Eine Gefahrenquelle für die Rundfunkfreiheit?

von am 24.11.2020 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Dualer Rundfunk, Medienordnung, Medienpolitik, Medienrecht, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Rundfunk

Eine Gefahrenquelle für die Rundfunkfreiheit?
Sabine Hadamik, Rechtsanwältin, Foto Herbert Sachs

Die Diskussion in Sachsen-Anhalt hat auch für andere Parlamente exemplarischen Charakter

24.11.2020. Von Sabine Hadamik, Rechtsanwältin

In seinem ersten Rundfunkfinanzierungsurteil (1994) formulierte das Bundesverfassungsgericht mahnende Worte an den Gesetzgeber: „Zwar wird der Gesetzgeber zum Schutz der Rundfunkfreiheit vor außerpublizistischen Interessen Dritter in Pflicht genommen und muß jene positive Ordnung schaffen, die die Erreichung des Normziels von Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistet. Dessen ungeachtet bildet er aber selber eine Gefahrenquelle für die Rundfunkfreiheit, weil die Neigung zur Instrumentalisierung des Rundfunks nicht nur bei der Regierung, sondern auch bei den im Parlament vertretenen Parteien bestehen kann. Als Teil der Staatsgewalt unterliegt auch das Parlament öffentlicher Kontrolle. Da diese wesentlich von der Freiheit der Medien abhängt, darf dem Parlament über die funktionssichernden gesetzlichen Programmvorgaben hinaus ebenfalls kein Einfluss auf Inhalt und Form der Programme der Rundfunkveranstalter eingeräumt werden… Diese Grundsätze sind auch bei der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu beachten.“ [1]

Scheitert die Beitragserhöhung am Widerstand der CDU-Landtagsfraktion?

Nach dem derzeitigen Stand der parlamentarischen Beratungen droht die im Staatsvertrag vorgesehene Beitragserhöhung am Widerstand der CDU- und AfD-Parlamentarier im Landtag von Sachsen-Anhalt zu scheitern. Zwar hat die in Sachsen-Anhalt regierende Koalition von CDU (30 Mandate), SPD (11 Mandate) und Grünen(5 Mandate) mit 46 von 87 Abgeordneten eineklare Regierungsmehrheit, aber wenn die CDU-Fraktion die Beitragserhöhung – wie angekündigt – ablehnt, wird der Staatsvertrag in Sachsen-Anhalt keine Zustimmung finden: Die AfD, die in ihrem Grundsatzprogramm die Abschaffung des Rundfunkbeitrags fordert, weil sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in ein Bezahlfernsehen umwandeln will, hat erklärt, dass es mit ihr keine Beitragserhöhung geben wird. Die AfD-Fraktion verfügt im Landtag von Sachsen-Anhalt über 21 Mandate. Zusammen verfügen die Fraktionen von CDU und AfD mithin über 51 Mandate. Das ist eine satte Mehrheit, gegen die SPD (11 Mandate), Grüne (5 Mandate) und Linke (16 Mandate), auch wenn sie geschlossen für den Staatsvertrag votieren, nichts ausrichten können: 32 Mandate von SPD, Grünen und Linken gegen 51 Mandate von CDU und AfD, das ist eine aussichtslose Situation für die im Ersten Medienänderungsstaatsvertrag vorgesehene Beitragsanpassung. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Landtag von Sachsen-Anhalt kann die Verabschiedung des Ersten Medienänderungsstaatsvertrages daher nur gelingen, wenn die CDU-Fraktion ihre Position zum Rundfunkbeitrag neu justiert.

