„Das Gießkannenprinzip wird uns nicht weiterhelfen“

Bündnis 90/Die Grünen fordern bundesweit einheitliche Regelungen zur Systemrelevanz des Journalismus
15.07.2020. Interview mit Margit Stumpp, MdB, Sprecherin für Bildungs- und Medienpolitik & Expertin für digitale Infrastruktur der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Bündnis 90/Die Grünen kritisieren weiterhin die vom Bundestag beschlossene Bereitstellung von 220 Mio. Euro für die Presseförderung. „Es werden Tatsachen geschaffen“ so Margit Stumpp, „ohne dass die anderen Fraktionen im Bundestag die Möglichkeit haben, sich inhaltlich dazu zu positionieren. Dieses Vorgehen ist bezeichnend für die Planlosigkeit der Koalition in der Medienpolitik und schadet dem Vertrauen der Öffentlichkeit in die Politik insgesamt.“ Bei einem so wichtigen Thema wie der Medienförderung gehöre nach dem Demokratieverständnis von Bündnis 90 /Die Grünen das Parlament eingebunden. Es sei schlechter Stil, eine solch hohe Summe ohne vorherige Ankündigung, geschweige denn einer Debatte in den zuständigen Fachausschüssen im Nachtragshaushalt zu beschließen, betont die Sprecherin für Bildungs- und Medienpolitik der Bundestagsfraktion. Das Gießkannenprinzip helfe nicht weiter, so Stumpp. Ein unkompliziertes Mittel zur Stärkung der Medienvielfalt sei die Anerkennung von Non-Profit-Journalismus als gemeinnützig in der Abgabenordnung. Dies sei eine weitere Möglichkeit, neben den privaten und den öffentlich-rechtlichen Medien gesellschaftlich wertvollen Journalismus staatsfern zu fördern.
medienpolitik.net: Frau Stumpp, Sie haben vehement die vom Bundestag beschlossenen Bereitstellung von 220 Mio. Euro für die Presseförderung kritisiert. Ging es Ihnen vor allem um den Stil, wie diese Entscheidung zustande kam oder auch um die Zielsetzung?
Stumpp: Die Zustellförderung ist ein falscher Ansatz, um Medienvielfalt und Qualitätsjournalismus zu sichern. Von Beginn an habe ich kritisiert, dass damit ausschließlich Direktzustellung von Papier unterstützt werden soll, die nichts dazu beiträgt, der staatlichen Verpflichtung zur Sicherung der Medienvielfalt nachzukommen. Diese Kritik hat offenbar gefruchtet. Die reine Zustellförderung scheint obsolet. Offenbar ist die Koalition auch nicht mehr von der reinen Presseförderung überzeugt. Denn selbst wenn man nur Infrastruktur in den Fokus nimmt, bleiben Radio, und TV über Funk und Kabel außen vor. Wichtig ist mir, dass wir als Politik die Rahmenbedingungen für guten Journalismus verbessern und unsere Medienlandschaft noch vielfältiger machen. Besonders die Medienkonzentration auf lokaler und regionaler Ebene schadet öffentlichen Meinungsbildungsprozessen und damit unserer Demokratie. Darüber herrscht ja mittlerweile Konsens über fast alle Parteigrenzen hinweg. Wie aber guter Lokal- und Regionaljournalismus in Zukunft noch erhalten bleiben soll: Davon haben wir im Bundestag bisher noch nicht viel von der Koalition gehört. Gerade deswegen ist das Vorgehen der Koalitionsfraktionen von Union und SPD heftig zu kritisieren. Denn bei einem so wichtigen Thema wie der Medienförderung gehört nach unserem Demokratieverständnis das Parlament eingebunden. Es ist einfach schlechter Stil, eine solch hohe Summe ohne vorherige Ankündigung, geschweige denn einer Debatte in den zuständigen Fachausschüssen im Nachtragshaushalt zu beschließen.
medienpolitik.net: Sie sprechen von einer „Planlosigkeit der Koalition in der Medienpolitik“. Was veranlasst Sie zu dieser pauschalen Aussage?
Stumpp: Die Koalition hat beschlossen, 220 Millionen Euro für die Presseförderung auszugeben ohne ein Konzept zu haben. Im November 2019 hat die Koalition 40 Millionen Euro für eine Zustellförderung beschlossen, auch ohne ein Konzept. Aus diesem Grund haben sich die Fraktionen darauf geeinigt, die Mittel zu sperren und sie erst freizugeben, sobald die Bundesregierung dem Bundestag ein Konzept vorlegt. Jetzt geht es noch mal um deutlich mehr Geld, aber diesmal wurden die Mittel nicht gesperrt. Union und SPD beschließen also eine dreistellige Millionensumme auszugeben ohne zu wissen, wie das Wirtschaftsministerium die Presseförderung überhaupt ausgestalten wird.
„Union und SPD beschließen eine dreistellige Millionensumme auszugeben ohne zu wissen, wie das Wirtschaftsministerium die Presseförderung überhaupt ausgestalten wird.“
medienpolitik.net: Kritiker dieser 220 Mio. Euro verweisen auf die dadurch mögliche Gefahr einer staatlichen Einflussnahme auf die Presse. Teilen Sie diese Befürchtungen?
