„Der DAB+ Erfolg in Deutschland hat viele Mütter und Väter“

Stefan Raue: Kein Strategiewechsel bei DAB+
11.03.2021. Interview mit Stefan Raue, Intendant des Deutschlandradios und Vorsitzender Digitalradio Deutschland e.V.
Im umsatzstärksten Jahr seit der Einführung von DAB+ wurden in Deutschland 2020 mehr als 1,83 Mio. DAB+ Empfänger abgesetzt. Wie der HEMIX (Home Electronics Market Index) belegt, entspricht dies einem Wachstum von 15,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch der Umsatz mit DAB+ Radios wuchs mit 13 Prozent zweistellig: von 216 Mio. Euro in 2019 auf die aktuelle Bestmarke in Höhe von 244 Mio. Euro in 2020. Die Nutzung des digital-terrestrischen Radios hat 2020 bei der Tagesreichweite relativ um rund 50 Prozent zugelegt. Das macht DAB+ zum Radioverbreitungsweg mit dem derzeit stärksten Wachstum. In einem Gespräch mit medienpolitik.net bekräftigt Stefan Raue, Intendant des Deutschlandradios, dass die Politik weiterhin eine wichtige Rolle für die Akzeptanz von DAB+ spiele. So definiere das Digitalradio Board der Bundesregierung grundlegende Bedingungen für den beschleunigten Aus- und Aufbau von DAB+ in Deutschland. Auf Irritationen im Zusammenhang mit dem neuen RBB-Staatsvertrag angesprochen, erklärt Raue: „Wir erkennen keine Strategieänderung. Die ARD und das Deutschlandradio halten an DAB+ und der Digitalisierung der Radioprogramme fest.“ Dabei gelte ein hybrider Ansatz: DAB+ als robustes Rückgrat der Programmverbreitung und IP-Radio als Ergänzung.
medienpolitik.net: Herr Raue, sieht man sich die Verkaufszahlen von DAB+ Radios für 2020 an, könnte man DAB+ zu den Gewinnern der Corona-Krise zählen. Hat die Pandemie die Nutzung von DAB+ beschleunigt?
Raue: Wenn Corona eines gezeigt hat, dann, dass Radio als Massenmedium unglaublich lebendig und in besonderen Situationen ganz besonders (nach-)gefragt ist. Als die neue Generation Radio stellt DAB+ sicher, dass Rundfunk auch künftig als kostenloses und barrierefreies Informationsmedium einen wichtigen Beitrag für die Demokratie und eine unabhängige Meinungsbildung leistet. Darüber hinaus kam 2020 viel zusammen: Der lange verschobene und dann endlich durchgeführte Start der zweiten bundesweiten, privaten Programmplattform, die Digitalradiopflicht als Teil der TKG-Novelle, die gestiegene Nutzung von DAB+ Programmen in der ma Audio. Natürlich haben auch Hersteller mit neuen Radios und attraktiven Preisen ihren Teil zu der starken Verbreitung beigetragen. Das Digitalradio Büro hat die guten Botschaften so wirksam wie möglich in die Öffentlichkeit getragen. Zusammengefasst: Der DAB+ Erfolg in Deutschland hat viele Mütter und Väter. Beschleunigt hat sich 2020 vor allem das Tempo, mit dem immer mehr DAB+ Radios online gekauft werden. Seit Anfang des Jahres geht das übrigens auch im exklusiven dabplus.store.
medienpolitik.net: Wie sieht es bei PKWs aus? Ist hier auch die Zahl der DAB+ Empfänger 2020 gestiegen?
Raue: Die seit 21. Dezember 2020 geltende Digitalradiopflicht für Autoradios in Neuwagen und andere handelsübliche Geräte leistet für diese Entwicklung einen wesentlichen Beitrag. Bereits seit Sommer 2020 haben die Hersteller ihre Neuwagen mehrheitlich mit DAB+ an Bord ausgeliefert.
medienpolitik.net: Aber, bedeutet ein DAB+ Radio im Auto automatisch, dass es auch genutzt wird?
Raue: Wer einmal die vielen Vorteile von DAB+ im Auto erlebt hat – von der Frequenzstabilität, über den klaren Klang bis hin zu den visuellen Zusatzdiensten wie Verkehrsdaten und Wettermeldungen – der mag nicht mehr zu UKW zurück. Wer im Auto von DAB+ überzeugt wurde, denkt sicher darüber nach, auch für Haus und Heim ein Gerät zu beschaffen.
„Das duale System und der Rundfunkföderalismus in Deutschland erfordern ein Mitwirken der Politik bei DAB+.“
medienpolitik.net: Sehen Sie weitere Möglichkeiten für die Politik, den DAB+ Empfang zu beschleunigen?