Zum Stand des Gesetzgebungsverfahrens in Sachsen-Anhalt

Im Juni 2020 haben alle Regierungschefs der 16 Bundesländer den Ersten Medienänderungsstaatsvertrag unterzeichnet, der entsprechend der Empfehlung der unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) zum 1. Januar 2020 eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags von derzeit monatlich 17,50 Euro auf 18,36 Euro festlegt und Neuregelungen zum ARD – internen Finanzausgleich trifft. Damit dieser Staatsvertrag – wie vorgesehen – zum 1. Januar 2021 in Kraft treten kann, müssen ihm die Parlamentarier aller 16 Landesparlamente zustimmen. Die Zustimmung erfolgt über Zustimmungsgesetze, durch die der Medienänderungsstaatsvertrag in jedem Bundesland in geltendes Landesrecht umgesetzt wird. Sind bis zum 31. Dezember 2020 nicht alle 16 Ratifizierungsurkunden beim Vorsitzland der Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder (derzeit Berlin) hinterlegt, wird der Staatsvertrag gegenstandslos und das heißt:  Eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags findet nicht statt, es bleibt beim bisherigen Rundfunkbeitrag von 17, 50 Euro. 

Bereits vor der Unterzeichnung des Ersten Medienänderungsstaatsvertrages durch die Ministerpräsidenten der Länder war der Landtag von Sachsen-Anhalt, wie andere Landtage auch, mit der geplanten Beitragserhöhung befasst und hat darüber in seiner Sitzung am 12. Juni 2020 debattiert (LT Stenografischer Bericht 7/103 – 12.06.2020). Der Entwurf des Zustimmungsgesetzes zum Ersten Medienänderungsstaatsvertrag wurde von der Landesregierung mit dem „Entwurf eines Gesetzes zum Ersten Medienrechtsänderungsstaatsvertrag“  (LT Drs. 7/6252) in den Landtag eingebracht, dort in der 107. Sitzung am 9. September in Erster Lesung beraten (LT Stenografischer Bericht 7/107 – 09.09.2020) und sodann an den zuständigen „Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Medien“ überwiesen. Der Ausschuss hat am 13. November 2020 zu der geplanten Beitragserhöhung eine Anhörung durchgeführt und beabsichtigt, nach Auswertung der Anhörung in seiner nächsten Sitzung am 2. Dezember 2020 eine Beschlussempfehlung zum Gesetzentwurf abzugeben. Nach der Sitzungsplanung des Landtags ist davon auszugehen, dass der Landtag von Sachsen-Anhalt dann in der letzten Plenarwoche vor Weihnachten (Sitzungstermine 15./16./17.12.) über die Zustimmung zur Beitragsanpassung entscheiden wird.

Nach den parlamentarischen Gepflogenheiten wird dabei entscheidend sein, welche Beschlussempfehlung der „Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Medien“ am 2. Dezember abgeben wird: Dieser Ausschuss hat 13 ordentliche Mitglieder aus den Fraktionen von CDU (5), AfD (3), Linken (2), SPD (2) und Grünen (1). Den Ausschussvorsitz hat der CDU-Abgeordnete Daniel Sturm inne. Auch im Ausschuss ist die parlamentarische Situation dadurch gekennzeichnet, dass die Abgeordneten der Regierungsfraktionen mit der Position des Ausschussvorsitzenden und ihren insgesamt acht Stimmen den Kurs im Ausschuss bestimmen könnten. Alternativ dazu ist aber auch im Ausschuss bei einem Zusammenwirken von Abgeordneten der CDU und der AfD eine satte Mehrheit von 8:5 Stimmen möglich.

Man muss sich diese Machtoptionen vor Augen führen, um zu verstehen, welche Brisanz in der Ankündigung namhafter Mitglieder der CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt steckt, die Erhöhung des Rundfunkbeitrags nicht mittragen zu wollen. An der Beschlussempfehlung des Ausschusses am 2. Dezember wird sich zeigen, wie die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt von ihrer parlamentarischen Macht Gebrauch macht

Die Argumente der CDU-Landtagsfraktion

Beitragsstabilität

Wie aus den Sitzungsprotokollen des Landtags hervorgeht, stützt die CDU-Fraktion ihre Ablehnung der Beitragserhöhung auf die im Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vereinbarte Beitragsstabilität, die sie –anders als ihre Koalitionspartner-  als Festhaltalten an der nominellen Beitragshöhe von 17,50 € verstanden wissen will. Die Koalitionspartner –SPD und Grüne-, die dem Staatsvertrag zustimmen wollen, verstehen Beitragsstabilität nicht als Festschreibung des bisherigen nominellen Beitrags von 17,50 €, weil das Festhalten an der bisherigen Beitragshöhe faktisch auf eine Beitragskürzung hinausliefe, wenn sich bisherige Ausgabenpositionen der Rundfunkanstalten aufgrund allgemeiner Kostensteigerungen erhöhen.

