„Wir warten immer noch auf den Entwurf der Förderrichtlinie“

von am 09.02.2021 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Journalismus, Medienförderung, Medienordnung, Medienpolitik, Medienwirtschaft, Verlage, Werbung

„Wir warten immer noch auf den Entwurf der Förderrichtlinie“
Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger e.V. (BDZV), Foto: Bernd Brunder

Tageszeitungsverlage rechnen für 2020 bei Anzeigen mit einem Minus von 20 Prozent

09.02.2021. Interview mit Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger e.V. (BDZV)

Während der Corona-Pandemie ist die Nutzung der digitalen Angebote schneller gewachsen als bisher. 17,1 Millionen Internetnutzer ab 16 Jahren nutzen jeden Tag die Digitalangebote der Zeitungen. Nimmt man die durchschnittlichen Monatswerte, verzeichnen die digitalen Zeitungen 49,5 Millionen Nutzer. Das sind 71,7 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung ab 16 Jahren, so eine Analyse der ZMG Zeitungsmarktforschung Gesellschaft. Wie Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger in einem Gespräch mit medienpolitik.net analysiert, sieht die Bilanz für 2020 für die Verlage aus wirtschaftlichem Blickwinkel allerdings anders aus: Im April, Mai und Juni und dann wieder im Herbst mussten Zeitungsverlage hohe Einbußen bei den Anzeigenerlösen von 60 bis 80 Prozent hinnehmen. Über das ganze Jahr gesehen schrumpfte das Anzeigengeschäft der Zeitungsverlage um schätzungsweise 20 Prozent. Die Verleger, so Wolff hätten immer darauf gedrängt, dass die Politik die richtigen Rahmenbedingungen setze. Bei der vom Gesetzgeber erzwungene Umstellung von Stück- auf Stundenlohn in der Zeitungszustellung müsse man weiter nach Lösungen – auch außerhalb einer direkten Förderung – suchen. Grundsätzlich blieben medienpolitische Maßnahmen immer das Mittel der ersten Wahl.

Medienpolitik.net: Viele Presseverlage haben mit den wirtschaftlichen Folgen des Corona-Lockdowns vor allem auf Grund rückläufiger Anzeigenerlöse zu kämpfen. Wie bedrohlich ist die Situation für die Meinungsvielfalt in Deutschland?

Wolff: Hier müssen wir differenzieren: Die Zeitungen wurden als systemrelevant eingestuft. Verlage und Redaktionen konnten ihre Arbeit im Gegensatz zu anderen Branchen fortsetzen. Durch die intensive Berichterstattung zum Thema Pandemie und der gestiegenen Nachfrage konnte die Reichweite sogar noch zulegen. Aus wirtschaftlichem Blickwinkel sieht die Bewertung allerdings anders aus: Im April, Mai und Juni und dann wieder im Herbst mussten Zeitungsverlage hohe Einbußen bei den Anzeigenerlösen von 60 bis 80 Prozent hinnehmen. In den übrigen Monaten erholte sich der Werbemarkt. Über das ganze Jahr gesehen schrumpfte das Anzeigengeschäft der Zeitungsverlage um schätzungsweise 20 Prozent. An dieser Stelle würde ich noch nicht von bedrohter Meinungsvielfalt sprechen. Gänzlich anders sieht es natürlich bei den Anzeigenblättern aus, die ausschließlich von Werbeeinnahmen leben. Hier hat sich der Kollateralschaden des Lockdowns teilweise existenziell ausgewirkt. Manche Titel wurden eingestellt. Dies hat sehr wohl die Meinungsvielfalt geschwächt.

Medienpolitik.net: Bei vielen Verlagen sind die Abos für Digitalangebote schneller gewachsen als in den vergangenen Jahren. Ist das jetzt die lang erhoffte Trendwende, dass ähnlich wie in der Musikindustrie die digitale Zeitungsnutzung größer wird als die analoge?

