„Es ist nicht mehr viel Fleisch auf dem Knochen“

Radio Bremen fehlen durch die ausbleibende Beitragserhöhung monatlich 800.000 Euro
18.01.2021. Interview mit Dr. Yvette Gerner, Intendantin von Radio Bremen
In den 75 Jahren der Existenz sind Geldsorgen und Sparen für Radio Bremen schon fast Normalität geworden: Das Funkhaus war 1950 ein Geschenk der Amerikaner, die ARD beschloss 1953 erstmals einen Finanzausgleich in Höhe von 2 Millionen DM. Ende der 1990er-Jahre war der Sender sogar in Existenznot. Statt 198 Millionen Mark sollte er aus dem ARD-Finanzausgleich nur noch 100 Millionen Mark erhalten. Schließlich gab es einen Kompromiss. Nun steht Radio Bremen wieder vor Finanzproblemen, weil die geplante Beitragserhöhung ausbleibt. So fehlen dem Sender pro Monat 800.000 Euro. Gerade jetzt in der Corona Pandemie, so die Intendantin Yvette Gerner in einem medienpolitik.net-Interview seien verlässliche Informationsangebote, Service und auch eine vertraute Begleitung der Menschen erforderlich. Dort massiv zu sparen, wäre falsch. Der Sender könnte kurze Zeit von der Substanz leben, aber da ist bei Radio Bremen nach etlichen Sparrunden in der Vergangenheit „nicht viel Fleisch auf dem Knochen“ Aktuell schaue man sich alle Projekte an und überlege, was zu schieben sei. Von den Ländern fordert Gerner, mit einem neuen Auftrag die Voraussetzungen für die Transformation vom Sendernetzwerk zum digitalen Kommunikationsverbund zu schaffen.
medienpolitik.net: Frau Gerner, zu welchen personellen und finanziellen Belastungen hat die Corona-Pandemie bisher bei Radio Bremen geführt?
Gerner: Die Arbeit in Corona-Zeiten bedeutet dreifachen Aufwand für das gewohnte Programm. Dennoch ist es uns in den letzten 10 Monaten gelungen Mitarbeiterschutz und Programmauftrag zu verbinden. Es war und ist die Mühe wert, wie uns die Reaktionen der Menschen im Land und beispielsweise die mit 40,2 Prozent beste Einschaltquote seit Jahren für unser Nachrichtenformat „Buten un Binnen“ im TV oder die Zugriffszahlen auf den Onlineseiten zeigen. Schon in Normalzeiten sind wir personell knapp aufgestellt und vor allem die Aufteilung in A- und B- Teams verlangt den Redaktionen und den Kollegen, die ja privat auch noch Schulschließungen, Quarantänen etc. zu regeln haben, viel ab. Die Belastung ist spürbar. Dazu kamen gerade bei den freien Kollegen Ängste um Einsätze und Einnahmen. Wir haben früh entschieden, allen Freien 80 Prozent des Vorjahresentgelts zu garantieren. Finanziell war 2020 schwierig zu steuern, weil wir die Kosten für diese und andere Corona-Maßnahmen nicht absehen konnten, gleichzeitig war der Werbemarkt volatil. Auf der anderen Seite sind einige geplante Produktionen nicht zustande gekommen. Aktuell wird der Jahresabschluss gerade erstellt, die genauen Zahlen kenne ich also noch nicht. Klar ist, die Corona Krise hat mehr Mittel verschlungen als wir für 2020 geplant hatten, die Mehraufwendungen sind allerdings nicht so hoch wie im Sommer mal befürchtet wurde.
medienpolitik.net: Für 2021 rechnet Radio Bremen – laut Wirtschaftsplan für 2021 – bei einem Volumen von insgesamt rund 113 Millionen Euro mit einem handelsrechtlichen Fehlbetrag von rund 4,9 Mio. Euro. Bei Berücksichtigung der Beitragserhöhung und eines neuen ARD-Finanzausgleichs. Woraus ergibt sich dieser Fehlbetrag?
Gerner: Der Fehlbetrag in der handelsrechtlichen Gewinn- und Verlustrechnung 2021 von -4,9 Mio. € enthält auch nicht auszahlungswirksame Positionen, wie z.B. die Zuführung zu den Pensionsrückstellungen. Darüber hinaus wurden beispielsweise die geplanten Finanzerträge aufgrund der Situation am Kapitalmarkt reduziert. In der Cash Flow Rechnung zeigt Radio Bremen ein ausgeglichenes Ergebnis.
medienpolitik.net: Der Rundfunkbeitrag wird ab 1.Januar für längere Zeit bei 17,50 Euro monatlich bleiben. Welche finanziellen Konsequenzen ergeben sich daraus für den Sender?