Forderung nach Strukturreformen, Ausschöpfung der Sparpotentiale

Anlässlich der ersten Lesung des Gesetzentwurfs zum Ersten Medienrechtsänderungsstaatsvertrag am 9.September hat der Parlamentarische Geschäftsführer und medienpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, Markus Kurze , die Position seiner Fraktion auf der Homepage des Landtags wie folgt zusammengefasst:  „Die CDU-Fraktion wird nicht von ihrem bekannten Standpunkt abweichen. Wir lehnen den Ersten Medienrechtsänderungsstaatsvertrag weiterhin ab. Bisher können wir nicht erkennen, dass die längst überfällige Debatte über Auftrag und Größe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks deutschlandweit kritisch geführt wird. Ebenso scheinen trotz aller Beteuerungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht alle Sparpotentiale ausgeschöpft worden zu sein…“ Wie sich aus den Landtagsprotokollen ergibt, will die CDU mit ihrem Abstimmungsverhalten eine Debatte darüber anstoßen, ob die derzeitige Anzahl von Fernseh- und Radiosendern notwendig ist, ob es der derzeitigen Größe bedarf und ob knapp 20 Euro zu viel oder zu wenig sind. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll Strukturreformen durchführen, damit er bezahlbar bleibt.  

Ansiedlung von ARD-Einrichtungen in den neuen Bundesländern

Bei der Forderung nach Strukturreformen geht es auch um die Ansiedlung von ARD-Einrichtungen in den neuen Bundesländern, namentlich auch in Sachsen-Anhalt, um die sich auch der Ministerpräsident, Reiner Haseloff, nach Medienberichten im Vorfeld bemüht hatte. In der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 22.10.2020 wird die Position des medienpolitischen Sprechers der CDU-Fraktion Sachsen-Anhalt, zu dieser Thematik wie folgt wiedergegeben: „Warum, fragt Kurze, habe das Saarland – ein Bundesland, dessen Fläche nicht größer sei als die der Altmark in Sachsen-Anhalt – eine eigene Rundfunkanstalt, während sich drei Ostländer eine teilen? Warum gebe es nach 30 Jahren keine Gemeinschaftseinrichtungen der ARD im Osten außer dem Kinderkanal? In seinem Wahlkreis werde das kritisiert.“ Die Pläne von ARD-Anstalten, in Sachsen-Anhalt jetzt mit einem digitalen Kulturportal eine neue Gemeinschaftseinrichtung anzusiedeln, werden offenbar nicht goutiert: Warum fragt der Abgeordnete Frank Scheurell, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Landesentwicklung und Verkehr der CDU-Landtagsfraktion, werde auf den Wunsch, dass die ARD sparen müsse, mit einer neuen Einrichtung reagiert. „Statt mal einen Umzug aus dem Westen in den Osten zu arrangieren, der dem Westen wehtut.“ („Die Zeit“ a.a.O.)

Forderung nach einer Neujustierung des Programmauftrags

In der Sitzung am 12.06.2020 forderte der medienpolitische Sprecher der CDU-Fraktion weiterhin, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf seinen Kernauftrag konzentrieren soll, damit er bezahlbar bleibt. Angesichts der sich mit Streamingdiensten und Internetangeboten verändernden Nutzergewohnheiten, bedeute die notwendige Konzentration auf den Kernauftrag, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht versuchen müsse, verlorene Nutzergruppen zurückzuholen. Die CDU-stehe „zu einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der bezahlbar ist, der aber im dualen System aufgeht.“ Der CDU seien „nämlich auch die privaten Anbieter wichtig, die es in Deutschland gibt.“ Denn wenn man beide Angebote zusammenfasse, gebe es genügend Angebote, die der Bürger konsumieren könne.  

