„Förderer und Sender dürfen nicht in eine Schockstarre verfallen“

von am 06.04.2020 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Filmwirtschaft, Kreativwirtschaft, Kulturpolitik, Medienförderung, Medienwirtschaft

„Förderer und Sender dürfen nicht in eine Schockstarre verfallen“
Dr. Christoph Palmer, Geschäftsführer der Produzentenallianz

Produzentenallianz verlangt Aufstockung der Fördermittel aus den Bundes- und Länderhaushalten

06.04.2020. Interview mit Dr. Christoph E. Palmer, Geschäftsführer der Produzentenallianz

Alle Förderer und die Sender dürften jetzt nicht in eine Schockstarre verfallen, sondern Einreichtermine für Förderungen und Kommissionssitzungen sollten weiter entsprechend der bisherigen Terminierungen beibehalten werden, betont der Geschäftsführer der Produzentenallianz in einem promedia-Interview. Dr. Christoph E. Palmer fordert unter anderem, dass die Fördermittel aus den Bundes- und Länderhaushalten „entschieden aufgestockt“ würden und eine Erhöhung der Förderintensität etwa des DFFF von derzeit 20/25 Prozent auf 35 Prozent erfolge. Auch eine vorübergehende Erhöhung des Etats der FFA aus Haushaltsmitteln, um die fortbestehende Funktionsfähigkeit der FFA zu ermöglichen, sollte kein Tabu sein. Die Lage der Unternehmen sei oft sehr unterschiedlich und komplex, analysiert Palmer. Für viele stelle der Produktionsstillstand eine existenzielle Bedrohung dar. Regelmäßig wird das Geld, das bei einer Produktion verdient werde gleich ins nächste Projekt gesteckt. Das funktioniere nun nicht mehr und stellt die Branche in allen Genres vor große Probleme.

medienpolitik.net: Herr Palmer, was macht Ihnen in Bezug auf die Situation der Filmproduzenten gegenwärtig die meisten Sorgen?

Palmer: Mit Blick auf die Gesamtsituation ist meine große Sorge, dass die Film- und Fernsehproduktionswirtschaft durch die Corona-Krise nachhaltig Schaden nimmt. Dies wäre – auch vor dem Hintergrund des globalen Wettbewerbs – eine fatale Entwicklung, die die Kreativwirtschaft Deutschlands um Jahre zurückwerfen könnte. Jetzt gilt es zu verhindern, dass kreative und leistungsfähige Produktionsunternehmen mit den wirtschaftlichen Risiken umfassender Produktionsstopps aufgrund des Corona-Virus alleingelassen werden. Die Branche muss jetzt mit ausreichend Liquidität ausgestattet werden, damit sie dieser Krise standhält. Deshalb setzen wir als Produzentenallianz all unsere Kräfte dafür ein mit Partnern, Sendern, Förderern und Politik an Maßnahmen zu arbeiten, die es ermöglichen, die Branche weitgehend unbeschadet durch diese beispiellose Krise zu manövrieren.

medienpolitik.net: Es finden nach wie vor in Deutschland TV- oder Kinoproduktionen statt, TV-Sender entwickeln neue Formate. Ist die Lage der Branche doch nicht so ernst, wie es vor einigen Tagen den Anschein hatte?

Palmer: Richtig ist, dass es Produktionen gibt, die allein im Studio hergestellt und unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen weiter produziert werden können. Eine solche Sicherheitsmaßnahme ist beispielsweise, dass Drehbuchautoren für täglich produzierte Serien Szenen umschreiben, um eine enge Körpernähe der Protagonisten zu umgehen. Zudem werden aktuell Formate erprobt, die in Zeiten des sogenannten „Social Distancing“ eine Umsetzung einfacher machen. Dies sind etwa Produktionen mit sehr eingeschränkter Crew-Anzahl oder auch Home-Formate direkt aus dem Wohnzimmer. Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass diese Formate bekannte, und zumeist aufwendige Film- oder Fernsehproduktionen ersetzen können. Und genau hier liegt das Problem: Kino- und Fernsehfilme, Serien, factual Entertainment oder Dokumentationen, die etwa darauf angewiesen sind an öffentlichen Orten gedreht zu werden, sind größtenteils zum Erliegen gekommen. Die Lage der Unternehmen ist oft sehr unterschiedlich und komplex. Für viele stellt dieser Stillstand eine existenzielle Bedrohung dar. Regelmäßig wird das Geld, das bei einer Produktion verdient wird gleich ins nächste Projekt gesteckt. Das funktioniert nun nicht mehr und stellt die Branche in allen Genres vor große Probleme.