Gerner: Die Frage ist ja, wann das Bundesverfassungsgericht im Hauptsacheverfahren urteilt. Dass die Beitragserhöhung durch das Verhalten des Landes Sachsen-Anhalts zum 1.1.2021 (während 15 andere Länderparlamente der Erhöhung zugestimmt haben) nicht in Kraft getreten ist, ist gerade für Radio Bremen besonders problematisch. Als kleine Anstalt sind wir wie der Saarländische Rundfunk doppelt betroffen. Es fehlen Radio Bremen die Beitragsmehreinnahmen und es fehlen die Gelder aus der Erhöhung des Finanzausgleichs innerhalb der ARD. Damit sind wir aktuell auf Dauer nicht funktionsgerecht finanziert. Es liegt auf der Hand, dass jeder Euro weniger an der Auftragserfüllung rüttelt. Konkret fehlen uns monatlich rund 800.000 €.
medienpolitik.net: Welche Auswirkungen wird die ausbleibende Beitragserhöhung für das Programm haben?
Gerner: Gerade jetzt in der Corona Pandemie, in Zeiten von Distanz und Kontaktverboten, braucht es verlässliche Informationsangebote, Service und auch vertraute Begleiter der Menschen. Genau das liefern wir in den Radiowellen, auf den Internetplattformen und im Fernsehen. Da jetzt massiv zu sparen, wäre falsch. Schon der von 18,36 Euro ausgehende Finanzplan von Radio Bremen setzt wie gewohnt auf Sparsamkeit. Wir können kurze Zeit von der Substanz leben, aber da ist bei Radio Bremen nach etlichen Sparrunden in der Vergangenheit nicht viel Fleisch auf dem Knochen. Es gibt weitere Möglichkeiten wie wir es schaffen könnten, erst einmal über die die Runden zu kommen. Aktuell schauen wir uns alle Projekte an und überlegen, was wir schieben können. Das birgt aber auch Havarie-Risiken und schwächt unsere Zukunftsfähigkeit.
„Wir können kurze Zeit von der Substanz leben, aber da ist bei Radio Bremen nach etlichen Sparrunden in der Vergangenheit nicht viel Fleisch auf dem Knochen.“
medienpolitik.net: Kann eine engere Kooperation mit dem NDR und anderen ARD-Anstalten zu Einsparungen führen und das absehbare Defizit verringern?
Gerner: Kooperation ist fester Teil unserer DNA. Insbesondere mit dem NDR gibt es eine gute langjährige Zusammenarbeit, beispielsweise im Verwaltungsbereich. Mit dem WDR kooperieren wir als der kleine Partner bei Cosmo, fast keine unserer TV-Produktionen entsteht ohne Kooperationspartnerschaften anderer ARD Anstalten von „Kroymann“ bis „Wumms“. Innerhalb der ARD laufen vielfältige Bemühungen, weitere Synergien zu heben – zum Beispiel zwischen den Radiowellen bei den Verkehrsnachrichten in der Nachtschiene und vieles mehr. Natürlich werden wir auch weiterhin alle Möglichkeiten prüfen, Kosten zu senken. Dazu wird auch das ARD Strukturprojekt mit einem ARD-weiten Sparpotential von rund 588 Mio. Euro bis 2028 beitragen. Aber diese Sparmaßnahmen sind schließlich auch einer der Gründe dafür, dass wir inzwischen relativ schlank aufgestellt sind und dass die von der KEF errechnete Beitragserhöhung noch unter der Inflationsrate bleiben konnte. Daher hoffen wir, dass das Bundesverfassungsgericht möglichst schnell entscheidet und uns diese moderate Erhöhung, die erste seit 11 Jahren, zubilligt.
medienpolitik.net: Der neu vereinbarte Finanzausgleich der ARD ist an die Beitragserhöhung gekoppelt. Warum?