Beitragsfestsetzung erst nach Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Der Versuch der Staatskanzlei Sachsen-Anhalt, den Rundfunkanstalten finanzwirksame Selbstverpflichtungen für Einsparmaßnahmen abzuverlangen, stieß in anderen Bundesländern auf verfassungsrechtliche Bedenken und ist damit vom Tisch. Mit ihrem „nein“ zur Beitragserhöhung, glaubt die CDU-Landtagsfraktion, die von ihr gewünschte Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erreichen zu können. Wie ihr medienpolitischer Sprecher in der Sitzung am 12.06.2020 ausführt, wären dann zwei Jahre Zeit, um zu klären, ob es den jetzt von der KEF festgestellten Bedarf tatsächlich gab. Es wäre „dann also zwei Jahre länger Zeit“, um sich „auch über Strukturen und Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland Gedanken zu machen.“ Das bedeutet im Klartext: Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk wegen fehlender Beitragserhöhung mit weniger Geld auskommen muss, zwingt ihn dies zu Einsparungen, die sich der Gesetzgeber bei der demnächst anstehenden Debatte zur Reform des öffentlich-rechtlichen Auftrags zunutze machen kann: Der Auftrag kann dann so formuliert werden, dass er der von der Politik gewünschten Beitragshöhe Rechnung trägt.    

Gesetzliche und verfassungsrechtliche Vorgaben für parlamentarische Entscheidungen zum Rundfunkbeitrag

Die Landesparlamente sind bei der Beitragsfestsetzung nicht frei. Sie sind als Verfassungsorgan ihrerseits an Gesetz und Recht gebunden und das bedeutet:

  • Das Parlament in Sachsen-Anhalt muss sich bei seinen Entscheidungen zum Rundfunkbeitrag an die gesetzlichen Vorgaben im Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag halten, den es zusammen mit den anderen Bundesländern verabschiedet hat.
  • In Sachsen-Anhalt ist der Gesetzgeber – ebenso wie jeder andere parlamentarische  Gesetzgeber – an die verfassungsrechtlichen Vorgaben gebunden, wie sie vom Bundesverfassungsgericht in Auslegung des Grundgesetzes formuliert werden.[2]

Vorgaben des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrags

Der Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag (RFinStV) gibt für die Festsetzung des Rundfunkbeitrags ein dreistufiges, streng formalisiertes Verfahren vor.  Danach melden die Rundfunkanstalten ihren Bedarf bei der unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) an (1.Stufe). Die KEF überprüft den Bedarf und unterbreitet einen bedarfsgerechten Vorschlag (2.Stufe). Auf der Grundlage des KEF-Berichts legen die Ministerpräsidenten der Länder die Beitragshöhe fest, der alle 16 Landesparlamente zustimmen müssen (3.Stufe).

Nach den staatsvertraglichen Regelungen zum Verfahren der Beitragsfestsetzung steht dem Landesgesetzgeber zwar die abschließende Entscheidung über die Festsetzung des Rundfunkbeitrags zu, diese ist aber auf der Grundlage des von der KEF ermittelten Finanzbedarfs zu treffen. (§ 7 Abs. 2 S.1 RFinStV). Beabsichtigte Abweichungen der Landesparlamente vom Vorschlag der KEF sind durch die Rundfunkkommission der Länder mit den Rundfunkanstalten unter Einbeziehung der KEF zu erörtern und nachprüfbar zu begründen (§ 7 Abs.2 S.2 u. S.3 RFinStV).

