„Ein Ausfallfonds ist für zahlreiche Produzenten existentiell“

von am 09.11.2020 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Filmwirtschaft, Kreativwirtschaft, Medienförderung, Medienwirtschaft, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk

„Ein Ausfallfonds ist für zahlreiche Produzenten existentiell“
Barbara Thielen, Produzentin, Geschäftsführerin Ziegler Film Köln
barbara thielen zieglerfilm mai 2016 berlin

Viele Fernsehproduktion können nur mit großen Risiko und höherem Aufwand realisiert werden

09.11.2020.Interview mit Barbara Thielen, Produzentin, Geschäftsführerin Ziegler Film Köln

Das Risiko für Filmproduzenten, Dreharbeiten abzubrechen oder unterbrechen zu müssen ist mit steigenden Corona-Infektionszahlen wieder größer geworden. Doch selbst, wenn am Set gearbeitet werden kann, ist von „planmäßig“ keine Rede. Wie Barbara Thielen, Geschäftsführerin Ziegler Film Köln in einem medienpolitik.net-Interview schildert, waren die Drehpläne von einem Tag auf den anderen, Makulatur. „Das vergangene halbe Jahr war dreimal so anstrengend, wie üblicherweise: Die Planung, inklusive Schauspieler, Technik, Location usw. musste in kurzer Zeit neu erstellt werden und die Hygienekonzepte waren zu erarbeiten.“ Über die veränderten finanziellen Konditionen, einschließlich eines Ausgleichs für die zusätzlichen Kosten, wurde parallel mit den Sendern verhandelt. Aus Sorge vor einer möglichen Durchseuchung am Drehort werden bei ihren Produktionen, zu denen die TV-Serien  „Lena Lorenz“ und der „Amsterdam Krimi“ gehören, alle Teammitglieder getestet. Ein Ausfallfonds für Fernsehproduktionen sei, so Thielen, für viele mittelständische Produktionsfirmen „existentiell“, denn die meisten hätten keine große Eigenkapitaldecke, die es ihnen erlaube, Projektausfälle und zusätzliche Kosten selbst zu schultern.

medienpolitik.net: Frau Thielen, welche Konsequenzen hat der aktuelle Lockdown für Ihre Projekte?

Thielen: Der gegenwärtige Lockdown hataußer den „üblichen“ Beschränkungen und Hygieneauflagen keine weiteren Konsequenzen. Wir drehen gegenwärtig in Berchtesgaden, in Bayern, die Serie „Lena Lorenz“, aber wir können im Gegensatz zum Frühjahr immer noch arbeiten. Beim ersten Lockdown hatten wir Glück im Unglück, dass die Projekte zwar verschoben aber nie abgesagt worden sind.

medienpolitik.net: In Berchtesgaden gab es vor wenigen Wochen den ersten totalen Lockdown in Bayern. Gab es für die Dreharbeiten spezielle Auflagen des Gesundheitsamtes?

Thielen: Ziegler Film hat, seitdem das Drehen im Frühjahr wieder möglich war, sehr strenge Schutzmaßnahmen durchgesetzt. Wir sind sogar noch etwas konsequenter als es die Richtlinien der Berufsgenossenschaft BG ETEM vorsehen. So lassen wir das gesamte Team – nicht nur die Schauspieler – alle drei bis vier Tage testen und können so alle Kontakte nachweisen, wenn jemand positiv getestet wird. Wir mussten unser Konzept natürlich vom Gesundheitsamt in Berchtesgaden genehmigen lassen. Einige Motive und Handlungsabläufe haben wir der Situation angepasst, zum Beispiel die geplanten Dreharbeiten im Gefängnis, das hat aber zu keinen Verzögerungen geführt. Da wir uns um größtmögliche Sicherheit bemühen, hoffe ich, dass wir die Dreharbeiten bis Ende des Monats coronafrei zu Ende bringen können.

medienpolitik.net: Gab es im Team Bedenken, die Dreharbeiten in Berchtesgaden fortzusetzen?

Thielen: Nein, durch das stringente Hygienekonzept fühlen sich die Teammitarbeiter relativ sicher. Angesichts der für die Branche auch unsicheren wirtschaftlichen Situation, wollen natürlich alle die Produktion erfolgreich abschließen.

medienpolitik.net: Es soll bereits wieder Drehabbrüche und Unterbrechungen geben. Sind Ihnen solche Drehstopps bekannt?

Thielen: Ja, ich weiß von solchen Problemen, vor allem aber bei Produktionen, die im Ausland gedreht werden sollten und diese sind abgebrochen oder verschoben worden.

