Im Schatten der Pressefreiheit: die Rundfunkfreiheit

von am 21.09.2020 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Journalismus, Medienrecht, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Rundfunk, Verlage

Im Schatten der Pressefreiheit: die Rundfunkfreiheit
Dr. Ortlieb Fliedner, Rechtsanwalt

Rundfunkjournalisten berufen sich zu oft auf die Pressefreiheit

21.09.2020. Von Dr. Ortlieb Fliedner, Rechtsanwalt

Bei Dreharbeiten für die ZDF-Satire-Sendung „heute show“ wurde das Team von Unbekannten angegriffen und fünf Teammitglieder wurden verletzt. Der Programmdirektor des ZDF, Norbert Himmler, verurteilte den Angriff mit dem Satz. Die Pressefreiheit sei ein hohes Gut. Und die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse von ARD, ZDF und Deutschlandradio sprach von einem „Schlag gegen die Presse- und Meinungsfreiheit“. Die Rundfunkjournalistin Dunja Hayali, die für das ZDF über eine Corana-Demonstration berichten sollte und wegen aggressiven Verhaltens von Teilnehmern den Dreh abbrechen musste, sprach in einem Interview über diese Ereignisse nur davon, dass die Pressefreiheit von den Demonstrationsteilnehmern mit Füßen getreten würde. Journalisten und Medienvertreter scheinen bei solchen Angriffen nur die Pressefreiheit zu kennen. Dabei gibt es seit über 70 Jahren neben der Pressefreiheit auch eine Rundfunkfreiheit, die in Artikel 5 unseres Grundgesetzes verankert ist und zu den essentiellen Grundwerten unserer Demokratie gehört.

Der Inhalt der Pressefreiheit

Presse- und Rundfunkfreiheit decken sich, soweit es darum geht, staatliche Einflüsse auf die Inhalte und Programme der Presse und des Rundfunks abzuwehren. Darüber hinaus bestehen aber zwischen beiden Grundrechten fundamentale Unterschiede.

Für die Presse gilt der sogenannte Tendenzschutz, das heißt, dass der Verleger eine publizistische Tendenz festlegen kann, der sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterordnen müssen. Konkret bedeutet dies, dass ein Presseunternehmen seine redaktionellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Zugehörigkeit zu Glaubensgemeinschaften oder politische Präferenzen auswählen kann. Fallen diese Voraussetzungen bei dem Einzelnen weg, kann ihm sogar gekündigt werden.

Zwar ist eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse Wesensmerkmal eines freiheitlichen Staates, wie das Bundesverfassungsgericht im Spiegelurteil (BVerfGE 20, 162) feststellte. Die einzelnen Presseorgane dürfen jedoch durchaus einseitig berichten und sind nicht zur Verteidigung der Demokratie verpflichtet. Im Rahmen der Meinungsfreiheit können sie sogar rechtsextremes Gedankengut verbreiten und indirekt dazu beitragen, die Demokratie zu schwächen.

Die Rundfunkfreiheit unterscheidet sich wesentlich von der Pressefreiheit

Demgegenüber steht die Rundfunkfreiheit. Sie ist vor allem eine dienende Freiheit, die den für die Demokratie notwendigen Prozess der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung ermöglichen und schützen soll. Auf dieser Grundlage hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung Inhalt und Konsequenzen der Rundfunkfreiheit ausbuchstabiert.

Im Urteil vom 5.2. 1991 (WDR-Urteil; BVerfGE 83, 238) heißt es beispielhaft: „Zwar entfaltet das Grundrecht der Rundfunkfreiheit seinen Schutz auch und zuerst gegenüber dem Staat. Daneben bedarf es jedoch einer positiven Ordnung, die sicherstellt, dass der Rundfunk ebensowenig wie dem Staat einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert wird, sondern die Vielfalt der Themen und Meinungen aufnimmt und wiedergibt, die in der Gesellschaft insgesamt eine Rolle spielen. Zu diesem Zweck sind materielle, organisatorische und prozedurale Regelungen notwendig.“

Der entscheidende Unterschied zwischen Pressefreiheit und Rundfunkfreiheit besteht demgemäß darin, dass die Presse ihre für die Demokratie wichtige Funktion nach den Regeln des Marktes ausübt, während für den Rundfunk   der Gesetzgeber eine positive Ordnung gestalten muss, die geeignet ist, die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung zu gewährleisten.

Verpflichtung zur Vermittlung und Verteidigung der Grundwerte des Grundgesetzes

Dieser Verpflichtung sind die zuständigen Bundesländer u.a. im Rundfunkstaatsvertrag, in den Landesmediengesetzen und den spezifischen Regelungen für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nachgekommen.