„Die Branche muss jetzt mit ausreichend Liquidität ausgestattet werden, damit sie dieser Krise standhält.“

medienpolitik.net: Der Bund, die FFA und die Länderförderer haben ein gemeinsames Hilfspaket für die Filmwirtschaft beschlossen. Inwieweit deckt jetzt dieses Paket Ihre Erwartungen und Forderungen an eine schnelle Hilfe für die Produzenten ab?

Palmer: Wir müssen bei allen Maßnahmen, die von der Politik und staatlichen und halbstaatlichen Institutionen wie den Förderern zwischen einer Soforthilfe und der Unterstützung beim Wiedereinstieg in eine Zeit nach der akuten Krise unterscheiden. Insofern war es ein starkes Zeichen, als das Präsidium der FFA schon wenige Tage nach dem Ausbruch der Krise alle bei ihr verfügbaren Rücklagen und damit EUR 7,5 Mio. Euro zur Bewältigung der Krise für den Nothilfefonds zur Verfügung stellte. Inzwischen haben die Länderförderer nachgezogen und sich wohl auch die BKM am Nothilfefonds beteiligt. Ob die damit zur Verfügung stehenden 15 Mio. Euro allerdings reichen, um die Mehrkosten der abgebrochenen und verschobenen Produktionen aufzufangen, erscheint durchaus als nicht gesichert. Wir hatten insoweit eine Aufstockung des Nothilfefonds auf 30 Mio. Euro gefordert. Darüber hinaus fallen mit der Verschiebung der Dreharbeiten für die Produzent*innen aber auch zur kurzfristigen Existenzsicherung der Firmen erforderliche Kostendeckungsbeiträge weg, die durch fällige Raten der Abnehmer und der Förderer hätten generiert werden können. Hier bleibt abzuwarten, in welchem Umfang durch vorgezogene Freigaben von Raten eine Entlastung geschaffen werden kann. Hier könnte auch der von der SPIO gesondert geforderte Stützungsfonds audiovisuelle Medien Entlastung bringen.

medienpolitik.net: Diese Hilfen beziehen sich bei Produktionen auf bereits beschlossene Förderprojekte. Aber Produktionen benötigen einen Vorlauf für Drehbuch, Drehvorbereitung, Casting usw., die möglicherweise auch eingeschränkt werden. Wer hilft hier?

Palmer: Ja, die Frage nach der Zeit danach beschäftigt uns zunehmend, da vorhandene Mittel teilweise in die Soforthilfe umgewidmet werden und z.B. die Mittel der FFA wegen des Ausfalls der Zahlungen der Kinos dramatisch zurückgehen werden. Hier bedarf es einer entschiedenen Aufstockung der Mittel aus den Bundes- und Länderhaushalten und eine Erhöhung der Förderintensität etwa des DFFF von derzeit 20/25 Prozent auf 35 Prozent. Auch eine vorübergehende Erhöhung des Etats der FFA aus Haushaltsmitteln, um die fortbestehende Funktionsfähigkeit der FFA zu ermöglichen, sollte kein Tabu sein. Wichtig erscheint uns auch, dass jetzt nicht alle Förderer und die Sender in eine Schockstarre verfallen, sondern Einreichtermine und Kommissionssitzungen weiter entsprechend der bisherigen Terminierungen beibehalten werden.

medienpolitik.net: Sollen also trotz der erschwerten Bedingungen weiterhin Förderentscheidungen getroffen werden?