Wolff: Digital hat aufgeholt. Das stimmt uns zuversichtlich. Es bestätigt die Chancen, begründet aber noch keine Trendwende. Denn wir wissen alle noch nicht, wie dauerhaft die gestiegenen Zugriffszahlen sind. Die Verlage konnten im vergangenen Jahr viele neue Nutzer durch preislich attraktive Kennenlern-Angebote gewinnen. Perspektivisch gilt unverändert: Reichweite und Ertrag müssen zusammenpassen.

Medienpolitik.net: Könnte dieser Prozess durch eine „maßgeschneiderte“ Digital-Förderung beschleunigt werden?

Wolff: Natürlich kann eine Förderung der Transformation den Verlagen helfen, ihren Digitalbereich auszubauen. Das steht außer Frage. Aber auch ohne Förderung haben die Zeitungsverlage über 600 Digitalangebote im Netz. Die Schwierigkeit besteht nicht im Aufbau einzelner Projekte, sondern im Aufbrechen der im Internet vorherrschenden Kostenlos-Mentalität. Die Zahlungsbereitschaft der Nutzer wächst, aber es bedarf noch einer Übergangszeit. Hierbei spielen auch der flächendeckende Breitbandausbau sowie demografische Aspekte eine Rolle. Der Transformationsprozess ist komplex und braucht vor allem den stabilen wirtschaftlichen Unterbau: Ein funktionierendes Print-Geschäft. Insbesondere im Abonnement. Und hier, in der rasanten Kostenentwicklung der Zeitungszustellung, liegt das eigentliche Problem.

„Wenn die Förderanträge nicht bis Mai/Juni gestellt werden können, macht es für dieses Jahr kaum mehr Sinn.“

Medienpolitik.net: Presseverlage sollen 2021 mit 180 Millionen Euro gefördert werden. Wie ist der aktuelle Stand? Wann wird das Geld in die Verlage fließen?

Wolff: Wir warten immer noch auf den Entwurf der Förderrichtlinie. Wenn die Förderanträge nicht bis Mai/Juni gestellt werden können, macht es für dieses Jahr kaum mehr Sinn. Das federführende Bundeswirtschaftsministerium weiß das.

Medienpolitik.net: Nach dem Konzept des BMWI sollen alle Verlage „diskriminierungsfrei anhand eines objektiven Förderschlüssels gefördert werden. Als neutraler Verteilungsmaßstab bietet sich die aktuelle Reichweite oder Auflage (d.h. die Zahl der aktuell (physisch) zugestellten Exemplare) an.“ Also ist es de facto von Ihnen geforderte Vertriebsförderung?

Wolff: Die Verteilung richtet sich nach der verkauften Auflage der gedruckten zugestellten Abonnement-Exemplare – bei den Anzeigenblättern die gedruckten zugestellten Exemplare. Dieser Förderschlüssel im Bundestagsbeschluss ist neutral, objektiv und messbar. Der Verwendungszweck wurde jedoch vom händischen Zustellbereich in den digitalen Bereich verlegt. Das ist nicht die Vertriebsförderung, wie sie von der Bundesregierung vorgesehen war. Im Übrigen kam der Vorschlag einer direkten Förderung der Zustellung nicht von uns, sondern von den Ministerien.

Medienpolitik.net: Welche politischen Alternative gäbe es zu dieser Förderung, um den Presseverlagen wirtschaftlich zu helfen?

Wolff: Wir haben stets darauf gedrängt, dass die Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzt. Hierzu gehörte jedenfalls nicht die vom Gesetzgeber erzwungene Umstellung von Stück- auf Stundenlohn in der Zeitungszustellung. Ein Ausgleich der hierdurch entstandenen Mehrbelastungen bleibt wohl alternativlos. Hier müssen wir weiter nach Lösungen – auch außerhalb einer direkten Förderung – suchen. Grundsätzlich bleiben aber medienpolitische Maßnahmen immer das Mittel der ersten Wahl. Wichtig ist, wie gesagt, die Kostenlos-Mentalität abzulösen, das gilt auch für Mega-Plattformen beim Abgreifen von journalistischen Inhalten. Zudem sollten die Datenschutz-Regelungen so gestaltet werden, dass die großen Plattformen nicht bevorteilt sind.

Medienpolitik.net: Armin Laschet, der Ministerpräsident von NRW hat gesagt, zur Entlastung der Verlage könne auch eine Erhöhung der 450-Euro-Grenze für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse beitragen. Was halten Sie von dieser Idee?