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Verfahrensregelungen als verfahrensrechtliche Absicherung der Rundfunkfreiheit gekennzeichnet. Der durch die KEF fachlich ermittelte Finanzbedarf  ist daher deutlich mehr als eine Entscheidungshilfe für die Beitragsfestsetzung.  Eine Abweichung von der Bedarfsfeststellung der KEF ist nur in Ausnahmefällen möglich, z.B. wenn der von der KEF ermittelte Rundfunkbeitrag zu einer unangemessenen Belastung für die Beitragszahler führen würde. Dafür muss jedoch eine nachvollziehbare,  faktenbasierte Begründung  gegeben werden.[3]

Verfassungsrechtliche Vorgaben

Zur Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung

Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Festsetzung des Rundfunkbeitrags gründen sich auf das Grundrecht der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs.1 Satz 2 GG) und die tragende Bedeutung, die das Bundesverfassungsgericht in verbindlicher Auslegung dieser Verfassungsnorm dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Medium und Faktor freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung in der Demokratie zugesprochen hat. Unter Hinweis auf die Vielfaltsdefizite in der privatwirtschaftlichen Säule der dualen Rundfunkordnung[4]  hat das Bundesverfassungsgericht nachdrücklich angemahnt, dass diese verfassungsrechtlich nur hinnehmbar sind, wenn jedenfalls der öffentlich-rechtliche Rundfunk hier ein Gegengewicht bilden kann, indem er seinen Funktionsauftrag uneingeschränkt erfüllen kann. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt dabei die Aufgabe zu, „als Gegengewicht zu den privaten Rundfunkanbietern ein Leistungsangebot hervorzubringen, das einer anderen Entscheidungsrationalität als der der marktwirtschaftlichen Anreize folgt. Er hat so zu inhaltlicher Vielfalt beizutragen, wie sie allein über den freien Markt nicht gewährleistet werden kann.“[5]

Dies gilt in besonderem Maße auch unter den Bedingungen der Onlinekommunikation. In seinem Urteil zum Rundfunkbeitrag (2018)[6] geht das Bundesverfassungsgericht eindrücklich auf die hier bestehenden Gefahren einer einseitigen Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung ein und verweist auf die damit wachsende Bedeutung der dem beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk hier obliegenden Aufgabe, für den (potentiellen) Nutzer ein vielfaltssicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden.

Entwicklungsoffene und funktionsgerechte Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen verfassungsrechtlichen Funktionsauftrag erfüllen kann, hat der Gesetzgeber dafür Vorsorge zu treffen, dass dieser über die erforderlichen technischen, organisatorischen, personellen und finanziellen Mittel verfügt, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Hierzu stellt das Bundesverfassungsgericht im 2. Finanzierungsurteil (2007) ausdrücklich fest[7], dass das öffentlich-rechtliche Programmangebot auch für neue Inhalte, Formate und Genres sowie für neue Verbreitungsformen offen bleiben muss und der Auftrag damit dynamisch an die Funktion des Rundfunks gebunden ist. Daher darf der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht auf einen bestimmten Entwicklungsstand in programmlicher, finanzieller und technischer Hinsicht beschränkt werden: Seine Finanzierung muss vielmehr entwicklungsoffen und entsprechend bedarfsgerecht gestaltet werden. Dem entspricht die Garantie funktionsgerechter Finanzierung.  Die Mittelausstattung muss nach Art und Umfang den jeweiligen Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gerecht werden.  Sie muss gewährleisten, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Wettbewerb mit privaten Anbietern publizistisch konkurrenzfähig bleibt. Nur wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Wettbewerb mit privaten Veranstaltern bestehen kann, ist das duale System in seiner gegenwärtigen Form, in der die werbefinanzierten privaten Programme weniger strengen Anforderungen unterliegen, mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar. [8]

Gebot der Trennung zwischen der allgemeinen Rundfunkgesetzgebung und Festsetzung des Rundfunkbeitrags

Das Bundesverfassungsgericht hat schon in seinem 1. Finanzierungsurteil (1994)[9] sehr deutlich gesehen, wie sehr die Rundfunkanstalten bei der Erfüllung ihres Programmauftrags von der Festsetzung des Rundfunkbeitrags abhängig und damit in Gefahr sind, politisch unter Druck zu geraten. Mit Entscheidungen zur Festsetzung des Rundfunkbeitrags haben die politisch Verantwortlichen – so das Bundesverfassungsgericht –  ein besonders wirksames Mittel zur indirekten Einflussnahme auf die Erfüllung des Rundfunkauftrags und die Konkurrenzfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Bereits die drohende Verwendung dieses Mittels könne bei den Rundfunkanstalten einen Anpassungsdruck erzeugen, der der publizistischen Freiheit abträglich wäre.