Gerner: Wollen Sie eine kurze oder ausführliche Antwort? Ich nehme mal die kurze Antwort: Die Systematik der ARD KEF Anmeldung ist komplex. Gerade für die beiden kleinen Anstalten SR und Radio Bremen kommt es hier zu besonderen Effekten. Die KEF selbst hat zu diesen Auswirkungen im 22. Bericht Stellung genommen. Die Festlegung des Finanzausgleichs kann allerdings nur innerhalb der ARD Gemeinschaft ausgehandelt werden, das ist vor knapp einem Jahr dann mit der Erhöhung des internen Finanzausgleichs in gemeinschaftlicher Solidarität geschehen. Außerdem wird beides ‑ Beitragserhöhung und ARD-Finanzausgleich ‑ durch die Länder im Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag geregelt. Daher ist es folgerichtig, dass die Länder die Neufestsetzungen von Rundfunkbeitrag und Finanzausgleich durch den gleichen Änderungsstaatsvertrag vornehmen.
„Es bedarf der Transformation vom Sendernetzwerk zum digitalen Kommunikationsverbund.“
medienpolitik.net: Läuft der bisherige Finanzausgleich weiter?
Gerner: Ja, der aktuelle Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag hat weiterhin Bestand. In diesem ist der gültige Finanzausgleich geregelt.
medienpolitik.net: Der Wirtschaftsplan wurde am 10. Dezember verabschiedet. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass durch die ausbleibende Zustimmung in Sachsen-Anhalt, eine Erhöhung ab 1. Januar 2021 mehr als fraglich war. Warum haben Sie dennoch mit der Erhöhung geplant?
Gerner: Erstens haben Wirtschaftspläne in allen Unternehmen längere Vorläufe. Zweitens hatten wir bis zuletzt auf eine andere Entscheidung in Sachsen-Anhalt gehofft und intensiv dafür geworben. 15 Länderparlamente haben dem 1. Medienänderungsstaatsvertrag zugestimmt. Entscheidend war und ist für uns wie für alle anderen öffentlich-rechtlichen Sender, die Ermittlung des Finanzbedarfs durch die KEF. Immerhin haben alle Landesregierungen den entsprechenden Staatsvertrag unterzeichnet und das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung vertreten, dass die Anstalten einen Anspruch auf die von der KEF errechnete Finanzierung haben. Aufgrund unsicherer politischer Ankündigungen vom ordnungsgemäßen Verfahren abzuweichen, kam schon rein rechtlich nicht in Betracht, aber auch aus Verantwortung vor unserem Publikum und unseren Mitarbeitern nicht.
medienpolitik.net: Radio Bremen kann als Anstalt des öffentlichen-Rechts nicht Insolvenz gehen. Wenn Sie den Auftrag nicht mehr aus dem Rundfunkbeitrag finanzieren können, wer übernimmt dann die Finanzierung? Die ARD?
Gerner: Soweit sind wir noch nicht und wir sollten hier auch keine hypothetischen Horrorszenarien diskutieren. Momentan setzen wir auf unsere Klage beim Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung immer wieder klargestellt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk so finanziert sein muss, dass er seinen Auftrag erfüllen kann. Das gilt auch für Radio Bremen.
medienpolitik.net: Die Ministerpräsidenten haben jetzt baldige Reformen des Auftrages angekündigt. Welche Erwartungen haben Sie an die Novellierung des Auftrages?
Gerner: Journalismus, gerade wenn er wie der öffentlich-rechtliche im besonderem Auftrag von Gesellschaft und Demokratie unterwegs ist, muss sich immer wieder verändern und überprüfen lassen. Finanzierungsfragen sind mit Blick auf Auftrag und Struktur wichtig, aber Geld ist Mittel zum Zweck. Genauso wichtig ist es unabhängig von monetären Debatten zu fragen, welche stärkere Rolle öffentlich-rechtliche Medien in einer sich verändernden Gesellschaft gegenüber Desinformation, Verschwörungstheorien, Populismus und Individualisierung einnehmen sollen. Verwurzelung in der Region, nah dran sein an dem was passiert und der direkte Dialog mit den Menschen sind für mich zentrale Themen. Mit Blick auf die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für den demokratischen Austausch und Meinungsvielfalt müssen wir noch stärker Plattform zum Austausch für vielfältige Debatten sein. Es bedarf dafür der Transformation vom Sendernetzwerk zum digitalen Kommunikationsverbund. Eine andere Frage ist, die nach dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer digitalen Medienwelt gegenüber und im Zusammenspiel mit global operierenden Plattformen.