„Da wir uns um größtmögliche Sicherheit bemühen, hoffe ich, dass wir die Dreharbeiten coronafrei zu Ende bringen können.“

medienpolitik.net: Wie sind für Sie die Monate seit März gelaufen?

Thielen: Wir musstenseit Anfang März alles schieben. Unsere schönen Drehpläne waren von einem Tag auf den anderen, Makulatur. Das vergangene halbe Jahr war dreimal so anstrengend, wie üblicherweise: Die Planung, inklusive Schauspieler, Technik, Location usw. musste in kurzer Zeit neu erstellt werden und die Hygienekonzepte waren zu erarbeiten. Über die veränderten finanziellen Konditionen, einschließlich eines Ausgleichs für die zusätzlichen Kosten, haben wir parallel mit den Sendern verhandelt. Auch das Team musste motiviert werden, weiter zu machen. So haben sich einige, die vorher bei anderen Produktionsfirmen gearbeitet hatten, zunächst über die regelmäßigen Tests beschwert. Später haben sie dann gefragt, wann der nächste Test erfolge, da sie gemerkt haben, dass es ihnen eine größere Sicherheit gab.

medienpolitik.net: Die Dreharbeiten für den „Amsterdam Krimi“ ruhen gegenwärtig?

Thielen: Zum Glück waren für dieses Jahr keine Dreharbeiten geplant, sondern wir entwickeln gegenwärtig die nächsten Folgen und hoffen in 2021 drehen zu können.

medienpolitik.net: Sie sprachen die finanziellen Unwägbarkeiten an. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hatte recht schnell die Corona-Hilfe beschlossen. Unter anderem wurden 50 Prozent der zusätzlichen Kosten übernommen. Lief das problemlos?

Thielen: Diese Zusagen waren natürlich eine große Hilfe und die Produzentenallianz hatte sich von Anfang an in Verhandlungen mit den Sendern um einen finanziellen Ausgleich bemüht. Ich war selbst bei einigen Telefonkonferenzen dabei und weiß, dass es nicht ganz einfach war, eine schnelle Lösung zu finden. ARD und ZDF haben die zusätzlichen Kosten für die Hygienekonzepte übernommen. Beim ZDF sind wir durch die Verschiebung unter den „Rettungsschirm“ gekommen, bei der ARD leider nicht, so dass wir keinen Ausgleich bekommen hätten, hätten wir abbrechen müssen. Doch selbst der Rettungsschirm war für kleine und mittelständige Produzenten problematisch, da sie 50 Prozent der Zusatzkosten selbst tragen mussten. Glücklicherweise waren wir davon nicht betroffen. 

medienpolitik.net: Was ist beim Drehen unter Corona-Bedingungen die größte Belastung?

Thielen: Es ist das Zusammenspiel vieler außergewöhnlicher Bedingungen und die Ungewissheit, ob die Dreharbeiten weitgehend planmäßig abgeschlossen werden können. Die Tests waren anfangs gewöhnungsbedürftig und die Einhaltung der Abstandsregeln war schwierig. Schauspieler agieren sehr körperbetont und wollen die Partner auch berühren, so dass ein Abstand von einem oder zwei Metern das Zusammenspiel nicht erleichtert. Auch für die Beleuchter, die mit Maske bei großer Hitze sehr schwere Technik bewegen mussten, ergaben sich zusätzliche Belastungen. Aber inzwischen hat sich doch schon eine gewisse Routine eingestellt. 

medienpolitik.net: Inwieweit mussten Sie das Drehbuch für „Lena Lorenz“ anpassen?

Thielen: Bei der kleinerenARD-Produktion „Helene-Die wahre Braut“, waren die Hauptdarsteller für einige Tage in Quarantäne, aber bei „Lena Lorenz“, wo wir fünf Monate drehen, war das unrealistisch. Deshalb mussten die Drehbücher angepasst werden. So wurden Szenen reduziert, es gab weder Küsschen noch Begrüßung per Handschlag und die Anzahl der Schauspieler und Komparsen wurde in großen Szenen verringert, um ein Risiko zu minimieren. Zudem mussten wir einige Szenen mit Dummys drehen, da die Babys, die wir bei Lena Lorenz ja miterzählen, nur von den Müttern, aber nicht von den Schauspielern berührt werden durften. Alle diese Veränderungen – so hoffe ich – wird der Zuschauer aber nicht bemerken.