Palmer: Unbedingt. Wenn wir – hoffentlich in absehbarer Zeit – diese Krise überwunden haben und wieder in den Normalbetrieb übergehen, ist es wichtig, dass der Branchenmotor wieder schnell anlaufen kann. Deshalb sollten Fördersitzungen und -entscheidungen auch jetzt turnusmäßig stattfinden. Schließlich sind Filmproduktionen mit langwierigen Prozessen verbunden. Förderentscheidungen auf Eis zu legen, würde bedeuten, dass Filmprojekte aufgrund ihrer hohen Vorlaufzeit kaum mehr zeitnah nach der Krise in die Umsetzung gehen können. Das wäre ein falsches Signal. Schließlich gibt es auf allen Seiten ein großes Interesse, die Filmproduktion schnell wieder anzukurbeln, um dem Publikum nach der Krise schnell neue Inhalte anbieten zu können.

„Wichtig ist, dass alle verfügbaren Mittel für den Content aufgewandt werden sollten.“

medienpolitik.net: Sie haben mit den TV-Sendern eine Übernahme der Mehrkosten von 50 Prozent beschlossen. Viele Produzenten – vor allem kleinere – bemängeln, dass das zu wenig sei. Werden die Gespräche fortgesetzt?

Palmer: Als sich zeigte, dass die Lage der Film- und Fernsehbranche durch die Verbreitung des Covis-19 Virus unter erheblichen Druck gerät, sind wir dazu umgehend mit den Sendern in den Dialog gegangen. Die angesprochene Übernahme der Mehrkosten von 50 Prozent ist ein Ergebnis aus diesen ersten Gesprächen mit ARD und ZDF und aus unserer Sicht als ein wichtiges Entgegenkommen zu bewerten. Natürlich bleibt die Produzentenallianz fortlaufend im engen Austausch mit den Sendern. Dass diese Gespräche auch weiterhin Ergebnisse erzielen, zeigen die letzten Tage. So hat das ZDF jüngst angekündigt, Produzenten ab sofort Liquiditätshilfen zur Verfügung zu stellen. Hierfür hat der Sender im Rahmen der bestehenden Haushaltsansätze einen Fonds von bis zu 15 Millionen Euro gebildet. Die Intendantinnen und Intendanten der ARD-Landesrundfunkanstalten und die ARD-Degeto haben sich ihrerseits dazu verständigt, die Mehrkosten, die den Produzentinnen und Produzenten durch die tariflich festgelegte Aufstockung der Gagen bei Kurzarbeit entstehen, zu erweitern.

medienpolitik.net: Die öffentlich-rechtlichen Sender sparen in diesem Jahr Geld durch den Wegfall von Sportgroßereignissen und anderen Events. Haben Sie die Erwartung, dass nicht genutzte Beitragsmittel nicht in die Rücklage fließen, sondern für zusätzliche Kinokoproduktionen und TV-Produktionen verwendet werden?

Palmer: Genaue Zahlen kennt derzeit niemand. Ich weiß allerdings, dass die Beitragsprognosen zu Beginn des Jahres 2020 sicher einer gründlichen Überprüfung bedürfen. Privathaushalte werden in erheblichem Umfang Befreiungsanträge stellen so wie Firmen, deren Geschäftsmodell in der Krise ins Wanken geraten ist. Die Werbeeinnahmen bei den Privaten wie bei den öffentlich-rechtlichen Sendern sind zudem derzeit schwierig auf das ganze Jahr zu prognostizieren. Und in den Landtagen von Sachsen und Sachsen-Anhalt sehe ich die Annahme des Beitragsvorschlags der KEF für die Periode ab 2021 noch keinesfalls als gesichert an. Die Situation ist äußerst volatil. Wichtig ist allerdings, dass alle verfügbaren Mittel für den Content aufgewandt werden sollten. Gerade in Corona Zeiten sind die linearen und nicht linearen Angebote der Sender sehr nachgefragt und es ist wichtig, dass sie ein ebenso anspruchsvolles wie unterhaltsames und abwechslungsreiches Sendeschema beibehalten.

medienpolitik.net: Was erwarten Sie von den privaten Sendern?

