„Das rechnet sich nur für prestigeträchtige Mainstreamfilme“

Streamingplattformen sind für Arthouse-Filme keine Alternative zum Kino
19.11.2020. Interview mit Jakob D. Weydemann, Produzent, Geschäftsführer Weydemann Bros. GmbH
Der Kinofilm „Systemsprenger“ vom Produzenten Weydemann Bros. war die Spielfilmentdeckung des vergangenen Jahres und wurde achtmal mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. In diesem Jahr hat das Team um die Gebrüder Weydemann auch unter erschwerten Corona-Bedingungen zwei Filme fertig gestellt. Wann Sie allerdings auf der großen Leinwand zu sehen sind, sei ungewiss. Für Jakob D. Weydemann ist es essentiell wichtig, dass die Filme schnell ins Kino kommen, denn die Realisierung eines Nachfolgeprojektes hänge unter anderem wesentlich vom Erfolg des vorherigen Projektes ab. Risikofonds des Bundes verschaffe endlich „die notwendige Sicherheit“. Die Branche sei im Sommer in der schizophrenen Situation, gewesen, dass es Hygienekonzepte sowohl für die Dreharbeiten als auch für Kinos gab und dennoch viele Produktionsfirmen nicht gedreht hätten, weil das Risiko eines Abbruchs für sie zu groß war. Seine Arthousefilme kurzfristig auf ein Streamingportal zu stellen, halte er für problematisch, da alle Finanzierungspartner zustimmen müssten. Das würde sich nur für große prestigeträchtige Mainstreamfilme und in Einzelfällen rechnen.
medienpolitik.net: Herr Weydemann, Sie haben in diesem Jahr zwei Kinofilme gedreht. War es schwieriger als vor Corona?
Weydemann: Ja. Bei dem Film „Ivie wie Ivie“ mussten wir die Dreharbeiten verschieben, denn ein zweiter Drehblock sollte ursprünglich im April stattfinden. Durch den Lockdown war das aber unmöglich. Der Film handelt von zwei afrodeutsche Halbschwestern, die sich nie kannten, sich über den Tod ihres gemeinsamen Vaters nähern, so ihre Wurzeln suchen und sich selbst finden. Im Juli konnten wir mit einem entsprechenden Hygienekonzept drehen. Da der Film in Co-Produktion mit dem ZDF entstand, kamen wir unter deren Hilfsschirm und auch die Mitteldeutsche Medienförderung, die das Projekt förderte, übernahm einen Teil der zusätzlichen Kosten. Der zweite Kinofilm „Niemand ist bei den Kälbern“ war von vornherein für den Sommer geplant. Er spielt in Nordwestmecklenburg und schildert den Ausbruch einer jungen Frau aus der Enge ihres Dorfes und ihrer Beziehung. Wir haben lange überlegt, ob wir das Risiko eingehen sollen, da der Ausfallfonds noch nicht gestartet war und wir hofften, dass er so schnell wie möglich nach Drehbeginn in Kraft treten würde. Er kam aber erst Mitte September, als wir schon fast fertig waren.
medienpolitik.net: Welche Belastungen, abgesehen vom Hygienekonzept, brachten die Dreharbeiten beider Filme für Sie?
Weydemann: Wir hatten durch die Hygienemaßnahmen und wöchentliche Coronatests für das gesamte Team erhebliche Mehrkosten, die von den Co-produzierenden TV-Sendern, dem ZDF und dem WDR, entsprechend ihres Finanzierungsanteils, mitgetragen worden sind. Auch die Förderer haben hier mitgezogen und einen Teil der zusätzlichen Kosten übernommen. Außerdem haben wir einen Teil der Referenzmittel, die wir für unseren erfolgreichen Film „Systemsprenger“ erhalten haben, eingesetzt, um das Budget anzupassen.
medienpolitik.net: Wann kommen beide Filme ins Kino?
Weydemann: Der Start ist für das nächste Jahr geplant. Ein genauer Termin existiert aber noch nicht, weil heute keiner weiß, wie sich die Situation der Kinos in den nächsten Monaten entwickeln wird und die Verleiher im Moment nur sehr grob planen können.
„Für die gesamte Branche sind diese Ausfallfonds absolut essentiell um am Laufen zu bleiben.“
medienpolitik.net: Wie wichtig ist es auch für Ihre nächsten Projekte, dass beide Filme möglichst schnell ins Kino kommen?