Stumpp: Dieses Argument spielt in allen Diskussionen um die Medienförderung eine berechtigte Rolle. Es ist ein gutes Zeichen, dass uns das Prinzip der Staatsferne in Deutschland so wichtig ist. Das ist historisch bedingt und nach wie vor wichtig. Das sehen wir leider auch an Entwicklungen im europäischen Umfeld. Es lässt sich zum jetzigen Stand nicht beurteilen, ob die Befürchtungen im Falle der beschlossenen Presseförderung berechtigt sind, denn wir wissen ja noch nicht, wie die Koalition die Presse fördern möchte. Falls die Mittel für digitale Innovationen vorgesehen sein sollten, begrüßen wir das. Auch wenn sich eine direkte Förderung von Inhalten verbietet, würde ich mir wünschen, dass das Förderkonzept vor allem von den Bedürfnissen der Journalistinnen und Journalisten her gedacht wird. Ohne gut ausgebildete Journalistinnen und Journalisten und ohne gut ausgestattete Redaktionen gibt es auch keinen guten Journalismus. Die Zukunft der Zeitungen und Zeitschriften hängt davon ab, ob professioneller und seriöser Journalismus ihr Kern bleibt. Und diese Art von Journalismus, den die Menschen gerade unter den jetzigen Umständen und hoffentlich auch in der Zukunft schätzen, muss ordentlich bezahlt werden.
medienpolitik.net: Sie haben in der Vergangenheit auch die Zustellförderung von 40 Millionen Euro kritisiert, die jetzt anscheinend vom Tisch ist. Warum?
Stumpp: Es gibt Berichte darüber, dass ein wohl nicht unwesentlicher Teil der Koalitionsfraktionen nicht von dem Modell der Zustellförderung überzeugt war. Abgesehen davon, dass die Postzustellung nie thematisiert wurde, gab es von vielen Seiten deutliche Kritik an diesem Ansatz. Auch ich habe kritisiert, dass damit falsche Anreize gesetzt werden, weil die gedruckte Zeitung oder Zeitschrift zunehmend durch digitale Formate abgelöst wird. Wenn wir die Beschleunigung der digitalen Transformation der Medienbranche als Ziel haben, können wir nicht den Transport von Papier fördern. Unabhängig von der Sinnhaftigkeit der Zustellförderung sind auch 40 Millionen Euro ein Tropfen auf den heißen Stein. Es freut mich, dass unsere Kritik in den Reihen der Koalition auf fruchtbaren Boden gefallen ist.
medienpolitik.net: Besteht Ihrer Meinung nach keine Notwendigkeit, die Medien angesichts der Ausfälle während der Corona-Pandemie speziell zu fördern?
Stumpp: Gute Berichterstattung ist gerade in einer Krise wesentlich. Deswegen haben wir schon früh gefordert, Medien befristet bis Ende des Jahres Mittel für die Infrastruktur- und Verbreitungskosten bereitzustellen (https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/corona/pdf/200507-autorinnenpapier-corona-medien.pdf). Außerdem braucht es bundesweit einheitliche Regelungen zur Systemrelevanz des Journalismus und es muss sichergestellt sein, dass im Rahmen der Soforthilfe ein monatlicher Pauschalbetrag in Höhe der Pfändungsfreigrenze von 1.180 Euro zur Deckung des Lebensunterhalts genutzt werden kann.
„Ein relativ unkompliziertes Mittel zur Stärkung der Medienvielfalt ist die Anerkennung von Non-Profit-Journalismus als gemeinnützig in der Abgabenordnung.“
medienpolitik.net: Wie sollte eine Förderung der Medienvielfalt erfolgen?
Stumpp: Staatsfern, medienübergreifend, mittelfristig angelegt und an Bedingungen geknüpft, die Medien und Journalismus sowohl zukunftsfähig machen als auch die Qualität sichern. Es ist nicht einfach, eine staatsferne und trotzdem zielgerichtete Förderung auf die Beine zu stellen. Das Gießkannenprinzip wird uns nicht weiterhelfen. Auch wir als Grüne Bundestagsfraktion arbeiten intensiv an Lösungen. Ein relativ unkompliziertes Mittel zur Stärkung der Medienvielfalt ist die Anerkennung von Non-Profit-Journalismus als gemeinnützig in der Abgabenordnung. Diese indirekte Förderung ist ein einfacher und unbürokratischer Weg, neben den privaten und den öffentlich-rechtlichen Medien eine weitere Möglichkeit des gesellschaftlich wertvollen Journalismus staatsfern zu fördern. In der von der Bundesregierung angekündigten Reform des Gemeinnützigkeitsrechts sollte das mitgedacht werden.
medienpolitik.net: Welche Medien sollten vor allem gefördert werden?
Stumpp: In dieser Frage sollte nicht nach Ausspielwegen unterschieden werden. Es braucht eine medienübergreifende Förderung. Denn guten Journalismus gibt es nicht nur in Zeitungen und Zeitschriften, sondern auch im Fernsehen, im Radio und Online. Der Bund ist zuständig für die Presse, die Länder für den Rundfunk: Diese Zuständigkeiten müssen natürlich eingehalten werden, das ist klar. Es braucht aber eine engere Abstimmung und Zusammenarbeit, wie sie in Form der Bund-Länder-Kommission für Medienkonvergenz schon einmal bestand. Dahin müssen wir zurück. Das Ziel muss es sein, in zehn Jahren in der Breite mehr Qualität im Journalismus und eine mindestens genauso vielfältige Medienlandschaft wie heute zu haben.