Palmer: Auch die privaten Sender bemühen sich nach Kräften in Zusammenarbeit mit der Produktionswirtschaft zu helfen. Sie haben substantielles Entgegenkommen und auch die Mit-Übernahme Corona-bedingter Mehrkosten zugesagt. Wir befinden uns in einem guten Dialog insbesondere mit RTL und ProSiebenSat.1 zu allen aktuellen Fragen, die das gegenseitige Verhältnis betreffen. Unsere Erwartung ist, dass die Partnerschaft sich auch in der Krise als stabil erweist und wir mit einem gemeinsamen Verständnis für die jeweiligen Probleme des anderen zu guten Ergebnissen gelangen.

„Das Kino soll und wird der Premium Platz für die Präsentation von Kinofilmen bleiben.“

medienpolitik.net: Alle Bundesländer – jüngst NRW – haben ein umfangreiches Hilfsprogramm für die Wirtschaft, darunter auch für klein- und mittelständische Betriebe gestartet. Inwieweit können die Produzenten davon profitieren?

Palmer: Die von den Bundesländern umgesetzten Soforthilfe-Programme sind für viele der kleinen und mittleren Produktionsfirmen unserer Branche ein wichtiger „Rettungsanker“ um im Strudel der jetzt auflaufenden Zahlungsverpflichtungen nicht unterzugehen. Wir begrüßen, dass entschieden wurde, die Soforthilfen zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz in Form von Zuschüssen auszuzahlen. Das kann gerade kleinen Firmen helfen, zumindest einen Großteil der laufenden Betriebskosten wie Mieten oder ähnliches kurzfristig zu begleichen. Ebenso sind die an die Corona-Krise angepassten Liquiditätshilfen des Bundes zu begrüßen, die über die bestehenden KfW-Programme „Unternehmerkredit“ und „ERP-Gründerkredit“ erfreulich rasch umgesetzt wurden und sich ausdrücklich an kleine und mittlere Unternehmen bis hin zu Freiberuflern richten. Wir verbinden damit die Erwartung, dass durch die angekündigte vereinfachte Risikoprüfung und die höhere Haftungsfreistellung von bis zu 90 Prozent durch die KfW gerade die kleinen und mittleren Produktionsfirmen, die durch die Corona-Krise in finanzielle Schieflage geraten sind, jetzt schnell die dringend für die weitere Liquiditätsplanung benötigten Mittel von ihren Hausbanken ausgereicht bekommen.

medienpolitik.net: Die Kinos sind geschlossen. Viele fertigen Filme können nicht gezeigt werden. Sollten die Regel für die Auswertungsfenster gelockert werden, damit diese Filme auch ohne Kinopremiere im Fernsehen oder über VoD-Plattformen gezeigt werden?

Palmer: Das muss von Fall zu Fall beurteilt werden. Natürlich brauchen die Kinos dann, wenn sie wieder spielen können, attraktive Filme, um einen erfolgreichen Restart hinlegen zu können. Andererseits spricht man ja schon von einer absoluten Verstopfung der Kinos nach der Neueröffnung, da jetzt eine große Anzahl von Premieren verschoben wurden. Damit wäre weder den Kinos, noch den Verleihern und Produzenten gedient. Hier wird man individuelle und auf jeden einzelnen film abgestimmte Lösungen finden müssen. X-Filme und der HDF haben ja jetzt für den Film „Die Känguru-Chroniken“ einen interessanten Lösungsweg gefunden, bei dem auch die Kinos an den Erlösen aus der vorzeitigen Streaming-Verwertung beteiligt werden. Das ist ein sehr innovativer Schritt und es verdient unsere Anerkennung, wie flexibel sich hier alle Beteiligte gezeigt haben. Für diese ganz besondere Situation müssen – und wie man sieht können auch – außergewöhnliche Lösungen gefunden werden. Das ändert aber nichts daran, dass das Kino der Premium Platz für die Präsentation von Kinofilmen bleiben soll und bleiben wird.

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