Weydemann: Das ist für uns essentiellwichtig,denn wir produzieren vor allem Kinofilme. Die Realisierung eines Nachfolgeprojektes hängt unter anderem wesentlich vom Erfolg des vorherigen Projektes ab. Es sind dabei nicht nur die Kinoeinnahmen, die uns fehlen, auch Festivals finden ja teilweise nicht oder nur in eingeschränktem Rahmen statt. Diese sind aber notwendig, damit unsere Art von Filmen eine große Aufmerksamkeit erhalten. Das gilt auch für das Team, denn wir arbeiten sehr viel mit jungen Regisseurinnen und Regisseuren zusammen, für deren Filme der Auswertungserfolg und die Aufmerksamkeit der Branche umso wichtiger sind, um gemeinsam ein Nachfolgeprojekt in Angriff nehmen zu können.
medienpolitik.net: Haben Sie darüber nachgedacht, Ihre Filme zuerst auf einem Streamingportal anzubieten?
Weydemann: Bei den Filmen, die für das Kino gedacht und finanziert sind bisher nicht. Auch bei uns war zum Beispiel der Kinderfilm „Zu weit weg“ von der ersten Welle der Kinoschließungen betroffen. Dieser Film hatte auf Festivals sehr viele Preise gewonnen. Am 12. März hatte er Kinostart und zwei Tage später schlossen nacheinander in den Ländern die Lichtspielhäuser. Natürlich ist es unser vorrangiges Interesse, Filme die als Kinofilme konzipiert sind, auch auf der großen Leinwand zu zeigen. Einen solchen Film dann statt des Kinostarts kurzfristig auf ein Streamingportal zu stellen ist auch nicht so einfach: Es müssten alle Finanzierungspartner zustimmen. So sind mit den Fernsehanstalten entsprechende Senderechte vereinbart und die Filmförderer haben ihre Mittel an einen Kinostart gebunden. Eine Streamingplattform müsste dann ja eigentlich mindestens das gesamte Herstellungsbudget aufbringen, um den Film zu refinanzieren. Nach meiner Meinung und das bestätigen die Meldungen der letzten Wochen, rechnet sich das nur für große prestigeträchtige Mainstreamfilme und in Einzelfällen. Aber für die Mehrheit der Kinofilme, für die Branche insgesamt, wird eine Streamingplattform das Kino nicht ersetzen können, weder finanziell noch inhaltlich. Trotzdem freue ich mich andererseits natürlich, dass es die Streamingplattformen gibt, als neuen und sehr bereichernden Player auf dem Markt, der spannende Inhalte und Auswertungsmöglichkeiten bietet.
medienpolitik.net: Sie haben im Februar für „Systemsprenger“ acht Deutsche Filmpreise, dazu unzählige weitere nationale und internationale Preise, erhalten. Wie motivierend ist ein solcher Preis? Wie stark beeinflusst er Ihre Arbeit?
Weydemann: Ein solcherErfolg ist natürlich sehr motivierend für die nächsten Projekte. Es ist eine große Wertschätzung der Arbeit eines großen Teams. Zudem tragen solche Preise auch zu einer größeren Resonanz an der Kinokasse bei. So haben wir mit „Systemsprenger“ fast 650.000 Besucher erreicht, viel mehr als erhofft. Auch wenn wir in erster Linie Arthouse-Kino produzieren, möchten wir damit natürlich immer auch viele Zuschauer ansprechen und dass das mit einem solchen schwierigen Thema möglich ist, macht einen schon ein wenig Stolz.
medienpolitik.net: Wenn Sie nach einem solchen Erfolg mit den Filmförderern über neue Projekte sprechen, werden Ihre Drehbücher und Förderwünsche „durchgewinkt“?
Weydemann: Nein, das wäre zu schön! Dazu ist unsere Förderlandschaft auch zu kleinteilig und man muss bei jedem neuen Film immer mehrere Partner zusammenbringen. Vernünftigerweise richtet sich deren Blick in erster Linie auf das neue Projekt, auf dessen Qualität und Relevanz für den Zuschauer. Sicher hilft eine solche Anerkennung dabei, mal einen schwierigeren Stoff durchzusetzen, aber einen Erfolgsbonus gibt es nicht. Wir fangen bei jedem Film immer wieder von vorn an, mögliche Partner von der Attraktivität des neuen Stoffes zu überzeugen.
medienpolitik.net: Wie lange hat es bei „Systemsprenger“ von der Idee bis zum Start auf der Leinwand gebraucht?