Raue: Ja, denn das duale System und der Rundfunkföderalismus in Deutschland erfordern ein Mitwirken der Politik. Das Digitalradio Board der Bundesregierung ist ein gutes Beispiel: Es ist ein branchenübergreifendes Gremium bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern des Bundes, der Länder, des Rundfunks, der Bundesnetzagentur und der Industrie, das grundlegende Bedingungen für den beschleunigten Aus- und Aufbau von DAB+ in Deutschland definiert. Zu den Arbeitsfeldern gehören unter anderem Infrastrukturförderung für die privaten Anbieter, gemeinsame Marketingansätze und der Umgang mit nicht mehr genutzten UKW-Frequenzen, das so genannte Frequenzmoratorium. Im Digitalradio Board werden die unterschiedlichen Standpunkte zusammengeführt und gemeinsam zu Festlegungen entwickelt, notwendige politische Weichenstellungen eingeschlossen.
medienpolitik.net: Im neuen rbb-Staatsvertrag soll DAB+ als Verbreitungsweg nicht vorgesehen sein. Ist es vorstellbar, dass ein Bundesland bei der DAB+ Verbreitung aussteigt und öffentlich-rechtliche Anstalten nicht mehr beauftragt werden, DAB+ Angebote zu verbreiten?
Raue: Die ARD und das Deutschlandradio halten an DAB+ und der Digitalisierung der Radioprogramme fest. Dabei gilt ein hybrider Ansatz: DAB+ als robustes Rückgrat der Programmverbreitung und IP-Radio als Ergänzung. Wir erkennen keine Strategieänderung.
medienpolitik.net: Die Nutzung des digital-terrestrischen Radios hat bei der Tagesreichweite relativ um rund 50 Prozent zugelegt. Wie sieht damit die Relation des Empfangs im Vergleich zu UKW und Internet aus?
Raue: Laut Digitalisierungsbericht der Medienanstalten 2020 können knapp zwei Drittel der Deutschen mit mindestens einem Gerät im Haushalt digitales Radio empfangen. Das Wachstum der Verfügbarkeit von digitalem Radio wird insbesondere durch DAB+ und Webradio beflügelt. Sie liegt danach bei 25,3 Prozent DAB+ und 44,8 Prozent Webradio (hier meist über das Smartphone). In Summe ergibt sich eine Quote von 54,6 Prozent (2019: 50,1 Prozent).
„Die ARD und das Deutschlandradio halten an DAB+ und der Digitalisierung der Radioprogramme fest.“
medienpolitik.net: Ist die Entwicklung der DAB+ Nutzung in den Bundesländern unterschiedlich?
Raue: Auch hierüber informiert der Digitalisierungsbericht der Medienanstalten 2020. Zu den DAB+ Spitzenreitern zählt seit Jahren Bayern, das nun eine Simulcast-Quote von 100 Prozent erreicht hat. Die vielfältige Hörfunklandschaft wird durch eine gelungene Zusammenarbeit zwischen Privatfunk und öffentlich-rechtlichen Anbietern getragen. Generell gilt: Dort, wo Landesmedienanstalten die DAB+ Übertragung aktiv fördern, gibt es eine besonders breite Programmvielfalt privater Sender, darunter viele innovative Angebote, die nur über DAB+ ausgestrahlt werden.
medienpolitik.net: Wie hat sich inhaltlich das DAB+ Angebot 2020 entwickelt?
Raue: 2020 war in vielerlei Hinsicht ein besonderes Jahr. Denn nicht nur war es das umsatzstärkste; durch die Aufschaltung des zweiten Bundesmuxes können Hörerinnen und Hörer überregional künftig zusätzlich bis zu 16 weitere Programme empfangen. Dazu kommen zahlreiche Aufschaltungen auf regionaler Ebene. Viele private Anbieter, die DAB+ lange kritisch gegenüberstanden, nutzen inzwischen auch diesen Verbreitungsweg. Dies sehen wir auch im aktiven Engagement der Privaten im Digitalradio Board von Bund und Ländern.
medienpolitik.net: Wie wichtig sind bundesweite DAB+ Programme für die Akzeptanz dieses Übertragungsweges?
Raue: Allein die Möglichkeit, neben den Deutschlandradio Programmen weitere Hörangebote im gesamten Bundesgebiet zu empfangen, ist von entscheidender Bedeutung. Dort, wo die Medienpolitik noch mit der Ausschreibung regionaler Kapazitäten zögert, beispielsweise in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder Mecklenburg-Vorpommern, haben die bundesweiten Radioangebote die Empfangssituation für Hörerinnen und Hörer seit Sendestart schlagartig verbessert. Experten gehen zudem davon aus, dass in diesem Zuge auch die regionale und lokale Radiolandschaft Impulse erhält und wachsen wird.
medienpolitik.net: Wie ist Ihre Prognose für dieses Jahr? Wie wird sich DAB weiter entwickeln?
Raue: Nach Churchill sind Prognosen ja vor allem dann schwer, wenn sie die Zukunft betreffen. Ohne Frage wird DAB+ weiter wachsen, denn es ist der etablierte Übertragungsweg, den private und öffentlich-rechtliche Anbieter aktiv nutzen. Die regionale Weiterentwicklung der digitalen Progammvielfalt in den Bundesländern ist ein wichtiger Punkt. Noch entscheidender dürften aber die Festlegungen des Digitalradio Boards sein. Hier kommt es vor allem auf eine gemeinsame Linie der öffentlich-rechtlichen und privaten Sender an.