Um diesen Gefahren entgegenzuwirken, gilt das Gebot der Trennung zwischen allgemeiner Rundfunkgesetzgebung und der Festsetzung des Rundfunkbeitrags: Will der Gesetzgeber im Rahmen seines verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraums Regelungen zum öffentlich-rechtlichen Programmauftrags treffen, ist dies nur im Rahmen der allgemeinen Rundfunkgesetzgebung möglich. Im gesetzlichen Verfahren der Beitragsfestsetzung ist es dagegen dem Gesetzgeber – wie das Bundesverfassungsgericht auch im 2. Finanzierungsurteil (2007)[10] deutlich hervorhebt- verwehrt, über Entscheidungen zur Finanzausstattung indirekt Einfluss auf die Erfüllung des Programmauftrags zu nehmen. Entscheidungen des Gesetzgebers zum Rundfunkbeitrag dürfen nicht mit medienpolitischen und programmlichen Forderungen verknüpft werden. 

Die Beitragsfestsetzung muss nach den Grundsätzen der Programmneutralität und der Programmakzessorität erfolgen

Für die Beitragsfestsetzung gelten  die Grundsätze der Programmneutralität und der Programmakzessorität.[11]  Programmakzessorität heißt, dass sich die Beitragsfestsetzung an dem von den Anstalten angebotenen Programm orientieren muss. Der Finanzierung „sind die Programmentscheidungen zugrunde zu legen, die die Rundfunkanstalten im Rahmen ihres verfassungsrechtlich vorgezeichneten und gesetzlich konkretisierten Rundfunkauftrags unter Berücksichtigung der Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit getroffen haben.“ [12] Grundlage für die Beitragsbemessung kann und darf mithin nur der zum Zeitpunkt der Beitragsentscheidung bestehende gesetzliche Programmauftrag sein. Die Finanzierung folgt dem Auftrag und nicht umgekehrt.

Programmneutralität bedeutet, dass die Beitragsfestsetzung keine qualitative Beurteilung des Programms beinhalten darf. Entscheidungen über Zeitpunkt, Umfang oder Geltungsdauer der Beitragsfestsetzung dürfen nicht zu Zwecken der Programmlenkung oder der Medienpolitik, namentlich im dualen System benutzt werden.[13] Das Bundesverfassungsgericht hat unter Verweis auf seine bisherige  Rechtsprechung im 2.  Finanzierungsurteil  (2007 ) noch einmal nachdrücklich darauf  hingewiesen, dass die Festsetzung des Rundfunkbeitrags frei von medienpolitischen Zwecksetzungen erfolgen muss und es zu verhindern gilt, dass „über Entscheidungen zur Finanzausstattung auf indirekte Weise Einfluss auf die Erfüllung des Programmauftrags genommen werden“ kann.[14]

Verfassungsrechtliche Prüfung der Argumente der CDU-Landtagsfraktion

Konkrete Begründungen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für Abweichungen vom Vorschlag der KEF verlangt, sind von der CDU-Landtagsfraktion nicht vorgetragen worden. Auch das erforderliche Verfahren nach dem Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag wurde nicht initiiert. Die Gründe, auf die sich die Parlamentarier in Sachsen-Anhalt zur Begründung ihrer Ablehnung der Beitragserhöhung derzeit stützen, halten einer Prüfung an den dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht stand:

Beitragsstabilität

Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Beitragsstabilität, verstanden als Festhalten am derzeitigen Rundfunkbeitrag von 17,50 €, ist eine medienpolitische Positionsbeschreibung, aber kein tragfähiger Ablehnungsgrund, denn sie steht im Widerspruch zur verfassungsrechtlichen Garantie der entwicklungsoffenen und funktionsgerechten Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Berufung auf die politisch vereinbarte Beitragsstabilität zwecks Ablehnung der von der KEF vorgeschlagenen Beitragserhöhung unterläuft zudem den im dreistufigen Verfahren der Beitragsermittlung liegenden verfahrensrechtlichen Grundrechtsschutz, der eine funktionsgerechte, am öffentlich-rechtlichen Auftrag orientierte Beitragsermittlung sicherstellen und verhindern soll, dass die Beitragsfestsetzung nach den jeweiligen politischen Prioritäten erfolgt.

Forderung nach Strukturreformen, Ausschöpfung der Sparpotentiale, Ansiedlung von ARD-Einrichtungen in den neuen Bundesländern

Die mit der Ablehnung der Beitragserhöhung verfolgte Intention, durch die dann fehlenden Finanzmittel bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Reformen bei Struktur und Programm und damit Einsparungen zu erzwingen, bedeutet, dass durch Versagung der Finanzmittel, Einfluss auf die Erfüllung des Programmauftrags genommen werden soll. Das ist eine verfassungsrechtlich unzulässige Verknüpfung der Beitragsentscheidung mit medienpolitischen und programmlichen Forderungen, die gegen die Grundsätze der Programmneutralität und der Programmakzessorität verstößt. Diese liegt auch vor, wenn die Zustimmung zur Beitragserhöhung an medienpolitische Vorgaben geknüpft wird, wie das bei der Forderung nach von der Ansiedlung von ARD – Einrichtungen in den neuen Bundesländern der Fall ist.  

Forderung nach Neujustierung des Programmauftrags

Die Forderung nach Konzentration auf den Kernauftrag steht im Widerspruch zum verfassungsrechtlichen Funktionsauftrag, der dynamisch und darauf ausgerichtet ist, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seiner anderen Entscheidungsrationalität, gerade auch angesichts der Entwicklungen im Internet, ein Gegengewicht zu kommerziellen Medienunternehmen bilden kann, die an den von ihnen verbreiteten Inhalten verdienen. Im Beitragsfestsetzungsverfahren vorgebracht, handelt es sich bei dieser Forderung zudem um eine unzulässige Verknüpfung von Auftrag und Finanzierung, die gegen das Gebot der Trennung zwischen allgemeiner Rundfunkgesetzgebung und Festsetzung des Rundfunkbeitrags verstößt.  

Beitragsfestsetzung erst nach Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Die Intention, mit einem „nein“ zur Beitragsfestsetzung, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu Reformen seines Programms und seiner Strukturen zwingen zu können, die dann die Grundlage für eine Neubewertung des Finanzbedarfs bilden, verstößt ebenfalls gegen das Gebot der Trennung von allgemeiner Rundfunkgesetzgebung einerseits und Festsetzung des Rundfunkbeitrags andererseits. Nach dem Grundsatz der Programmakzessorität ist der derzeit geltende gesetzliche Programmauftrag Grundlage für die Bedarfsfeststellung und Beitragsbemessung der KEF mit der Folge, dass die Landesparlamente im Zustimmungsverfahren an diese Vorgabe gebunden sind. Nur so ist gewährleistet, dass die Finanzierung dem Auftrag folgt und nicht ein politisch vorgegebenes Finanzvolumen (wie z.B. das Konzept der Beitragsstabilität) den öffentlich-rechtlichen Auftrag determiniert. Die Intention, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk erst Reformen abzuverlangen und dann über die Beitragsfestsetzung zu entscheiden, steht auch im Widerspruch zu der verfassungsrechtlichen Vorgabe, dass Entscheidungen zur Beitragsfestsetzung nicht zu Zwecken der Programmlenkung oder der Medienpolitik benutzt werden dürfen.

Coronakrise als Abweichungsgrund von der Bedarfsfeststellung der KEF?  