Wolff: Dieser Vorschlag wäre absolut unterstützenswert.

„Es ist wichtig, dass weiterreichende und effektivere Regeln in den Mitgliedstaaten im Kartell- und Wettbewerbsrecht nicht durch das EU-Recht beeinträchtigt werden.“

Medienpolitik.net: Die EU-Kommission hat Ende des vergangenen Jahres die Entwürfe für den Digital Service Act und Digital Markets Act vorgestellt, mit denen globale Plattformen reguliert werden sollen. Sie sehen bei den vorgestellten Vorschlägen noch „viele offene Fragen“ und Gesprächsbedarf, wie es in einer Pressemeldung heißt. Welche offenen Fragen sind das z.B?

Wolff: Der Digital Markets Act (DMA) soll den freien und fairen Wettbewerb auf den digitalen Märkten wiederherstellen und sichern. Eine angemessene Regulierung von Google, Facebook, Amazon & Co. halten wir angesichts der historischen Macht dieser Plattformen und der daraus resultierenden Gefahr für den Wettbewerb und die freie Meinungsbildung für dringend notwendig. Wir befürchten, dass der DMA-Entwurf zu kurz greift. Er würde dem wirtschaftlich und medienpolitisch bedenklichen Handeln der digitalen „Gatekeeper“ kein Ende setzen können. Demgegenüber sieht der Digital Services Act (DSC) eine Ausweitung und Harmonisierung der Pflichten und eine Stärkung der Aufsicht über die Inhaltepolitik aller Online-Plattformen vor. So sollen zum Beispiel bestimmte harmonisierte Beschwerdemechanismen für Inhalte eingeführt werden. Dies ist grundsätzlich für Plattformen jeder Größe relevant. Davon könnten also auch die redaktionellen Plattformen der Verlage, wie beispielsweise Kommentarspalten, Leserforen oder kommerzielle Verlagsplattformen von Kleinanzeigen, Bewertungsportalen bis hin zu spezifischen Verkaufsplattformen betroffen sein. Derartige Dienste sind keine bloß optionalen Zusatzangebote, die man ohne Auswirkungen auf den publizistischen und wirtschaftlichen Erfolg einstellen könnte. Vielmehr sind sie integrale Bestandteile vieler Publikationen, die unverzichtbar sind, um den Lesern die eingeforderte Diskussion untereinander und mit der Redaktion zu ermöglichen. Um zusätzliche betriebliche und wirtschaftliche Belastungen für die digitalen Angebote der Verlage zu vermeiden, lehnen wir eine Verschärfung der Inhaltsverantwortlichkeit ab. Während wir und also beim Digital Markets Act eine Verschärfung der Maßnahmen für die digitalen Gatekeeper wünschen würden, wehren wir uns gegen eine Einführung von unverhältnismäßigen Verpflichtungen für Plattformen jeder Größe im Digital Services Act.

Medienpolitik.net: Sie befürchten u.a. sogar „eine Schwächung der Regeln für Gatekeeper“ und somit eine Verstärkung der digitalen Monopolposition. Woraus resultiert diese Sorge?

Wolff: In Deutschland haben wir im Rahmen der 10. GWB-Novelle und des Medienstaatsvertrags wichtige Meilensteine bei der Regulierung der digitalen Gatekeeper gesetzt. Mit dem Digital Markets Act besteht nun die Gefahr, dass diese wichtigen Bestimmungen durch das EU-Recht verwässert werden. Denn der Vorschlag der Europäischen Kommission sieht vor, dass Mitgliedstaaten die digitalen Gatekeeper grundsätzlich nicht strenger regulieren dürfen als es der EU-Entwurf vorsieht. Wenn der Digital Markets Act also schwächer ausfällt als unsere nationalstaatlichen Regelungen, müssen wir befürchten, dass diese ausgehebelt werden. Daher ist es wichtig, dass weiterreichende und effektivere Regeln in den Mitgliedstaaten im Kartell- und Wettbewerbsrecht nicht durch das EU-Recht beeinträchtigt werden.

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