§ 3 Absatz 1 Satz 1 und 2 des Rundfunkstaatsvertrages, Vorschriften die für alle Rundfunkveranstalter gelten, lauten: „Die in der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF), das Deutschlandradio und alle Veranstalter bundesweit verbreiteter Rundfunkprogramme haben in ihren Angeboten die Würde des Menschen zu achten und zu schützen; die sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung sind zu achten. Die Angebote sollen dazu beitragen, die Achtung vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit, vor Glauben und Meinungen anderer zu stärken.“

Den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten werden in ihren Gesetzen noch zusätzliche Verpflichtungen auferlegt. Beispielhaft sei hier § 5 Abs. 4 des WDR-Gesetzes angeführt: „Der WDR soll die internationale Verständigung, die europäische Integration, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, ein diskriminierungsfreies Miteinander in Bund und Ländern und die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern fördern, zum Frieden und zur sozialen Gerechtigkeit mahnen, die demokratischen Freiheiten verteidigen und der Wahrheit verpflichtet sein.“

Journalistinnen und Journalisten in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind also eine Reihe von Verpflichtungen auferlegt, nämlich wesentliche Grundwerte unserer Verfassung zu vermitteln, zu fördern und zu schützen, kurz: die Demokratie zu verteidigen.

Darüber hinaus ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk verpflichtet, die verschiedenen in der Gesellschaft bestehenden Meinung in ihrer Breite und Bedeutung darzustellen, um dem Einzelnen eine unverfälschte Grundlage für die eigene Meinungsbildung zu geben.

So heißt es z.B. in § 4 des WDR-Gesetzes: (2) Der WDR hat in seinen Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Die Angebote haben der Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Der WDR hat Beiträge zur Kultur und Kunst anzubieten. Das Programm soll das friedliche und gleichberechtigte Miteinander der Menschen unterschiedlicher Kulturen und Sprachen im Land fördern und diese Vielfalt in konstruktiver Form abbilden.

(3) Im Programm soll der regionalen Gliederung, der kulturellen Vielfalt des Sendegebiets, dem Prozess der europäischen Integration und den Belangen der Bevölkerung einschließlich der im Sendegebiet lebenden Menschen mit Migrationshintergrund Rechnung getragen werden

Mangelnde Vermittlung der Bedeutung öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Demokratie

Mit diesen Verpflichtungen hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk in unserer Demokratie ein Alleinstellungsmerkmal unter allen Medien, nämlich einerseits das gesellschaftliche und politische Leben in seiner Vielfalt abzubilden und zum anderen die Grundwerte unserer Verfassung aktiv zu vermitteln und zu schützen.

Wenn die im Rundfunk Tätigen bei Angriffen auf ihre Programmarbeit sich nicht auf die Rundfunkfreiheit, sondern nur auf die Pressefreiheit berufen, vermitteln sie ein vollkommen falsches Bild von ihrem Programmauftrag.

Sie verschweigen, dass sie nicht einseitig und mit einer bestimmten Tendenz Programm machen wie es Presseorgane auf Grund der Pressefreiheit dürfen.

Sie verschweigen, dass die Rundfunkfreiheit eine Freiheit ist, die dem Meinungsbildungsprozess zu dienen und ihn zu ermöglichen hat und dass allein dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk diese Verpflichtung von Verfassung wegen auferlegt ist.

Und sie verschweigen, dass sie die Aufgabe haben, die Grundwerte unserer Demokratie aktiv zu fördern, zu schützen und zu verteidigen haben.

Die Bedeutung der Rundfunkfreiheit muss in der Gesellschaft verankert werden!

Angesichts dieses Verschweigens der Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Demokratie und seiner Alleinstellung: Ist es da verwunderlich, dass die Verankerung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Gesellschaft sehr gering ausgeprägt ist? Dass die zahlreichen Angriffe oder Diffamierungen als Staatsfunk keinen Aufschrei in der Gesellschaft hervorrufen und dass trotz anderslautender Lippenbekenntnisse von manchen Politikern unverhohlen unzulässige  Beschränkungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gefordert werden, wie sich gerade wieder in der Debatte um die Erhöhung des Rundfunkbeitrages zeigt?

Nach über 70 Jahren Grundgesetz ist es wirklich Zeit, die Rundfunkfreiheit in ihrer besonderen Bedeutung für die Demokratie gegenüber der Pressefreiheit ins richtige Licht zu rücken. Dies umso mehr, als verstärkt Angriffe gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von politischen und gesellschaftlichen Kräften kommen, bei denen keineswegs sicher ist, dass sie noch auf dem Boden unserer Verfassung stehen. Die in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Tätigen sind deshalb aufgefordert, sich bei Angriffen nicht auf die Pressefreiheit, sondern auf die Rundfunkfreiheit zu berufen, die allein den Rahmen für ihre Tätigkeit bildet und sie dabei von Verfassung wegen beschützt.

Print article