Soweit in der politischen Diskussion geltend gemacht wird, dass die Coronakrise für die Beitragszahler zu unangemessenen Belastungen führt, die eine Aussetzung der Beitragserhöhung rechtfertigen, trägt der Landesgesetzgeber hierfür nach der Verfassungsrechtsprechung die Darlegungslast und muss faktenbasierte, nachprüfbare Tatsachen benennen, die eine unangemessene Belastung der Beitragszahler belegen. In der bisherigen Diskussion sind keine entsprechenden Fakten vorgetragen worden.

Fazit

Der Rekurs auf die in Sachsen-Anhalt gegen die Beitragserhöhung vorgebrachten Argumente zeigt, wie essentiell es für unseren demokratischen Rechtsstaat ist, dass das Bundesverfassungsgericht den Schutz der Grundrechte garantiert und angesichts sich verändernder Lebensbedingungen weiterentwickelt. Sollte das Parlament in Sachsen-Anhalt tatsächlich seine Zustimmung zum Ersten Medienänderungsstaatsvertrag verweigern, würden die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gezwungen, erneut das Bundesverfassungsgericht anzurufen, das dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die nicht vorgenommene Beitragserhöhung als verfassungswidrig feststellen würde. Es ist zu hoffen, dass die Politiker der CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt bei der Abstimmung über die von der KEF vorgeschlagene Beitragserhöhung nicht, wie vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigt, „zur Gefahrenquelle für die Rundfunkfreiheit“ werden. Die parlamentarische Diskussion in Sachsen-Anhalt hat mit Blick auf die parlamentarische Diskussionslage auch in anderen Parlamenten durchaus exemplarischen Charakter. Sie wirft die sehr grundsätzliche Frage auf, was es für die Demokratie bedeutet, wenn demokratisch gewählte Abgeordnete der Verfassung, wie sie vom Bundesverfassungsgericht verbindlich ausgelegt wird, bei ihrem Handeln ersichtlich keinen Stellenwert einräumen.

Sabine Hadamik

Rechtsanwältin. Studium der Germanistik und der Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin. Abschluss des Jurastudiums und des Referendariats mit dem 1. und 2. juristischen Staatsexamen. Von 1973 bis 1978 wissenschaftliche Assistentin an der Freien Universität Berlin. Von 1978 bis 1987 in der Verwaltung des Deutschen Bundestages mit dem Thema Medien in verschiedenen Funktionen befasst, zunächst als Gutachterin im wissenschaftlichen Dienst mit den Schwerpunkten Verfassungs- und Medienrecht, später als Referentin in der Enquete-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechniken. Von 1983 bis 1986 als beurlaubte Beamtin Referentin der Intendanten von Sell und Nowottny beim Westdeutschen Rundfunk Köln. Von 1987 bis 1999 als stellvertretende Direktorin und Justitiarin der Landesanstalt für Rundfunk NW (heute: Landesanstalt für Medien NW) für die Zulassung und Aufsicht privater Rundfunkveranstalter zuständig. Seit 2000 freiberuflich als Rechtsanwältin tätig. Mitglied des Initiativkreises Öffentlich-rechtlicher Rundfunk.


[1] BVerfGE 90, 60 (89/90)

[2] Vgl. § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG):

Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

[3] BVerfG, Urteil des  Ersten Senats vom 11. September 2007, – 1 BvR 2270/05 – Rn. 1-213, Rn. 156

[4] St. Rspr. vgl. insbes. BVerfG (2007), Rn.117 ff.

[5]  BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 25. März 2014 -1 BvF 1/11 -, Rn. 1- 135, Rn. 36

[6] BVerfG 2018 , Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16, Rn. 1-157, Rn. 80

[7] BVerfG (2007),Rn. 123

[8] BVerfGE 90,60 (90); BVerfG (2007), Rn. 122

[9] BVerfGE 90, 60 (93/94)

[10] BVerfG (2007), Rn. 130

[11] BVerfG (2007), Rn. 131

[12] BVerfGE 90, 60 (94).

[13] BVerfGE 90, 60 (93/94)

[14] BVerfG (2007), Rn. 128, 130

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