicht gelingt. Also gibt Facebook einen Teil seiner Macht ab, indem es sich an Entscheidungen des Oversight Boards bindet – und damit die Verantwortung für unliebsame Entscheidungen über Rederegeln abgibt. Dann trägt ein Gericht die Verantwortung – Facebook ist außen vor.
Facebook etabliert ein privates Gericht. Es soll abschließend darüber bestimmen, welche Inhalte auf dem sozialen Netzwerk gepostet werden dürfen – und welche nicht. Anrufen kann es jeder, der mit der Löschung von eigenen Posts nicht einverstanden ist. Hierfür gilt eine Frist von 15 Tagen. Zudem kann das Unternehmen selbst Fälle vorlegen, die besonders schwierig oder von grundsätzlicher Bedeutung sind. Richtschnur für das Oversight Board sollen dabei Grundprinzipien der Menschenrechte sein. Hierzu gehören sowohl die Meinungsfreiheit als auch der Schutz der Privatsphäre. Die Entscheidungen des Quasi-Gerichts hat Facebook wiederum binnen sieben Tagen umzusetzen, wobei auch nicht bindende Empfehlungen denkbar sind. Mehr aber auch nicht.
„Facebook etabliert ein privates Gericht. Es soll abschließend darüber bestimmen, welche Inhalte auf dem sozialen Netzwerk gepostet werden dürfen – und welche nicht.“
Die Quasi-Richter des Oversight Boards werden für drei Jahre bestimmt und bezahlt. Man darf gespannt sein, inwiefern sich die externen Entscheider von ihrem Konzern emanzipieren. 130 Millionen US-Dollar stellt Facebook für die Startphase von sechs Jahren zur Verfügung. Zunächst sollen es elf Entscheider sein, später bis zu 40. Als Direktor des Boards wurde Thomas Hughes eingesetzt, vormals Direktor der britischen Menschenrechtsorganisation Article 19, die sich der Verteidigung und Förderung der Meinungs- und Informationsfreiheit widmet. Die ersten benannten Entscheider sollen dann – im Benehmen mit Facebook – die weiteren auswählen. Dabei sollen verschiedene Regionen wie Kanada, Europa oder Südasien personell vertreten sein. Entschieden wird in Panels, der fünf Quasi-Richter angehören, die nicht zwingend Juristen sein müssen.
Dieser Weg zeigt: Facebook steckt in einem Dilemma. Lange Zeit proklamierte das Unternehmen, allein ein Technologie-Konzern zu sein – und deshalb nicht für die Inhalte seiner Nutzer verantwortlich. Faktisch aber nahm Facebook immer schon Einfluss auf die Inhalte: Gemeinschaftsstandards und die damit verbundenen Rederegeln setzen der Meinungsfreiheit Grenzen. Algorithmen bestimmen, welche Inhalte wem angezeigt werden. Die Benutzeroberfläche des sozialen Netzwerks definiert Kommunikationsmöglichkeiten. Und letztlich ist diese Software die Basis des Geschäftsmodells: Es geht um die datengetriebene Erzielung von Aufmerksamkeit sowie um Bindung und Lock-In-Effekte, um möglichst effektiv personalisierte Werbung zu vermarkten. Auf- und Anreizendes soll ermöglicht und vermarktet werden. So verdient das Unternehmen Milliarden. Facebook definiert aber nicht nur Kommunikationsstandards. Als marktmächtiges soziales Netzwerk ist es zudem Treiber eines digitalen Öffentlichkeitswandels: Jedermann kann grundsätzlich Öffentlichkeit schaffen. Gruppen können sich bilden und untereinander ihre Kommunikation pflegen.
„Faktisch nahm Facebook immer schon Einfluss auf die Inhalte: Gemeinschaftsstandards und die damit verbundenen Rederegeln setzen der Meinungsfreiheit Grenzen.“
Damit einher gehen bisweilen Phänomene wie Hassrede und Fake News. Der Druck aus Politik und Gesellschaft ist inzwischen weltweit groß, dass Facebook hierfür Verantwortung übernehmen soll. Deshalb hat Facebook mit dem Oversight Board reagiert. Die Probleme des Boards liegen auf der Hand. Dem Quasi-Gericht fehlt die demokratische Legitimation – und sie ließe sich weltweit auch kaum herstellen, allenfalls über die Vereinten Nationen. Immerhin sollen Prinzipien der Menschenrechte Grundlage der Entscheidungen sein, die in westlichen Demokratien als Basisbestand an Rechten anerkannt sind. Allerdings können diese Prinzipien nicht für alle Staaten Geltung beanspruchen, in denen Facebook nutzbar ist. Überdies ist fraglich, inwiefern hier auf Besonderheiten von Rechtskreisen in Einzelfall-Entscheidungen eingegangen wird. Die Panels als Spruchkammer schlicht mit Vertretern verschiedener Regionen zu besetzen, reicht nicht aus. Vielmehr sind weltweit unterschiedliche Konzepte des Persönlichkeits-schutzes, aber auch der Meinungsfreiheit, zu beachten.
Was passiert, wenn Entscheidungen des Facebook Gerichtshofs in Widerspruch zu national geltendem Recht stehen? Werden sie dann etwa von Landgerichten in Berlin oder Hamburg einer eigenen Prüfung unterzogen, wie das bereits bei Lösch-Entscheidungen von Facebook der Fall ist? So gibt es in den Vereinigten Staaten keinen dem deutschen Recht vergleichbaren Beleidigungstatbestand oder ein Verbot der Verbreitung von Propagandamitteln. Oder anders gesagt: Die Zulässigkeit öffentlich zulässiger Äußerungen kann bekanntermaßen weiter oder enger sein. Das Problem weltweit Standards für Inhalte formulieren zu wollen, ist allein aus der ökonomischen Interessenlage von Facebook verständlich: Prozesse lassen sich kostengünstiger durchführen, wenn sie weltweit vereinheitlicht sind. Doch das widerspricht der sozialen wie kulturellen Vielfalt der Weltregionen. Hinzu kommt die Frage, welche rechtliche Verbindlichkeit Entscheidungen des Oversight Boards für Nutzer haben könnten. Werden sie künftig über Schiedsklauseln beim Anklicken der Nutzungsbestimmungen gültig, so dass sie die Entscheidungen des Oversight Bords wegen Ausschluss des Rechtswegs nicht mehr gerichtlich überprüfbar wären?
Es besteht letztlich das Risiko, dass die weltweite Standardisierung von Rederegeln durch ein Oversight Board zu Einschränkungen der Meinungsfreiheit führt. Deshalb: Die Mängel an Facebook’s Hausgericht sind bereits jetzt erkennbar. Es müsste die Vielfalt weltweiter Kommunikation und verschiedener Rechtsordnungen bereits berücksichtigenden, bevor es seine Arbeit begonnen hat. Dennoch: Das Gremium kann als eine Form der internen Kontrolle eingesetzt werden und für interne Transparenz wie Regeldebatten sorgen. Zugleich sollte dem Regulierungsbegehren von Facebook entsprochen werden, um über geeignete Formen der staatlichen Co-Regulierung nachzudenken. Schließlich lädt Facebook selbst mit dieser Initiative etwa die Europäische Union, aber wohl auch die Nationalstaaten zum Tätigwerden ein. Dieses Angebot sollte man annehmen. Denn neben allen problematischen Vorkommnissen: Social Media stellen generell eine kommunikative Bereicherung dar. Welche netzwerkgerechten Kommunikationsnormen und -regeln hier gelten sollen, gilt es daher allgemein und öffentlich zu verhandeln – und nicht exklusiv von einem Hausgericht.