Weydemann: Norah Fingscheidt, die Drehbuchautorin und Regisseurin war noch Studentin, als sie die Idee hatte. Insgesamt hat es sechs Jahre gedauert, bis sie das Drehbuch, durch aufwendige Recherchen, entwickelt hatte, die Finanzierung zusammengestellt war und wir drehen konnten und dann noch ein Jahr bis zur Premiere auf der Berlinale. Das ist für einen Debutfilm mit einem sehr anspruchsvollen Thema keine ungewöhnliche Zeitspanne. Die Förderung war nicht ganz einfach und es hat auch längere Zeit gedauert, bis wir einen Verleih gefunden hatten. Doch der Film hat letztlich bewiesen, dass es sich für die Partner und den Verleih gelohnt hat, das Risiko einzugehen und manche vermeintlich leichten Stoffe, weniger Publikum finden. Das ist auch eine wichtige Bestätigung für unsere Arbeit, dass eine oberflächliche Beurteilung nach „gefällig“ und „weniger gefällig“ in der Kunst keinen Sinn ergibt: Es kommt immer darauf an, einen emotionalen, packenden, spannenden Film zu erzählen. Ob das eine Komödie oder Drama ist, ist für den Zuschauer zweitrangig. Er möchte vom Inhalt und der Umsetzung angesprochen und in den Bann gezogen werden. Zu oft werden die Zuschauer unterschätzt. Sie sind durchaus bereit, sich auch von schwierigen Erzählungen mitreißen zu lassen.
„Zu oft werden die Zuschauer unterschätzt. Sie sind durchaus bereit, sich auch von schwierigen Erzählungen mitreißen zu lassen.“
medienpolitik.net: Lassen Sie uns auf das nächste Jahr schauen. Werden Sie wieder drehen?
Weydemann: Aber ja, wir möchten neue Filme drehen. Wie viele es werden, lässt sich jetzt noch nicht sagen, da wir uns bei den vier geplanten Projekten, die bereits teilweise finanziert sind, noch in weiteren Finanzierungsgesprächen befinden. Es sieht aber gut aus.
medienpolitik.net: Wann sollen die ersten Dreharbeiten beginnen?
Weydemann: Im Moment planen wir einen Drehstart für den März oder April.
medienpolitik.net: Auch, wenn die Corona-Pandemie weiter anhält?
Weydemann: Wir haben für unsere Dreharbeiten in diesem Jahr sehr gute Konzepte entwickelt und umgesetzt, haben uns dazu auch mit anderen Produzenten und Produzentinnen und in den Verbänden sowie mit der BG ETEM ausgetauscht und denken, dass sie sicher funktionieren. So wurde das ganze Team jede Woche getestet, wir haben auf Abstand geachtet usw. Deshalb hoffe ich, dass im nächsten Jahr, auch bei weiterhin coronabedingten Beschränkungen, die Dreharbeiten möglich sind.
medienpolitik.net: Es gibt den Risikofonds vom BKM. Bringt er Ihnen bei dieser Entscheidung mehr Sicherheit?
Weydemann: Er verschafft uns die notwendige Sicherheit. Die Branche war im Sommer in der schizophrenen Situation, dass es Hygienekonzepte sowohl für die Dreharbeiten als auch für Kinos gab und dennoch viele Produktionsfirmen nicht gedreht haben, weil das Risiko eines Abbruchs für sie zu groß war. Wenn sich der Hauptdarsteller oder die Regisseurin beispielsweise den Fuß verstaucht, kommt die Versicherung für die Kosten einer Drehverschiebung auf, aber wenn die selbe Drehverschiebung aufgrund einer Coronainfektion im Team eintritt, standen wir ohne Risikoschutz da. Das kann kleinere Produktionsfirmen, aber selbst die größeren, sehr schnell in Existenznot bringen. Der Abbruch eines Projektes kann zur Insolvenz führen, da die Eigenkapitaldecke bei den meisten mittelständischen Unternehmen viel zu gering ist, um das auszugleichen. Zum Glück gibt es jetzt den Ausfallfonds für Kinoproduktionen und sieht so aus, als wenn auch der für die Fernsehproduktionen endlich steht und die Risikolücke geschlossen ist. Für die gesamte Branche sind diese Ausfallfonds absolut essentiell um am Laufen zu bleiben.
Jakob D. Weydemann – Produzent
Jakob D. Weydemann wurde in Hamburg geboren und hat in Mailand gelebt, wo er seinen Zivildienst geleistet hat. Er studierte Politikwissenschaften und hat am CECC in Barcelona ein Regiestudium absolviert. Er ist Alumni von: Ateliers du Cinéma Européen (ACE), Sarajevo Young Producers Programme, Do- cumentary Campus Masterschool, Entertainment Masterclass und der ‚International Producing Class‘ der Internationalen Filmschule Köln (ifs). Jakob Weydemann ist Gewinner des Gerd-Ruge-Stipendiums und Mitglied des ACE Produ- cers Network, der Deutschen Filmakademie und der European Film Academy.