„Es ist mir völlig unverständlich, warum Deutschland nahezu sechs Monate benötigt hat, um endlich für Fernsehproduktionen eine Risikoabsicherung auf die Beine zu stellen.“

medienpolitik.net: Wie schnell können Drehbücher umgeschrieben werden?

Thielen: Ursprünglich wollten wir mit den Dreharbeiten im Maibeginnen und mussten dann aber bis Mitte Juli warten. Diese zwei Monate haben wir genutzt, die Bücher anzupassen.

medienpolitik.net: Bei den Hygienekonzepten nach denen Sie jetzt arbeiten, ist sehr vieles zu beachten. Woher erhalten Sie fachliche Unterstützung?

Thielen: Die Empfehlung der Berufsgenossenschaft war nur die Basis für unser Konzept, da sie sehr unkonkret war. Wir haben mit allen unseren Gewerken die nötigen und möglichen Schritte diskutiert, uns natürlich auch mit anderen Produktionsfirmen beraten und zudem gab es Unterstützung durch die Produzentenallianz. Unser Grundsatz war: Lieber mehr Vorsicht und Vorbeugen als zu wenig. So sind regelmäßige Tests noch nicht bei allen Produktionsteams üblich. Ich hatte schon Sorge vor einer möglichen Durchseuchung am Drehort, denn Filmleute sind ein wanderndes Völkchen und wenn wir nicht sorgsam genug sind, kann ein Virus von einem Drehort zum anderen übertragen werden. Mit katastrophalen Auswirkungen für die ganze Branche. Um das zu vermeiden, werden bei uns alle Teammitglieder getestet.

medienpolitik.net: Wie wichtig ist der Ausfallfonds II für die Produzenten?

Thielen: Auf diesenFonds warten wir schon lange. Er ist sehr wichtig, um uns wenigsten eine gewisse Planungssicherheit zu geben. Es ist mir völlig unverständlich, warum Deutschland als einziger wichtiger Filmproduktionsstandort in Europa nahezu sechs Monate benötigt hat, um endlich für Fernsehproduktionen eine Risikoabsicherung auf die Beine zu stellen. Für viele mittelständische Produktionsfirmen ist dieser Ausfallfonds existentiell, denn die meisten haben keine große Eigenkapitaldecke, die es ihnen erlaubt, Projektausfälle und zusätzliche Kosten selbst zu schultern.

medienpolitik.net: Aber 10 Prozent des Risikos muss der Produzent auch weiterhin tragen…

Thielen: Wir hätten uns natürlich gewünscht,dass der Produzent zu 100 Prozent entlastet worden wäre, denn auch 10 Prozent zusätzlicher Kosten wiegen für viele Unternehmen schwer. Aber ich weiß, wie schwierig die Verhandlungen zwischen den Ländern und den TV-Sendern waren und deshalb sind wir über diesen Kompromiss froh. Beim Ausfallfonds I für Kinoproduktionen und High-end-Serien des Bundes beträgt der Produzentenanteil nur fünf Prozent.

medienpolitik.net: Wären ohne diesen Ausfallfonds möglicherweise Produktionen abgesagt worden, weil das Risiko angesichts steigender Corona-Zahlen zu groß wäre?

Thielen: Das ist ein Teufelskreis: Ohne neuen Film oder eine neue Serie verdient die Produktionsfirma kein Geld. Auf der anderen Seite könnten ungeplante Kosten entstehen, die nicht verkraftbar sind. Es ist für jeden Produzenten eine sehr schwierige Risikoabwägung. Kleine Produktionsfirmen, die auf jeden Auftrag angewiesen sind, hätten möglicherweise Projekte verschoben, damit keine Abbruchskosten riskiert, aber auch keinen Umsatz gemacht.

medienpolitik.net: Wie sieht Ihre Planung für 2021 / 2022 aus?

Thielen: Es existieren sehr konkrete Ideen und Pläne, denn wir haben gelernt, dass man auch unter Corona-Bedingungen drehen kann – auch wenn es schwieriger als zu „normalen“ Zeiten ist. Wir entwickeln gegenwärtig die nächsten Projekte und wollen zum Beispiel ab Mai nächsten Jahres den „Amsterdam Krimi“ zu drehen.

medienpolitik.net: In Amsterdam?

Thielen: Selbstverständlich. Ich gehe davon aus, dass das Corona-Virus nicht plötzlich verschwindet, aber, dass Dreharbeiten auch unter diesen Bedingungen relativ sicher und beherrschbar sind. Ohne diesen Optimismus könnte ich meinen Job aufgeben.

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